„Während die Welt schläft“, erleben Amal und ihre Familie und mit ihnen ein großer Teil des palästinensischen Volkes den radikalen Umbruch ihres gewohnten Lebens.
Amal, die Haupterzählerin, die einmal in der Ich-Form, dann wieder in der dritten Person Singular schreibt, bringt uns Lesern
erst einmal nicht nur das alltägliche, mehr oder weniger friedliche, Leben palästinensischer Bauern…mehr„Während die Welt schläft“, erleben Amal und ihre Familie und mit ihnen ein großer Teil des palästinensischen Volkes den radikalen Umbruch ihres gewohnten Lebens.
Amal, die Haupterzählerin, die einmal in der Ich-Form, dann wieder in der dritten Person Singular schreibt, bringt uns Lesern erst einmal nicht nur das alltägliche, mehr oder weniger friedliche, Leben palästinensischer Bauern nahe, die vierzig Generationen lang ihr Land bestellt haben. Es zeigt sie selbst auch innerhalb ihrer Familie, im Kreis ihrer Freundinnen. Wir lernen die schöne Mutter und den liebevollen Vater kennen und die beiden Brüder Yussuf und den gerade geborenen Ismael. Doch kurz nach der Geburt des kleinen Bruders verändert sich alles, was sie als normal empfunden hatte: Das Dorf, in dem sie lebt, wird mit Waffengewalt von Israelis geräumt, ihre Familie und die Dorfbewohner in ein Flüchtlingscamp gebracht. Der Krieg um das Land ihrer Vorfahren hat begonnen.
Mit einem Mal befinden wir uns mittendrin in den Auseinandersetzungen um Palästina, wir erfahren die Folgen der Besatzung für Amal und die ihren, die vertrieben werden von solchen, die gerade eben selbst noch auf der Flucht waren.
Mit ihrer Vertreibung heften sich Heimatlosigkeit, Flüchtlingslager, Willkür, Schikanen und der Tod wie Erinnyen an die Fersen Amals und letztlich eines ganzen Volkes.
Amal weiß, dass es nie dazu gekommen wäre, hätte die Welt der Vernichtung und Vertreibung der Juden zuvor nicht stillschweigend zugesehen. In ihren eigenen Worten: „Das bestärkte mich in der Überzeugung, dass die Palästinenser den Preis für den jüdischen Holocaust bezahlen mussten“.
Sehr konkret und bis an die Schmerzgrenze genau gelingt es der Autorin, nicht nur ihre eigene, von Heimatlosigkeit und großen Verlusten gekennzeichnete Kindheit, Jugend und Erwachsenenzeit darzustellen, sondern auch mittels der unterschiedlichen Lebensläufe der ihr nahe stehenden Personen ein breites Spektrum der Geschichte der Palästinenser nach ihrer Vertreibung widerzuspiegeln.
Der eher dem Genre der Faction-Prosa zuzuordnende Roman ist eine verdichtete und in sich geschickt verwobene Darstellung unterschiedlicher Stimmen und Zeugnisse über zwei unter gewaltsamen Umständen zusammengeführte Völker in einem Land. – Ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür ist die in ihrer fast schon an eine antike Tragödie erinnernde Konfrontation zweier Brüder, die in ihrer Kindheit getrennt wurden und sich eines Tages als Feinde gegenüberstehen: Yussuf, der palästinensische Bruder, hat sein Leben dem Kampf der PLO gegen die Besetzer des ererbten Landes gewidmet, David, der geraubte und jüdisch erzogene Bruder, das seine dem Kampf um das gelobte Land.
Bemerkenswert fand ich bei aller Beibehaltung des Blickwinkels und der Sympathien, welch neutralen Ton die Autorin gefunden und eingehalten hat.
Gewalt und Leid gegenübergestellt werden Freundschaften im Waisenhaus, in das Amal nach dem Tod der Eltern kommt, Vertrauen, alltägliche tröstende Rituale, schöne Erinnerungen, wie solche an den Vater. Diese Erinnerungen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Text, ihr Wiederholen ist eine Art Beschwörung einer guten Welt. Gedichte Khalil Gibrans und Darwish Mahmouds, sowie Strophen aus Liedern von Fairuz fließen in den Text ein und runden ihn ab.
Trotz gelegentlicher sprachlicher Ausrutscher ist Amal immer dann auch stilistisch sehr gut, wirkt sehr echt, sehr eindringlich, wenn sie – vermutlich autobiografisch - ihre eigenen Schrecken, die Schrecken des Krieges, in kurzen, klaren Sätzen zum Ausdruck bringt, wie z. B. das Entsetzen, die Angst in der Grube unter der Küche, in der sie mit ihrer Freundin Huda zusammen versteckt ist.
Das Buch gibt einen hervorragenden, leicht lesbaren, gut strukturierten Überblick über eine ganze Region und ihre Bewohner nicht nur in Zeiten des Krieges