Ayelet Gundar-Goshen
Broschiertes Buch
Löwen wecken
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Ein Neurochirurg überfährt einen illegalen Einwanderer. Es gibt keine Zeugen, und der Mann wird ohnehin sterben - warum also die Karriere gefährden und den Unfall melden? Doch tags darauf steht die Frau des Opfers vor der Haustür des Arztes und macht ihm einen Vorschlag, der sein geordnetes Leben komplett aus der Bahn wirft.Wie hätte man selbst in einer solchen Situation gehandelt? Diese Frage schwebt über dem Roman, der die Grenzen zwischen Liebe und Hass, Schuld und Vergebung und Gut und Böse meisterhaft auslotet.
Ayelet Gundar-Goshen, geboren 1982, studierte Psychologie in Tel Aviv, später Film und Drehbuch in Jerusalem. Für ihre Kurzgeschichten, Drehbücher und Kurzfilme wurde sie bereits vielfach ausgezeichnet. Ihrem ersten Roman Eine Nacht, Markowitz (2013) wurde der renommierte Sapir-Preis für das beste Debüt Israels zugesprochen, 2015 folgte der Bestseller Löwen wecken, für den, genauso wie für Lügnerin(2017), eine Filmadaption in Planung ist. Zuletzt erschien bei Kein & Aber Wo der Wolf lauert (2021). Ayelet Gundar-Goshen lebt in Tel Aviv. Ruth Achlama, 1945 in Deutschland geboren, übersetzt hebräische Literatur renommierter Autorinnen und Autoren ins Deutsche. Für Kein & Aber hat sie mehrere Romane von Ayelet Gundar-Goshen, Yishai Sarid, Dori Pinto sowie Daria Shualy ins Deutsche übertragen. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Ruth Achlama lebt in Tel Aviv.
Produktbeschreibung
- Kein & Aber Pocket
- Verlag: Kein & Aber
- Originaltitel: Leha'ir Arajot
- Artikelnr. des Verlages: 290/05940
- 21. Aufl.
- Seitenzahl: 432
- Erscheinungstermin: Mai 2016
- Deutsch
- Abmessung: 178mm x 117mm x 37mm
- Gewicht: 390g
- ISBN-13: 9783036959405
- ISBN-10: 3036959408
- Artikelnr.: 43961383
Herstellerkennzeichnung
Kein + Aber
Gutenbergstraße 1
82205 Gilching
vertrieb@keinundaber.ch
Eine Schande, am Leben zu sein
Zwei Jahre nach ihrem preisgekrönten Debüt "Eine Nacht, Markowitz" legt die Psychologin Ayelet Gundar-Goshen ihren nächsten packenden Roman vor.
In der Theorie ist jeder einer von den Guten, auch Etan. Vor allem Etan. Der Einundvierzigjährige geht in seinem Beruf auf, wählt die Menschenrechtspartei Meretz und begehrt seine Frau auch nach zwölf Jahren Ehe noch wie am ersten Tag. Als er feststellt, dass sein seit Studientagen verehrter Vorgesetzter Sakkai sich bestechen lässt, wendet er sich schweren Herzens an die Krankenhausleitung - um festzustellen, dass Professor Sakkai nicht der einzige Korrupte im Kliniksystem ist. Nicht Sakkai, sondern Etan wird im wahrsten Sinne des Wortes in
Zwei Jahre nach ihrem preisgekrönten Debüt "Eine Nacht, Markowitz" legt die Psychologin Ayelet Gundar-Goshen ihren nächsten packenden Roman vor.
In der Theorie ist jeder einer von den Guten, auch Etan. Vor allem Etan. Der Einundvierzigjährige geht in seinem Beruf auf, wählt die Menschenrechtspartei Meretz und begehrt seine Frau auch nach zwölf Jahren Ehe noch wie am ersten Tag. Als er feststellt, dass sein seit Studientagen verehrter Vorgesetzter Sakkai sich bestechen lässt, wendet er sich schweren Herzens an die Krankenhausleitung - um festzustellen, dass Professor Sakkai nicht der einzige Korrupte im Kliniksystem ist. Nicht Sakkai, sondern Etan wird im wahrsten Sinne des Wortes in
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die Wüste geschickt: Man versetzt ihn von Tel Aviv in die nördliche Negev, nach Beer Scheva. Der Wüstenstaub, Partikel gewordene Ungerechtigkeit, legt sich über sein Leben und nimmt ihm die Farbe. Auch der Jeep, den seine Frau ihm zum Trost geschenkt hat, ist nicht mehr knallrot, sondern nur noch trübrosa: "eine Parodie seiner selbst". Nach einer Neunzehn-Stunden-Schicht treibt ein letzter Rest Noradrenalin Etan auf eine nächtliche Staubpiste.
Für den Versuch, seinen Frust mit Hochgeschwindigkeit hinter sich zu lassen, bezahlt jemand mit dem Leben. "Blut rann aus den Ohren des Mannes, hell und wässrig wegen der Zerebrospinalflüssigkeit, die schon aus dem offenen Schädel zu tropfen begann. Und doch stand er auf, lief zum Jeep und kam mit dem Verbandskasten zurück, hatte schon ein Verbandspäckchen aufgerissen, als er jäh erstarrte. Was soll das. Dieser Mann wird sterben." Etan beschließt reflexartig, sich selbst zu retten, wenn schon das Leben des Eritreers, der da namenlos vor ihm im Staub liegt, nicht mehr zu retten ist: Er begeht Fahrerflucht.
Der Versuch einer Rückkehr in sein geregeltes Leben misslingt nicht nur deswegen, weil Etans Frau Liat, eine Kriminalbeamtin, mit dem Fall beauftragt wird, sondern weil Etan beim panischen Aufbruch seine Brieftasche verloren hat. Die bringt ihm am nächsten Tag Sirkit vorbei: die Witwe des Eritreers. Sirkit hat den tödlichen Unfall mit angesehen, von Etan in der nächtlichen Dunkelheit unbemerkt, und sie macht dem Arzt klar, dass ihr Schweigen ihn etwas kosten wird. Hier landet die dreiunddreißigjährige Autorin Ayelet Gundar-Goshen ihren ersten großen Coup: Binnen Sekunden kehrt sie das klischeeartige Machtverhältnis zwischen hilfloser ärmlicher Flüchtlingsfrau und weißem gutbürgerlichen Arzt um.
Sirkit zwingt Etan, seine Nächte fortan in einer verlassenen Autowerkstatt zu verbringen, um Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Das unfreiwillige Ehrenamt bringt Etan bald an den Rand seiner Kraft: Er belügt seine Frau, erklärt die nächtliche Abwesenheit mit Sonderschichten im Krankenhaus, obwohl er sich dort längst krankgemeldet hat und nur alle paar Wochen zur Arbeit geht, um Medikamente zu stehlen. Vor allem aber macht Etan die neue Welt zu schaffen, in die er so plötzlich katapultiert wurde. "Er kam nach einem ganzen Tag im Hellen abends in die Werkstatt, blickte die Leute an und begriff nicht. Wie beim Schulausflug in der Grundschule, als der Lehrer einen harmlosen Stein aufhob und darunter plötzlich schwarze, böse Erde aufbrach. Würmer, Maden, finsteres, verborgenes Leben ... Die ganze Zeit war es dort unten gewesen, und er hatte es nicht gewusst." Einwanderer aus Eritrea oder dem Sudan sind für ihn plötzlich keine anonymen "Infiltranten" mehr, die in den Nachrichten von rechten Politikern als "Krebsgeschwür" im Landeskörper bezeichnet werden, sondern Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern, die vor Etan auf einem rostigen Metalltisch liegen. Menschen mit eiternden Schnittwunden und mit Ermüdungsbrüchen, mit Tuberkulose und Tumorknoten.
Ayelet Gundar-Goshen sagte in einem Interview, dass Zeitungsartikel nie das Ausmaß an Realität überschreiten dürften, das dem Leser sein Frühstück vergälle, sie aber dafür sorgen wolle, "dass die Leser ihren Kaffee über den Tisch spucken". In der Tat spart die Autorin nicht mit beklemmenden Details, wenn sie zeigt, wie schnell ein Leben in Schieflage geraten und jede Selbstverständlichkeit ins Gestern kippen kann: Etan hätte niemals erwartet, nach einem "Leben mit rücksichtsvollem Fahren, Medizinstudium, Heimtragen von Supermarkttüten für alte Damen" zum Mörder zu werden; Sirkit hätte niemals geglaubt, dass sie eines Tages schwer traumatisiert aus ihrem Heimatland fliehen würde, nur um in der Wüste von Beduinenschleppern gequält und schließlich im Alter von 31 Jahren in Israel zur schmutzstarrenden Unperson zu werden, in ein Schattendasein gezwungen, weil sie sonst dank des "Gesetzes zur Bekämpfung der Infiltration" wahlweise in ein Internierungslager verfrachtet oder direkt abgeschoben würde - zurück nach Eritrea, dessen Regime von UN-Ermittlern systematische Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen vorgeworfen werden.
Es zählt zu den großen Stärken der Autorin, dass sie Flüchtlinge, allen voran Sirkit, so komplex zeichnet, dass der Leser es sich nicht leichtmachen und sie als Opfer abtun kann. Sobald Etan, der sich zunehmend von seiner Frau und seinem Alltagsleben entfremdet, in der Erpresserin eine still leidende Witwe und Wohltäterin erkannt zu haben glaubt, zieht die Autorin ihm den scheinbar sicheren Reflexionsboden unter den Füßen weg: Sirkit weint ihrem verstorbenen Mann keine Träne nach und lässt Etan die Notfallambulanz in der verlassenen Werkstatt keineswegs aus wohltätigen Motiven betreiben. "Ehe er den Mund aufbekam, lachte sie ... Sie hätte wissen müssen, dass er sie lieber als Opfer denn als Täter sieht. Ihr Arzt liebt heilige Menschen, egal, wie sehr sie mit Füßen getreten werden. Im Gegenteil, das macht sie nur noch heiliger. Und sie, sie hat nun gerade keine Lust darauf, heilig zu sein."
In einer Zeit, da Hunderte von Flüchtlingen vor Europas Küsten umkommen und die Körper der Verstorbenen teilweise wie Schlachtabfälle in Müllsäcken gelagert werden, in einer Zeit, da Regierungsmaßnahmen sich darauf konzentrieren, Schlepperboote qua Militäreinsatz zu zerstören, und Millionen in Grenzpolizei, Stahlzäune und Forschung zu drohnenbasierter Überwachung oder künstlichen Detektoren investieren, die Menschen anhand ihres Geruchs erkennen sollen, braucht es solch mutige Romane wie "Löwen wecken". Die praktizierende Psychologin Ayelet Gundar-Goshen zoomt tief ins Seelenleben ihrer scheinbar fernen, fremden Figuren hinein und leuchtet sie aus, bis wir uns wiedererkennen.
DANA BUCHZIK
Ayelet Gundar-Goshen: "Löwen wecken". Roman.
Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2015. 432 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Versuch, seinen Frust mit Hochgeschwindigkeit hinter sich zu lassen, bezahlt jemand mit dem Leben. "Blut rann aus den Ohren des Mannes, hell und wässrig wegen der Zerebrospinalflüssigkeit, die schon aus dem offenen Schädel zu tropfen begann. Und doch stand er auf, lief zum Jeep und kam mit dem Verbandskasten zurück, hatte schon ein Verbandspäckchen aufgerissen, als er jäh erstarrte. Was soll das. Dieser Mann wird sterben." Etan beschließt reflexartig, sich selbst zu retten, wenn schon das Leben des Eritreers, der da namenlos vor ihm im Staub liegt, nicht mehr zu retten ist: Er begeht Fahrerflucht.
Der Versuch einer Rückkehr in sein geregeltes Leben misslingt nicht nur deswegen, weil Etans Frau Liat, eine Kriminalbeamtin, mit dem Fall beauftragt wird, sondern weil Etan beim panischen Aufbruch seine Brieftasche verloren hat. Die bringt ihm am nächsten Tag Sirkit vorbei: die Witwe des Eritreers. Sirkit hat den tödlichen Unfall mit angesehen, von Etan in der nächtlichen Dunkelheit unbemerkt, und sie macht dem Arzt klar, dass ihr Schweigen ihn etwas kosten wird. Hier landet die dreiunddreißigjährige Autorin Ayelet Gundar-Goshen ihren ersten großen Coup: Binnen Sekunden kehrt sie das klischeeartige Machtverhältnis zwischen hilfloser ärmlicher Flüchtlingsfrau und weißem gutbürgerlichen Arzt um.
Sirkit zwingt Etan, seine Nächte fortan in einer verlassenen Autowerkstatt zu verbringen, um Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Das unfreiwillige Ehrenamt bringt Etan bald an den Rand seiner Kraft: Er belügt seine Frau, erklärt die nächtliche Abwesenheit mit Sonderschichten im Krankenhaus, obwohl er sich dort längst krankgemeldet hat und nur alle paar Wochen zur Arbeit geht, um Medikamente zu stehlen. Vor allem aber macht Etan die neue Welt zu schaffen, in die er so plötzlich katapultiert wurde. "Er kam nach einem ganzen Tag im Hellen abends in die Werkstatt, blickte die Leute an und begriff nicht. Wie beim Schulausflug in der Grundschule, als der Lehrer einen harmlosen Stein aufhob und darunter plötzlich schwarze, böse Erde aufbrach. Würmer, Maden, finsteres, verborgenes Leben ... Die ganze Zeit war es dort unten gewesen, und er hatte es nicht gewusst." Einwanderer aus Eritrea oder dem Sudan sind für ihn plötzlich keine anonymen "Infiltranten" mehr, die in den Nachrichten von rechten Politikern als "Krebsgeschwür" im Landeskörper bezeichnet werden, sondern Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern, die vor Etan auf einem rostigen Metalltisch liegen. Menschen mit eiternden Schnittwunden und mit Ermüdungsbrüchen, mit Tuberkulose und Tumorknoten.
Ayelet Gundar-Goshen sagte in einem Interview, dass Zeitungsartikel nie das Ausmaß an Realität überschreiten dürften, das dem Leser sein Frühstück vergälle, sie aber dafür sorgen wolle, "dass die Leser ihren Kaffee über den Tisch spucken". In der Tat spart die Autorin nicht mit beklemmenden Details, wenn sie zeigt, wie schnell ein Leben in Schieflage geraten und jede Selbstverständlichkeit ins Gestern kippen kann: Etan hätte niemals erwartet, nach einem "Leben mit rücksichtsvollem Fahren, Medizinstudium, Heimtragen von Supermarkttüten für alte Damen" zum Mörder zu werden; Sirkit hätte niemals geglaubt, dass sie eines Tages schwer traumatisiert aus ihrem Heimatland fliehen würde, nur um in der Wüste von Beduinenschleppern gequält und schließlich im Alter von 31 Jahren in Israel zur schmutzstarrenden Unperson zu werden, in ein Schattendasein gezwungen, weil sie sonst dank des "Gesetzes zur Bekämpfung der Infiltration" wahlweise in ein Internierungslager verfrachtet oder direkt abgeschoben würde - zurück nach Eritrea, dessen Regime von UN-Ermittlern systematische Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen vorgeworfen werden.
Es zählt zu den großen Stärken der Autorin, dass sie Flüchtlinge, allen voran Sirkit, so komplex zeichnet, dass der Leser es sich nicht leichtmachen und sie als Opfer abtun kann. Sobald Etan, der sich zunehmend von seiner Frau und seinem Alltagsleben entfremdet, in der Erpresserin eine still leidende Witwe und Wohltäterin erkannt zu haben glaubt, zieht die Autorin ihm den scheinbar sicheren Reflexionsboden unter den Füßen weg: Sirkit weint ihrem verstorbenen Mann keine Träne nach und lässt Etan die Notfallambulanz in der verlassenen Werkstatt keineswegs aus wohltätigen Motiven betreiben. "Ehe er den Mund aufbekam, lachte sie ... Sie hätte wissen müssen, dass er sie lieber als Opfer denn als Täter sieht. Ihr Arzt liebt heilige Menschen, egal, wie sehr sie mit Füßen getreten werden. Im Gegenteil, das macht sie nur noch heiliger. Und sie, sie hat nun gerade keine Lust darauf, heilig zu sein."
In einer Zeit, da Hunderte von Flüchtlingen vor Europas Küsten umkommen und die Körper der Verstorbenen teilweise wie Schlachtabfälle in Müllsäcken gelagert werden, in einer Zeit, da Regierungsmaßnahmen sich darauf konzentrieren, Schlepperboote qua Militäreinsatz zu zerstören, und Millionen in Grenzpolizei, Stahlzäune und Forschung zu drohnenbasierter Überwachung oder künstlichen Detektoren investieren, die Menschen anhand ihres Geruchs erkennen sollen, braucht es solch mutige Romane wie "Löwen wecken". Die praktizierende Psychologin Ayelet Gundar-Goshen zoomt tief ins Seelenleben ihrer scheinbar fernen, fremden Figuren hinein und leuchtet sie aus, bis wir uns wiedererkennen.
DANA BUCHZIK
Ayelet Gundar-Goshen: "Löwen wecken". Roman.
Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama. Verlag Kein & Aber, Zürich 2015. 432 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Spannend und auf wundersame Art poetisch.« Annette Hohberg, DONNA, August 2025 Annette Hohberg DONNA Buchclub 20250707
Spannende Ausgangssituation, mir jedoch zu zäh und emotional oberflächlich weitergeführt
Es war mein erster Roman der Autorin und auch, wenn ich einige Kritikpunkte an ihm habe, bleibe ich weiter an Ayelet Gundar-Goshen dran, weil mich dieses moralisch Ambivalente literarisch …
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Spannende Ausgangssituation, mir jedoch zu zäh und emotional oberflächlich weitergeführt
Es war mein erster Roman der Autorin und auch, wenn ich einige Kritikpunkte an ihm habe, bleibe ich weiter an Ayelet Gundar-Goshen dran, weil mich dieses moralisch Ambivalente literarisch grundsätzlich total reizt.
„Löwen wecken“ wirft ein Scheinwerferlicht auf den Umgang mit bzw. die Haltung zu BIPoC-Geflüchteten in Israel. An der Stelle möchte ich auf jeden Fall auch anmerken, dass wir uns in Deutschland wohl kaum eines besseren Umgangs rühmen dürfen und so Einiges aus dem Roman für uns selbst reflektieren können.
Die Ausgangssituation ist so erzürnend wie spannend - ein weißer Neurochirurg überfährt nachts, scheinbar unbeobachtet, einen geflüchteten Eritreer und fährt einfach weg. Im weiteren Verlauf sieht er sich mit dessen Frau konfrontiert, die ihr Wissen um den Unfall zu nutzen weiß. Etan gerät daraufhin in ein komplexes moralisches Konstrukt aus Lügen gegenüber seiner Frau, altruistisch(?)-egoistischen Taten und Begierde.
Ich sehe, dass Gundar-Goshen ein Gespür hat für Ambivalenzen und das moralisch Graue. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, um den selbstgerechten Rassismus unter privilegierten weißen Israelis darzustellen. Und doch war mir das Werk zu ausschweifend und emotional auf Figurenebene zu flach, als dass es meinen Erwartungen hätte entsprechen können.
Wir sitzen nicht nur in Etans Kopf (was, gelinde gesagt, oft fast unerträglich ekelhaft ist), sondern bekommen auch Einblicke in Sirkit, die Frau des Getöteten, sowie Etans Frau Liat. Weitere Nebenfiguren kommen ebenfalls kurz dazu, deren Rolle hat sich mir aber nicht immer erschlossen. Am Ende führt die Autorin beeindruckenderweise ziemlich viele Fäden zusammen, aber das wäre insgesamt dennoch kompakter gegangen. Obwohl die Sprache klar ist, wird meiner Meinung nach zu viel mit detaillierten Bildern, Wiederholungen und ausschweifenden Gedankengängen gearbeitet, die das Lesen anstrengend gemacht haben.
Ganz schlimm und mehr als unangenehm fand ich die dargestellte Anziehung zwischen Etan und Sirkit. Keine Ahnung, ob die Autorin hier genau diese Gefühle bei den Lesenden erzielen wollte, aber ich hätte es nicht gebraucht. Die Emotionen der Figuren fand ich abgesehen von Wut und Ekel generell nicht oft greifbar, sodass mir da die Nähe fehlte. Sirkit und Liat waren die für mich weitaus spannenderen Figuren, besonders erstere bekommt am Ende nochmal einen netten Twist.
Ein tolles Grundgerüst, das mir deutlich kürzer wesentlich besser gefallen hätte. Es vermag schon, die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Opfer und Täter verschwimmen zu lassen, die Gedanken und Handlungen der Figuren selbst blieben mir dahingehend aber zu sehr an der Oberfläche. Wütend macht das Ende in jedem Fall und ich bleibe wie gesagt auch weiter interessiert an der Autorin.
3,5 ⭐️
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TW: Rassismus, Dr0genkriminalität, Kindstod, Blut/Wunden, M0rd
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Es geht im Grunde um die Frage, wie man selbst in dieser Situation reagiert hätte, in der ein kurzer Moment eine Karriere ebenso gefährdet wie eine ganze Familie. Die Handlung wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: aus der Sicht des Arztes, aus der seiner zunächst …
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Es geht im Grunde um die Frage, wie man selbst in dieser Situation reagiert hätte, in der ein kurzer Moment eine Karriere ebenso gefährdet wie eine ganze Familie. Die Handlung wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: aus der Sicht des Arztes, aus der seiner zunächst ahnungslosen, aber zunehmend Verdacht schöpfenden Ehefrau Liat und schließlich aus der der Flüchtlingswitwe Sirkit. Umso bedauerlicher finde ich, dass der Roman sich zeitweilig mit einer wenig überzeugenden Liebesgeschichte ebenso verheddert wie mit Flüchtlings- und Drogenthemen, als ob der starke Gewissenskonflikt nicht ausreichend Stoff böte. Schade auch, dass viele Alltagsdetails immer wieder den Blick auf den drohenden Absturz Etans versperren. Denn eigentlich ist dies für mich ein hochspannender Stoff, den ich trotz des nicht überzeugenden Endes gerne all denen weiterempfehle, die auch mal harten Tobak vertragen, besonders wenn sie sich zudem für Medizin interessieren.
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Etan Grien ist Neurochirurg, glücklich verheiratet und hat 2 Söhne. Eigentlich scheint er zufrieden und glücklich. Bis er eines Nachts einen Eritreer überfährt, ihn liegen lässt und wegfährt.
Er dachte, es gibt keine Zeugen, warum also seine Karriere …
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Etan Grien ist Neurochirurg, glücklich verheiratet und hat 2 Söhne. Eigentlich scheint er zufrieden und glücklich. Bis er eines Nachts einen Eritreer überfährt, ihn liegen lässt und wegfährt.
Er dachte, es gibt keine Zeugen, warum also seine Karriere gefährden und den Unfall melden? Doch tags darauf steht die Frau des Opfers, Sirkit, vor seiner Haustür und macht ihm einen Vorschlag, der sein geordnetes Leben komplett aus der Bahn wirft. Etan verstrickt sich immer weiter in Lügen bis dies alles sein ganzes Leben verändert, dass er selbst nicht mehr weiß, wie er dort wieder herauskommt. Etans Ehefrau Liat ist Polizistin und das genaue Gegenteil von Sirkit, die Etan zu faszinieren scheint.
Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen hat mit "Löwen wecken" einen Roman gehobener Literatur erschaffen. Am Anfang machte mir der Schreibstil es schwer, in die Geschichte hineinzukommen. Doch nach und nach besserte sich dies und ich gewöhnte mich sehr gut daran. Dieser Roman ist keine leichte Lektüre, die man mal eben so wegliest. Dieses Buch regt einen selbst immer wieder zum Nachdenken an, wie man selbst gehandelt hätte, was man anders machen würde, wie schnell sich das ganze Leben durch einen Fehler ändern kann und was alles mit einer einzigen falschen Entscheidung in Leben passieren kann.
Weiterhin sehr interessant wird in dieser Geschichte auch die heutige israelische Gesellschaft dargestellt.
"Löwen wecken" hat mir sehr gut gefallen, dieser Roman ist anspruchsvoll, spannend bis zum Schluss mit tollen Überraschungen. Mir hat das Buch nicht nur viel Lesefreude bereitet, sondern mich auch während und nach Auslesen des Buches zum Nachdenken angeregt und mich beschäftigt.
Autor: Ayelet Gundar-Goshen
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Wie viel ist ein Menschenleben wert?
Ayelet Gundar-Goshen erzählt in „Löwen wecken“ eine Geschichte, vor der wir uns alle fürchten: Ein Mann überfährt versehentlich einen anderen Menschen. Wie würde ich in dieser Situation reagieren?
Das Zitat …
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Wie viel ist ein Menschenleben wert?
Ayelet Gundar-Goshen erzählt in „Löwen wecken“ eine Geschichte, vor der wir uns alle fürchten: Ein Mann überfährt versehentlich einen anderen Menschen. Wie würde ich in dieser Situation reagieren?
Das Zitat »Und er dachte sich gerade, dies sei der schönste Mond, den er je gesehen habe, als er diesen Mann umfuhr. « und die nachfolgende Leseprobe ließen auf einen anspruchsvollen, spannenden Roman hoffen, in der Tradition eines Tom Wolfes in „Fegefeuer der Eitelkeiten“. Leider wurden meine Erwartungen nicht erfüllt. Doch worum geht es?
Dr. Etan Grien, ein Gehirnchirurg, der früher in Tel Aviv tätig war, wurde nach Beer Scheva strafversetzt. Kurioserweise deshalb, weil er sich nicht mit Korruption und Bestechung in der Klinik abfinden wollte. Demensprechend frustriert und demotiviert übt er seinen Beruf aus.
Eines Nachts überfährt Etan mit seinem Jeep in der Wüste einen Mann, einen Eritreer. Zu helfen ist ihm nicht mehr, aber anstatt die Polizei zu rufen, begeht er Unfallflucht. Am nächsten Tag steht Sirkit, die Frau des Unfallopfers, vor seiner Tür. Etan hatte sein Portemonnaie am Unfallort verloren.
Sirkit verlangt von Etan kostenlose ärztliche Hilfe für ihre Landsleute - Nacht für Nacht. Statt seiner Frau Liat die Wahrheit zu erzählen, belügt er sie. Ausgerechnet Liat, die bei der Kripo arbeitet, ist nun für diesen Fall zuständig. Und sie will auf jeden Fall ermitteln, auch wenn ihre Kollegen sie davon abhalten wollen…
Wie viel ist ein Menschenleben wert? Ist ein Eritreer weniger wert als ein Israeli?
Die Autorin erzählt eine Geschichte, die eine ganz eigene Farbe und Temperatur hat. Eine Geschichte, die zeigt, wie Liebe und Lügen, Stolz und Macht, Ehre und Respekt, aber auch Ängste und Befürchtungen die Beteiligten verändern - mit überraschenden, dramatischen und manchmal auch brutalen Folgen. So kommen sich Sirkit und Etan fast widerwillig näher…
Gundar-Goshens knallharte Kritik an der israelischen Gesellschaft, die Flüchtlingen keine Chance zum Überleben gibt, ist glaubhaft und konsequent. Wer ist gut, wer ist böse? Bei Gundar-Goshen sind die Grenzen fließend. Ihre Sprache ist gewöhnungsbedürftig, ihr Ton kraftvoll und oft derb. Detaillierte Schilderungen des Alltags und langatmige Rückblicke in die Vergangenheit gehen zu Lasten der Spannung.
Fazit: Ein außergewöhnlicher Roman auf hohem Niveau in einer kraftvollen, teils derben Sprache mit einem ordentlichen Schuss Gesellschaftskritik.
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Die Autorin zeigt in diesem Roman wozu ein Mensch fähig sein kann, wenn er in die Enge getrieben wird. In dieser Geschichte werden Schuld und Sühne , Drogenhandel, illegale Einwanderer und Familenbande miteinander verwoben. Es werden mehrere Geschichten erzählt, die aber erst im …
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Die Autorin zeigt in diesem Roman wozu ein Mensch fähig sein kann, wenn er in die Enge getrieben wird. In dieser Geschichte werden Schuld und Sühne , Drogenhandel, illegale Einwanderer und Familenbande miteinander verwoben. Es werden mehrere Geschichten erzählt, die aber erst im weiteren Verlauf ihre Auflösung erfahren, was sehr zur Spannung beiträgt.
Etan, der die Hauptschuld auf sich läd, hat viele Schwierigkeiten sich mit der Situation und seiner erzwungenen "Strafe" auseinander zu setzen. Er ist am Anfang sehr unsympatisch, wächst aber mit der Aufgabe die ihm auferlegt wurde. Sirkit entpuppt sich ganz anders als ich es erwartete, verliert dadurch an Sympathie. Liat, Etan´s Frau, die als unabhängige starke Frau dargestellt wird mit einem verantwortungsvollen Beruf, erscheint mir etwas blass und viel zu anspruchslos. Sie hinterfragt zu wenig, trotz Hinweise.
Durch Rückblicke in Kindheit und Vergangenheit werden die Charaktere ausgeleuchtet und plastisch gemacht. Ich finde dies zum Veständnis recht gut, aber auch oft mit viel zu vielen Worten beschrieben.
Ich verstehe den ganzen Roman als eine Gesellschaftskritik, hier der Israelischen, sie ist aber auch auf andere Länder übertragbar.
Den Roman kann ich von der Thematik her weiter empfehlen.
Er hat seine ganz eigene Sprache, die mich jedoch persönlich nicht ganz ansprechen konnte.
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„Jetzt neigte er den Kaffeebecher und betrachtete den Satz. Schwarz und dick, wie gestern. Wie die Vögel und die Spinnen und die Sonnenstrahlen sahen offenbar auch die Kaffeebrösel keinen Grund, von ihrer Gewohnheit abzuweichen, nur weil er in der Nacht einen Menschen überrollt …
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„Jetzt neigte er den Kaffeebecher und betrachtete den Satz. Schwarz und dick, wie gestern. Wie die Vögel und die Spinnen und die Sonnenstrahlen sahen offenbar auch die Kaffeebrösel keinen Grund, von ihrer Gewohnheit abzuweichen, nur weil er in der Nacht einen Menschen überrollt hatte und weitergefahren war.“ (S. 43)
Etan Grien, Neurochirug in Beer Scheva, fährt eines Nachts nach einer langen Schicht im Krankenhaus einen Eritreer um. Er sieht, dass der Mann sterben wird und fährt einfach weg. Er versucht sein Leben weiterzuleben, mit seiner Frau Liat und ihren beiden Kindern. Doch er wurde gesehen, von der Frau des Opfers, Sirkit, und sie lässt ihn nicht so leicht davonkommen.
Das Hauptthema in „Löwen wecken“ von Ayelet Gundar-Goshen war für mich das vermeintlich Gute und das vermeintlich Böse. Man ist ja schnell dabei, Menschen in Schubladen zu stecken. Ein Arzt und eine Kriminalbeamtin? Die müssen gut sein. Ein illegaler Flüchtling? Wohl eher schlecht. Doch die Autorin zeigt vor allem, dass diese einfachen Kategorien so nicht funktionieren. Ständig erfährt man etwas Neues über die einzelnen Charaktere, z.B. über ihre Vergangenheit, und bewertete sie plötzlich wieder ganz neu. Oder sie schildert eine Situation aus einer anderen Perspektive und schon sieht sie ganz anders aus.
Besonders gefallen hat mir, wie die Beziehungen dargestellt werden, z.B. zwischen Etan und seinen Söhnen. Wenn er etwas von sich selbst oder von seinem Bruder in ihnen entdeckt. Oder auch wie sich die Beziehung zwischen Sirkit und Etan laufend wandelt.
Das einzige was mir leider nicht ganz zugesagt hat, war das Ende. Das hat mich leider etwas ratlos zurückgelassen. Insgesamt schafft es aber der Roman auf jeden Fall, im Leser Emotionen zu wecken. Positive und negative. Und genau das macht doch ein gutes Buch aus.
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