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Eine klassische Konstellation: der Vater, die Mutter und der Liebhaber. Und das Kind, vor dessen Augen sich das Drama entfaltet. Aber so, wie Ian McEwan sie erzählt, hat man diese elementare Geschichte noch nie gehört. Verblüffend, verstörend, fesselnd, philosophisch - eine literarische Tour de force von einem der größten Erzähler englischer Sprache.
Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt bei London. 1998 erhielt er den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. Seit seinem Welterfolg 'Abbitte' ist jeder seiner Romane ein Bestseller. Zuletzt kamen Verfilmungen von 'Am Strand' (mit Saoirse Ronan) und 'Kindeswohl' (mit Emma Thompson) in die Kinos. Ian McEwan ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences.

© Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag
Produktdetails
- Verlag: Diogenes
- Seitenzahl: 288
- Erscheinungstermin: 21. Oktober 2016
- Deutsch
- Abmessung: 188mm x 116mm x 21mm
- Gewicht: 307g
- ISBN-13: 9783257069822
- ISBN-10: 3257069820
- Artikelnr.: 45014717
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
© BÜCHERmagazin, Jeanette Stickler
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kristina Maidt-Zinke hält Ian McEwans Shakespeare-Hommage zum 400. Geburtstag des Dramatikers für unschlagbar. Was McEwan hier vorlegt, eine Art vorgeburtliches Treffen mit Hamlet, scheint ihr von der Anlage her zwar nicht neu, doch in der Ausführung schon bemerkenswert. Dazu tragen die enorme Bildung und die poetische Fantasie des Autors und eine Prise Weltekel bei, die er dem räsonierenden Fötus allesamt in den Mund legt, und natürlich die daraus resultierende Komik. Dass Klein-Hamlet im Mutterleib über Sein oder Nichtsein reflektiert oder darüber nachdenkt, wie er den Nebenbuhler des Vaters kleinkriegt, findet die Rezensentin schon stark. Das Buch, für sie Krimi, Family-Soap und Satire, besticht aber auch durch Gegenwartsanalysen zur prekären Weltlage, erklärt Maidt-Zinke. Hin und wieder klingt das laut Rezensentin zwar ein bisschen wie Leitartikelprosa, doch dank McEwans sprachlicher Virtuosität, meint sie, geht alles gut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Pränatale Prosa
Ian McEwans Roman "Nussschale" ist ein seltsames Buch. Es hat nicht nur einen ungeborenen Erzähler; alles, was man ihm vorwerfen kann, kann man ihm auch zugutehalten
Ein Roman? Auch ein Roman. Aber nur insofern, als praktisch jede Geschichte, die zwischen zwei Buchdeckel geklemmt und mehr als hundert Seiten lang ist - in diesem Fall sind es mehr als zweihundertsiebzig -, heutzutage als Roman verkauft wird. Ansonsten fehlt diesem Buch so gut wie alles, was einen Roman üblicherweise ausmacht: die Vielzahl der Schauplätze, der Wechsel der Perspektiven, der Reichtum der Beschreibungen, die lange zeitliche Dauer. Und, vor allem, die gründliche Zeichnung der Figuren: der Prosa-Zauber, der sie zum Leben
Ian McEwans Roman "Nussschale" ist ein seltsames Buch. Es hat nicht nur einen ungeborenen Erzähler; alles, was man ihm vorwerfen kann, kann man ihm auch zugutehalten
Ein Roman? Auch ein Roman. Aber nur insofern, als praktisch jede Geschichte, die zwischen zwei Buchdeckel geklemmt und mehr als hundert Seiten lang ist - in diesem Fall sind es mehr als zweihundertsiebzig -, heutzutage als Roman verkauft wird. Ansonsten fehlt diesem Buch so gut wie alles, was einen Roman üblicherweise ausmacht: die Vielzahl der Schauplätze, der Wechsel der Perspektiven, der Reichtum der Beschreibungen, die lange zeitliche Dauer. Und, vor allem, die gründliche Zeichnung der Figuren: der Prosa-Zauber, der sie zum Leben
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erweckt.
Und das ist kein Wunder. Denn "Nussschale", dieser erste McEwan-Roman mit drei S im Titel (einer von vielen Folgeschäden der Rechtschreibreform) ist vom ersten bis zum letzten Satz aus der Sicht eines noch ungeborenen, dann, auf den Schlussseiten (noch ein Sss-Wort!), hastig und unverhofft - wenn auch keineswegs unschuldig - ins Leben geworfenen Kindes erzählt. Es ist der Bericht eines Fötus: sein Monolog, sein Weltgesang, seine Anklageschrift. Und daraus folgt alles, was man diesem Buch vorwerfen oder zugutehalten kann: seine flachen, fernsehmäßigen Charaktere, seine Guckkasten-Optik, sein planspielhafter Ablauf. Und, andererseits, seine erzählerische Konsequenz und Konzentration, seine Eleganz, seine Unausweichlichkeit.
Denn natürlich kann der Fötus-Junge (denn um einen solchen handelt es sich, wie wir mit gehöriger Verzögerung erfahren) im Bauch seiner Mutter nichts anderes berichten als das, was er von seinem biologischen Panikraum aus zu hören und sich über die Welt da draußen zusammenzureimen vermag. Insofern enthält der erste Satz des von Bernhard Robben makellos ins Deutsche übertragenen Buches zugleich das Konzept, den Ton und das unvermeidliche Ende der Geschichte: "So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau." Aber innerhalb dieser narrativen Zwangsjacke erlaubt sich McEwan die größtmögliche fiktionale Freiheit. Er erhebt seinen pränatalen Erzähler zum König im Reich der Ungeborenen. Er verleiht ihm das Wissen eines altklugen Schulkinds und die Weisheit eines Greises. Er schenkt ihm die reife Selbstironie eines Intellektuellen. Er macht ihn zum Weinkenner und Gourmet. Und er stattet ihn mit solcher Hellhörigkeit aus, dass ihm kaum ein Wort entgeht, das in seiner näheren Umgebung gesprochen wird, auch das entscheidende nicht, um das sich die Geschichte dreht und das nach gut sechzig Seiten fällt: "Gift."
Ein Thriller? Auch das. Es geht um Mord, um ein Familienverbrechen: Die Mutter des Erzählers und ihr Liebhaber, der zugleich ihr Schwager ist, wollen gemeinsam den Vater des Babys umbringen. Der Bruder den Bruder. Die Ehefrau den Ehemann. Wo haben wir das schon einmal gehört? Richtig, in "Hamlet", der größten aller Shakespeare-Tragödien, dem größten Theaterstück überhaupt. Dort ist die Tat schon begangen, als die Handlung beginnt. Hier wird sie gerade erst ausgeheckt, was der Geschichte eine ganz andere Richtung gibt. Im Mittelpunkt steht nicht mehr, wie in "Hamlet", die Frage, ob die Verbrecher davonkommen oder bestraft werden, sondern ob und wie sie ihr Verbrechen überhaupt begehen. Erst im letzten Drittel rastet dann der Mechanismus ein, von dem die große Masse der Fernsehkrimis und die schwächere Hälfte der Kinothriller lebt, und erst jetzt greift der kleine Hamlet-Avatar endlich ins Geschehen ein, indem er die Fruchtblase zerreißt, die ihn umhüllt. Vom Davonkommen ist da längst keine Rede mehr, auch nicht von Rache oder Strafe, eher von jenen fragilen Abwägungen, die ein Fötus, wenn er den Verstand eines Erwachsenen hätte, im Angesicht einer Zukunft hinter Gittern oder in der Obhut einer Adoptivfamilie treffen würde.
Bis dahin aber handhabt McEwan die Maschinerie eines klassischen Crime Plots mit einer Lässigkeit, die an Vernachlässigung grenzt. Man spürt, dass ihn das Kernpersonal seiner Story, die blonde, hübsche und launische Trudy und der zum Steinerweichen mediokre Claude (bei Shakespeare heißen sie Gertrude und Claudius) im Grunde nicht besonders interessiert, und auch für den ungeborenen Erzähler, der sich mal mit Hassphantasien, mal mit Selbstmordgedanken trägt oder darüber schwadroniert, "wie herrlich ein durch die Plazenta dekantierter Burgunder schmeckt", hat er kaum mehr als ein paar grobe Pinselstriche von Persönlichkeit übrig.
Um so liebevoller malt er das durch den plappernden Babymund gefilterte Porträt von Trudys Ehemann. Dieser John, ein erfolgloser Poet und Kleinverleger, erotischer Langweiler und Inhaber jener millionenschweren verlotterten Villa in bester Londoner Wohnlage, die Claude und Trudy nach seinem Ableben zu Geld machen wollen und in der die Geschichte spielt, ist der einzige wirkliche Mensch in diesem Buch. Um seine untreue Frau zurückzugewinnen, versucht er ihre Eifersucht anzustacheln, indem er ihr eine eigene Liebesaffäre mit einer Nachwuchslyrikerin vorspielt, Elodie, die sich auf Verse über Eulen spezialisiert hat - ein Plan, der beinahe so erfolgreich ist wie die Mordintrige der Gegenseite.
Vor allem aber zitiert John, wann immer sich eine Gelegenheit bietet, die Crème der englischen Poesie, angeblich kann er tausend Gedichte auswendig, und obwohl Trudy schon beim bloßen Gedanken daran in Gähnkrämpfe verfällt, hört man sie immer wieder gern: Marvells "An seine scheue Geliebte", Owens "Hymne für verlorene Jugend", Draytons Liebessonett, Audens Herbstgesang. In dieser Figur, scheint es, hat McEwan, der überaus Erfolgreiche, eine Angstvorstellung seiner Jugend begraben, den Albtraum des privaten wie beruflichen Scheiterns. "Kill your darlings", lautet eine Maxime aus der Börsenmaklerwelt. Ian McEwan macht daraus Literatur.
Ein Kunstwerk also, ein Geniestreich wie "Abbitte"? Eher ein Kunststück wie "Honig" oder "Am Strand", eine virtuose Fingerübung, ein Divertimento. McEwan weiß, dass er, wenn er sein Sprachgefühl von der Leine lässt, kein wirklich schlechtes Buch schreiben kann, aber er weiß auch, dass eine große Idee noch keinen großen Roman ergibt, auch dann nicht, wenn man sie mit Mord, Sex und Shakespeare anpfeffert. Deshalb gibt er sich alle Mühe, seinen intrauterinen Ich-Erzähler über den Status eines cleveren Autoreneinfalls hinaus zu einer Orakelfigur aufzubauen, einem Weisen vom Venusberg, der unserer Welt aus den Tiefen des Fruchtwassers die Leviten liest. Er lässt ihn Vorträge und Podcasts aus dem Nachtprogramm der BBC referieren, Sendungen über die Finanzkrise, die Klimakatastrophe, den Islamismus, das Pulverfass des Nahen Ostens, die kränkelnde Großmacht Amerika, die zerfallende Europäische Union, die unruhigen Mittelmächte Russland und China und "einen gewissen Monsieur Barthes", der die Langeweile als Gipfel der Seligkeit bezeichnet haben soll. Aber es hilft nichts: Der Leitartikelaufstrich haftet nicht. Die Hamletmaske erwacht nicht zum Leben. Der Junge kommt zur Welt, aber seine Geschichte sprengt nicht den Kokon des Konzepts, in den ihr Autor sie eingesponnen hat.
Man legt das Buch ohne Reue aus der Hand. Es schadet nie, sich drei, vier Stunden mit einem ausgebufften Erzähler zu unterhalten. Nur hat man diesmal das Gefühl, dass Ian McEwan nichts wirklich Wichtiges erzählen wollte. Er wollte nur etwas ausprobieren. Und siehe, es hat geklappt.
ANDREAS KILB
Ian McEwan: "Nussschale". Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, 288 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und das ist kein Wunder. Denn "Nussschale", dieser erste McEwan-Roman mit drei S im Titel (einer von vielen Folgeschäden der Rechtschreibreform) ist vom ersten bis zum letzten Satz aus der Sicht eines noch ungeborenen, dann, auf den Schlussseiten (noch ein Sss-Wort!), hastig und unverhofft - wenn auch keineswegs unschuldig - ins Leben geworfenen Kindes erzählt. Es ist der Bericht eines Fötus: sein Monolog, sein Weltgesang, seine Anklageschrift. Und daraus folgt alles, was man diesem Buch vorwerfen oder zugutehalten kann: seine flachen, fernsehmäßigen Charaktere, seine Guckkasten-Optik, sein planspielhafter Ablauf. Und, andererseits, seine erzählerische Konsequenz und Konzentration, seine Eleganz, seine Unausweichlichkeit.
Denn natürlich kann der Fötus-Junge (denn um einen solchen handelt es sich, wie wir mit gehöriger Verzögerung erfahren) im Bauch seiner Mutter nichts anderes berichten als das, was er von seinem biologischen Panikraum aus zu hören und sich über die Welt da draußen zusammenzureimen vermag. Insofern enthält der erste Satz des von Bernhard Robben makellos ins Deutsche übertragenen Buches zugleich das Konzept, den Ton und das unvermeidliche Ende der Geschichte: "So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau." Aber innerhalb dieser narrativen Zwangsjacke erlaubt sich McEwan die größtmögliche fiktionale Freiheit. Er erhebt seinen pränatalen Erzähler zum König im Reich der Ungeborenen. Er verleiht ihm das Wissen eines altklugen Schulkinds und die Weisheit eines Greises. Er schenkt ihm die reife Selbstironie eines Intellektuellen. Er macht ihn zum Weinkenner und Gourmet. Und er stattet ihn mit solcher Hellhörigkeit aus, dass ihm kaum ein Wort entgeht, das in seiner näheren Umgebung gesprochen wird, auch das entscheidende nicht, um das sich die Geschichte dreht und das nach gut sechzig Seiten fällt: "Gift."
Ein Thriller? Auch das. Es geht um Mord, um ein Familienverbrechen: Die Mutter des Erzählers und ihr Liebhaber, der zugleich ihr Schwager ist, wollen gemeinsam den Vater des Babys umbringen. Der Bruder den Bruder. Die Ehefrau den Ehemann. Wo haben wir das schon einmal gehört? Richtig, in "Hamlet", der größten aller Shakespeare-Tragödien, dem größten Theaterstück überhaupt. Dort ist die Tat schon begangen, als die Handlung beginnt. Hier wird sie gerade erst ausgeheckt, was der Geschichte eine ganz andere Richtung gibt. Im Mittelpunkt steht nicht mehr, wie in "Hamlet", die Frage, ob die Verbrecher davonkommen oder bestraft werden, sondern ob und wie sie ihr Verbrechen überhaupt begehen. Erst im letzten Drittel rastet dann der Mechanismus ein, von dem die große Masse der Fernsehkrimis und die schwächere Hälfte der Kinothriller lebt, und erst jetzt greift der kleine Hamlet-Avatar endlich ins Geschehen ein, indem er die Fruchtblase zerreißt, die ihn umhüllt. Vom Davonkommen ist da längst keine Rede mehr, auch nicht von Rache oder Strafe, eher von jenen fragilen Abwägungen, die ein Fötus, wenn er den Verstand eines Erwachsenen hätte, im Angesicht einer Zukunft hinter Gittern oder in der Obhut einer Adoptivfamilie treffen würde.
Bis dahin aber handhabt McEwan die Maschinerie eines klassischen Crime Plots mit einer Lässigkeit, die an Vernachlässigung grenzt. Man spürt, dass ihn das Kernpersonal seiner Story, die blonde, hübsche und launische Trudy und der zum Steinerweichen mediokre Claude (bei Shakespeare heißen sie Gertrude und Claudius) im Grunde nicht besonders interessiert, und auch für den ungeborenen Erzähler, der sich mal mit Hassphantasien, mal mit Selbstmordgedanken trägt oder darüber schwadroniert, "wie herrlich ein durch die Plazenta dekantierter Burgunder schmeckt", hat er kaum mehr als ein paar grobe Pinselstriche von Persönlichkeit übrig.
Um so liebevoller malt er das durch den plappernden Babymund gefilterte Porträt von Trudys Ehemann. Dieser John, ein erfolgloser Poet und Kleinverleger, erotischer Langweiler und Inhaber jener millionenschweren verlotterten Villa in bester Londoner Wohnlage, die Claude und Trudy nach seinem Ableben zu Geld machen wollen und in der die Geschichte spielt, ist der einzige wirkliche Mensch in diesem Buch. Um seine untreue Frau zurückzugewinnen, versucht er ihre Eifersucht anzustacheln, indem er ihr eine eigene Liebesaffäre mit einer Nachwuchslyrikerin vorspielt, Elodie, die sich auf Verse über Eulen spezialisiert hat - ein Plan, der beinahe so erfolgreich ist wie die Mordintrige der Gegenseite.
Vor allem aber zitiert John, wann immer sich eine Gelegenheit bietet, die Crème der englischen Poesie, angeblich kann er tausend Gedichte auswendig, und obwohl Trudy schon beim bloßen Gedanken daran in Gähnkrämpfe verfällt, hört man sie immer wieder gern: Marvells "An seine scheue Geliebte", Owens "Hymne für verlorene Jugend", Draytons Liebessonett, Audens Herbstgesang. In dieser Figur, scheint es, hat McEwan, der überaus Erfolgreiche, eine Angstvorstellung seiner Jugend begraben, den Albtraum des privaten wie beruflichen Scheiterns. "Kill your darlings", lautet eine Maxime aus der Börsenmaklerwelt. Ian McEwan macht daraus Literatur.
Ein Kunstwerk also, ein Geniestreich wie "Abbitte"? Eher ein Kunststück wie "Honig" oder "Am Strand", eine virtuose Fingerübung, ein Divertimento. McEwan weiß, dass er, wenn er sein Sprachgefühl von der Leine lässt, kein wirklich schlechtes Buch schreiben kann, aber er weiß auch, dass eine große Idee noch keinen großen Roman ergibt, auch dann nicht, wenn man sie mit Mord, Sex und Shakespeare anpfeffert. Deshalb gibt er sich alle Mühe, seinen intrauterinen Ich-Erzähler über den Status eines cleveren Autoreneinfalls hinaus zu einer Orakelfigur aufzubauen, einem Weisen vom Venusberg, der unserer Welt aus den Tiefen des Fruchtwassers die Leviten liest. Er lässt ihn Vorträge und Podcasts aus dem Nachtprogramm der BBC referieren, Sendungen über die Finanzkrise, die Klimakatastrophe, den Islamismus, das Pulverfass des Nahen Ostens, die kränkelnde Großmacht Amerika, die zerfallende Europäische Union, die unruhigen Mittelmächte Russland und China und "einen gewissen Monsieur Barthes", der die Langeweile als Gipfel der Seligkeit bezeichnet haben soll. Aber es hilft nichts: Der Leitartikelaufstrich haftet nicht. Die Hamletmaske erwacht nicht zum Leben. Der Junge kommt zur Welt, aber seine Geschichte sprengt nicht den Kokon des Konzepts, in den ihr Autor sie eingesponnen hat.
Man legt das Buch ohne Reue aus der Hand. Es schadet nie, sich drei, vier Stunden mit einem ausgebufften Erzähler zu unterhalten. Nur hat man diesmal das Gefühl, dass Ian McEwan nichts wirklich Wichtiges erzählen wollte. Er wollte nur etwas ausprobieren. Und siehe, es hat geklappt.
ANDREAS KILB
Ian McEwan: "Nussschale". Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Diogenes, 288 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Ein so hochliterarischer wie engagierter Zeitdiagnostiker.« Barbara Villiger Heilig / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung
»Ian McEwan ist einer der abenteuerlustigsten und hinterlistigsten englischen Schriftsteller.«
"In so mancher langen, ruhigen Nacht habe ich meiner Mutter einen heftigen Tritt verpasst. Sie wurde wach, konnte nicht wieder einschlafen und tastete nach dem Radio. Grausam, ich weiß, aber am Morgen waren wir beide besser informiert." Zitat Seite 14
Ian McEwan hat mich mit …
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"In so mancher langen, ruhigen Nacht habe ich meiner Mutter einen heftigen Tritt verpasst. Sie wurde wach, konnte nicht wieder einschlafen und tastete nach dem Radio. Grausam, ich weiß, aber am Morgen waren wir beide besser informiert." Zitat Seite 14
Ian McEwan hat mich mit diesem Buch völlig überrascht. Ich habe eine Dreiecksgeschichte nach dem klassischen Vorbild von Hamlet erwartet und fand mich im Uterus einer Schwangeren wieder, aus der ihr Fötus, ein hochintelligenter Knabe, seine Umwelt schon vor seiner Geburt durchschaut. Er spielt sozusagen den Hamlet nach Shakespearescher Machart und erzählt seine Geschichte, sieht den geplanten Mord am eigenen Vater und versucht sogar ihn zu verhindern. Das Ganze gibt McEwan mit herrlich trockenem Humor zum Besten und dichtet dem Fötus lakonische Bemerkungen unter, die mit Weisheit und geistiger Intelligenz beeindrucken.
Der Knabe ist hochintelligent und schon mit enormer Sprachfähigkeit ausgestattet, er ist ein fundierter Weinkenner, dank seiner trinkfreudigen Mutter kam er schon früh und oft in den Genuss einiger guter Tropfen. Er vergleicht seinen leiblichen Vater John, ein Genie der Dichtkunst, mit seinem Ziehvater und gleichzeitigem Onkel Claude, den er als dumm und sexbesessen beschreibt. Seine Mutter Trudy liebt er, wie eben Kinder ihre Mütter lieben.
Die Handlung ist so voller Überraschung, Weisheit und Witz, man liest gebannt und ist beeindruckt und hinterfragt gar nicht die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte.
Sprachlich gelingt MacEwan ein Paradestück, er erwähnt sogar den Brexit und Europas Krise und dann gleitet der Roman in die Tiefen der Poesie durch die Gedichte von Vater John.
Was jedoch als kriminalistische Tat abläuft, ist von Innen heraus betrachtet unabwendbar, jedenfalls für den Knaben.
Dieser betrachtet nämlich schon vor seiner Geburt voller Sorge die Welt außerhalb seines Mutterbauches. Doch der entwickelt schon seine Rachepläne vor der eigenen Geburt.
Nussschale ist ein sehr eindringlicher, klug geschriebener Roman, bei dem ein wenig britischer Humor hervorblitzt und der mit seinem ungeborenen Erzähler punktet. Hier wird philosophiert, bissig bemerkt und gesellschaftliche Kritik geübt. Ein wenig "Hamlet to go"!
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Der neue Roman "Nussschale" von Ian McEwan ist eine kurze Geschichte über ein familiäres Dreiecksverhältnis, die keine wesentlichen Überraschungen für den Leser vorhält.
Bedauerlicherweise fehlt bereits der Ausgangssituation der Geschichte die hinreichende …
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Der neue Roman "Nussschale" von Ian McEwan ist eine kurze Geschichte über ein familiäres Dreiecksverhältnis, die keine wesentlichen Überraschungen für den Leser vorhält.
Bedauerlicherweise fehlt bereits der Ausgangssituation der Geschichte die hinreichende Logik: Wenn die schwangere Ehefrau des wohlhabenden Dichters nur an sein Geld will, weshalb trennt sie sich dann noch vor der Geburt des gemeinsamen Sohnes und dem Mord an ihrem Mann von diesem? Sie wäre als Ehefrau doch viel weniger tatverdächtig gewesen als als Geliebte des Bruders des Ermordeten. Das wahre Liebe zu ihrem Schwager kaum der Grund sein kann, wird vor allem am Ende des Buches deutlich: Die Geliebten hegen reges Misstrauen gegeneinander und unterstützen sich gegenseitig nur widerwillig. Dies lässt die Hauptfiguren unsympathisch auf den Leser wirken. Am ehesten hat der Leser noch mit dem Ermordeten Mitleid, der jedoch aus der Sicht der Schwangeren auch als nicht liebenswert und unattraktiv dargestellt wird.
Die angebliche Neuheit in der Literatur, dass ein ungeborenes Kind der Erzähler der Geschichte ist, lässt sich in bekannten Blockbustern wie zum Beispiel in „Guck mal, wer da spricht“ wiederfinden. Diese Konstruktion war erforderlich, um den eher langweiligen und überkonstruierten Plott aufzuwerten und das Buch interessant zu machen.
Allerdings hält der Autor es an vielen Stellen nicht ein, dass der ungeborene Säugling nur das weiß, was er aus dem Bauch der Mutter mitbekommt. Er wird vielmehr als allwissend dargestellt, der über Podcasts, die die Mutter hört, bereits ein umfassendes Wissen über das Weltgeschehen hat. Schmunzeln kann der Leser da schon eher über das Alkoholproblem des Embryos und seiner Mutter, wenn dies auch in der Wirklichkeit nicht gerade lustig ist, da die negativen Einflüsse auf die Kindesentwicklung durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft bekannt sind.
Da das Buch endet, sobald das Baby auf der Welt ist, kommt der innere Konflikt des Babys zwischen der Liebe zu seinen zerstrittenen Eltern, dem Hass auf den Onkel und den Alkoholkonsum seiner Mutter und seinen mit den Folgen des Mords an seinem Vater auf seine eigene Zukunft nicht mehr ausreichend zum Tragen, sondern wird nur angedeutet.
Bei den zahlreichen, eher philosophisch anmutenden Monologe des ungeborenen Babys neigt der Leser dazu, diese mangels Relevanz für die Grundgeschichte zu überspringen.
Der Plott als solcher eignet sich gut für eine Aufführung an einem kleinen Theater, da auch der Schauplatz auf den 288 Seiten nicht wechselt.
Das Ende des Romans wirkt realitätsfern: Zum einen ist es utopisch, eine große Immobilie umgehend nach dem Tod des Eigentümers verkaufen und mit dem Kaufpreis nach wenigen Tagen fliehen zu können, zumal noch nicht einmal das Erbe festgestellt war. Dies fiele auch sehr auf und ließe leicht Rückschlüsse auf das Tatmotiv zu. Zum anderen löst das Platzen der Fruchtblase keine umgehenden so starken Wehen aus, dass das Baby innerhalb von wenigen Minuten auf die Welt kommt.
An diesen Stellen fehlt es an Recherchen des Autors und an einem aufmerksamen Lektorat.
Trotzdem lässt sich das Buch gut und schnell lesen, was nicht zuletzt auch am guten Sprachstil des Bestseller-Autoren McEwan liegt. Das Buch ist unterhaltsam und eher leichte Lektüre. (sp)
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Ian McEwan schafft in seinem Roman „Nussschale“ einen ganz besonderen Erzähler. Ein ungeborenes Baby, zwei Wochen vor dem Geburtstermin, berichtet von seinen Beobachtungen. Und was es erlebt, ist wahrlich shakespearscher Stoff, seine Mutter verlässt seinen Vater um mit dessen …
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Ian McEwan schafft in seinem Roman „Nussschale“ einen ganz besonderen Erzähler. Ein ungeborenes Baby, zwei Wochen vor dem Geburtstermin, berichtet von seinen Beobachtungen. Und was es erlebt, ist wahrlich shakespearscher Stoff, seine Mutter verlässt seinen Vater um mit dessen Bruder zu leben. Ein perfider Mord wird vom Bruder geplant, um den lästigen Ehemann loszuwerden und ganz wie in „Hamlet“ die Witwe zur Frau zu nehmen. Ob und wie das ungeborene Kind auch die Rache ausführt, um Mutter und Onkel in den Untergang zu stürzen, sollte jedoch jeder Leser selbst herausfinden.
Der Autor hat mit seinem Roman eine außergewöhnliche und wie ich finde ungeheuer spannende Idee umgesetzt, indem er als Erzähler keinen Außenstehenden oder eine der handelnden Personen auswählt, sondern das Baby im Bauch seiner Mutter. Es ist wie ein unsichtbarer Beobachter und dennoch Beteiligter, ein Schachzug, der Ian McEwan großartig gelungen ist. Denn Mutter und Onkel nehmen die Schwangerschaft kaum war, das kommende Kind ist nur ein störender Faktor in ihrer Planung und soll möglichst schnell weggegeben werden. Der ausgiebige Alkoholkonsum der Mutter und das Essverhalten wirken, als wollte sie sich schon vor der Geburt an dem Kind für seine bloße Existenz rächen. Doch das Baby hört alles, versteht die Gespräche und berichtet dem Leser von allem, was geschieht und geplant wird. Das ist höchst unterhaltsam, manchmal spannend und witzig zugleich. Trotz der offensichtlichen Existenz eines umfangreichen Babybauchs ist es, als wäre er unsichtbar, nicht-existenz und vor allem irrelevant für alle weiteren Entscheidungen.
Mich hat Ian McEwans Roman „Nusschale“ einfach begeistert, er setzt ein bekanntes Thema so kreativ und einzigartig um, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen kann.
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