Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
helena
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 30.09.2019
Jane Austen
Sánchez Vegara, María Isabel

Jane Austen


sehr gut

Anregendes und sympathisches Kinderbuch

Dieses Bilderbuch finde ich sehr besonders, weil es sich mit eher "Erwachsenenthemen" an Kinder richtet. Es ist Teil der Reihe: Little people BIG DREAMS, die nun ins Deutsche übersetzt wurde. Hier stehen Frauen und auch einige Männer im Mittelpunkt, die als Kinder schon Träume und Wünsche hatten und dann in Folge Großes erreicht haben.
In diesem wird Jane Austen vorgestellt und man erhält einen Einblick in ihr Leben. Sie war schon als kleines Mädchen sehr bildungshungrig und wurde von ihrem Vater, entgegen der damaligen Konventionen, unterrichtet und gefördert. Sie las sehr viel und begann zu schreiben. Als junge Frau verliebte sie sich leider sehr unglücklich. Diese Erfahrungen verarbeitete sie in ihrem Roman Stolz und Voruteil, der dann unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde.

Die Illustrationen gefielen mir gut, sie sind liebevoll, kindgerecht und aussagekräftig. Der jeweilige Text ist kurz, prägnant und verständlich. Er lädt zu Nachfragen der jungen Leser/innen ein. Grundsätzlich hätte ich mir ein paar Seiten mehr gewünscht, da ich das Ende nicht ganz rund finde und es als recht abrupt erlebte.
Zum Abschluss gibt es noch einen Fließtext für die Erwachsenen, der die Biographie Jane Austens zusammenfasst.
Das Buch macht Lust, sich Jane Austens Leben näher zu betrachten und ihre Romane zu lesen. Auch weckt es Neugier, sich mit Geschichte und Rollenbildern auseinanderzusetzen. Gleichzeitig macht es Mut, dem eigenen Weg zu folgen, auch wenn es schwierig ist.

Das Lesealter ist ab 4 Jahren angegeben. Allerdings werde ich das Buch meinen Kindern etwas später geben, im Grundschulalter etwa, wenn sie schon ein wenig mehr die historischen Hintergründe verstehen können. Zu alt kann man für dieses Buch eigentlich nicht sein, weil die Illustrationen schön sind, der Inhalt bewegt und anregt, sich darüber hinaus mit der Thematik zu beschäftigen.

Nun bin ich auf jeden Fall sehr gespannt auf die anderen Persönlichkeiten, die innerhalb dieser Reihe vorgestellt werden...:)

Bewertung vom 25.09.2019
Brüder
Thomae, Jackie

Brüder


sehr gut

Vaterloses Aufwachsen

Zwei Halbbrüder, die nichts voneinander wissen. Ein Vater, der nur von einem seiner Söhne weiss.

In der ersten Hälfte des Romans steht Mick im Mittelpunkt. 1970 in Ostberlin geboren. Seine Mutter Monika, eine recht ambivalente Frau, entschloss sich bald nach Westberlin umzusiedeln. Mick bleibt das ewige Kind, unstet, unverbindlich, Partygänger und Clubmitbesitzer. Mit seiner Freundin Delia, auf die er sich nie so recht einlässt, lebt er in ihrem Haus in Berlin-Pankow. Delia wünscht sich sehnlichst ein Kind.
In einem kleinen Zwischenspiel wird Idris näher beleuchtet. Aus Senegal stammend, erhielt dieser ein Stipendium für ein Medizinstudium in der DDR. Dort lernte er Monika und auch Gabriele kennen, die Mütter seiner Söhne. Er kehrt jedoch in seine Heimat zurück. In Dakar ist er nun seit langem als Zahnarzt erfolgreich tätig. Irgendwann besucht er wieder seine Freunde in Deutschland und beginnt sich zu erinnern, wird wachgerüttelt und Verdrängtes kommt zum Vorschein.
Im zweiten Teil steht Gabriel, der Sohn Gabrieles im Fokus. Von den Großeltern großgezogen, wurde er Stararchitekt und dozierte zuletzt, bis zu seinem Ausschluss, an der Uni. Verheiratet ist er mit Fleur. Sie haben einen gemeinsamen Sohn Albert, der, aktuell in der Pubertät, schwierig in seinem Verhalten ist.
Im letzten Abschnitt verbinden sich diese drei Stränge...

Ein sehr detaillreiches Familienepos entblättert sich hier Seite um Seite. Die Protagonisten sind überaus authentisch und realistisch gezeichnet. Sie sind lebendig und glaubhaft. Ein Vergleich, ein Gegenüberstellen der Figuren und ihrer Lebensentwürfe drängt sich natürlich auf und ist durchaus spannend. Sehr interessant und eindrücklich werden die Beziehungen der Figuren beleuchtet. Abhängigkeiten, Beeinflussungen, Prägungen werden deutlich, weitreichende Folgen offenkundig, selbst nach nur kurzen (Zufalls-)Begegnungen.

Der Hintergrund ist recht groß angelegt- von der DDR der 70er Jahre, über das Berliner Clubleben der 90er bis hin nach London der begüterten Bessergestellten, deren Kinder aufs Internat gehen und ohne social media nicht mehr existieren können.
Der Roman ist sehr vielschichtig. Fragen nach Herkunft, Identität und Zugehörigkeit werden aufgeworfen. Nie explizit, aber immer deutlich spürbar die Frage nach bzw. "Problematik" der Hautfarbe, des Fremdseins. Es geht um die Ost-Westthematik, Rassismus, Erziehungsfragen und natürlich um Mutterschaft und Vaterschaft. Die Rollenzuschreibungen werden gegenübergestellt und die daraus abgeleiteten Verantwortlichkeiten. Das ist sehr spannend, zeigt es doch, dass es letztendlich ganz legitim ist, wenn Väter sich nicht kümmern, Mütter hingegen, egal was sie tun, dies oder jenes stets vorgeworfen bekommen, dass sie an bestimmten Entwicklungen des Kinders "schuld" seien. Was geben Väter? Was geben Mütter? Wie wachsen die Kinder ohne Vaterfigur auf? Wie prägt sie das?
Viele Fragen werden aufgeworfen und laden zum Nachdenken und Diskutieren ein. All die Themen werden dabei mühelos und beiläufig im Text verwoben, es sind die Lebensthemen der Figuren.

Neben Nachdenklichem finden sich auch Witz und Satire im Roman. Die Autorin hat zudem die unglaubliche Gabe in scheinbar beiläufigen Nebensätzen Gewaltiges zu packen, das mit voller Wucht einschlägt. Dennoch, besonders in der ersten Hälfte, zum Ende hin weniger, langweilten mich einige Passagen. Zeitraffend, nüchtern, berichtend wird hier der Leser von den Lebenswegen der Protagonisten in Kenntnis gesetzt. Sobald die Autorin jedoch wieder näher an den Szenen verweilte, konnte sie mich gut mitnehmen.

Gegen Ende, als ich alles in einen Blick bekam, entfaltete diese unglaublich große und dichte Beschreibung ihre volle Wirkkraft und liess mich staunen und der Autorin für ihr Werk Respekt zollen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2019
Poet X
Acevedo, Elizabeth

Poet X


ausgezeichnet

Toller Sound, gibt Mut und Stärke besonders für junge Frauen

Dieser Roman in Versen, die sich wirklich total unkompliziert lesen lassen, hat mich umgehauen! So eine kraftvolle Stimme, so eine Dynamik, so eine starke Autorin. Toll!
Ich bin total berührt und positiv geflasht.
Eigentlich ist es für Teenager geschrieben (meine Kinder haben noch etwas Zeit, aber sobald die Tochter 14 ist, drück ich ihr dieses Buch in die Hand...:), aber auch Mütter und überhaupt Frauen jeglichen Alters kann dieser Roman gefallen.

Es geht um Xiomara. Ihr Name bedeutet: "Eine, die zum Kämpfen bereit ist." Sie wohnt in Harlem, New York. Ihre Eltern stammen ursprünglich aus der Dominikanischen Republik. Sie ist knapp 16 Jahre alt, hat einen Zwillingsbruder, eine beste Freundin und schreibt. Sie selbst beschreibt sich als "dunkel, kurvig, wütend", als eine Tochter Medusas.
Xiomaras Mutter ist wahnsinnig streng, vorallem auch streng katholisch, und umgibt die Tochter mit vielerlei Verboten. Die Konflikte zwischen Xiomara und ihrer Mutter werden immer heftiger.
Xiomara wird nämlich langsam erwachsen und beginnt sich ihren Weg zu suchen. Sie verliebt sich das erste Mal und lernt durch eine Lehrerin Poetry Slam kennen...

Der Roman, diese Gedichte geben mir einen Einblick in eine Welt, eine Kultur, die mir erstmal gar nicht so vertraut ist. New York, Gewalt, Rap/ R&B, Katholizismus, Dominikanische Republik. Gleichzeitig sind mir jedoch die Themen sehr vertraut und für Teenager absolut relevant. Konflikte mit den Eltern und in der Schule, Beziehung zu Geschwistern und bester Freundin, die erste Liebe, Frausein, erwachende Sexualität, seinen eigenen Weg finden, nicht verstanden werden, unglücklich sein, Pubertät. All das wird hier sehr ehrlich und authentisch beschrieben. Besonders die Mutter- Tochter Beziehung fand ich sehr tief und differenziert gezeichnet.

Die Worte, der Sound treffen direkt ins Herz und nicht nur einmal kamen mir die Tränen. Ich konnte dieses Buch nicht mehr weglegen. Es liest sich wirklich spannend, auch witzig und geht unter die Haut.
Die Worte und Inhalte sind sehr kraftvoll und energievoll,voller Vitalität, manchmal sehr heftig und hart, manchmal zart und weich. Sie verbreiten Mut, Stärke und Selbstbewusstsein, an sich zu glauben und den eigenen Weg zu gehen, so dass gerade (junge) Frauen hier eine Menge mitnehmen können.

Bewertung vom 17.09.2019
Hier sind Löwen
Poladjan, Katerina

Hier sind Löwen


ausgezeichnet

Mitnehmend, berührend, interessant

Als ich die letzte Seite las, war ich wirklich traurig, diesen Roman nun verlassen zu müssen.

Helen reist für ein Projekt nach Armenien. Sie selbst hat armenische Vorfahren mütterlicherseits, weiß aber kaum etwas über diese. In Jerewan restauriert sie nun eine alte Familienbibel. In dieser findet sie handschriftliche Notizen. In einem Nebenstrang wird so die Geschichte der 14 jährigen Anahid und ihres kleinen Bruders Hrant erzählt. Sie befinden sich zur Zeit des armenischen Völkermords auf der Flucht und trugen diese Bibel mit sich, als einziges Überbleibsel ihrer Familie. Zumindest könnte es so gewesen sein...

Helen ist schon einige Jahre mit Danil liiert. Hier lernt sie Levon kennen, den Jazz Musiker, der aus Überzeugung auch Soldat ist, stationiert in Berg Karabach. Eine leise, sehr unaufdringliche Liebesgeschichte beginnt... und endet....

Der etwas melancholische Roman ist ruhig und sehr zart erzählt, dennoch eindrücklich und zu Herzen gehend. Es gibt etwas märchenhaft anmutende Sequenzen, das gefiel mir gut. Die Geschichte an sich mitsamt der beiden Erzählstränge ist in sich stimmig und rund erzählt.

Die Hauptprotagonistin, in einigen Situationen etwas distanziert und unnahbar, in anderen Situationen weich und emotional, gefiel mir gut.
Der Prozess der Buchrestauration wird mit viel Liebe und Hingabe beschrieben, so dass sich die Freude an alten Handschriften auf mich übertrug.
Zudem bekam ich einen wunderbaren und sehr interessanten Einblick in das heutige Armenien samt der Last der Geschichte, die dieses Land trägt. Das stimmte sehr nachdenklich. Doch geht es nicht nur um den Tod eines Volkes, sondern auch um den Tod eines einzelnen Menschen, eines Familienmitglieds. "Es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen." Die Grundstimmung, wie gesagt, ist etwas traurig, aber nicht herunterziehend.

Dieser wirklich schön erzählte und bereichernde Roman berührte mich sehr und ich empfehle ihn aus ganzem Herzen weiter!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2019
An Nachteule von Sternhai
Sloan, Holly Goldberg;Wolitzer, Meg

An Nachteule von Sternhai


sehr gut

Urkomisch und rührend

Nach viel ernster Lektüre brauchte ich ein lustiges Buch und fand es in diesem Kinder-/ Jugend-/ All-Age Buch.
Dieser Roman brachte mich gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen (aus Berührtheit). Passiert mir sehr selten beim Lesen. Vielleicht war ich an dem Tag auch besonders anfällig...:)

Schon gleich nach den ersten Seiten war ich verzückt. Es trägt ein wenig den "Doppelte Lottchen" Charme und ist doch ein klein wenig anders. Diese beiden 12 jährigen Mädchen....mein Herz wurde butterweich, ich fand sie einfach soo rührend. So authentisch wie Kinder halt sind. Liebenswert, naiv, ehrlich. Beide sind in ihrem Charakter und ihren Vorlieben dennoch recht verschieden. Bett, die Wilde, liebt Tiere über alles. Avery ist eher ängstlich, aber sehr belesen. Die beiden wohnen 500 km voneinander entfernt.
Ihre Väter haben sich ineinander verliebt und wollen die Töchter in ein gemeinsames Sommercamp stecken, so dass sie sich anfreunden können und der Hochzeit nichts im Wege steht. Bett und Avery sind von allem erstmal gar nicht begeistert. Um die Pläne der Väter zu durchkreuzen, beginnen sie sich in E-Mails auszutauschen. Diese zu lesen, macht einfach nur Freude und ist urkomisch!

Der ganze Roman besteht aus E-Mails und Briefen, wobei die meisten zwischen Avery und Bett gewechselt werden, aber auch ihre Väter, Betts Oma, Averys Mutter oder auch die Campleiter und Erzieher kommen zu Wort. Das ist vielleicht ein klein wenig anstrengend zu lesen, da man gut darauf achten muss, wer nun wem schreibt.
Der Roman ist dennoch sehr kurzweilig geschrieben und es gibt überraschende Wendungen. Man braucht aber auch etwas Durchhaltevermögen, da die erzählte Zeit ca. 1-2 Jahre umfasst. Vielleicht wäre es insgesamt etwas runder gewesen, hätte man hier etwas gekürzt. Andererseits fand ich den Verlauf auch nicht schlecht, weil so eine Entwicklung gezeigt werden konnte. Eine Entwicklung, die nicht dem typischen Happy End Roman entspricht, sondern ganz realistisch Familienbeziehungen, Liebesbeziehungen und Freundschaften betrachtet, die auch schwierige Phasen überstehen oder eben auch nicht überstehen.
Der Ton ist sehr modern, da immer wieder auf aktuelle Themen Bezug genommen wird, wie z.B. Umweltschutz und Regenbogenfamilien. Zudem macht das Buch Mut und ist mit viel positiven und aufmunternden Worten versehen.

Ich habe mich wunderbar amüsiert und empfehle das Buch gern für Leute zwischen 11 und 111 Jahren..:)

Bewertung vom 13.09.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


sehr gut

Ein Roman mit Stärken und Schwächen

3,5 Punkte

"Den Sprung hat sie von ihrem Erzeuger [...] Der wusste auch nicht, wohin mit seiner Energie, und ständig musste man ihm aus irgendeinem Schlamassel helfen." (S.241)

Ich hatte hohe Erwartungen, doch leider hat mich der Roman ein wenig enttäuscht, obwohl er wirklich sehr gut beginnt, sprachlich und vom Aufbau gefällt sowie viele gute Gedanken bereithält.

Worum geht es: Eine Frau steht auf dem Dach eines Mietshauses und will springen. Die Polizei ist alarmiert und eine Menge Schaulustiger sind versammelt. Es beginnt einem Volksfest zu gleichen. Man lernt verschiedene Personen kennen, die auf irgendeine Art und Weise mit dem Geschehen in Berührung kommen. Felix, der Polizist, der sich eines alten Traumas bewusst wird. Egon, der seine Arbeit in der Fabrik hasst und seinem alten Hutgeschäft nachtrauert. Die Eheleute Theres und Werner, deren kleiner Laden langsam pleite geht. Maren, deren Ehemann sich sehr verändert hat und kein Interesse mehr an ihr zeigt. Finn, der Fahrradkurier, der aus Berlin geflüchtet ist und der sich in die etwas eigene Gärtnerin Manu verliebt hat. Winni, die in der Schule aufgrund ihres Aussehens gemobbt wird und noch einige andere.
Je Kapitel befindet sich eine der Personen im Mittelpunkt. Sie alle sind mit dem Geschehen auf dem Dach in irgendeiner Weise verbunden bzw. stehen irgendwie in Kontakt miteinander.

Um bei dieser Vielzahl an Figuren nicht durcheinander zu geraten, schrieb ich mir nebenbei die Namen auf. Das klappte dann ganz gut. Diese recht verschiedenen Figuren nahmen mich sehr gefangen. Viele sind einsam, werden nur in ihren wenigen Beziehungen sichtbar. Die meisten von ihnen müssen mit schwierigen Lebenssituationen, mit Krisen und Verlusten umgehen.
Die Unvollkommenheit der Welt wird aufgezeigt und gleichzeitig Trost gespendet, dass es anderen doch ähnlich geht.

Sehr deutlich lenkt die Autorin den Blick auf Unstimmigkeiten unserer Gesellschaft. Sie kritisiert Polizei und Politiker, die Sensationslust, das Ergötzen am Leid anderer, die fehlende Empathie und Gleichgültigkeit der Menschen. Sie beleuchtet Beziehungen und das Verhalten Einzelner in Krisensituationen. Aufgrund der Vielzahl von Menschen gibt es natürlich eine Vielzahl von Themen und eine Fülle an Gedanken.

Es ist sehr kurzweilig geschrieben, amüsant, an einigen Stellen, besonders zu Anfang auch berührend sowie nachdenklich machend.

Was mich leider gar nicht überzeugt hat und aus dem Roman wieder heraus katapultiert hat, waren die Gründe, warum die Frau – über Stunden - auf dem Dach stand. Das fand ich sehr, sehr unrealistisch! Und das als Herzstück des Romans...nein, nein, nein. Schade!
Auch fand ich den Transport der Gedanken zuweilen sehr holzhammermäßig, sehr laut, sehr überdeutlich. Manche Szenen erschienen zudem sehr übertrieben/überdreht oder auch etwas kitschig.

Fazit: Der Roman hat gute Seiten und weniger gute Seiten. Dennoch hat der Roman mich gut unterhalten, hat einige einprägsame Figuren erschaffen und einen interessanten Blick auf unsere heutige Gesellschaft geworfen, so dass ich ihn letztendlich doch empfehle..:)

"Wenn du gut leben willst, musst du ein verdammt guter Verlierer sein." (S.110).

Bewertung vom 12.09.2019
Wir, im Fenster
Albrecht, Lene

Wir, im Fenster


sehr gut

Wunderbar erzählt!

Ein feiner, poetischer Roman über eine Mädchenfreundschaft und das Erwachsenwerden.

Linn, mittlerweile knapp über 30, promoviert gerade und ist schwanger. In ihr werden starke Erinnerungen an Laila wach, ihre Freundin, mit der sie früher stark verbunden war in einer wilden, schönen, auch körperlich nahen Mädchenfreundschaft.
Beide sind noch kurz vor der Wende geboren und wachsen im westlichen Berlin auf. Linn in einer recht gutsituierten Familie. Laila hingegen wird von ihrer Großmutter versorgt. Ihre Mutter scheint sehr mit ihrer Hochzeitsboutique beschäftigt.
Die beiden Freundinnen wohnen inmitten eines "Problemviertels". Linns Eltern haben ihre Tochter extra an einer anderen Schule angemeldet. Doch Nachmittags ist sie viel sich selbst überlassen, lungert auf dem Hof herum und kommt natürlich trotzdem in Kontakt mit den anderen Kindern.
Eines Tages stirbt der Großvater von Laila. Daraufhin reist die Großmutter zurück in die Türkei und lässt Laila in Berlin, woraufhin Linns Eltern entscheiden, sie bei sich aufzunehmen. Aber Laila und Linn entfernen sich immer mehr voneinander...

Der Roman ist aus Linns Perspektive in der Ich-Form geschrieben. Ihre Erinnerungen sind unscharf, nebulös, verschwommen und geben somit wunderbar ferne Erinnerungen und vor allem die kindliche Sicht wider. Eine Sicht, die manche Dinge nicht hinterfragt, sie als gegeben hinnimmt. Wo Dinge nicht angesprochen werden. Dinge einfach passieren.

Der Schreibstil ist poetisch und verträumt. Der Ton ist leise und hinterlässt doch deutliche Spuren.
Das Erzähltempo ist recht langsam, manchmal wirkte das durchaus etwas quälend langgestreckt. Der Bruch der Freundinnen ist nämlich allgegenwärtig und ich wollte unbedingt wissen, was denn eigentlich passiert ist.
Die Milieuzeichnungen und Charaktere fand ich sehr überzeugend und nachvollziehbar.
Die Stimmung ist oft traurig, etwas schwer. Manchmal wird es fast unerträglich unangenehm.

Thematisch geht es um den Übergang vom Kind zur Jugendlichen, um den Verlust der Unschuld, um Familie, um Alkohol und Gewalt in der Familie, um Freundschaft und Grenzen.
Es ist zudem eine atmosphärisch stimmige Beschreibung des Heranwachsens inmitten Berlins.

Dieser wunderbar erzählte Roman hielt mich sehr gefangen und hat mich sehr berührt. Es katapultierte mich in die eigene Vergangenheit, liess mich erinnern und rief sehr unterschiedliche Gefühle in mir wach, wobei ich nicht sicher bin, ob ich eigentlich an all diese Dinge erinnert werden wollte...:) Ich bin froh, nicht mehr so jung sein zu müssen, mit all den Irrungen und Wirrungen. Die Geschichte lässt mich nachdenklich zurück.

Bewertung vom 10.09.2019
Vater unser
Lehner, Angela

Vater unser


ausgezeichnet

Aufwühlend

Ich las den Roman zweimal, mit ein paar Tagen Abstand dazwischen. Beim ersten Mal las ich ihn recht zügig, weil ich unbedingt wissen wollte, was nun eigentlich warum passiert. Ein wenig nervte mich nämlich das Nebulöse und ich wollte schnellstmöglich Licht ins Dunkle bringen. Doch dann verstand ich das Ende nicht so ganz bzw. verwirrte es mich sehr. Deshalb las ich den Roman ein zweites Mal und so setzte sich dann Puzzleteil für Puzzleteil zusammen. Und dennoch blieben Fragen offen. Der Roman bietet also durchaus Interpretationspielraum und Diskussionspotential.

Eva, Mitte zwanzig, ist in die Psychiatrie nach Wien eingewiesen worden. Dort ist auch schon ihr etwas jüngerer Bruder Bernhard. Bernhard hat Magersucht. Aufgrunddessen befand er sich schon in der Vergangenheit mehrfach in Behandlung. Eva möchte ihm helfen, ihn retten. Aber er verweigert erstmal den Kontakt. Und ihr selbst geht es eigentlich auch nicht so besonders gut. Sie beide teilen ein schwieriges Elternhaus und traumatisierende Erfahrungen.

Der Roman besteht aus 3 Teilen (Der Sohn. Der Vater. Der Heilige Geist.), wobei die Geschichte stringent erzählt wird. Die Hauptprotagonistin steht im Mittelpunkt und sie erinnert sich immer wieder an Situationen aus der Vergangenheit. Den Klappentext finde ich allerdings etwas irreführend, da es hier nicht vorrangig um das Lügen und Manipulieren geht, sondern letztendlich um einen Heilungsversuch.

Ich mochte diesen frischen, frechen und direkten Ton, der mich vor allem die erste Hälfte des Buches sehr amüsierte! Ein klarer und ironischer Blick betrachtet Österreich und seine Institutionen. Jeder bekommt hier sein Fett weg: die Kirche, Haider, die Kronen Zeitung, die Psychiatrie, die (Dorf-)Gesellschaft, die nichts sieht, nichts hört und nichts sagt.
Mit einem scharfen Blick wird Gegebenes in Frage gestellt, werden psychologisch interessante Beobachtungen getätigt und das alles in einer wirklich sehr tollen Sprache!

Zum Ende hin wird der Ton etwas ernster, es wird bitter, es wird traurig. Das Lachen verging mir allmählich und wich eher dem Mitgefühl für Eva und ihren Bruder. Beide traumatisiert, beide innerlich sehr verletzt. Die Schicksale berührten mich sehr, auch die Beziehung zwischen den beiden bzw. der unermüdliche Versuch Evas, eine Beziehung zu Bernhard aufzubauen.
Das Ende empfand ich wirklich als tragisch, traurig und schwer, es zog mich runter und verwirrte. Davon musste ich mich dann erst mal erholen.

Die Geschichte ist in sich rund und gut erzählt. Einiges liegt zwischen den Zeilen.
Die Figuren fand ich sehr authentisch gezeichnet. Etliches bleibt nur angedeutet und ja, ich hätte mir doch mehr Klarheit gewünscht. Hätte mir mehr klare Fakten z.Bsp. über die Eltern gewünscht. Das wäre für mich als Leser bequemer und einfacher gewesen. Irgendwo las ich, dass hier der Leser in die Rolle des Psychiaters rutscht und irgendwie stimmt das. Man erfährt alles subjektiv, bruchstückhaft und muss sich selbst zusammen reimen, was nun wahr ist, was tatsächlich passiert ist und muss versuchen, hinter die Fassade der Figuren zu schauen.

Zu Recht für eine Vielzahl von Preisen nominiert!

Bewertung vom 10.09.2019
ATME!
Merchant, Judith

ATME!


sehr gut

In einem Atemzug gelesen und atemlos zurückgeblieben.

3,5 Punkte

Dieser Psychothriller liess mich etwas zwiegespalten und auch etwas verstört zurück.

Worum geht es: Nile liebt Ben. Dieser steht kurz vor der Scheidung von seiner Ex-Frau Flo. Danach wollen Nile und Ben heiraten. Nile probiert gerade ein Hochzeitskleid an. Als sie aus der Umkleidekabine tritt, ist Ben plötzlich verschwunden. Auch telefonisch kann sie ihn nicht mehr erreichen. Sie beginnt ihn verzweifelt zu suchen...
Viel mehr kann ich zum Inhalt gar nicht schreiben, ohne zu spoilern.

Als Leser ist man ganz nah bei Nile, man lauscht ihrem inneren Monolog und begleitet sie auf ihrer Suche. Nile reagiert sehr aufgeregt, panisch und schon etwas übertrieben auf das Verschwinden von Ben. Als sie Bens Freunde und Familie kontaktiert, verhalten diese sich sehr abweisend und unfreundlich, so dass man sich schon etwas wundert. Nile war Bens Affaire, sind deshalb alle so sauer auf sie, weil sie sich in die langjährige Ehe "gedrängt" hat?
So nach und nach entwickelte ich auch leichte Hassgefühle auf Nile, aber auch Fremdscham aufgrund ihres Verhaltens und auch Mitleid. Gerade zu Anfang war sie mir sehr unsympathisch. Irgendwann verstand ich sie mitsamt ihrer Angst, der Panikattacken und sozialen Phobie ein wenig mehr. Einige Verhaltensweisen haben mich dabei überzeugt, andere weniger. Mehr kann ich auch hier nicht schreiben, ohne zu spoilern.

Thematisch geht es neben der Suche nach der Wahrheit um Ehebruch und Affairen, um Eifersucht und Kontrolle sowie um Angst und Gewalt in den verschiedensten Ausprägungen.

Der Thriller entwickelt im Fortgang einen großen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte. Es war spannend und ich wollte unbedingt wissen, was nun tatsächlich passiert ist. Aber nicht nur deshalb begann ich, einige Absätze zu überlesen. Es war nämlich teilweise sehr gruselig, so nah in der Gefühlswelt von Nile zu sein. Ich konnte es teilweise schlecht aushalten, in diesem fahrigen Gedankenkarussel der sehr hektischen und von Panikattacken bedrohten Nile mitzufahren.

Die Sprache ist einfach gehalten, häufige kurze Sätze halten das Tempo hoch und es gibt überraschende Wendungen. Das Ende jedoch kommt nicht überraschend, da es schon eine der verschiedenen durchscheinenden Optionen war. Die Art und Weise, wie die Autorin das Ende literarisch umgesetzt hat, brachte mich allerdings zum Schmunzeln.

Fazit: Ein spannender und etwas gruseliger Psychothriller, auf den man sich einlassen muss, manchmal wenig glaubhaft, aber nah am Wahnsinn.

Bewertung vom 03.09.2019
Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1
Lodge, Gytha

Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1


sehr gut

Spannender Krimi mit unausgeschöpftem Potential bei der Figurenentwicklung

3,5 Punkte
Der vorliegende Krimi ist ein Reihenauftakt. Der Klappentext fasst die Dinge ganz gut zusammen, sodass ich gar nicht viel ergänzen möchte.

Es gibt zwei Handlungsstränge. Der Haupthandlungsstrang dreht sich um die Aufklärung des Mordes an der 14 jährigen Aurora Jackson, die nun, nach 30 Jahren, vergraben mitsamt eniger Päckchen Speed gefunden wurde.
Hier stehen das 4 köpfige Ermittlungsteam, insbesondere der Detektive Chief Inspector Jonah Sheens und die neue Mitarbeiterin Detektiv Constable Juliette Hanson im Vordergrund. Man erfährt wie sie die Ermittlungen führen sowie einiges aus deren Privatleben, wenngleich recht dezent.
Der zweite Handlungsstrang hat Aurora im Blick und zwar genau an dem Tag, an dem sie vor 30 Jahren ermordet wurde.

Die Grundidee klang für mich extrem spannend, so dass ich an diesem Krimi nicht vorbei kam – und, um gleich auf den Punkt zu kommen - er war auch tatsächlich sehr spannend. Ich konnte ihn kaum zur Seite legen und sehr gut miträtseln, wer der Täter war. Es gab mehrere Verdächtige und es blieb mir bis zum letzten Moment völlig unklar, wer Auroras Tod zu verantworten hatte.

Der Schreibstil ist zudem sehr bildhaft, viele der Szenen standen mir ganz klar vor Augen.

Auroras Handlungsstrang mitsamt der Szenen des Campingausflugs gefiel mir ausnehmend gut. Ihr (schüchterner, netter) Charakter war gut gezeichnet und ich konnte gut mit ihr mitfühlen.
Das Ermittlungsteam fand ich sympathisch, allen voran natürlich der clevere, menschliche, einfach sympathische Chief Jonah. Die sehr gewissenhafte und eifrige Hanson fand ich etwas nervig, aber das passte dennoch gut und war vielleicht ein wenig auch so gewollt. Zum Team gehören noch der eigenwillige Detective Sergant O `Malley und der smarte, distanzierte Detektive Sergant Lightman, die allerdings eher im Hintergrund standen.
Die Clique fand ich auf den ersten Blick interessant angelegt. Besonders interessierten mich die Charaktere, wie ihre Beziehungen untereinander gestaltet waren, wie sie durch Auroras Verschwinden geprägt wurden und welche Dynamik nun, nach dem Auffinden der Leiche unter ihnen entstand. Leider wurde ich diesbezüglich ziemlich enttäuscht. Die Charaktere blieben nämlich zumeist blass und oberflächlich, manch einer kam gar nicht recht zur Geltung. Auch blieb mir unklar, was sie eigentlich vor Auroras Tod zusammenhielt, da sie so unterschiedlich erschienen und irgendwie das Gruppengefühl bei mir nicht recht ankam. Auch nach dem Fund fand ich die Dynamik und die Beziehungen untereinander zum Teil nicht ausreichend genug geschildert. Letztendlich blieben für mich daher einige Fragen offen. Sehr, sehr schade, hier hätte es so viel Potential gegeben.

Fazit: Alles in allem dennoch empfehlenswert, trotz unausgeschöpften Potentials bei der Figurenentwicklung, da mit einer interessanten Grundidee sehr spannend und bildhaft erzählt.