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Benutzername: 
helena
Wohnort: 
Potsdam

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 02.09.2019
Über die Grenze
Lunde, Maja

Über die Grenze


ausgezeichnet

Ein rundum gelungenes Kinderbuch!

Norwegen 1942. Die Eltern von Otto und Gerda verstecken seit kurzem Daniel und die kleine Sarah, zwei jüdische Kinder, im Keller. Sie sollen eigentlich ins sichere Schweden, wo schon ihr Vater wartet. Doch dann durchsucht die Polizei das Haus, findet die Kinder zwar nicht, nimmt aber Ottos und Gerdas Eltern mit.
Die beiden Geschwister beschließen nun, Daniel und Sarah zu helfen und sie zu ihrer Tante in eine andere Stadt zu bringen. Eine abenteuerliche und gefährliche Reise beginnt. Sie treffen auf verschiedene Menschen und es ist gar nicht so einfach zu erkennen, wem man wirklich vertrauen kann. Zumal sich Otto und Gerda gar nicht so gut verstehen, weil sie sehr unterschiedlich sind. Gerda, 10 Jahre, ist ein großer Musketier Fan, wild und risikobereit. Otto, 12 Jahre, ist eher zurückhaltend, vorsichtig und studiert am liebsten seine Landkarten und seinen Globus.

Das Buch ist für Kinder ab 9 Jahren gedacht und das passt auch. Die Geschichte ist altersgerecht, dabei sehr spannend und fesselnd erzählt. Es gibt kurze Kapitel und die Sprache ist einfach, allerdings auf keinen Fall trivial. Es wird geradlinig und stringent erzählt, wie und ob die Kinder es über die Grenze schaffen.
Diese vier recht verschiedenen Kinder sind gut beschrieben und bieten sich als Identifikationsfiguren an. Gerda steht hierbei besonders im Mittelpunkt, über ihre Innensicht erfährt man am meisten.
Die jungen LeserInnen erhalten hier Anregungen, über die geschichtlichen Vorkommnisse nachzudenken und nachzufragen. Die Schrecklichkeit des Krieges, der Hunger, das Misstrauen der Menschen zueinander, die Gefährlichkeit des Widerstands, all das wird gut beschrieben. Es wird sich dabei klar für Humanität und Menschlichkeit positioniert.
Nicht zuletzt geht es zudem um Mut, Familie und Geschwister.

Diese inhaltlich und sprachlich sehr schöne Geschichte ist einfach so rund, einfach so toll und altersgerecht erzählt, dass ich wirklich sehr begeistert bin! Hier passt einfach alles. Daher: absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 30.08.2019
Kachelbads Erbe
Otremba, Hendrik

Kachelbads Erbe


sehr gut

"Die Welt ist aus den Fugen"

Ich mag etwas schräge, geheimnisvolle und philosophische Geschichten und hier kam ich ganz auf meine Kosten.

Los Angeles, Anfang der 80er Jahre. Kachelbad, ein weit im Alter fortgeschrittener deutscher Einwanderer ist in einer Firma tätig, die Leute einfriert. Eine seiner Aufgaben ist es, das Leben derjenigen aufzuschreiben, die bald als "kalte Mieter" im "postmortalen Kälteschlaf" in einem der Stickstofftanks kopfüber aufbewahrt werden, in der Hoffnung, dass irgendwann die Wissenschaft einen Weg findet, sie wieder aufzuwecken. Es sind ganz unterschiedliche Menschen aus allen Teilen der Welt: Schriftsteller, Wissenschaftler, Verrückte, Heroinabhängige und Auftragskiller.
Als nun der Geschäftsführer der Firma überraschend verstirbt, muss Kachelbad die Alleinverantwortung übernehmen, Gelder für die Firma auftreiben und sogar die Folgen eines Erdbebens abfedern.

Der Roman beleuchtet verschiedene Zeitebenen und ist aus den verschiedensten Perspektiven erzählt, wobei sich je nach Protagonist der Schreibstil etwas ändert. Die meisten Figuren gelangen sehr eindrücklich, nur einige wenige überzeugten mich nicht so sehr. Kachelbad, Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte, wurde eigen und rätselhaft, aber sehr sympathisch, verantwortungsbewußt und einfühlsam den Menschen gegenüber gezeichnet.
Der Schreibstil ist sehr bildhaft, manchmal etwas zu geschwätzig. Die Geschichte fesselte mich dennoch sehr. Die Dramatik nahm stetig zu und immer wieder, besonders zum Ende hin, gab es sehr berührende Momente (Kachelbads Liebesgeschichte zu einem jungen Mann ist sehr schön erzählt). Gleichzeitig liest es sich schelmisch, humorvoll und satirisch. Mystische Elemente nehmen ebenfalls Raum ein. Trauminhalte, Gedanken und Wirklichkeit verschwimmen manchmal ineinander. Es wird auch nicht alles erklärt, einiges bleibt für den Leser geheimnisvoll und im Dunkeln.

Die Kryonik wird interessant und realistisch dargestellt und durchaus kritisch beleuchtet.
Die Geschichte ist eingebettet in einige Katastrophen der 80er Jahre, wie Tschernobyl, die Entdeckung des Aidsvirus und schwere Erdbeben. Jeder der Protagonisten hofft hier auf ein bessere Zukunft, aber es wird konstatiert, die Menschheit befinde sich "inmitten einer irreversiblen Katastrophe". Ethische Fragen werden diesbezüglich aufgeworfen, wie nutzt man Macht, wie nutzt man seine Gaben? Und natürlich auch Fragen nach dem Tod, dem Sterben und angesichts dessen auch die Frage nach der Wichtigkeit im Leben und was Bestand hat nach dem Tod. Einige der Protagonisten schreiben, so wird immer wieder über Sprache und das Schriftstellerdasein reflektiert.
Der Roman ist voller spannender Themen, hier wäre jedoch vielleicht weniger etwas mehr gewesen.

Fazit: Ein origineller, schräger, philosophischer und gesellschaftskritischer Roman, mit einer eher pessimistischen, düsteren Prognose für die Menschheit.

Bewertung vom 30.08.2019
Drei
Mishani, Dror

Drei


ausgezeichnet

Meisterhaft erzählt, raffiniert komponiert.

Zurecht ein Bestseller in Israel. Mich hat es voll erwischt, was mir in dieser Form, glaube ich, noch nie passiert ist. Voll erwischt mit Tränen und Schmerz. So richtig, richtig erwischt.

Den Klappentext werde ich nicht weiter ergänzen, um nicht zu viel zu verraten.
Der Roman/ Kriminalroman (?) ist in drei Teile gegliedert, in denen je eine Frau im Mittelpunkt steht. Zuerst Orna. Sie leidet sehr unter der Trennung von ihrem Mann, der eine neue Frau gefunden hat. Auch ihr sensibler Sohn Eran leidet, da der Vater sich einfach nicht mehr meldet.
Der 2. Teil handelt von Emilia, einer lettischen Frau, die als Pflegerin nach Israel kam, kaum des Hebräischen mächtig und völlig einsam.
Die dritte Frau ist Ella, verheiratet mit einem sehr eifersüchtigen Mann. Sie hat drei Kinder, geht aber nochmal zur Universität und schreibt derzeit ihre Master Arbeit.
Sie alle lernen Gil kennen, einen Rechtsanwalt.

Die Sprache ist fein und klar, das Lesen macht wirklich große Freude. Der Roman ist sehr fesselnd, spannend und voller Überraschungen. Er entfaltet zudem eine sehr tiefe Wirkung.
Die Frauen Portraits sind überaus eindrucksvoll und unglaublich berührend gestaltet. Wahnsinn, wie ein Mann so über Frauen schreiben kann. Toll! Der Autor besitzt wahrlich eine sehr gute Beobachtungsgabe, Feingefühl und Empathie. Die Frauen werden gezeigt in ihren verschiedenen Rollen als Mutter, als Berufstätige, Liebende, Suchende uvm. Als Leser ist man sehr nah dran an ihrem Schicksal, ihren Ängsten, Sorgen und Hoffnungen. Ich bemühte mich auf Distanz zu bleiben, doch es gelang mir nicht und so wurde ich immer wieder tief berührt.
Daneben geht es auch um Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit.

Ich würde gern sehr viel mehr erzählen, aber hier kommt es wirklich auf das eigene unmittelbare Leseerlebnis mit all den dann hervorgerufenen Gefühlen und Gedanken an. Und ich will dabei nichts verderben. Also lest dieses Buch, lasst es auf euch wirken und sprecht dann mit Leuten darüber, die es schon gelesen haben…:)

Bewertung vom 29.08.2019
Kintsugi
Kühmel, Miku Sophie

Kintsugi


sehr gut

Der Schreibstil ist sehr bildhaft und etwas verschnörkelt, legt Augenmerk auf Details und liest sich sehr ruhig.
Die Personen und ihre Beziehungen durchleuchtet die Autorin tief und genau. Jede Person erhält ein eigenes Kapitel, in dem aus deren Perspektive erzählt und über sich und die anderen reflektiert wird. Das macht das Ganze natürlich sehr interessant, wie unterschiedlich doch die Wahrnehmungen sein können.
Die Kapitel sind durch Dialoge zwischen den Vieren getrennt. Zudem gibt es eine „Einleitung“ und eine Nachschau. Dieser Aufbau gefiel mir ausnehmend gut.

Thematisch geht es nicht vorrangig um „Kintsugi“, also die Reparatur etwas Entzweigeratenem, sondern eher um das Gewahrwerden eines Bruches.

Leider brauchte ich sehr lange, um wirklich gefesselt und berührt zu werden. Ich langweilte mich anfangs und auch immer mal wieder, weil mir trotz allem das Gewisse Etwas, der Flow fehlte. Über Beziehungsprobleme, Ablöseproblematiken, Freundschaft und Liebeskummer liest man doch recht häufig, zudem mir manches Erzähltes recht belanglos erschien.

Dennoch, noch Tage nach der Lektüre hallte die Geschichte in mir nach. Die Figuren, besonders auch in ihrem Zusammenspiel, sind nämlich sehr eindrücklich und stark gezeichnet. Mir gefiel die Tiefe und das Facettenreichtum dieser speziellen und doch auch alltäglichen Charaktere, wobei Sie mich allerdings nicht in jeder Situation überzeugen konnten.

Fazit: Ein leiser, ernsthafter, psychologisch detaillierter Beziehungsroman mit interessanten Charakteren. Formal ist der Roman recht originell, weiß aber letztendlich wenig Neues zu zeigen. Daher vielleicht eher für etwas jugendlichere Leser geeignet.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.08.2019
Messer / Harry Hole Bd.12
Nesbø, Jo

Messer / Harry Hole Bd.12


weniger gut

Zu einer Soap Opera verkommen

Von Nesbö habe ich fast alles gelesen. Bei der Harry Hole Serie hätte er aber nach Koma aufhören sollen. Den 11. Band fand ich auch schon nicht mehr richtig gut. Eigentlich wollte ich deshalb diesen 12. gar lesen. Leider tat ich es dennoch und es wurde sogar schlimmer als erwartet.

Zum Klappentext will ich gar nicht viel ergänzen. Die Trennung von Rakel und Harry verstand ich über weite Strecken nicht, auch am Ende, als einige Infos mehr dazu kamen, überzeugte mich das nicht.
Relativ zu Beginn wird zudem eine recht wichtige Person ermordet, worüber ich als „Fan“ der Serie irgendwie sauer, traurig und enttäuscht war.

Bei Harrys Ermittlungen, die er eher außerdienstlich und wie oft im Graubereich durchführt, helfen ihm vor allem Kaja Solness, die sich momentan auf Rufbereitschaft des Roten Kreuzes in Oslo befindet und Kriminaltechniker Björn Holm, der sich gerade in Elternzeit um sein Kind kümmert. Harry wirkte jedoch generell in seinem Verhalten eher unsympathisch und seine Frauen Geschichten fand ich einfach nur albern. Verantwortung für seinen Ziehsohn Oleg übernahm er in seinen Handlungen nicht, hier hätte ich ihn bislang anders eingeschätzt. Auch seine Ermittlungen fand ich irgendwie dämlich und unklug.
Viele alte Bekannte treten auf, wobei keiner besonders heraussticht. Katrine Bratt als Dezernatsleiterin wirkt deplatziert und überfordert. Alles in allem wirkte die ganze Story um die Ermittler wie eine billige Soap Opera.

Fahrt nimmt der Krimi erst nach etlichen Seiten auf, aber das ist bei Nesbö jetzt auch nicht neu. Es wird dann stellenweise durchaus fesselnd und es gibt teilweise recht spannende falsche Fährten. Seine Auslassungen über Afghanistan und Soldaten mit PTBS fand ich zwar gut und tendenziell interessant lesbar, aber weder neu noch sonderlich originell.
Der Handlungsstrang um Sven Finne stiess mich mit den geschilderten Vergewaltigungen, samt der Figur an sich, ziemlich ab, da bin ich aber auch eher „ zart besaitet“. Hier zeigte sich aber auch wieder Nesbös Talent, Dinge sehr eindrucksvoll zu schildern.

Letztendlich war ich ziemlich genervt, gelangweilt und enttäuscht, so dass ich nicht mal Lust hatte, die immer wieder erwähnten Musikstücke nachzuhören, was ich ansonsten recht gern tue. Ich begann, Stellen einfach zu überlesen, da mir meine Zeit zu kostbar erschien.
Wer der Täter war, überraschte mich, aber wirklich froh wurde ich damit auch nicht.

Diesmal bin ich ganz sicher, den 13. Band werde ich wirklich nicht mehr lesen. Irgendwie ist die Luft raus.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.08.2019
Erziehen ohne Schimpfen (eBook, ePUB)
Schmidt, Nicola

Erziehen ohne Schimpfen (eBook, ePUB)


sehr gut

Sehr gelungen

Ab und an bin ich um die "artgerecht"- Bücher herumgeschlichen, habe aber jetzt erst zugegriffen, weil mich das Thema gerade sehr beschäftigt. Das Buch habe ich dann auch wirklich verschlungen und es wird mich auf jeden Fall weiterhin begleiten.

Die Autorin stellt wunderbar dar, warum und in welchen Situationen geschimpft wird, welche Folgen dies hat und zeigt gleichzeitig praxisnahe, sehr alltagstaugliche Alternativen auf.
Tiefgründig und auch berührend geht die Autorin auf Überforderungsprozesse und Stressituationen ein. Besonders gefiel mir hierbei die Abschnitte über die Scham- und Schuldgefühle.
Sie zeigt zudem, wie wichtig das Wahren der eigenen Balance in Anbetracht der inneren und äußeren Anforderungen des modernen Lebens ist und gibt diesbezüglich alltagstaugliche Tipps. Ebenso interessant sind die Einblicke in das Leben von Naturvölkern hinsichtlich der Kindererziehung.
Der Praxisteil, der sich auf den Umgang mit den Kindern bezieht, ist sehr überzeugend, hier fand ich viele neue Anregungen, wenngleich man einiges schon intuitiv so macht. So stellt die Autorin beispielsweise dar, wie Kommunikation besser gelingen kann und wie man mit Spielangeboten schwierige Situationen entschärfen kann.

Der Erziehungsratgeber ist gut strukturiert und nach jedem Kapitel gibt es eine kurze Zusammenfassung. Der Schreibstil ist einfach, klar, damit gut lesbar und auch gut nachvollziehbar. Man wird direkt, stets sehr wertschätzend, angesprochen und zur Reflexion angeregt. Ich konnte mich hier gut wiederfinden.

Nun zu meinen Kritikpunkten: Das Artgerecht-Konzept überzeugt mich an sich nicht so ganz, auch stört mich der Begriff, der aus dem Tierreich kommt und im Unterschied zu diesen, ist der Mensch einfach weitaus flexibler.
Dem Ganzen haftet zudem ein ideologischer Hauch an. So erhofft die Autorin einen besseren Menschen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Das geht mir etwas zu weit. Auch zeigt sie zwar die ungünstigen Bedingungen der Moderne auf, wagt aber nicht, das gesellschaftliche System wirklich klar zu kritisieren. Stattdessen verbleibt sie im privaten, wo es dann letztendlich "nur" darum geht, die eigene Selbstfürsorge zu wahren. Für Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern, und Anderen in existenziellen Nöten, ist des zwar notwendig, reicht aber nicht. Hier sind politische Veränderungen notwendig.
Letztendlich fehlt mir noch die klare Definition von Schimpfen. So drängte sich der Eindruck etwas auf, dass schon die etwas erhobene Stimme dem Kind Schaden zufügen könne.

Ich habe noch einige Kritikpunkte mehr, aber, das zeigt eigentlich nur, dass mich das Buch wirklich zum Nachdenken angeregt hat. Und ich muss auch nicht in jeder Hinsicht der gleichen Meinung sein. Das Buch war und ist sehr wertvoll für mich. Es ist wertschätzend und letztendlich nicht direktiv geschrieben und verhalf mir, über den eigenen gewünschten Erziehungstil klarzuwerden sowie meine Perspektive zu verändern. Es erklärte mir einige wesentliche Dinge, zeigte mir, dass ich in meinem Dilemma nicht allein bin und gab mir absolut praxistaugliche Tipps an die Hand.

Daher: Klare Leseempfehlung für Familien mit (kleinen) Kindern!

10 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.08.2019
Der Gesang der Flusskrebse
Owens, Delia

Der Gesang der Flusskrebse


sehr gut

Wichtige Themen, wunderschöne Kulisse, aber etwas kitschig und konstruiert

3,5 Punkte
Ein Familien-, Frauen- und Kriminalroman in Einem, erzählt auf verschiedenen Zeitebenen, die im Verlauf zusammen fließen. Die Kulisse bildet das Marsch- und Sumpfland nahe des Meeres. Die Hauptprotagonistin Kya lebt dort seit ihrer Kindheit ganz allein. Erst von der Mutter, dann von ihren Geschwistern und letztendlich auch von ihrem gewalttätigen alkoholabhängigem Vater verlassen. So wurde dann die Marsch zu ihrer Mutter, die Natur zu ihrer Familie. Sie selbst entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einer Expertin für die dortige Flora und Fauna.
Kya lebt sehr scheu und zurückgezogen. Tate, ein Freund ihres Bruders, bringt ihr als Jugendliche das Lesen bei. Die beiden verlieben sich ineinander, jedoch zieht Tate weg, um auf das College zu gehen. Irgendwann lernt Kya den attraktiven Frauenheld Chase kennen, der um sie wirbt.
Der Leser erfährt gleich zu Beginn, dass Chase tot aufgefunden wurde. Die Ermittlungen weisen bald auf Kya, die schnell zur Hauptverdächtigen wird.

Aufgrund des Titels und auch des Covers (beide gefallen mir ausnehmend gut) hatte ich irgendwie große Erwartungen an einen schönen poetischen Schreibstil. Hier wurde ich leider enttäuscht. Die Sprache ist recht einfach gehalten und auch die eingestreuten Gedichte konnten mich nicht berühren. Die Autorin verwandte sehr viel tierische Metaphern, häufig im Stil von: "flach gegen den Eisschrank gedrückt, wie ein überfahrener Storch" oder "dünn wie 'ne Zecke an 'nem Fahnenmast" oder auch "drinnen ist es heiß wie Wildschweinatem" usw. Das irritierte mich erst ein wenig, dann fand ich es eher unfreiwillig komisch, und entwickelte sich dann zu einem running gag..:) Viele Natur- und Tierbeschreibungen empfand ich leider auch etwas zu dürftig, da die Autorin oft nur benannte, statt beschrieb.
Nichtsdestotrotz öffnete mich der Roman für diese besondere Landschaft, die Marsch, und machte mich sehr neugierig. Viele erwähnten Vögel sah ich mir auch gleich im Internet an, da ich sie nicht kannte.

Die Geschichte wusste mich grundsätzlich zu fesseln. Gegen Ende wurde es mir jedoch etwas zäh und wirklich überraschende Wendungen blieben aus. Einige Dinge fand ich leider auch zu kitschig (z.B. die Liebesgeschichte zu Tate), viele Handlungsabläufe wirkten zu konstruiert und die Protagonisten blieben einseitig und schablonenhaft.

Dennoch gefiel mir Kya, als weibliche Hauptfigur gut. Sie wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Trotz Einsamkeit und Ängsten geht sie ihren eigenen Weg und ist einfach eine starke Frau.
Auch die Themen, die der Roman in sich vereint, haben mich berührt und zum Nachdenken angeregt. Es geht neben der Naturverbundenheit um Familie, Mutterschaft und Liebe sowie um Gewalt gegen Frauen, Rassismus und Ausgrenzung.
An einigen Stellen hätte ich mir jedoch auch hier noch mehr Tiefgründigkeit gewünscht, z.B. zu der bitteren, aber auch spannenden Frage, die Kya zeitlebens beschäftigt: Warum Mütter ihre Kinder verlassen.

Fazit: Ein einfach konstruierter Unterhaltungsroman mit wichtigen Themen und einer wunderbaren Kulisse, der im Gedächtnis bleibt, aber mehr verspricht, als er zu halten vermag.

Bewertung vom 02.08.2019
Dunkelsommer
Jackson, Stina

Dunkelsommer


sehr gut

Sehr atmosphärisch und spannend

Wir befinden uns in Nordschweden in einsamen Gegenden. Es ist Mittsommer. Lelle, Mathematiklehrer, sucht seit 3 Jahren vergeblich seine 17 jährige Tochter Lina. Sie ist eines Tages einfach spurlos verschwunden. Abgehauen? Entführt? Ermordet? Von seiner Frau lebt er mittlerweile getrennt. Er sucht und sucht in allen Winkeln der tiefen Wälder und trifft dabei die seltsamsten Menschen. Er fühlt sich teilweise wie ein Wahnsinniger und vertraut niemandem. Aber kann man ihm eigentlich vertrauen?

Gleichzeitig geht es um Meja. Ein 17 jähriges Mädchen, das mit ihrer psychisch erkrankten und alkoholabhängigen Mutter zu Torbjörn, den diese im Internet kennenlernte, auf ein abgehalftertes Gehöft inmitten im Wald ziehen muss. Niemand weiss so genau, womit er eigentlich sein Geld verdient, aber er ist in der Gegend dafür berüchtigt, die größte Pornosammlung zu haben. Meja hasst es hier und fürchtet sich im Wald. Es dauert jedoch nicht lang und sie lernt Carl-Johan, den jüngsten von drei Brüdern kennen und verliebt sich in ihn.

Diese beiden Handlungsstränge, erst einzeln erzählt, verbinden sich später.

Der Krimi oder "Spannungsroman" besticht durch seine absolut tolle Norrland- Atmosphäre. Das Licht des Mittsommers und die Umgebung mit den dichten Wäldern, einsamen Hütten und Seen sieht man deutlich vor sich. Die Natur wird häufig geschildert, hierauf muss man sich sicherlich einlassen, wird aber durch eine schaurig- schöne Atmosphäre belohnt.

Die Charaktere kann man sich ebenfalls sehr gut vorstellen und wirken in ihrem Verhalten und in ihren Ansichten authentisch.

Die Geschichte ist stringent und schlüssig erzählt und war für mich definitiv spannend! Es gab verschiedene Verdächtige, die es alle durchaus hätten sein können. Immer wieder wurden verschiedenste Hinweise gegeben, wenngleich man etwas erahnen konnte...aber man war sich dennoch nie so ganz sicher...:)

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, fieberte mit, fand es streckenweise etwas traurig und gruselig und am Ende sogar ziemlich berührend.

Fazit: Ein gelungener Kriminalroman: atmosphärisch, spannend, empfehlenswert.

Bewertung vom 01.08.2019
Otto
Suffrin, Dana von

Otto


gut

Gleichzeitig lustig und traurig, bitterböse und liebevoll

Otto wird zum Pflegefall, rang seinen Töchtern aber das Versprechen ab, ihn nie in ein Heim zu geben. So stellen sie eine ungarische Pflegerin ein, besuchen ihn fast täglich und warten im Grunde auf sein Ableben. Aber Otto ist zäh.
Aus Sicht der älteren Tochter Timna werden die Geschehnisse berichtet. Bruchstückhaft und in Zeitensprüngen erfährt man Details aus ihrer Familien- und Ottos Lebensgeschichte.
Otto wuchs in einer jüdischen Familie im rumänischen Siebenbürgen auf, zog von dort nach Israel und danach nach München. Er war als Ingenieur tätig und zweimal verheiratet. Aber auch die Ehe mit Ursula, der Mutter von Timna und ihrer um 1 Jahr jüngeren Schwester Babie hält nicht. Es folgt die Scheidung. Die Kinder leben tageweise bei ihrem Vater und tageweise bei ihrer Mutter, die sich zur Alkoholikerin entwickelt...

Wie die Autorin die Dinge betrachtet und benannt hat, fand ich sehr amüsant und teilweise urkomisch. Sie hat einen schönen scharfen, manchmal wirklich bitterbösen, gleichzeitig aber auch liebevollen Witz, der mich auf fast jeder Seite wirklich zum Schmunzeln brachte! Der jüdische Witz ist ja berühmt, insofern passt ihre Darstellungsweise sehr gut. So heißt es auch: "Ein Jude ist der beste Humorist Europas" (S.124).
Durch diesen allgegenwärtigen Sarkasmus, den schwarzen Humor, wurde ich zu den Figuren und der Handlung etwas auf Distanz gehalten und das war auch teilweise gut so, da die Figuren allesamt eine sehr tragische Seite haben. Psychisch angeschlagen, skurill, teilweise sehr unglücklich. Das machte mich allerdings aufgrund der Schreibweise nicht so arg betroffen. Auch in der Beschreibung des Vaters, las ich für mich eher die Liebe zum Vater, das Verständnis für und Lustigmachen über seine Marotten heraus und das Despotische, Gemeine kam bei mir gar nicht so recht an.
Aufgrund der sehr pointierten und eigenen Erzählweise gerieten bestimmte Situationen und Menschen sehr einprägsam. Auch das Altern fand ich gut dargestellt.
Ein weiterer großer Pluspunkt: ich nahm der Autorin alles ab. Selbst die absurdesten Situationen klangen so normal und authentisch, dass ich teilweise nicht mehr wusste, lese ich jetzt eigentlich eine Autobiographie oder doch einen Roman. Teilweise lag das natürlich auch an den sehr realen dargestellten Fakten des jüdischen Lebens, die immer wieder eine Rolle spielen.

Nun zu den Kritikpunkten: Die große Schwäche sehe ich im Aufbau des Romans. Es sind im Grunde aneinandergereihte Anekdoten, die lose zusammen gehalten sind von Ottos Alterungs- und Sterbeprozess. Es gibt keinen großen Höhepunkt, und es ermüdete mich, diese teils dahinplätschernde Abfolge der Anekdoten zu lesen. Im Mittelteil langweilte ich mich gar. Das Ende empfand ich dann als sehr abrupt.
Die Figuren zeigen wenig bis keine Entwicklung und blieben mir emotional fern. Der Roman endet mit einer emotionalen Aussage, die bei mir aber, durch die zumeist gewahrte Distanz, gar nicht recht ankam.

Der Funke ist daher bei mir, trotz des klugen, traurig- witzigen, angenehm eigensinnigen Schreibstils und einiger wahrlich einprägsamen Anekdoten leider nicht gänzlich übergesprungen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.