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Juti
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HD

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Insgesamt 611 Bewertungen
Bewertung vom 24.11.2023
Öde Orte

Öde Orte


gut

manchmal veraltet, manchmal zeitlos

Wie das bei Ortsbeschreibungen so ist, konnte man in Berlin-Köpenik wohl kaum ahnen, dass man dort zum ersten Fußballclub der Hauptstadt aufsteigen würde. Und auch das kann bald Geschichte sein. Und wie im ersten Band solcher Sammlungen üblich, müssen alle vier Millionenstädte Deutschlands vertreten sein.

Daneben finden sich aber auch Orte wie Bad Homburg und Oberursel. „Das Beste an Oberursel ist höchstwahrscheinlich, dass es nicht Bad Homburg ist.“ (160)
Zeitlos ist auch „Göttingähn“ (95).

Kaiserslautern wird immer noch nur mit Fußball in Verbindung gebracht und ob die Orte Rom und Texas in Meck-Pomm tatsächlich in dieses Buch gehören, sei dahingestellt.

Also ein Neuauflage der öden Orte würde ich mir schon wünsche, für die ollen Kamelle gibt es aber nur 3 Sterne.

Bewertung vom 23.11.2023
Napoleon Bonaparte
Deinet, Klaus

Napoleon Bonaparte


sehr gut

geschlossene Bildungslücke

Da erzählte mir eine Putinversteherin, der Napoleon war ein aufrechter Demokrat. Er habe sich nur verteidigt und hätte die Revolution verteidigt. Grund genug eine Biografie zu lesen.

Wahr ist, dass Napoleon in der Tat nicht zurück zur Monarchie wollte. Er war beliebt beim französischem Volk, doch wählen lassen hat er sich nicht.

Und angegriffen und Menschenleben geopfert hat er wie ein Weltmeister. In Spanien und Tirol gab es Widerstandskämpfer. In Deutschland dagegen hatte er auch Fans. Anfangs auch Beethoven, aber er war nach seiner Kaiserkrönung bekehrt. Heine blieb sein Anhänger, von den anderen Romantikern ist keine Rede.
Doch stellt sich in der Tat die Frage, ob der Ausdruck „Befreiungskriege“, der in Preußen populär wurde, so stimmt. Eigentlich profierte nur das preußische Königshaus vom Sieg über Napoleon.

Der alte Zustand wurde trotzdem nur teilweise wiederhergestellt. Preußen erhielt im Rheinland viele Gebiete die vorher der Kirche gehörten.


Da es meine erste Napoleon Biografie war, kann ich schlecht beurteilen, ob alles stimmt. Es erscheint mir aber alles plausible und außer kleiner Längen am Anfang sehr interessant. 4 Sterne

Bewertung vom 17.11.2023
Einzeller
Klemm, Gertraud

Einzeller


ausgezeichnet

Grandiose Satire auf den Feminismus

Im Lesenswert-Quartett war Insa Wilke die einzige, die Bedenken äußerte. Und ich kann das zwar durchaus verstehen, weil das Buch die Bewegung des Feminismus in ein schlechtes LIcht stellt, doch teile ich ihre Meinung nicht.

Vor allem Simone wird der Spiegel vorgehalten. Sie kämpft für die Rechte der Frauen, aber hat Probleme mit Transfrauen. Außerdem sieht sie nicht, dass der schönen und jungen Lilly die Herzen zufliegen. So reduziert sich der Wunsch nach Gleichbehandlung von Frauen und Männern dann nur auf ihren schönen Brüste. Die beiden anderen Frauen in der WG Bienenstock spielen allenfalls eine Nebenrolle.

Nicht nur der Feminismus, auch die Mediengesellschaft wird durch das Format Big-Sister aufs Korn genommen. Und immer wieder wird auch der soziale Aspekt des unterschiedlichen Verdienstes angesprochen und das Christentum als Männerreligion kritisiert.

Mir gefällt besonders gut, der Perspektivwechsel zwischen Simone und Lilly. Das letztere am Ende noch schwanger wird, musste meines Erachtens nicht sein, aber bitte. Dennoch 5 Sterne.

Zitate:
Lilly hat den Aufnahmetermin falsch notiert und ist in das Shooting geplatzt, mit einem tief ausgeschnittenen Shirt, ohne BH. Der Kameramann, ein flachsiger Tiroler mit tiefen Augenringen und Wollhaube, richtet sein Objektiv ab da lieber auf Lillys sich magisch unter dem Shirt bewegenden Brüste als auf Simone und ihre Feministinnen. (120)

Was kann Lilly dafür, dass sie so ist, wie sie ist? Dass sie keinen BH getragen hat an diesem Tag? In ihrem Alter und mit ihren Brüsten passiert so was eben. Ist es nicht feministisch, seinem Busen mal einen Tag frei zu geben? Bis jetzt ist das niemanden, den sie kennt, aufgefallen. Nur ein paar geilen Männern und verbissenen Feministinnen, die sich jetzt die Finger darüber wundposten, dass sie sich sexuell in Szene gesetzt habe. (143)

Bewertung vom 09.11.2023
Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, 47: Alexander von Humboldt Kurt-R. Biermann. [Hrsg. von D. Goetz ...]
Biermann, Kurt R

Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, 47: Alexander von Humboldt Kurt-R. Biermann. [Hrsg. von D. Goetz ...]


sehr gut

Privates vom Weltreisenden

Wer denkt, Humboldt hätte nie biographisches geschrieben, der irrt. Vor seiner Amerika-Reise hat er sich vermutlich beim spanischen König beworben. Jedenfalls enthält er mit Erfahrungen „längst der grünen buschigten Dünen am Haager Meeresstrande“ (38) sehr persönliche Erlebnisse.

Auch private Briefe sind darin, einen Freund habe er geschrieben, dass er in England krank war, allerdings habe ich die Stelle nicht gefunden.
4 Sterne

Bewertung vom 07.11.2023
Verschwunden (Ein Riley Paige Krimi - Band 1) (eBook, ePUB)
Pierce, Blake

Verschwunden (Ein Riley Paige Krimi - Band 1) (eBook, ePUB)


weniger gut

Oh Mann, wieder ist eine Kritik verschwunden. Wenn ich nur wüsste, wo sie ist und wann sie kommt.

Bewertung vom 07.11.2023
Feuer
Pourchet, Maria

Feuer


gut

Von der 3sat-Buchzeit verführt

In dieser Buchzeit lief ein etwa dreiminütiger Film, der viel versprach. Aber das Buch kann die geweckten Erwartungen nicht erfüllen.

Anfangs musste ich mich an die Erzählperspektive gewöhnen. Der Liebhaber, der seine Körperwerte nahezu manisch notiert und seinen Hund „Papa“ – auch irreführend – immer wieder anspricht. Dagegen wird ist von der Familienmutter immer in der 2. Person die Rede.

Die Endszene im Film, dass Tochter Vera den Hundesitterjob beim Liebhaber übernimmt kommt erst im letzten Teil, so dass die Zuspitzung der Handlung anders als im Film verläuft. Und die so spannend begonnene Amour fou endet anders und, wie ich finde, langweiliger als erwartet.


Auch wenn gerade die Stellen aus dem Berufsleben langatmig waren, so gibt es von mir dennoch 3 Sterne, da ich stellenweise doch gut unterhalten wurde.

Zitate: Was für ein Albtraum, ein Mann zu sein, schießt es dir wieder durch den Kopf. Ich bin eine Frau mit kurzem Atem, Warten bringt mich um. (76)

Zwanzig Mal gibt seine Stimme dir die Details einer Hotelrechnung durch, während du sorglos auf der nackten Brille sitzt und mit beiden Händen deinem unter Hochspannung stehenden Geschlecht Erleichterung verschaffst. (94f)

Ich habe mich ertappt, wie ich mir die Sache vorstellte, ich an ihrer Stelle. Ich würde den ganzen Tag damit verbringen, mir an die Brüste zu fassen. (160)

Bewertung vom 04.11.2023
Maman
Schenk, Sylvie

Maman


ausgezeichnet

Wie das Leben so spielt

Schlechter kann ein Leben gar nicht beginnen. Die Mutter stirbt bei der Geburt, einen Vater gibt es nicht, da sie womöglich Prostituierte war. Also Adoption in eine Bauernfamilie, die aber nur am Geld für die Pflege interessiert ist und keinerlei Liebe gegenüber dem Säugling zeigt. Ja einem tritt sie sogar eine Kuh, weshalb ihre Nase ihr Leben lang eine Macke behält.

Doch dann kommt die Wende. Den Behörden fällt auf, dass das Kind vernachlässigt wird und sie wechselt zu einer Mutter, deren Mann sie gerade verlässt. So sorgt sie für ihr Kind und nimmt sich die Zeit, sie nun bestmöglich auf das Leben vorzubereiten.

Ja, trotz ihrer ungeklärten Herkunft gelingt es ihr für die Tochter einen Zahnarzt zu angeln und mit ihm – obwohl echte Liebe wahrscheinlich fehlt – sechs Kinder zu haben. Dass sie später noch einen Seitensprung hatte, ist geschenkt.


Trotz des weniger spannenden Schlussteil hat mich gerade der Anfang so bewegt, die unbekannte Großmutter der Autorin und der ersten Jahre von Mamam so bewegt, dass ich 5 Sterne verschenke. Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, ob das Buch mit dem deutschen Titel „Mama“ auch so gut geworden wäre. Aber das bleibt Spekulation. Keine Spekulation ist, dass diese Buch besser ist, als alle Bücher der Shortlist von 2022.

Zitat: „Mädchen, passt auf, alle Männer sind Schweine“, als wäre auch unser Vater ein Schwein, dieser mal melancholische, mal cholerische Mensch ein Schwein. (22)

Bewertung vom 30.10.2023
Drifter
Sterblich, Ulrike

Drifter


gut

Gute Laune Buch, leider ohne viel Handlung

Killer und Wenzel heißen die beiden Protagonisten, die noch die Dame Vica im glitzernden Kleid finden. Und wenn auch der erste Name zunächst Tote verspricht, so stellt sich doch schnell raus, dass sein Name von Killmann kommt.

Wir lesen die Geschichte von zwei Freunden, die sich schon seit der Schulzeit kennen und wohl etwa im Studentenalter sind. Traurige Themen, wie der Tod von Killers Vater sind zum einen nicht so schlimm, zum anderen hören wir später, dass auch seine Mutter Beziehungen hatte. Besonders schön fand ich: „Manchmal vermutete ich, dass Killers Vater ihm nach seinem Tod aus unbekannten Sphären stetig Glück und Segen zuschusterte, und ich fragte mich, ob ich Ähnliches auch hätte haben können, wenn ich am katholischen Religionsunterricht teilgenommen hätte.“ (97)

Schließlich zieht Killer zurück in das Haus, in dem seine Mutter wohnt – ein Hochhaus mit vielen freien Wohnungen, die dann auch Vica nutzt, wofür Wenzel 2503 Euro erhält. Bei der Diskussion, ob das eine Primzahl ist, findet sich der seltsame Satz: „Weil sie [2503] nur durch null und sich selbst teilbar ist.“ (134) Die null müsste zur eins werden, dann stimmts, aber niemand fällt das auf. Wie tief muss auch der Lektor im Mathematikunterricht geschlafen haben!
Na denn, es gibt noch ein großes Fest, aber viel passiert nicht.


Diese Buch ist das erste der diesjährigen Shortlist, das ich gelesen habe. Sein Glück war, dass mit „die Postkarte“ von Berest und „V13“ von Carrere zwei äußerst tragische, und dann noch historisch belegte Werke gelesen habe. Weiter ist mir später Handke eingefallen, wo auch nicht viel passiert. Dennoch kann ich nicht mehr als 3 Sterne rausrücken und das auch nur gerade so. Ich hoffe sehr, dass die Shortlist dieses Jahr noch mehr im Ärmel hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.10.2023
V13
Carrère, Emmanuel

V13


ausgezeichnet

Chronik des Terrors

Carrère gehört zu meinen Lieblingsautoren und er hat mich wieder nicht enttäuscht.
Ein halbes Jahr saß er im Gerichtsgebäude, wo die Helfer der Attentäter aus Paris 2015 verurteilt wurden. Die Mörder haben sich bei den Anschlägen in die Luft gesprengt.

Eindringlich beschreibt er das Leid der Angehörigen. Um das Wochenende zu feiern, sitzen sie noch an einem warmen Novemberabend oder besuchen ein Rockkonzert im Bataclan. Dann werden sie grundlos niedergeschossen. Überlebende erzählen, sie hätten zunächst an eine Geiselnahme geglaubt, aber bald wird klar: Wer sich bewegt, wird erschossen. Nur am Stade de France scheitern die Terroristen, dennoch stirbt eine Reporterin.

Dann spricht der Autor über die Täter. Einer war wohl zu feige, seinen Sprengstoffgürtel zu zünden – oder war er doch ein Menschenfreund. Genau wissen, werden wir es nie. Andere haben den Terroristen blauäugig geholfen und haben nun den Salat. Begründung des Terrors: Frankreich habe ja Bomben auf Syrien geworfen und dort auch Unschuldige getötet.

Und dann natürlich die Angestellten des Gerichts, das Missverhältnis zwischen den Anwälten der Nebenklägern und den Pflichtverteidigern, die fleißigen Staatsanwälte und die anderen Besucher.

Nach „Die Postkarte“ das zweite Buch, das mich emotional sehr mitgenommen hat. 5 Sterne


Zitat: Im Gefängnis habe Salah Abdesalam oft Schach gespielt, doch habe er damit aufgehört, als ihm klar geworden sei, dass der Koran das verbiete. Auf den Pressebänken stürzen wir uns sofort auf unsere Handys, um zu prüfen, ob das stimmt. Es stimmt nicht. Der Prophet verbietet nur das Glücksspiel und dazu gehört Schach nun wirklich nicht. Der saudi-arabische Großmufti erklärte allerdings dennoch, Schachspielen sei hram, weil es Zeit und Geld koste und Hass unter den Spielern säe. (88)

Bewertung vom 19.10.2023
Die Postkarte
Berest, Anne

Die Postkarte


sehr gut

eine Postkarte – zwei Geschichten

Einer Familie wird eine Postkarte mit nur 4 Namen geschickt. Da stellt sich selbst über 10 Jahre nach Erhalt der Karte die beiden Fragen: Wer sind die vier und wer hat die Postkarte geschrieben?

Ephraim und Emma sind die Großeltern der Mutter der Ich-Erzählerin, Noemie und Jacques ihre Tante bzw. ihr Onkel. Sie gehören zur jüdischen Familie Rabinovitsch, die ursprünglich in Moskau lebte, nach der Revolution aber nach Riga auswandert. Schlechter Kaviar ruiniert ihren Ruf und sie fliehen nach Palästina. Das heiße Mittelmeerklima ist aber nichts für sie und auch die Arbeit in der Landwirtschaft bekommt den beiden nicht. Sie gehen nach Frankreich, aber die Entwicklung in Nazi-Deutschland verhindert ihre Einbürgerung. Dort werden dann zunächst die Kinder Noemie und Jacques von der Gestapo ins Lager gebracht und trotz Widerstand der Lagerärztin nach Ausschwitz gebracht. Auch die Eltern werden später vergast. Nur die älteste Tochter Myriam überlebt, weil sie schon geheiratet hat und nicht mehr am Wohnort der Eltern auf der Liste der Juden steht.

Klar, kannst du sagen, solche Geschichten höre ich nicht zum ersten Mal, aber jedes Unglück ist doch irgendwie anders. Beeindruckt hat mich auch, dass die Auswanderung nach Palästina für die Rabinovitschs zur Nazi-Zeit keine Alternative mehr war.

Der zweite Teil beginnt – in meinen Augen unpassend – mit Antisemitismus in heutiger Zeit, natürlich längst vor dem 7. Oktober 2023, weil die Vorfälle nicht mit der Nazi-Zeit zu vergleichen sind. Dann aber wird die packende Geschichte der Großmutter geklärt und auch aufgelöst, wie die Postkarte zu den Rabinovitschs kam, was ich aber hier nicht verraten werde.

Ein dickes und spannendes Buch, das nur am Anfang des zweiten Kapitels Längen hatte. 4 völlig verdiente Sterne