Ein Nobelpreisträger gilt als Vorbild. Ein Mensch der auf einem bestimmten Gebiet etwas so außergewöhnliches geleistet hat, das er mit dieser Auszeichnung geehrt wird, muss etwas ganz besonders sein. Ein Muster an Integrität und Seriosität. Der gelebte Inbegriff des Genius. Ein Ideal dem
nachzueifern als nobles Ziel gilt. Ian McEwan entzaubert in seinem Buch “Solar” diesen Mythos und lässt den…mehrEin Nobelpreisträger gilt als Vorbild. Ein Mensch der auf einem bestimmten Gebiet etwas so außergewöhnliches geleistet hat, das er mit dieser Auszeichnung geehrt wird, muss etwas ganz besonders sein. Ein Muster an Integrität und Seriosität. Der gelebte Inbegriff des Genius. Ein Ideal dem nachzueifern als nobles Ziel gilt. Ian McEwan entzaubert in seinem Buch “Solar” diesen Mythos und lässt den Leser nicht nur vor Erleichterung auflachen.
Michael Beard hat als junger Physiker in den 1970er Jahren den Nobelpreis für ein Theorem erhalten, dass die Interaktion zwischen Materie und elektromagnetischer Strahlung erklärt, also die Nutzung der Sonne als Energiequelle beschreibt. Jetzt ist er über fünfzig und ruht sich seit fast dreißig Jahren auf diesen Lorbeeren aus. Gerade scheitert seine fünfte Ehe. Diesmal nicht an einem seiner zahlreichen Seitensprünge, sondern weil seine Frau den Spieß umdreht und er der Betrogene ist. Bevor er sich versieht ist er in einen Strudel privater Katastrophen geraten, die ihn auch beruflich ruinieren können.
Ian McEwan hat mit “Solar” zwei Bereiche verbunden. Er thematisiert die drohende Klima Katastrophe und lässt seinen Protagonisten Wege suchen und finden diese zu verhindern. Gleichzeitig führt er dieses wichtige Thema ad absurdum, weil er die persönlichen Befindlichkeiten der Hauptfigur stets wichtiger nimmt. Was ist schon das Schicksal des Planeten Erde gegen die Midlife Crisis eines alternden, übergewichtigen, genusssüchtigen Mannes!
Der Roman beginnt im Jahr 2000. Beard steht einem Londoner Institut vor, dass Wege zur Nutzung erneuerbarer Energien finden und nutzbar realisieren soll. Er ist umgeben von jungen, motivierten Wissenschaftlern die eine solche Fülle guter Ideen entwickeln, das man eigentlich nur auswählen müsste. Allein, das alternde Genie hat keine Lust bzw. andere Sorgen. Die Methoden seine Frau zurückzugewinnen sind grotesk. Man stelle sich einen Nobelpreisträger vor, der nackt auf Händen und Füße rückwärts die Treppe hinuntersteigt und sich dann mit einer Stimme im Radio unterhält um seiner Frau zu signalisieren er sei ebenfalls nicht allein. Das derselbe Mann der fatalistischen Meinung ist, “dass es der Welt egal sein konnte, ob Bush oder Gore, Tweedledum oder Tweedledee, in den ersten vier oder acht Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts Präsident der Vereinigten Staaten war” verwundert nicht.
Der Autor läuft in diesem Roman zur altbekannten erzählerischen Hochform auf. Beard ist auf einer Expedition in der Arktis um sich vor Ort vom Schmelzen der Gletscher zu überzeugen. Die Schilderung seiner ersten Begegnung mit dem ewigen Eis ist eine Abfolge derart skurriler Missgeschicke, dass einem vor Lachen die Luft wegbleibt während man mit schmerzverzerrtem Gesicht die körperliche Pein selber zu spüren scheint. Nur soviel: Bei Minus dreißig Grad in eine Gletscherspalte zu urinieren sollte man tunlichst unterlassen.
An anderen Stellen überzeugen die ironische Spitzfindigkeiten. “Beard beeindruckte auch die Recherchearbeit, der Fleiß, mit dem diese rastlosen Zeitungsfritzen binnen weniger Tage tief in die dunklen Regionen, die Slums seines überbevölkerten Privatlebens eingedrungen waren und dem älteren Bruder seiner dritten Frau, einem nahezu taubstummen Einsiedler, der Beard noch nie ausstehen konnte und der ohne Telefon an einem Feldweg auf einer menschenleeren Halbinsel im Nordwesten von Bruny Island vor der Küste Tasmaniens lebte, im Handumdrehen ein buntes Bouquet boshafter Bemerkungen entlockt hatte.
In Zeitsprüngen folgen wir der Hauptperson in die Jahre 2005 und 2009. Am Ende erinnert die Biographie Beards sehr an Heinrich den Achten von England. Auch dieser ein gichtgeplagter, aufgeschwemmter Fettkloß der ständig Frauen loswerden musste. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen liest sich der Roman sehr gut. Er ist intelligent formuliert, wandlungsreich konzipiert, durchaus lehrreich was die Fakten zum Klima betrifft und von einer bizarren Komik.