Sehr eindrucksvoll und fast schon exemplarisch werden Politik und Geschichte anhand einer koreanischen Familie dargestellt, die uns von Anfang letzten Jahrhunderts an über mehrere Generationen hinweg durch die Entwicklungen ihres Lebens führt. Ausgerüstet mit Hoffnung und Fleiß und erfüllt von dem
Wunsch nach einem Verdienst, der ihr Überleben sichert, versuchen sie der japanischen Fremdherrschaft…mehrSehr eindrucksvoll und fast schon exemplarisch werden Politik und Geschichte anhand einer koreanischen Familie dargestellt, die uns von Anfang letzten Jahrhunderts an über mehrere Generationen hinweg durch die Entwicklungen ihres Lebens führt. Ausgerüstet mit Hoffnung und Fleiß und erfüllt von dem Wunsch nach einem Verdienst, der ihr Überleben sichert, versuchen sie der japanischen Fremdherrschaft zu entkommen und in Japan selbst eine neue Heimat zu finden.
Wir begleiten sie zu den Arbeitsplätzen der Frauen, die u.a. als Köchinnen zuerst in Eigenregie, dann als Angestellte Geld verdienen. Sie finden hier auch die erhoffte Anerkennung, aber nur innerhalb ihrer eigenen koreanischen Emigranten-Gesellschaft.
In der von koreanischen Männern dominierten Welt der Pachinko-Spielhallen ist der Kampf um Anerkennung durch die japanische Gesellschaft noch größer. Es ist zwar eine – fast die einzige - Karrieremöglichkeit, die zu Reichtum führen kann. Aber sie zieht nicht Anerkennung, sondern die Verachtung der Japaner nach sich. Hat mich ein wenig an Juden und Christen im Osmanischen Reich erinnert, die nur bestimmte Berufe ausüben durften, die ihnen zu Wohlstand verhalfen (Geldverleiher) aber die dafür verächtlich behandelt wurden.
Nur allzu deutlich wird dies am Beispiel des in „Sippenhaft“ für seine Spielhallenfamilie genommenen Solomon, der gnadenlos einem boshaften japanischen Deal um Land zum Opfer fällt.
Ob koreanische Frauen, Männer oder Kinder: Sobald sie ihre eigene Gesellschaft verlassen, werden sie zurückgestoßen.
Auch die Teilhabe an Bildung, die erhoffte Lösung, im Leben weiterzukommen, führt selbst unter größten Anstrengungen der Schüler oder Studenten kaum weiter.
Zu spüren bekommt das der kleine Schüler Tetsuko, der unter der Verachtung seiner Schulkameraden so zu leiden hat, dass er sich das Leben nimmt.
Anpassung bis zur Selbstverleugnung, mit der ständigen Angst, als Koreaner „aufzufliegen“ und dann schließlich doch den Tod zu wählen, dafür steht Noa, der mit einer akademischen Karriere alle Fallstricke besiegt zu haben schien.
Sein Bruder Mozasu hingegen hat den Weg des Reichtums, des von Japanern verachteten Pachinko-Besitzers gewählt. Es ist der Autorin sehr gut gelungen, die beiden unterschiedlichen Brüder Noa und Mozasu stellvertretend für beide Seiten darzustellen:
Doch das sind nur einige wenige Ansichten, auf die das Buch den Blick freigibt. Es geht um den Alltag einer koreanischen Familie, um das Leben unter einer Fremdherrschaft und in der Fremde, um Zwangsarbeit, Ausgrenzung und Minderwertigkeitsgefühle. (Vorurteile gegen die deutschen Flüchtlinge aus dem Osten nach dem zweiten Weltkrieg oder bei späteren Ost- und Westdeutschen).
Lee, selbst Koreanerin, bedient sich einer Erzählperspektive, die es ihr erlaubt, den Erzählbogen von 1900 bis 1989 zu spannen. Sie verliert dabei weder die knapp vorgetragenen politischen Hintergründe noch die vor allem für uns westliche Leser eher unbekannten koreanischen Eigenheiten des täglichen Lebens aus den Augen – ich bin richtig eingetaucht in die Arbeits- und Geruchswelt bei der Herstellung von Kimchi.
Sie bedient sich dabei einer Sprache, die ruhig ist, nie mit erhobenem moralischen Zeigefinger argumentiert, sachlich bleibt. Dass aus all den von ihr zusammengetragenen Interviews, Berichten, Rechercheergebnissen eine überaus spannende Lektüre entstehen konnte, ist wirklich ein großer Verdienst.
Und sie bedient sich auch einer Sprache, die ich immer geschätzt habe. Ich empfand sie als moderne amerikanische Wiederbelebung der alten englischen Erzählstimmen wie Dickens – eine Leidenschaft, die ich mit Noa teile.
Diese kurze Skizzierung wird dem Buch in seiner Fülle natürlich keineswegs gerecht. Es ist vielmehr – um abschließend den Spiegel zu zitieren –
„Eine Geschichte, so universell wie wenige.