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Juti
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Insgesamt 615 Bewertungen
Bewertung vom 04.11.2023
Maman
Schenk, Sylvie

Maman


ausgezeichnet

Wie das Leben so spielt

Schlechter kann ein Leben gar nicht beginnen. Die Mutter stirbt bei der Geburt, einen Vater gibt es nicht, da sie womöglich Prostituierte war. Also Adoption in eine Bauernfamilie, die aber nur am Geld für die Pflege interessiert ist und keinerlei Liebe gegenüber dem Säugling zeigt. Ja einem tritt sie sogar eine Kuh, weshalb ihre Nase ihr Leben lang eine Macke behält.

Doch dann kommt die Wende. Den Behörden fällt auf, dass das Kind vernachlässigt wird und sie wechselt zu einer Mutter, deren Mann sie gerade verlässt. So sorgt sie für ihr Kind und nimmt sich die Zeit, sie nun bestmöglich auf das Leben vorzubereiten.

Ja, trotz ihrer ungeklärten Herkunft gelingt es ihr für die Tochter einen Zahnarzt zu angeln und mit ihm – obwohl echte Liebe wahrscheinlich fehlt – sechs Kinder zu haben. Dass sie später noch einen Seitensprung hatte, ist geschenkt.


Trotz des weniger spannenden Schlussteil hat mich gerade der Anfang so bewegt, die unbekannte Großmutter der Autorin und der ersten Jahre von Mamam so bewegt, dass ich 5 Sterne verschenke. Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, ob das Buch mit dem deutschen Titel „Mama“ auch so gut geworden wäre. Aber das bleibt Spekulation. Keine Spekulation ist, dass diese Buch besser ist, als alle Bücher der Shortlist von 2022.

Zitat: „Mädchen, passt auf, alle Männer sind Schweine“, als wäre auch unser Vater ein Schwein, dieser mal melancholische, mal cholerische Mensch ein Schwein. (22)

Bewertung vom 30.10.2023
Drifter
Sterblich, Ulrike

Drifter


gut

Gute Laune Buch, leider ohne viel Handlung

Killer und Wenzel heißen die beiden Protagonisten, die noch die Dame Vica im glitzernden Kleid finden. Und wenn auch der erste Name zunächst Tote verspricht, so stellt sich doch schnell raus, dass sein Name von Killmann kommt.

Wir lesen die Geschichte von zwei Freunden, die sich schon seit der Schulzeit kennen und wohl etwa im Studentenalter sind. Traurige Themen, wie der Tod von Killers Vater sind zum einen nicht so schlimm, zum anderen hören wir später, dass auch seine Mutter Beziehungen hatte. Besonders schön fand ich: „Manchmal vermutete ich, dass Killers Vater ihm nach seinem Tod aus unbekannten Sphären stetig Glück und Segen zuschusterte, und ich fragte mich, ob ich Ähnliches auch hätte haben können, wenn ich am katholischen Religionsunterricht teilgenommen hätte.“ (97)

Schließlich zieht Killer zurück in das Haus, in dem seine Mutter wohnt – ein Hochhaus mit vielen freien Wohnungen, die dann auch Vica nutzt, wofür Wenzel 2503 Euro erhält. Bei der Diskussion, ob das eine Primzahl ist, findet sich der seltsame Satz: „Weil sie [2503] nur durch null und sich selbst teilbar ist.“ (134) Die null müsste zur eins werden, dann stimmts, aber niemand fällt das auf. Wie tief muss auch der Lektor im Mathematikunterricht geschlafen haben!
Na denn, es gibt noch ein großes Fest, aber viel passiert nicht.


Diese Buch ist das erste der diesjährigen Shortlist, das ich gelesen habe. Sein Glück war, dass mit „die Postkarte“ von Berest und „V13“ von Carrere zwei äußerst tragische, und dann noch historisch belegte Werke gelesen habe. Weiter ist mir später Handke eingefallen, wo auch nicht viel passiert. Dennoch kann ich nicht mehr als 3 Sterne rausrücken und das auch nur gerade so. Ich hoffe sehr, dass die Shortlist dieses Jahr noch mehr im Ärmel hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.10.2023
V13
Carrère, Emmanuel

V13


ausgezeichnet

Chronik des Terrors

Carrère gehört zu meinen Lieblingsautoren und er hat mich wieder nicht enttäuscht.
Ein halbes Jahr saß er im Gerichtsgebäude, wo die Helfer der Attentäter aus Paris 2015 verurteilt wurden. Die Mörder haben sich bei den Anschlägen in die Luft gesprengt.

Eindringlich beschreibt er das Leid der Angehörigen. Um das Wochenende zu feiern, sitzen sie noch an einem warmen Novemberabend oder besuchen ein Rockkonzert im Bataclan. Dann werden sie grundlos niedergeschossen. Überlebende erzählen, sie hätten zunächst an eine Geiselnahme geglaubt, aber bald wird klar: Wer sich bewegt, wird erschossen. Nur am Stade de France scheitern die Terroristen, dennoch stirbt eine Reporterin.

Dann spricht der Autor über die Täter. Einer war wohl zu feige, seinen Sprengstoffgürtel zu zünden – oder war er doch ein Menschenfreund. Genau wissen, werden wir es nie. Andere haben den Terroristen blauäugig geholfen und haben nun den Salat. Begründung des Terrors: Frankreich habe ja Bomben auf Syrien geworfen und dort auch Unschuldige getötet.

Und dann natürlich die Angestellten des Gerichts, das Missverhältnis zwischen den Anwälten der Nebenklägern und den Pflichtverteidigern, die fleißigen Staatsanwälte und die anderen Besucher.

Nach „Die Postkarte“ das zweite Buch, das mich emotional sehr mitgenommen hat. 5 Sterne


Zitat: Im Gefängnis habe Salah Abdesalam oft Schach gespielt, doch habe er damit aufgehört, als ihm klar geworden sei, dass der Koran das verbiete. Auf den Pressebänken stürzen wir uns sofort auf unsere Handys, um zu prüfen, ob das stimmt. Es stimmt nicht. Der Prophet verbietet nur das Glücksspiel und dazu gehört Schach nun wirklich nicht. Der saudi-arabische Großmufti erklärte allerdings dennoch, Schachspielen sei hram, weil es Zeit und Geld koste und Hass unter den Spielern säe. (88)

Bewertung vom 19.10.2023
Die Postkarte
Berest, Anne

Die Postkarte


sehr gut

eine Postkarte – zwei Geschichten

Einer Familie wird eine Postkarte mit nur 4 Namen geschickt. Da stellt sich selbst über 10 Jahre nach Erhalt der Karte die beiden Fragen: Wer sind die vier und wer hat die Postkarte geschrieben?

Ephraim und Emma sind die Großeltern der Mutter der Ich-Erzählerin, Noemie und Jacques ihre Tante bzw. ihr Onkel. Sie gehören zur jüdischen Familie Rabinovitsch, die ursprünglich in Moskau lebte, nach der Revolution aber nach Riga auswandert. Schlechter Kaviar ruiniert ihren Ruf und sie fliehen nach Palästina. Das heiße Mittelmeerklima ist aber nichts für sie und auch die Arbeit in der Landwirtschaft bekommt den beiden nicht. Sie gehen nach Frankreich, aber die Entwicklung in Nazi-Deutschland verhindert ihre Einbürgerung. Dort werden dann zunächst die Kinder Noemie und Jacques von der Gestapo ins Lager gebracht und trotz Widerstand der Lagerärztin nach Ausschwitz gebracht. Auch die Eltern werden später vergast. Nur die älteste Tochter Myriam überlebt, weil sie schon geheiratet hat und nicht mehr am Wohnort der Eltern auf der Liste der Juden steht.

Klar, kannst du sagen, solche Geschichten höre ich nicht zum ersten Mal, aber jedes Unglück ist doch irgendwie anders. Beeindruckt hat mich auch, dass die Auswanderung nach Palästina für die Rabinovitschs zur Nazi-Zeit keine Alternative mehr war.

Der zweite Teil beginnt – in meinen Augen unpassend – mit Antisemitismus in heutiger Zeit, natürlich längst vor dem 7. Oktober 2023, weil die Vorfälle nicht mit der Nazi-Zeit zu vergleichen sind. Dann aber wird die packende Geschichte der Großmutter geklärt und auch aufgelöst, wie die Postkarte zu den Rabinovitschs kam, was ich aber hier nicht verraten werde.

Ein dickes und spannendes Buch, das nur am Anfang des zweiten Kapitels Längen hatte. 4 völlig verdiente Sterne

Bewertung vom 16.10.2023
Moral
Sauer, Hanno

Moral


weniger gut

Was ich immer schon mal sagen wollte

Das Buch des jungen Philosophieprofessor hat mich anfangs beglückt, doch je länger ich es las, desto froher wurde ich, dass es endlich zu Ende war. Aufmerksam wurde ich durch die Empfehlung von Ijoma Mangold bei lesenswert, doch nach der Lektüre wundere ich mich doch sehr, wie er „Moral“ gelesen hat.

Das Inhaltsverzeichnis täuscht eine historische Entwicklung vor, die aber nur rudimentär eingehal­ten wird. Zwar geht es anfangs vor 5 Millionen Jahren um die Unterschiede zwischen Menschen und Affen, doch bin ich mir nicht sicher, ob der von Mangold erwähnte „homo erectus“ überhaupt vorkommt. Der Autor betont vielmehr, dass der Mensch sich mit fremden Artgenossen stundenlang in ein Flugzeug setzen kann, während dies bei Schimpansen im Chaos enden würde.

Der Mensch zieht Nutzen aus der Fähigkeit von Zusammenarbeit. Und wer dies als Trittbrettfahrer ausnutzt, wird bestraft, was das 2. Kapitel behandelt. Bis dahin war ich zufrieden, auch wenn ich manche steile These – wie die Behauptung, dass der Mensch aus Afrika komme, so zu behandeln sei, wie jemand, der seinen verlorenen Schlüssel nachts unter der Laterne suche, weil er dort am besten sehen kann – in Frage stelle.

Im 3. Kapitel geht im dann die Puste aus. Vor 50.000 wird dann der Mensch als solches definiert. Auf die erwartete landwirtschaftliche Revolution wird nur am Rande eingegangen. Und dass Sauter von Religion nicht viel hält, macht er bald in jedem Abschnitt klar. Vor 5.000 Jahren käme dann mit der Landwirtschaft die Ungleichheit ins Spiel. Dass kein Mensch dem andern gleicht, weil wir unterschiedliche Talente und Fähigkeiten haben, vergisst er.

Dann folgt im 5.Kapitel die Definition von „Weird“ – Menschen : western, educated, naturalized , rich, democratic, was er im folgenden als seltsame Menschen betitelt. So kann man auch das Wirken der Aufklärung herabwürdigen.
Sein schriller Ton wie er Leibniz in Form des Lehrers Pangloss abkanzelt, gefällt mir überhaupt nicht: „Dass eine bessere Welt nicht einmal denkbar sein sollte, gehört zu dem baren Unsinn, den zu produzieren die großen Philosophen immer schon ein besonderes Talent hatten.“ (232)

Später bestreitet er noch, die These das Geld nicht glücklich mache, wo ich mich selbst als Gegenbeispiel einbringen würde. Seine aktuelle politischen Aussagen sind so, dass er nichts Neues schreibt und die „Cancel Culture“ als Begriff der Gegenseite abtut.

Erst im Schussteil konnte ich den indonesischen Stämme etwas abgewinnen. In einem Stamm müssen die Jungen die Alten zur Mannwerdung oral befriedigen, was ein anderer Stamm entschieden ablehnt. Aber dafür müssen seine Jungs anal ran. (345)


Nein, der vorgetäuscht historische Aufbau hinterlässt keine klare Linie und hat nur wenig Neues zu bieten. Mehr als 2 Sterne geht leider nicht.

Bewertung vom 09.10.2023
Als Deutschland erstmals einig wurde
Preisendörfer, Bruno

Als Deutschland erstmals einig wurde


gut

berlinlastige Bismarckzeit

Preisendörfer schickt einen so richtig in die Zeit, über die er schreibt. Doch das Ende des 19. Jahrhunderts ist wohl auch so bekannt: Große Familien, hohe Kindersterblichkeit, Wohnungsmangel, lange Arbeitszeiten, Frauen nur hinterm Herd und Antisemitismus. Dazu kommt noch spezifisch für Bismarck der Kulturkampf und die Verherrlichung des preußischen Militärs wegen der Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich. Und immer wieder Zitate von Fontane und Beispiele aus Berlin.

Doch im Gegensatz zu seinen früheren Büchern ist mir das alles wohl bekannt, so dass das überraschende, neue Element fehlte, wenn ich mal vom in Heidelberg geborenen Alois Peteler absehe, der in den USA sein Glück machte (99). Dann würde mich interessieren, welche Grausamkeiten Reichskommissar Peters am Kilimandscharo machte, dass er sogar abberufen wurde (106).

Nicht fehlen dürfen offenbar die wirklich sinnlose Fehler: Es war nicht Carl, sondern seine Frau Bertha, die als erste mit dem Auto nach Pforzheim fuhr (198) und Zürich ist zwar die wichtigste Stadt der Schweiz, aber nicht die Hauptstadt (336).


Na gut, die Fehler sind weniger schlimm, dafür ist auch der Text weniger spannend, also 3 Sterne.

Bewertung vom 07.10.2023
Mann vom Meer
Weidermann, Volker

Mann vom Meer


sehr gut

Berglektüre statt Strandlektüre

Was die SZ Strandlektüre nannte, habe ich in den Bergen gelesen. Und selbst wenn ich nicht auf dem Zauberberg war, so konnte ich doch dem Leben von Thomas Mann etwas abgewinnen.

Außer seiner Joseph-Reihe habe ich noch kein Buch des Nobelpreisinhabers gelesen. Doch mit diesem Werk kommt auch der Wunsch, dies mal zu tun, wenn der Nachttisch leer ist.
Nicht einmal die spannende Biografie seiner aus Brasilien stammende Mutter war mir bekannt. Für die Buddenbrocks wird es also höchste Zeit. Und damit ist wohl auch die Reise nach Lübeck gebucht.

Gegen Ende gefielen mir die Kapitel mit Lieblingstochter Elisabeth nicht mehr so gut. Während anfangs gut erklärt wird, warum Thomas in der Liebe zwischen Männer und Frauen schwankt, werden seine anderen Kinder gar nicht gefragt, was sie davon halten, wenn der Vater eine Tochter offensichtlich bevorzugt. Also 4 Sterne.


Zitat: „Als Thomas Mann einen kurzen Prosatext an die örtliche Zeitung geschickt hatte mit der Bitte um Veröffentlichung, schrieb der Redakteur zurück: „Wenn Sie öfters solche Einfälle haben, sollten sie wirklich etwas dagegen tun.“ Der junge Dichter tat nichts dagegen, sondern veröffentlichte „Vision“ […] eben in seiner eigenen Zeitung.“ (81)

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.09.2023
Diesseits des Van-Allen-Gürtels
Herrndorf, Wolfgang

Diesseits des Van-Allen-Gürtels


sehr gut

Abgefahrene Kurzgeschichten

Nach seinem Tod gilt Wolfgang Herrndorf zu den besten Autoren seiner Zeit. Sein Roman „Tschick“ ist Schullektüre geworden. Ich bin auf dieses Buch mit seinen sechs Kurzgeschichten aufmerksam geworden, weil die fünfte Erzählung „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ der Beitrag von Herrndorf war, den er beim Ingeborg-Bachmann-Preis vorgelesen hat, für den er den Publikumspreis gewonnen hat.

Und tatsächlich ist diese Geschichte die beste. Ein von der Raumfahrt überzeugter Junge wird vom Ich-Erzähler dazu gebracht, zu glauben, dass die Mondlandung von Hollywood inszeniert wurde. In der letzten Geschichte geht es dann um den Kannibalen von Rotenburg, der im Internet sein Opfer fand, das er gegessen hat.

Der Inhalt der ersten Geschichte steht in der Produktbeschreibung, im Oderbruch wurde dem Erzähler das Auto geklaut und er landet bei einem seltsamen Mädel. Die zweite und vierte Geschichte habe ich gelesen, aber mehr oder weniger vergessen.


Seltsame Menschen stehen immer im Mittelpunkt. Doch weil ich von zwei Geschichten den Inhalt nicht mehr erinnere, kann ich nur 4 Sterne vergeben.

Bewertung vom 17.09.2023
Die Versuchung von Syrakus
Sartorius, Joachim

Die Versuchung von Syrakus


ausgezeichnet

Literarischer Reiseführer der sizilianischen Stadt

Ijoma Mangold sagte in lesenswert mit diesem Buch kaufe man auch die Reise nach Syrakus. Recht hat er. Wie der Autor die Fäden der langen Geschichte von der Blütezeit unter den Griechen in der Antik bis zu langsamen Niedergang in der Gegenwart zieht, ist meisterlich. Dabei vergisst er auch die Aufklärer nicht, allen voran August von Platen, dessen Grab er mühevoll sucht.

Doch auch die Gegenwart kommt nicht zu kurz. Wie die Schwimmer von Syrakus beschrieben werden, wie sie im Tagesverlauf wechseln ist wie der Name der oben genannten Sendung lesenswert. 5 Sterne

Bewertung vom 17.09.2023
Geschichte Des Modernen Reichtums In Biographischen Und Sachlichen Beispielen (1898)
Schmidt-Weissenfels, Eduard

Geschichte Des Modernen Reichtums In Biographischen Und Sachlichen Beispielen (1898)


gut

Dieses Buch aus dem Jahr 1893 habe ich nur wegen einer Seite ausgeliehen: Auf S.115 steht, dass der in Heidelberg geborene Alois Peteler auf Staten Island die Stadt Heidelberg mit Schloss nachgebaut hat, damit er aus den Fenstern seines Hauses seine Heimatstadt möglichst echt sehen kann. Der Nachbau ist nämlich nicht aus Holz, sondern aus Stein. Danke ans Bismarck-Buch von Preisendörfer. Sagen wir mal 3 Sterne.