Der Fall des Serienmörders und Kannibalen Karl Denke ist bis heute rätselhaft. Zwischen 1903 und 1924 hat er im schlesischen Städtchen Münsterberg (heute Ziebice) rund 30 Menschen getötet und zum Teil verspeist, und nur durch Zufall wurde er verhaftet. Bevor er jedoch verhört werden konnte, erhängte er sich in seiner Zelle. Seine Motive blieben im Dunkeln. Peer Meter, der bereits das Szenario zu HAARMANN schrieb, hat sich zusammen mit dem Zeichner David von Bassewitz, daran gemacht, auf Grundlage dieser Begebenheiten die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der über Denke forscht, sich aber während dieser Arbeit selbst verliert. Eine ebenso spannende wie düstere Geschichte, die erschreckt und fasziniert.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Peer Meters neuer Serienkiller-Comic "Vasmers Bruder" ist zwar sicherlich ganz ordentlich, meint Christoph Haas, doch von dem Autor ist er eigentlich Besseres gewohnt. Meter erzählt die Geschichte von Karl Denke, einem scheinbar harmlosen Gärtner im heute polnischen Ziębice, der über Jahre hinweg Menschen ermordete und aß, bevor er gefasst wurde und sich in seiner Zelle selbst umbrachte, berichtet Haas. Vasmer, der Protagonist, fährt nach Ziębice, weil sein Bruder, der einen Dokumentarfilm über Denke drehen wollte, verschollen ist. Denke selbst taucht im Comic kaum auf, verrät der Rezensent, er wirkt nur nach, übt eine düstere Faszination aus, der auch Vasmer verfällt. Leider haben Meter und der Zeichner David von Bassewitz den Comic symbolisch überfrachtet, ohne dass immer klar wäre, warum zum Beispiel die Gegenstände im Raum immer wieder ein Kreuz bilden müssen, so Haas. Auch wirken die Frottage-Schleier über den Bildern auf ihn eher kitschig als poetisch, wie die Autoren es vermutlich beabsichtigt hatten, bedauert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2014Ein Sadowski ist
noch kein de Sade
Die Serienkillercomicserie
von Peer Meter geht weiter
In der deutschen Comic-Szene gibt es einen Spezialisten für historische Serienkiller: den Autor Peer Meter. Vor vier Jahren war er gleich an zwei einschlägigen Graphic Novels beteiligt. In „Haarmann“ (Zeichnungen: Isabel Kreitz) schilderte er die Untaten des bekannten Mörders aus Hannover; in „Gift“ (Zeichnungen: Barbara Yelin) beschäftigte er sich mit Gesche Gottfried, die zwischen 1813 und 1827 in Bremen 15 Menschen mit Arsen vergiftete. In „Vasmers Bruder“ geht es nun um Karl Denke, einen scheinbar harmlosen Gärtner, der im schlesischen Münsterberg ab 1903 mindestens dreißig Menschen tötete und aufaß. Erst 1924 wurde er verhaftet und beging, noch bevor er vor Gericht gestellt werden konnte, in seiner Zelle Selbstmord.
Die Kleinstadt, in der Denke wütete, liegt inzwischen in Polen und heißt Ziębice. Hierher reist Vasmer, ein junger Deutscher, dessen Bruder für eine Fernsehdokumentation über Denke vor Ort Materialien sammeln wollte und seitdem verschollen ist. Die wirren SMS, die er abgeschickt hat, scheinen auf Ungutes hinzudeuten. In Ziębice angekommen, gerät Vasmer schnell selbst in den gespenstischen Bann des Ortes, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Seinen Bruder treibt er nicht auf; dafür er begegnet einem merkwürdigen Bibliothekar, der für Denke und dessen Morde ein leidenschaftliches, etwas ungesundes Interesse hegt.
Anders als bei „Haarmann“ und bei „Gift“ handelt es sich hier um keine Milieustudie. In den beiden vorangegangen Bänden schilderte Meter in großartiger, an Émile Zola und Gerhart Hauptmann geschulter Weise das erstickende, kleinbürgerliche Umfeld, in dem die Täter so lange völlig unbehelligt agieren konnten. „Vasmers Bruder“ führt dagegen vor, welch bösartige Faszination das Wirken eines vielfachen Mörders auf Nachgeborene auszuüben vermag. Denke tritt in der Graphic Novel nur kurz und kaum sichtbar in einer Rückblende auf; dennoch beherrscht er das ganze Geschehen wie ein dämonischer, insgeheim wirkender Spiritus rector.
Das Ziel Meters und seines Zeichners David von Bassewitz ist es, den Sog des Grauens, in den die Figuren geraten, auch den Leser spüren zu lassen. Das gelingt zwar, aber nicht mit der angestrebten Intensität. Einerseits liegt dies am Zeichenstil. Wie vor ihm beispielsweise der amerikanische Künstler Jon J. Muth in seiner Adaptation von Fritz Langs „M“ versucht Bassewitz sehr Gegensätzliches miteinander zu verbinden. Menschen und oft auch das Dekor stellt er mit hyperrealistischer Präzision dar, gleichzeitig sind alle Bilder durch Verwendung der Frottage-Technik wie mit einem feinen Schleier überzogen. Das soll poetisch wirken, erinnert, bei aller handwerklichen Perfektion, aber eher an die Weichzeichner- und Filter-Effekte, wie sie sich in kitschigen Fotos finden.
Aber auch inhaltlich überzeugen nicht alle Einfälle, manches ist überzogen oder willkürlich. Muss die Bahnhofsruine, in der Vasmer anfangs strandet, gleich einer Kathedrale gleichen? Als er später von der Polizei verhört wird, deuten Fensterrahmen, ein Sessel und deren Schatten mehrfach die Form eines Kreuzes an – ein Sinn dieser Symbolik ist nicht erkennbar. Eher aufdringlich ist auch die Idee, in Sadowski, dem Namen des Bibliothekars, den Marquis de Sade anklingen zu lassen; dazu muss der zwielichtige Kerl hinken – „wie der Teufel selbst“, heißt es in einer Sprechblase.
„Vasmers Bruder“ ist zweifellos ein ordentlicher Horror-Comic. Vergleicht man ihn mit „Böse Geister“, der Graphic Novel, die Meter im letzten Jahr mit der Zeichnerin Gerda Raidt veröffentlicht hat, dann muss man aber sagen: Das schöne Geschäft mit der Angst kann dieser Autor noch besser betreiben.
CHRISTOPH HAAS
Peer Meter (Text) / David von Bassewitz (Zeichnungen): Vasmers Bruder. Carlsen Verlag, Hamburg 2014. 176 Seiten, 17,90 Euro.
Der Killer und Kannibale
beherrscht das Geschehen wie ein
dämonischer Spiritus rector
Hyperrealistisch, dabei wie mit einem feinen Schleier überzogen wirken die Bilder von „Vasmers Bruder“.
Abb. aus d. bespr. Band
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noch kein de Sade
Die Serienkillercomicserie
von Peer Meter geht weiter
In der deutschen Comic-Szene gibt es einen Spezialisten für historische Serienkiller: den Autor Peer Meter. Vor vier Jahren war er gleich an zwei einschlägigen Graphic Novels beteiligt. In „Haarmann“ (Zeichnungen: Isabel Kreitz) schilderte er die Untaten des bekannten Mörders aus Hannover; in „Gift“ (Zeichnungen: Barbara Yelin) beschäftigte er sich mit Gesche Gottfried, die zwischen 1813 und 1827 in Bremen 15 Menschen mit Arsen vergiftete. In „Vasmers Bruder“ geht es nun um Karl Denke, einen scheinbar harmlosen Gärtner, der im schlesischen Münsterberg ab 1903 mindestens dreißig Menschen tötete und aufaß. Erst 1924 wurde er verhaftet und beging, noch bevor er vor Gericht gestellt werden konnte, in seiner Zelle Selbstmord.
Die Kleinstadt, in der Denke wütete, liegt inzwischen in Polen und heißt Ziębice. Hierher reist Vasmer, ein junger Deutscher, dessen Bruder für eine Fernsehdokumentation über Denke vor Ort Materialien sammeln wollte und seitdem verschollen ist. Die wirren SMS, die er abgeschickt hat, scheinen auf Ungutes hinzudeuten. In Ziębice angekommen, gerät Vasmer schnell selbst in den gespenstischen Bann des Ortes, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Seinen Bruder treibt er nicht auf; dafür er begegnet einem merkwürdigen Bibliothekar, der für Denke und dessen Morde ein leidenschaftliches, etwas ungesundes Interesse hegt.
Anders als bei „Haarmann“ und bei „Gift“ handelt es sich hier um keine Milieustudie. In den beiden vorangegangen Bänden schilderte Meter in großartiger, an Émile Zola und Gerhart Hauptmann geschulter Weise das erstickende, kleinbürgerliche Umfeld, in dem die Täter so lange völlig unbehelligt agieren konnten. „Vasmers Bruder“ führt dagegen vor, welch bösartige Faszination das Wirken eines vielfachen Mörders auf Nachgeborene auszuüben vermag. Denke tritt in der Graphic Novel nur kurz und kaum sichtbar in einer Rückblende auf; dennoch beherrscht er das ganze Geschehen wie ein dämonischer, insgeheim wirkender Spiritus rector.
Das Ziel Meters und seines Zeichners David von Bassewitz ist es, den Sog des Grauens, in den die Figuren geraten, auch den Leser spüren zu lassen. Das gelingt zwar, aber nicht mit der angestrebten Intensität. Einerseits liegt dies am Zeichenstil. Wie vor ihm beispielsweise der amerikanische Künstler Jon J. Muth in seiner Adaptation von Fritz Langs „M“ versucht Bassewitz sehr Gegensätzliches miteinander zu verbinden. Menschen und oft auch das Dekor stellt er mit hyperrealistischer Präzision dar, gleichzeitig sind alle Bilder durch Verwendung der Frottage-Technik wie mit einem feinen Schleier überzogen. Das soll poetisch wirken, erinnert, bei aller handwerklichen Perfektion, aber eher an die Weichzeichner- und Filter-Effekte, wie sie sich in kitschigen Fotos finden.
Aber auch inhaltlich überzeugen nicht alle Einfälle, manches ist überzogen oder willkürlich. Muss die Bahnhofsruine, in der Vasmer anfangs strandet, gleich einer Kathedrale gleichen? Als er später von der Polizei verhört wird, deuten Fensterrahmen, ein Sessel und deren Schatten mehrfach die Form eines Kreuzes an – ein Sinn dieser Symbolik ist nicht erkennbar. Eher aufdringlich ist auch die Idee, in Sadowski, dem Namen des Bibliothekars, den Marquis de Sade anklingen zu lassen; dazu muss der zwielichtige Kerl hinken – „wie der Teufel selbst“, heißt es in einer Sprechblase.
„Vasmers Bruder“ ist zweifellos ein ordentlicher Horror-Comic. Vergleicht man ihn mit „Böse Geister“, der Graphic Novel, die Meter im letzten Jahr mit der Zeichnerin Gerda Raidt veröffentlicht hat, dann muss man aber sagen: Das schöne Geschäft mit der Angst kann dieser Autor noch besser betreiben.
CHRISTOPH HAAS
Peer Meter (Text) / David von Bassewitz (Zeichnungen): Vasmers Bruder. Carlsen Verlag, Hamburg 2014. 176 Seiten, 17,90 Euro.
Der Killer und Kannibale
beherrscht das Geschehen wie ein
dämonischer Spiritus rector
Hyperrealistisch, dabei wie mit einem feinen Schleier überzogen wirken die Bilder von „Vasmers Bruder“.
Abb. aus d. bespr. Band
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"Vasmers Bruder ist nicht nur eine düstere Moritat, sondern auch eine philosophische Schauerballade." Frank Neubauer Zack-Spotlights 20140416