Pädagogisches Konzept gegen aggressives, sexualisiertes Verhalten unter Kinder
Eltern von Kindergartenkindern kennen die Situation: Ihr 4-Jähriges hat "Schimpfwörter" - herabwürdigende Bezeichnungen für Männer, Frauen, männliche und weibliche Sexualorgane - in seinen Wortschatz aufgenommen. Doch
der nächste Elternabend, an dem das Thema besprochen wird, verläuft enttäuschend. Die Eltern, die das…mehrPädagogisches Konzept gegen aggressives, sexualisiertes Verhalten unter Kinder
Eltern von Kindergartenkindern kennen die Situation: Ihr 4-Jähriges hat "Schimpfwörter" - herabwürdigende Bezeichnungen für Männer, Frauen, männliche und weibliche Sexualorgane - in seinen Wortschatz aufgenommen. Doch der nächste Elternabend, an dem das Thema besprochen wird, verläuft enttäuschend. Die Eltern, die das Thema auf die Tagesordnung brachten, haben den Eindruck, dass die Erzieherinnen ihres Kindes Gesprächen über Sexualität ausweichen und die "Wörter" bagatellisieren. Schließlich rutscht jedem von uns mal ein Fluch heraus, argumentieren sie.
Die beiden Pädagoginnen Freund und Riedel-Breitenstein von der Berliner Beratungsstelle Strohhalm sehen das anders. Sie kennen aus ihrer Präventionsarbeit nicht nur Erzieher, die beleidigende, das Schamgefühl verletzende Ausdrücke in der Gruppe bagatellisieren. Einige Betreuer ignorieren auch, wenn ältere Kinder jüngere gegen deren Willen zu Doktorspielen zwingen oder wenn sich in der Gruppe ein Machtgefälle herausgebildet hat, in dem unterlegene Kinder mit Anspielungen auf ihre Sexualität herabgewürdigt und unter Druck gesetzt werden. Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle klären in ihrem Buch zuerst die Grenze zwischen kindlicher Neugier auf den eigenen Körper und den anderer Kinder und einem sexuellen Übergriff. Wer erstmals mit dem Thema konfrontiert wird, mag zunächst kaum glauben, was in Kindergruppen ablaufen kann. Eltern und Erzieher erleben die Ereignisse als peinlich; viele scheuen sich, hier von Opfer und Täter zu sprechen. Der Konflikt wird häufig dadurch verstärkt, dass es zwischen Eltern und Erziehern keine Absprachen darüber gab, wer für die Sexualerziehung zuständig ist und welche gemeinsamen Erziehungsziele beide Seiten verfolgen. Den beteiligten Kindern fehlen häufig die Worte, um sich Erwachsenen anzuvertrauen.
Ein Konflikt, der durch provokatives, sexualisiertes Verhalten unter Kindern entsteht, betrifft die beteiligten Kinder, ihre Gruppe, die Erzieherin oder Lehrerin, den Träger der Einrichtung und die Eltern der Kinder. Die Autorinnen führen unterschiedliche "Vorfälle" aus ihrer Beratungstätigkeit auf, analysieren die Konflikte und stellen Konzepte für entschiedenes Verhalten des Erzieherteams vor. Bei der Vermittlung von Handlungskompetenz berücksichtigen sie die persönlichen Grenzen jedes Einzelnen, individuelle Schamgefühle und kulturell geprägte unterschiedliche Einstellungen zur Sexualität. Deutlich zeigen sie dabei, welche indirekten Botschaften die spontane Reaktion von Erziehern ihrer Gruppe vermitteln kann und wie sich diese Botschaften auf das Rollenverhalten der Kinder und ihre Einstellung zum eigenen Körper auswirken wird.
Die Autorinnen schaffen bei ihren Lesern das Bewusstsein dafür, dass es in Kindergarten, Schule und Freizeit zu sexuellen Übergriffen unter Kindern kommen kann und vermitteln Konfliktlösungs-Strategien für Gruppen-, Team- und Elterngespräch. Sie ermutigen Eltern und Pädagogen, rechtzeitig ein gemeinsames sexualpädagogisches Konzept für ihre Einrichtung zu erarbeiten und Kindern entschieden Grenzen zu setzen. Das Buch wendet sich an Fachpersonal in Kindertagestätten und Schulen. Auch alle interessierten Eltern werden es mit Gewinn lesen. Ich kann die Lektüre jedem, der Kinder erzieht, nur empfehlen.