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Alais

Bewertungen

Insgesamt 185 Bewertungen
Bewertung vom 11.04.2020
Die Kunst des stilvollen Wanderns - Ein philosophischer Wegweiser
Graham, Stephen

Die Kunst des stilvollen Wanderns - Ein philosophischer Wegweiser


ausgezeichnet

Durch Wandern zum Lebenskünstler werden

„An Stiefel gerichtete Gedichte sind schwer zu finden; man muss wohl davon ausgehen, dass Dichter zum größten Teil nicht wandern“, S. 23

Vor fast hundert Jahren geschrieben überrascht dieses Buch mit modernen Tönen und einer auch heute noch inspirierenden Wander- und Lebensphilosophie – was sicher auch der frischen und wohlklingenden Übersetzung von Andrea Kunstmann zu verdanken ist. Graham bietet seinen Lesern in diesem hübschen Büchlein auch keinen trockenen Ratgeber, sondern eine oft humorvoll verfasste Liebeserklärung an seine große Leidenschaft, das Wandern – eine Begeisterung, die in jeder Zeile zu spüren und definitiv ansteckend ist!
Praktische Tipps kommen deshalb nicht zu kurz – beispielsweise zur Reisekasse, zur Garderobe, zu Wandergefährten oder auch zu mitzunehmenden Büchern. Vieles davon lässt sich auch auf Wandertouren in heutigen Zeiten anwenden. Wobei der Autor weniger an die heute üblichen kürzeren Wanderungen oder Wanderurlaube mit Übernachtung in diversen Hotels denkt, sondern eher an sehr lange Wanderungen mit spontan ausgewählten Stellen in der Natur für die Übernachtung im Freien.
Durch Wandern wird der Mensch zum Lebenskünstler – so lautet seine Überzeugung und gleichzeitig möchte er das Wandern vom Zwang jeglicher Nützlichkeit befreit sehen. Statt sorgfältiger Planung empfiehlt er, sich einfach treiben zu lassen und den Augenblick zu genießen, was ich sehr sympathisch finde. Ganz besonders liebt er am Wandern eben gerade die Überraschung und die Entdeckungsfreude und hat dafür sogar eine eigene Technik, den sogenannten Zickzack-Marsch (siehe Kapitel 25), entwickelt.
Manchmal sind seine Ansichten aus heutiger Sicht schon etwas erstaunlich – so seine Ausführungen zum Schnorren, unbefugtem Betreten oder auch zum Rauchen („Das Rauchen in Gesellschaft gehört jedoch zweifellos zu den guten Umgangsformen“ (S. 141) (fürs Wandern empfiehlt er es dennoch nicht)). Und ein kleiner Aufreger war für mich seine Aussage, dass Blumen zum Pflücken da wäre … Erstaunlich ist aber auch, wie viele Regionen der Welt der Autor zu damaliger Zeit durchwandern konnte und auf jeden Fall auch in heutiger Zeit nachahmenswert sind sein Bemühen um Toleranz und seine Offenheit gegenüber anderen Traditionen und Kulturen und ganz allgemein die verständnisvolle Haltung, die er gegenüber seinen Mitmenschen einnimmt.
Der hintere Teil umfasst viele nützliche Anmerkungen der Übersetzerin, die auch einen kleinen Einblick in die mit dieser Übersetzung sicherlich verbundene umfangreiche Recherchearbeit geben, denn Graham war offenbar sehr belesen und zitierte gerne. Diese Anmerkungen wären allerdings meiner Ansicht nach als Fußnoten statt gebündelt am Ende geschickter eingebaut gewesen. Außerdem umfasst das kleine Buch noch ein Foto und eine kurze Vorstellung von Graham, den vom Autor in seinem Kapitel über Bücher gepriesenen Raum für Notizen und ein hübsches baumgrünes Lesebändchen.
Eine Lektüre, die mir sehr viel Freude bereitet hat!

Bewertung vom 01.04.2020
Die unglaubliche Reise der Pflanzen
Mancuso, Stefano

Die unglaubliche Reise der Pflanzen


ausgezeichnet

Eine Reise durch Raum und Zeit auf den Spuren der Pflanzen ...
In dieses Buch habe ich mich aufgrund seiner liebevollen und hochwertigen Gestaltung sogar schon vor dem Lesen verliebt. So ist es mit einem grünen Lesebändchen und traumhaft schönen Aquarellbildern von Grisha Fisher ausgestattet, die Landkarten ähneln, nur dass auf ihnen Blätter als Kontinente fungieren … Manchmal hätte ich mir, wenn im Text von fernen Ländern, ausgefallenen Pflanzen und ausgestorbenen Tierarten die Rede war, auch hierzu Bilder zur Veranschaulichung gewünscht, aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Die Illustrationen dieses Buches sind etwas ganz Besonderes, sehr künstlerisch und doch zugänglich, farbenfroh und dabei sehr zart und zum Träumen einladend, einfach zauberhaft.
Aber auch der Inhalt begeisterte mich: Was für unterschätzte Wesen Pflanzen doch sind! Ich staunte immer wieder über die wissenschaftlichen Erkenntnisse über sie – elterliche Fürsorge, jahrtausendealte Samen, die noch keimen können ... Dieses Buch ist eine wahre Schatztruhe für solche Wissensperlen, nie langweilig oder zu akademisch, immer allgemein verständlich und ganz offensichtlich mit einer leidenschaftlichen Liebe für die Pflanzen verfasst. Und wie bei allen richtig guten Sachbuchautoren hatte ich auch hier das Gefühl, einem Universalgelehrten zu lauschen, der auf unterhaltsame Art einen großen Bogen schlägt, sowohl auf die neuere als auch auf die weit zurückliegende Geschichte unseres Planeten eingeht und größere Zusammenhänge aufzeigt. So erfährt man nebenbei Wissenswertes aus aller Welt und verschiedenen Zeiten – beispielsweise über die ausgestorbene Megafauna Amerikas oder die grausige Geschichte der Festung Masada ...
Der Autor räumt mit etablierten Vorstellungen von invasiven Pflanzen auf und zeigt, dass beispielsweise typische Pflanzen der italienischen Küche genau auf diese Weise in Italien eingewandert sind (die Tomate aus Mittelamerika, Basilikum aus Indien), erst invasiv, dann heiß geliebt ... Es handelt sich also eine Entwicklung, die nicht per se schlecht ist und in die der Mensch sich auch nicht unbedingt einmischen muss ...
Besonders berührt aber haben mich die Geschichten der einsamen und unglaublichen alten Bäume und der respektvolle Umgang der Japaner mit jenen Bäumen, die den Atombombenangriff auf Hiroshima überlebt haben ("Hibaku jumoku" genannt).
Zum Schluss möchte ich auch den Übersetzer Andreas Thomsen lobend erwähnen, denn auch sprachlich ist dieses Buch ein Genuss!
Für mich ein Lieblingsbuch!

Bewertung vom 27.03.2020
Wie viele willst du töten / Ellery Hathaway Bd.1
Schaffhausen, Joanna

Wie viele willst du töten / Ellery Hathaway Bd.1


sehr gut

Was mich gleich für diesen Thriller einnahm, war die Opferperspektive, denn die Polizistin Ellery Hathaway, die eine der Hauptfiguren ist, war als junges Mädchen selbst Opfer eines Serientäters geworden – und der Ermittler Reed, der ihr nun bei einem anderen möglichen Serienmordfall helfen soll, hatte sie damals befreien können. In den meisten Thrillern spielen die Opfer leider eher eine untergeordnete Rolle und nehmen weniger Raum ein als die dunkel-schillernden Täter. Hier hingegen lässt sich erleben, wie es für einen Menschen nach einem traumatischen Erlebnis weitergehen kann, und ich fand es absolut bewundernswert, dass Ellery sich ausgerechnet für den Polizistenberuf entschieden hat, dass sie sich nicht in die Sicherheit eines Schneckenhauses zurückzieht, sondern dass sie sich solchen schrecklichen Taten, deren Opfer sie einst selber wurde, entgegenstellt ...
Überhaupt hat die Autorin mit dieser so taffen und gleichzeitig einfühlsamen, verletzlichen jungen Frau und dem älteren, von Selbstzweifeln geplagten tragischen Helden Reed ein leicht verloren wirkendes Ermittlerpaar geschaffen, das mir schnell ans Herz wuchs. Der eigentliche Star dieses Romans war aber für mich eindeutig Ellerys treuseliger Hund Bump. Sicherlich kennt und liebt die Autorin Hunde, denn er wirkt sehr authentisch. Bei seiner liebevollen Beschreibung ging mir das Herz auf, obwohl ich es eigentlich vorziehe, wenn in Thrillern keine süßen kleinen oder großen Haustiere vorkommen, da diese sich gegen die in solchen Romanen ihr Unwesen treibenden Täter in der Regel noch viel weniger zur Wehr setzen können als wir Menschen …
Die Sprache ist recht einfach gehalten und teilweise umgangssprachlich, aber die Erzählung mit einigen atemberaubend spannenden Szenen und dem ungewöhnlichen Ermittlerpaar nahm mich ganz gefangen und ließ mich Alltag und Sorgen eine Weile vergessen, was in Zeiten der Coronakrise ein besonders wertvolles Geschenk ist.

Bewertung vom 24.03.2020
Das Gerücht
Kara, Lesley

Das Gerücht


sehr gut

Ein fesselnder und ungewöhnlicher Thriller, in dem es um einen lang zurückliegenden Mordfall unter Kindern geht, der in der Gegenwart der Romanwelt erneut zu einer Bedrohung führt. Gleichzeitig behandelt dieses Buch jedoch auch Fragen, die mich gerade jetzt, zu Beginn der Coronavirus-Krise in Europa, und durch diese ganz spezielle Perspektive, die wir Menschen in diesen Krisenzeiten haben, besonders bewegen: die natürliche Fehlbarkeit des Menschen, die allseits mangelnde Bereitschaft zur Vergebung, die Begeisterung für Gerüchte und Hetze.
Die Autorin Lesley Kara, die unter anderem als Krankenschwester und Sekretärin tätig war, lässt in ihren Roman ein hohes Maß an Menschenkenntnis und Bodenständigkeit einfließen. Der Schreibstil ist unprätentiös und schlicht, die Erzählung bietet dafür ein raffiniertes Verwirrspiel, das in dem typischen Milieu einer Kleinstadt eingebettet ist. Bald kam mir jeder irgendwie geheimnisvoll und suspekt vor ...
Mit Joanna hat die Autorin eine Hauptfigur geschaffen, der ich mich als Leserin sehr nahe fühlte. Aufgrund ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und Selbstkritik ist sie mir außerdem sehr sympathisch. Sie liebt ihren Sohn Alfie über alles und versucht, gewissenhaft durchs Leben zu gehen, doch unterlaufen ihr immer wieder Fehler und einer bringt ihre Familie in große Gefahr ...
Ein spannendes Leseerlebnis!

Bewertung vom 26.02.2020
Rote Kreuze
Filipenko, Sasha

Rote Kreuze


sehr gut

Während Deutschland wieder einmal vom rechten Terror überzogen wird und die rechtsradikalen Brandstifter-Ideen, die dieses Land schon einmal in den Abgrund getrieben haben, es sogar wieder in die Parlamente geschafft haben, muss auch in anderen Ländern leider wieder einmal gegen das Vergessen angeschrieben werden … Das scheint zumindest ein wichtiger Beweggrund Filipenkos zu sein, wie in dem Interview im hinteren Teil des Buchs zu erfahren ist.
Dabei steht in diesem Roman, der in mir einen Sturm der Gefühle ausgelöst hat, keineswegs nur Stalins Terrorherrschaft im Mittelpunkt, auch wenn sie und ihre Folgen zwangsläufig den größten und grauenvollsten Eindruck hinterlassen. Es geht vielmehr um eine Begegnung zwischen zwei Menschen verschiedener Generationen, die in ihrem Leben auf unterschiedliche Weise sehr großes Leid erfahren mussten, und – so interpretiere ich diesen Roman – um das Überleben und das Weiterleben, trotz all des Schrecklichen.
Durch die Geschichte der einundneunzigjährigen Tatjana, die mit ihrem Galgenhumor und ihrer Selbstironie schnell einen Platz in meinem Herzen fand, wird ein düsterer Blick auf die russische Geschichte geworfen und ich erfuhr auch von einem für mich neuen, so völlig absurden wie grausamen Aspekt des Zweiten Weltkriegs – der Haltung der russischen Regierung gegenüber den eigenen Soldaten, die das „Verbrechen“ begangen hatten, in Kriegsgefangenschaft zu geraten, und ihren Familien, die für dieses „Verbrechen“ gleich mitbestraft wurden.
Der junge Alexander war mir aufgrund all seiner Vorurteile, mit denen er Tatjana zunächst (und generell seinem Stiefvater Grischa) begegnet, weniger sympathisch. Allerdings steht er auch unter einem enormen Druck – er ringt mit Trauer und Verlust und muss doch bald eine wichtige Verantwortung übernehmen … Sicher ist es kein Zufall, dass er denselben Vornamen wie der Autor trägt (Sascha/Sasha ist eine Kurzform von Alexander) und wie der Autor ein Fußballfan ist, umso mehr beeindruckt mich, dass Filipenko Tatjana so weise darstellt, während Alexander ein paar Ecken und Kanten mehr hat.
Ich hätte mir noch etwas mehr Einblick in die Freundschaft der beiden gewünscht, aber natürlich ist leider von Anfang an klar, dass Tatjana, die an Alzheimer erkrankt ist, immer mehr verschwindet und ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt …
Sehr gekonnt fand ich in der Erzählung Tatjanas die Darstellung des Drucks, der auf Menschen lastet, die in einem Terrorregime leben. Auch wird gut vermittelt, wie problematisch es ist, wenn das Individuum, wenn Einzelschicksale nicht zählen. Und dieser Gedanke, dass Tatjana Alexejewna sogar für sehr viele Einzelschicksale steht, macht mich über alle Maßen traurig.
Meine anfänglich große Begeisterung für diesen Roman wurde allerdings durch die einseitige, karikaturistische Darstellung von Saschas Stiefvaters Grischa, der Stalins Taten verharmlost oder schlicht leugnet, gebremst. Sicher, solche Verharmlosungen sind unerträglich und lassen auch meinen Blutdruck in die Höhe schnellen. Aber Grischa wird nur von außen betrachtet und verurteilt, das ist für einen Schriftsteller ein bisschen schwach.
Verständlicher, aber mir zu weit gehend fand ich die Verurteilung eines besonders grausamen Vertreters des Regimes („dass dieses ganze System, diese riesige Maschinerie, auf komplexbeladenen Nullen wie ihm beruht“, S. 161). Natürlich drängt sich beispielsweise beim Anblick der AfD-Wähler, die das Erbe von Stalins Freund Hitler weitertragen, ein solches Bild von Extremisten auf – das sind keine glücklichen, geliebten oder erfolgreichen Menschen. Aber Beleidigungen sind meiner Meinung nach der falsche Weg. Es ist natürlich schwer, angesichts dieser Thematik ein versöhnliches Buch zu schreiben, dennoch habe ich das Gefühl, dass der Autor in diesem Punkt versagt hat und dass sein Buch zur Spaltung beiträgt.
Dennoch: ein wichtiges Buch gegen das Vergessen, in einem brillanten Schreibstil verfasst.

Bewertung vom 14.02.2020
Das Evangelium der Aale
Svensson, Patrik

Das Evangelium der Aale


weniger gut

Obwohl bereits eifrig von Aristoteles erforscht gibt der Aal bis in die heutige Zeit den Naturwissenschaftlern Rätsel auf. In diesem Buch bietet der Autor Einblick in das Wissen, das bisher über diese erstaunlichen Wesen zusammengetragen wurde, und setzt seinem verstorbenen Vater in liebevoller Erinnerung ein Denkmal.
Was so brillant und lehrreich begann, entpuppte sich leider für mich als eine zunehmend schwer zu ertragende Lektüre und daher fällt mir auch diese Rezension äußerst schwer. Ich wusste ja, dass das gemeinsame Angeln des Autors mit seinem Vater und somit eine besonders grausame Tötungsart Thema sein wird, hatte aber gehofft, dass dies im weiteren Verlauf in den Hintergrund rückt. Schließlich zeichnet der Autor gleich zu Beginn seines Buches ein faszinierendes und mit viel Bewunderung gezeichnetes Bild von Aalen, ihren Verwandlungen im Laufe ihres langen Lebens und ihrer Wanderung. Sehr schade, dass versäumt wurde, diesen ersten Teil mit ein paar Fotos zu illustrieren.
Tatsächlich drängte sich in den Kapiteln aber immer mehr die Beschreibung sinnloser Grausamkeit (beispielsweise auf S. 96: "man briet ihn im Ganzen und noch lebendig" oder die Erklärung von "Pöddern" auf S. 103), aus Eigennutz, zu Forschungszwecken oder aus völlig unverständlichen Gründen wie einem ganz und gar merkwürdigen Verantwortungsgefühl ("dafür, sie leben oder sterben zu lassen", S. 133) heraus, in den Vordergrund. Die eigentlich einfühlsame Schilderung der Beziehung zu seinem Vater hätte mir gefallen, wenn es sich bei dem Vater nicht um einen Mann gehandelt hätte, der angeblich Tiere mochte, aber bereits als Kind Tiere quälte und sich später gern zum Herrn über Leben und Tod machte ... Und der Gedanke an die arme ältere, kranke Katze, die der Vater erschießen wollte, anstatt sie wie jeder zivilisierte Mensch schmerzfrei von einem Tierarzt einschläfern zu lassen, die ihm aber tapfer entkommen war und dann allein und womöglich mit Schmerzen und ohne medizinische Hilfe durch die Wildnis irrte, ließ mich die letzten Tage kaum schlafen. Zumal sich mir angesichts ihrer Flucht die Frage aufdrängt, ob sie wirklich so sterbenskrank war – wer weiß, ob das arme Wesen überhaupt von einem professionellen Tierarzt untersucht worden war und ob man ihr mit einer medizinischen Behandlung nicht noch etwas schöne Lebenszeit hätte verschaffen können …
Durch mein Entsetzen über die mangelnde Kritik des Autors an der immer wieder in diesem Buch geschilderten Grausamkeit ist mein Urteil über dieses Buch leider stark getrübt und es fiel mir schwer, bis zum Ende durchzuhalten. Dabei kamen durchaus auch immer wieder wunderbare und zum Nachdenken anregende Stellen, beispielsweise als Svensson mit spürbarer Erschütterung über bereits ausgestorbene Tierarten berichtet und auf die Gefährdung des Aals eingeht. Auch über ausgesprochen kluge Textstellen wie auf S. 244, auf der es um die Grenzen des menschlichen Wissens und um mögliche Bewusstseinszustände, die wir nicht kennen, geht, und über einige deutliche Worte zum vom Menschen verursachten Klimawandel freute ich mich.
Dann aber wieder diese merkwürdige Stelle auf S. 101, die er allerdings selbst als "großes Paradox" bezeichnet und die nicht unbedingt seine eigene Meinung, sondern die einiger der Menschen, "die dem Aal immerhin am nächsten gekommen sind", widerspiegelt: "Um den Aal zu verstehen, müssen wir uns für ihn interessieren, und um uns für ihn zu interessieren, müssen wir ihn weiterhin jagen, töten und essen." Da kann ich nur hoffen, dass niemand auf die Idee kommt, mich verstehen zu wollen ...
Zwar habe ich das Gefühl, dem Buch gegenüber etwas ungerecht zu sein, da es die geschilderten Denk- und Handlungsweisen sind, die mich abstoßen, und nicht unbedingt die Ansichten des Autors selbst, aber Svensson distanziert sich für mich einfach nicht genug von dieser Grausamkeit. Und das können dann auch sein wunderschöner Schreibstil und der spannende Einblick in die Welt der Aale nicht mehr kitten ...

Bewertung vom 14.02.2020
Die Nebelspur
Soentgen, Jens

Die Nebelspur


ausgezeichnet

Alles an diesem Buch bezaubert, angefangen bei der Gestaltung in den Farben Schottlands mit himmelblauen Kapitelüberschriften und humorvollen Schwarz-Blau-Weiß-Zeichnungen (zum Beispiel von einem Mann im Schottenrock, der über einen Maulwurfhügel springt, diversen praktischen Karten und erklärenden Schaubildern, Einhörnern, Porträtzeichnungen der erwähnten Gelehrten etc.). Diese wunderbaren Zeichnungen sind Vitali Konstantinov zu verdanken und passen hervorragend zu den ebenso liebevoll und mit ebenso vielen schillernden Details verfassten Texten von Jens Soentgen. Der Autor schreibt voller Charme und Eleganz und unterhält in der Manier eines Universalgelehrten mit so vielen faszinierenden Wissensperlen, dass ich das ganze Buch über ein Lächeln auf den Lippen hatte – wie schön und voller Wunder der Natur die Welt doch ist!
Als Philosoph und Naturwissenschaftler schöpft Soentgen aus beiden Fachgebieten, überfordert den Leser jedoch nicht, sondern liefert einen Wissensschatz, der Jung und Alt jede Menge Spaß macht. Die Altersempfehlung liegt bei ab 14 Jahren, viele längst Erwachsene können aber sicher noch wie ich viel aus diesem Buch lernen.
Soentgen blickt in die Wolken und in die Geschichte, stellt Tau-, Smog- und Wolkenforscher vor, schreibt über typisch schottische Eigenheiten und Gegebenheiten und wie diese eine so einfache wie geniale Erfindung begünstigten: "Die Nebelkammer verdankt sich einer so außergewöhnlichen Kombination von Einflüssen – Wolken, schottische Sparsamkeit, Kernphysik und schottische Geduld –, dass man getrost davon ausgehen kann, sie wäre der Menschheit auf immer unbekannt geblieben, hätte Wilson nicht erfunden." (S. 72)
Wilson ist der schottische Physiker Charles Wilson, der mit seiner Erfindung, der Nebelkammer, im Zentrum dieses Buches steht und vom Autor als ein unglaublich liebenswürdiger Mensch voller Bescheidenheit und Ausdauer geschildert wird. So bringt der Autor seinen Lesern Wilson auch als Mensch näher, das ist sehr geschickt bei der Wissensvermittlung und ich hoffe, dass auch viele Lehrer dieses Buch lesen werden und sich inspirieren lassen!
Im hinteren Teil des Buches befindet sich eine Reihe von Anleitungen für Experimente, die mich positiv überraschten, weil sie recht einfach gehalten sind und doch zu verblüffenden Ergebnissen führen können. Und auch hier wieder lässt es sich der Autor nicht nehmen, zwischendurch einen kleinen Blick in die Geschichte (auf Goethe und seine Experimente) zu werfen.
Originell, unterhaltsam und hochwertig gestaltet!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.01.2020
Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6
Slupetzky, Stefan

Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6


ausgezeichnet

Ein schönes Leseerlebnis – unterhaltsam und klug!
Dieser Kriminalroman mit österreichischem Lokalkolorit hat mich mit seinem Facettenreichtum und einem gelungenen Balanceakt zwischen Leichtigkeit und Tiefgründigkeit tief beeindruckt. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut es Slupetzky gelingt, einen feinen Humor mit einem scharfen Blick auf gesellschaftliche Phänomene und politische Entwicklungen sowie der traurigen Geschichte eines kleinen Jungen, der in den Tod getrieben wird, zu kombinieren, ohne dass diese Kombination an irgendeiner Stelle unpassend erscheint. Der ganze Roman ist von einer tiefen Menschlichkeit geprägt.
Durch die Thematik von Cybermobbing, Hasspostings und Meinungsbildung im Internet werden bedrohliche gesellschaftliche Phänomene angesprochen. Zum Nachdenken über mein eigenes Verhalten brachten mich vor allem die wichtigen Themen der Leichtgläubigkeit vieler Internetnutzer und der mangelnden Streitkultur – und ich liebe es, wenn ein Buch es schafft, dass ich mich selbst kritisch betrachte! Dass auch gewisse politische Entwicklungen in Österreich den Autor inspirierten, ist offensichtlich ...
Dennoch ist dies kein politisches oder rein gesellschaftskritisches Buch, das mit erhobenen Zeigefingern wedelt oder zu belehren versucht, sondern ein einfühlsam geschriebener Roman, in dem es um eine Reihe persönlicher Schicksale geht. Dabei präsentiert Slupetzky viele interessante Charaktere, auch Nebenfiguren hinterlassen trotz der Kürze ihres Auftritts einen starken Eindruck. Und immer wieder kreieren wenige Zeilen Wow-Momente.
Ich kann diesen Roman nur mit ganz vielen positiven Adjektiven überschütten – der Autor schreibt wortgewandt, weise, warmherzig, berührend, unterhaltsam, tiefgründig … Sein Schreibstil ist voller Leichtigkeit verfasst und gleichzeitig ist die Geschichte stark verdichtet, sodass es sich lohnt, genauer hinzuschauen, und sich viele Entdeckungen bieten.
Für mich ein ganz großes Lese-Highlight!