„Kinder brauchen Geschichten!“ Das ist der Antrieb der Ich-Erzählerin Özlem: sie will ihren Kindern Geschichten über ihre Familie erzählen und damit dem Vergessen entgegenwirken. Diese Geschichten bilden einen eigenen Erzählstrang. Sie erzählen von unbeschwerten Kindersommern bei den Großeltern im
östlichen Anatolien, und in ihren Erzählungen werden die schon länger verstorbenen Großeltern wieder…mehr„Kinder brauchen Geschichten!“ Das ist der Antrieb der Ich-Erzählerin Özlem: sie will ihren Kindern Geschichten über ihre Familie erzählen und damit dem Vergessen entgegenwirken. Diese Geschichten bilden einen eigenen Erzählstrang. Sie erzählen von unbeschwerten Kindersommern bei den Großeltern im östlichen Anatolien, und in ihren Erzählungen werden die schon länger verstorbenen Großeltern wieder lebendig. Wir lesen Geschichten von dem Diebstahl einer Wassermelone und dem schimpfenden Großvater, von der Tante, die aus dem Kaffeesatz für die Großfamilie die Zukunft herausliest und vor allem von der liebevollen Zuwendung der Großmutter. Diese Erinnerungen werden ergänzt mit Geschichten, die innerhalb der Großfamilie erzählt wurden.
Ein anderer Erzählstrang erzählt von der inzwischen erwachsenen Ich-Erzählerin. Sie wuchs als Tochter türkischer Gastarbeiter in der Schweiz auf und hat das Schweizer Bürgerrecht. Sie will ihrem Mann und ihren Kindern den Ort ihrer glücklichen Kindheitserinnerungen zeigen und stolpert über eine kurze Bemerkung ihres Onkels: das alles habe Armeniern gehört. Özlem beginnt zu recherchieren und erkennt, dass ihre Familie ihre Identität bisher versteckt hat. Sie sind keine Türken, sondern Angehörige einer kurdischen Minderheit, der Zaza: Daher sind die Kapitelüberschriften in Zazaki formuliert, auch wenn die Sprache in der Familie Özlems nicht gesprochen wird.
Zugleich erkennt die Erzählerin die Verstrickung ihrer Familie in den Genozid an den Armeniern. Bei ihren Recherchen liest sie zum ersten Mal von den Vertreibungen, den Todesmärschen und den Massakern. Und jetzt erst versteht sie, wieso der Fluss Firat den Beinamen „der rote Firat“ bekommen hat, wieso die Familie des Vaters nicht seit Generationen in dem Dorf wohnte und wieso der botanische Name des allgegenwärtigen Aprikosenbaums „prunus armenica“ lautet. Sie wird sich bewusst, dass ihre Familie ein Nutznießer des Genozids war und daher schwieg.
Die Autorin schlägt damit zwei Themen an: einerseits die Minderheit der Zaza und deren eigenständige Kultur und andererseits den Genozid an den Armeniern. Keines der Themen wird – leider – tiefgründiger behandelt. Die Themen werden eher referiert, aber immerhin: das Schweigen der Familie ist gebrochen, die Ich-Erzählerin hat ihre Identität.