Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Als Illustrator wünschte er sich Maurice Sendak: Eine Biographie über das erstaunliche Leben von Michael Ende
Wer war Michael Ende? In der öffentlichen Wahrnehmung nahm der Erfolgsautor zuweilen fast Züge der Maus Frederick an, dem Wörter- und Farbensammler aus Leo Lionnis Kinderbuchklassiker. Wie Frederick die grauen kalten Wintertage seines kleinen Rudels mit Erzählungen aufhellte, brachte Ende mit seinen Figuren Glanz in Wohn- und Kinderzimmer weltweit - von Deutschland über Amerika bis nach Japan. Generationen wuchsen mit Jim Knopf und Momo auf, liebten die Schildkröte Kassiopeia und fürchteten die Grauen Herren, träumten mit Bastian Balthasar Bux vom Schuleschwänzen und sehnten sich nach einem Freund wie Fuchur, dem Drachen. Die Medien, in denen Endes Geschichten weitergetragen wurden, konnten in der Phantasie schon einmal durcheinandergeraten, von der Buchlektüre über die Illustration, den Kinofilm oder das Puppentheater. Der Schriftsteller Ende glich dabei, was seine Erscheinung anbetraf, zunehmend einer Idealfigur, dem gütigen Märchenerzähler mit langem Bart und Lesebrille.
Wie aber sah sich Michael Ende? Dieser Innenperspektive geht die Literaturwissenschaftlerin Birgit Dankert nach, die vor wenigen Jahren bereits die Biographie von Astrid Lindgren schrieb und sich nun mit Michael Ende einen weit weniger gut erforschten Autor vorgenommen hat. Bisher liegt zu Endes Leben nur die Biographie vor, die ein Schulfreund verfasst hat, Peter Boccarius, und die noch dazu in dem Jahr aufhört, in dem Endes Erfolg beginnt: 1960. Dankert kann ihr Buch auf gründliche Recherchen stützen, die sie etwa zu Manuskripten und Briefen im Deutschen Literaturachiv Marbach führten, zum Nachlass in der Internationalen Jugendbibliothek in München, in die Archive des Bayerischen Rundfunks und, nicht zuletzt, zu zahlreichen Weggefährten Endes, darunter auch seine zweite Ehefrau Mariko Sato-Ende.
Die wenigsten Schriftsteller ähneln den Figuren, die sie erfunden haben. Im Fall von Michael Ende ist der Unterschied dennoch überraschend. Dass er sich nie als Kinderbuchautor verstand, ist bekannt. Dass er sich als Märchenonkel unterschätzt fühlte, auch. Doch, um es freundlich auszudrücken, in seinem wirklichen Leben teilte er nur wenige Eigenschaften mit den aufgeräumten und gutmütigen Einzelgängern, die er seinen kindlichen Helden zur Seite stellte, wie etwa Lukas, den Lokomotivführer, oder Beppo, den Straßenkehrer. Schon deshalb stellt ihn der Erfolg, der 1960 mit der Veröffentlichung von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" einsetzte, vor praktische Schwierigkeiten. Ende nämlich, der plötzlich zu einem gefragten Gast in Schulen, Kirchengemeinden, Buchhandlungen und Rundfunkhäusern aufstieg, musste nun, um vor seinen kleinen Lesern aufzutreten, "seinen Tagesrythmus ändern und dem kindlichen Stundenplan anpassen". Bis dahin war er vor allem ein Nachtmensch. Er trank zu viel, ging zu Prostituierten und unterhielt neben langjährigen Beziehungen zahlreiche Affären mit Frauen, die später aus seiner Fangemeinde kamen. Dankert schreibt darüber trocken, ohne kompromittierende Details, aber auch ohne den Autor zu idealisieren. Hinsichtlich seiner Bordellbesuche hält sie fest, dass "die Wirklichkeit des Autors Michael Ende in Bezug auf Liebe und Sexualität keine Verniedlichungen verträgt".
Dankert zeichnet das Bild eines Rastlosen, häufig Unzufriedenen, den aber neben Ängsten und Sehnsüchten auch eine ständige Experimentierfreude umtrieb. Zu den lustigsten Sätzen der Biographie zählt in diesem Sinne jener: "Viel Zeit verbringt er mit Computerspielen." Aus den Vereinigten Staaten ließ sich Ende Fantasy-Spiele kommen, wobei er auf Zetteln die Spielverläufe notierte, um diese für Erzählstrukturen fruchtbar zu machen. Bekannter als Endes Ausflüge in die digitale Welt ist seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Komponisten Wilfried Hiller. Mit ihm plante er zuletzt die Oper "Mammonella", Ende wollte das Libretto schreiben. Der Tod kam ihm zuvor. Er starb 1995 nach einer Krebserkrankung in der von Anthroposophen betriebenen Filderklinik bei Stuttgart.
Dankerts Biographie führt vom München der Zwischenkriegsjahre, in die Ende 1928 geboren wurde, über den Nationalsozialismus zur deutschen Nachkriegszeit, schließlich nach Italien, wohin Ende 1970 zog. Das Buch behandelt zwei Ehen; eine zentrale Rolle spielen auch die Eltern, die Mutter, mit der er bis in die sechziger Jahre hinein zusammenlebte, der Vater und Künstler Edgar Ende. Mit großer Kenntnis widmet sich Dankert auch Endes vielseitigem Werk und lässt ihre Leser über verpasste Chancen staunen. Für "Momo" schlägt Ende seinem Verlag als Illustrator den begnadeten Maurice Sendak vor, der 1963"Wo die Wilden Kerle wohnen" veröffentlicht hatte. Der Verlag lehnt ab, aus Kostengründen.
Die große Ende-Renaissance könnte aber noch bevorstehen. Im Netz kursieren Gerüchte, der "Hobbit"-Regisseur Peter Jackson habe Pläne, die "Unendliche Geschichte" ein zweites Mal zu verfilmen. Das wäre ja was!
JULIA VOSS
Birgit Dankert: "Michael Ende. Gefangen in Phantásien"
Verlag Lambert Schneider, Darmstadt 2016. 312 S., geb., 24,95 [Euro]. Ab 16 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
»Mithilfe von insbesondere drei Menschen gelingt es Birgit Dankert, die schillernden Facetten von Endes Persönlichkeit vorurteilsfrei sichtbar zu machen.« Süddeutsche Zeitung
»Posthum hat Michael Ende erreicht, was er sich als Anerkennung schon zu seinen Lebzeiten gewünscht hätte - ein Autor für alle zu sein. Birgit Dankert erzählt davon in einer angenehmen Klugheit. Ihre Biografie ist auch eine Lektion, die davon handelt, wie schwierig es ist, der zu sein, der man ist und nicht der, der man sein will.« MDR artour
»Mit großer Kenntnis widmet sich Dankert auch Endes vielseitigem Werk und lässt ihre Leser über verpasste Chancen staunen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Michael Ende, der auch Dramen und Opernlibretti geschrieben hat, wollte mehr sein als 'nur' ein Kinderbuchautor. Das gibt seiner Biografie einen tragischen Zug. Er hat nicht wirklich um seine Bedeutung gewusst. Dankert weist sie ihm zu: 'Nach Diktatur und Niedergang war Michael Ende der Schrittmacher der neuen deutschen Kinder- und Jugendliteratur auf ihrem Weg zur Weltgeltung.'« Die Welt
»Wie nur wenige kennt Birgit Dankert den literarischen Kosmos seiner Bücher und zieht Verbindungen zwischen den biographischen Erfahrungen und den erdachten Welten - nie aufdringlich, stets einleuchtend und klug.« St. Galler Tagblatt
»Eine wahre Fundgrube an interessanten Fakten, Hintergrundinformationen und noch nicht veröffentlichte[m] Pressematerial rund um den "Momo" und "Jim Knopf"-Schöper.« Der Evangelische Buchberater