Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
KrimiElse

Bewertungen

Insgesamt 73 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2018
Ein mögliches Leben
Köhler, Hannes

Ein mögliches Leben


sehr gut

Spurensuche

Hannes Köhler hat in seinem Buch „Ein mögliches Leben“ einen spannende und interessante Geschichte über einen deutschen Wehrmachtssoldaten in Amerikanischer Kriegsgefangenschaft am Ende des zweiten Weltkrieges zu erzählen. Er verknüpft dies geschickt mit der Familiengeschichte des alten Franz, der sich mit seinem Enkel Martin auf eine Reise in die Vergangenheit und zu den Orten seiner Gefangenschaft in den USA begibt, die er sich seit vielen Jahren gewünscht hat und die er als uralter Mann endlich unternimmt.

Ganz nahe ist man dem Alten und seinen Erinnerungen an die Zeit seiner Gefangenschaft in den USA, vom Zeitpunkt der Gefangennahme in der Normandie, bei der seine Erleichterung und gleichzeitige Scham über das Davonkommen vom Krieg spürbar ist, bei den Anfeindungen und Übergriffen strammer Hitlergetreuer Deutscher im Lager in sengender texanischer Sonne und bei seinem fast gelöstem Lagerleben in Utah, wo er für einen amerikanischen Offizier als Übersetzer und Fahrer arbeiten darf.
Man spürt in den Erinnerungen seinem Wandel zum Demokraten und den Gründen für sein schweigsames und gegenüber Frau und Tochter abgeschottetes Leben in Deutschland nach. Erst der Enkel Martin schafft es, obwohl sich die beiden Männer bei Beginn der Reise eigentlich fremd sind, dass Franz sich öffnet und auch gegenüber der einstmals verstoßenen Tochter Barbara Sprache und Erklärungen zu finden vermag.

Die Geschichte entwickelt nach einem für mich etwas langweiligem Einstieg in der Gegenwart einen Sog, dem man sich nicht zu entziehen vermag. Die Erinnerungen des alten Franz an seine Gefangenschaft, sein Freundschaft zu einem Mitgefangenen, seine Zerrissenheit zwischen der ihm eingebläuten Kameradschaft gegenüber den deutschen Mitgefangenen und der humanistisch-demokratischen Gesinnung, die in ihm wächst, sind beim Lesen fast greifbar und halten gepackt.
Fast atemlos, ein bisschen mäandernd und mit vielen Rückblicken auf die familiäre Basis und die nationalsozialistische Prägung zur Zeit der Machtübernahme durch Hitler bis zum Kriegseintritt erinnert sich Franz und man ist hier wirklich dicht bei ihm.
Ich liebe diese Art des Erzählens mit langen, aber nicht bandwurmlangen Sätzen ohne wörtliche Rede, bei der man den für mich intensivsten Eindruck der Gedanken des Protagonisten hat.

Was mich ein bisschen gestört hat ist der für mich nicht besonders interessante Einstieg in die Geschichte in der Gegenwart, bei der Martins Leben im Vordergrund steht, während er seinen Großvater trifft und sich mit ihm auf die Reise in die USA begibt. Das bewog mich dazu, einen Stern abzuziehen, weil hier ein bisschen Durchhalten gefordert ist, auch wenn es nicht allzu viele Seiten sind.

Insgesamt hat mich das Buch beeindruckt, hervorragend recherchiert bietet es eine für mich spannende, ungewöhnliche und interessante Geschichte über einen POW (Prisoner of War) und dessen Wandel aus nationalsozialistischer Erziehung und Kameradendenken heraus zum humanistischen Demokraten, sein Zwiespalt, der sich für mich auch in der Familiengeschichte widerspiegelt.

Bewertung vom 02.04.2018
Das Geheimnis der Muse
Burton, Jessie

Das Geheimnis der Muse


sehr gut

Wirklich gute Unterhaltung

„...aber gibt es überhaupt so etwas wie künstlerischen Triumph, eine ganze Geschichte, eine richtige Art, durch eine Glasscheibe zu schauen? Es kommt immer auf den Lichteinfall an.“

Ein ungewöhnliches Kunstwerk, geschaffen in den 1930er Jahren kurz vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges in Andalusien, gelangt als sensationeller Fund an eine Kunstgalerie ins London der 1960er Gemälde verbindet die Geschichten zweier junger Frauen aus verschiedenen Zeiten, die der 19jährigen Künstlerin Olive Schloss, die 1936 in der Nähe von Málaga lebte und arbeitete, und die von Odelle Bastien, einer jungen Kreolin aus Trinidad stammend, die in London 1967 ihren Traum vom Schreiben verwirklichen möchte. Das surrealistische Gemälde, das dem Andalusier Isaac Robles zugeordnet wird, verwickelt Odelle in eine geheimnisvolle Geschichte über Wahrheit und Täuschung, über Sein und Schein und über geheimnisvoll gesponnene Fäden, sie sie zu entwirren sucht.

Auf spannende und höchst interessante Art wird man beim Lesen zum einen in die Andalusische Hitze Südspaniens im Jahr 1936 zu Olive Schloss geführt, mit den gehrenden Konflikten zwischen Republikanern und Faschisten, zwischen denen sich die Familie Schloss zunächst scheinbar sorglos auf einer dörflichen Finca nahe Málaga dem südlichen Flair ergibt. Zum anderen begleitet man Odelle auf ihrer Spurensuche in London 1967 zwischen ihrem Job in der Skelton Kunstgalerie mit ihrer Vorgesetzten, der exzentrisch anmutenden Majorie Quick, und ihrem Verehrer und Besitzer des ungewöhnlichen Gemäldes Lawrie Scott.
Sehr geschickt schafft es die Autorin, das Geheimnis um die beiden jungen Frauen häppchenweise preiszugeben, das Tuch oft nur für einen kurzen neugierigen Blick zu lüften und dem Rätsel langsam näher zukommen. Beide Frauen sehen sich Konflikten in künstlerischer Hinsicht und auch bezüglich leidenschaftlicher Liebe ausgesetzt, die ihr Leben auf den Kopf stellen.

Glaubhaft verknüpft Jessie Burton die Geschichte mit den historischen Gegebenheiten in Spanien, bei denen die Gefahr durch die Faschisten in der lange republikanisch beherrschten Gegend um Málaga immer greifbarer wird und wo sehr persönlich motivierte Greueltaten von Faschisten und extremen Anarchisten an der Tagesordnung waren.
Und in London 1967 bekommt man die Borniertheit und knöcherne verstaubte ignorante Überheblichkeit und Dummheit der ehemaligen Kolonialmacht gegenüber einer Einwanderin aus der Karibik zu spüren, die sich trotz ihrer hohen Universitären Bildung zunächst als Schuhverkäuferin und später als Sekretärin verdingen muss.

Mir hat die Geschichte um das Gemälde und um die beiden Frauen Olive und Odelle gut gefallen, als Unterhaltungsliteratur, die greifbare und dreidimensionale Charaktere mit glaubhaft nachvollziehbaren Konflikten erzeugt, eine gute, ungewöhnliche und stellenweise überraschende Geschichte spannend erzählt.
Und auch wenn mir nach der Auflösung ganz am Ende des Buches einiges etwas zu schön gezeichnet war und sich etwas zu gut fügte, glitt das Buch im Rahmen dessen, als was man es sehen sollte - nämlich einfach gute Unterhaltung - nie in Trivialitäten und Klischees ab, was mich zu einer Leseempfehlung und die Vergabe von vier Sternen veranlasst.

Bewertung vom 02.04.2018
Olga
Schlink, Bernhard

Olga


ausgezeichnet

Liebe und Emanzipation

Vom späten 19.Jahrhundert bis in die 1970er Jahr entspinnt sich das Schicksal der Protagonistin Olga in Bernhard Schlinks neuestem Roman, der mit viel Wärme und einen umwerfenden Bezug zum Zeitgeschehen in den Bann zu ziehen vermag.

Erzählt wird das Schicksal eines deutsch/polnischen Waisenmädchens, das in Pommern bei der kühlen Großmutter aufwächst und sich abseits aller Konventionen in den Sohn des ortsansässigen reichen deutschstämmigen Gutsherren verliebt. Olga geht unter Berücksichtigung der damaligen Zeit einen sehr emanzipierten und ungewöhnlichen Weg. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend schafft sie es, ohne entsprechenden Schulbesuch der Schule für höhere Töchter den Zugang zum Lehrerinnenseminar zu erhalten und später als Lehrerin zu arbeiten.
Schon seit ihrer Kindheit ist sie eine einsame Außenseiterin, die Verbindung zu ihresgleichen sucht. Jenseits der üblichen Verbandelungen zwischen Grundbesitzern und armen Pächtern trifft sie sich mit Herbert, dem Gutsbesitzersohn, auf Augenhöhe, und die beiden verlieben sich ineinander.
Olga hat den unabdingbaren Wunsch und Willen zur Unabhängigkeit, während Herbert rastlosen Bewegungsdrang verspürt und als Kämpfer nach Eintritt ins Garderegiment in die Ferne zieht, zuerst nach Deutsch-Südwestafrika in den Kolonialkrieg Anfang des 20. Jahrhunderts im heutigen Namibia. Olga steht diesem Kampf wie auch dem späteren deutschen Größenwahn sehr skeptisch gegenüber.
Sie erlebt den ersten und schließlich auch den zweiten Weltkrieg, wird vertrieben aus ihrer Heimat und findet neue Heimat. Stets handelt sie so, dass sie ihre Ideale erhält und ihnen treu bleibt, im Gegensatz zu den ihr am Herzen liegenden Männern.

Eindringlich und behutsam beschreibt Bernhard Schlink dieses Frauenschicksal einer klugen, belesenen, menschlichen Person, die leise und scheinbar mühelos lebt, aber dennoch gehört wird und ihren Weg verfolgt. Fast ein bisschen distanziert ist der anfängliche Stil, als man das junge Liebespaar Olga und Herbert aus der Ferne betrachtet, nahe und berührend hingegen der letzte Teil, als Olga selbst durch Briefe zu Wort kommt.

Ein sehr lesenswertes Buch ohne ganz große Überraschungen ist Olgas Lebensgeschichte, dennoch nicht zuletzt durch den geschichtlichen Hintergrund spannend und anregend, einfach empfehlenswert.

Bewertung vom 02.04.2018
Lied der Weite
Haruf, Kent

Lied der Weite


ausgezeichnet

Unaufgeregter Kleinstadtroman
Seine sechs Romane hat der amerikanische Autor Kent Haruf in einer fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado spielen lassen.
Wenn man sich die Bilder des Journalisten Max Liu anschaut, die er 2014 bei einem Interview mit dem amerikanischer Autor aufnahm und die die Gegend von Colorado zeigen, in der Holt angesiedelt sein könnte, erblickt man karges, braunes, trockenes, baumloses und flaches langweiliges Land mit ein paar spärlichen Farmerhäusern und schnurgeraden Wegen und Straßen. Kein Ort, an den ich auch nur einen Gedanken verschwenden würde, geschweige denn mich wohlfühlen könnte.
Die 17jährige Victoria wird von ihrer Mutter hinausgeworfen nachdem sie schwanger von ihrer Sommerliebe Dwayne geworden war. Sie möchte das Kind austragen, auch wenn sie keine Ahnung hat, wo der Vater des Kindes lebt, den sie eigentlich kaum kennt. Ihre Lehrerin Maggie schickt sie zu den Brüdern McPheron, zwei alten Viehzüchtern, die seit Jahrzehnten allein auf ihrer abgelegenen Farm leben. Nachdem die beiden anfangs etwas widerwillig Victoria bei sich aufnehmen, entwickelt sich bei Raymond und Harold etwas schwerfällig und sehr unbeholfen eine tiefe Zuneigung zu dem schüchternen und stillen jungen Mädchen. Sie haben keinerlei Erfahrung mit jungen Frauen, sind aber auf absolut rührende und beim Lesen oft witzige Weise bemüht, alles richtig zu machen, um das Mädchen nicht zu verschrecken und zu vertreiben und ihr ein Heim zu bieten.
Tom Guthrie, ebenfalls Lehrer an der Highschool von Holt, kämpft nach einer zerbrochenen Ehe gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Ike und Bobby gegen die Einsamkeit. Die beiden Jungen haben einen einfachen und festen Tagesrhythmus mit Zeitung Austragen, Schule und Arbeit am Nachmittag, der vom Auszug der Mutter durcheinander gebracht wird. Kindlich und eng aneinander gebunden finden sich die Jungen in ihr Schicksal, versuchen Auswege aus der Langeweile während der Ferien zu finden und bemühen sich bei Besuchen um ihre depressive Mutter. Tom Guthrie sucht und findet neue Liebe auf die typisch kleinstädtische Art unter Beobachtung aller Augen.
Es ist kein schönes oder angenehmes Leben in der langweiligen Prärie von Colorado, das der Roman beschreibt, sondern das harte Erarbeiten von Lebensmut in karger und abweisender Umgebung. Im Gegensatz dazu beschreibt Kent Haruf seine Figuren voller warmer Melancholie und Aufrichtigkeit, lässt sie ohne große Abschweifungen ihren Alltagsgeschäften nachgehen. Man spürt jedoch in jedem Satz, wie sehr die Menschen aufeinander aufpassen und füreinander da sind, auch wenn dies erst auf den zweiten Blick deutlich wird und manch einer einen Schubs aus seiner Einsamkeit und Eingefahrenheit heraus braucht. Es wird im Laufe der Geschichte sehr deutlich, dass nicht nur Blutsverandschaft Familie und Geborgenheit ausmacht, sondern dass sich Zusammengehörigkeit manchmal erst ergeben muss und man sich seine Familie selbst sucht.
Mit großer Selbstverständlichkeit und knapper, fast spröder Sprache wird die Geschichte aufgerollt. Obwohl wenig Spannung in die Geschehnisse gebracht wird nimmt das Buch sehr gefangen und wenn man sich einmal auf die Kleinstadt Holt und die manchmal fast ruppigen Figuren eingelassen hat, lässt es den Leser nicht mehr los.
Mich hat diese Art des Erzählens in all ihrer Gelassenheit und Unaufgeregtheit sehr fasziniert, ich habe beim Lesen die Kraft und den Sog deutlich gespürt, den die Geschichte entwickelt und habe am Ende das Buches sehr ungern zugeklappt.
Für mich ist der preisgekrönte Roman „Lied der Weite“ ein sehr beeindruckendes und nachhaltig wirkendes Stück Literatur eines großen Schriftstellers, den man als Liebhaber tiefgründiger Romane gelesen haben sollte.

Bewertung vom 05.03.2018
Die Geschichte des verlorenen Kindes / Neapolitanische Saga Bd.4
Ferrante, Elena

Die Geschichte des verlorenen Kindes / Neapolitanische Saga Bd.4


ausgezeichnet

Spannender Abschluss

Ich habe die Geschichte um die beiden ungleichen Freundinnen Elena und Lila und um ihr Viertel Rione in Neapel vom ersten bis zum vierten Band genossen. Der Band vier „Die Geschichte des verlorenen Kindes“ ist ein wirklich großartiger Abschluss der Saga, die mich Anfang dieses Jahres vom ersten bis zum letzten Band begleitet hat.
Das ist übrigens etwas, das ich nicht uneingeschränkt empfehlen kann - alle vier Bände in einem Rutsch zu lesen, denn dann ist es stellenweise ein bisschen viel Neapolitanische Lebensart gezuckert mit Italienischer Telenovela, weswegen ich mit meiner Rezension dieses Band etwas Zeit verstreichen ließ.

Der letzte Band der Saga spielt wieder großteils in Neapel, im alten Viertel Rione, in das Elena als erfolgreiche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin zurückkommt und in dem auch Lila wieder wohnt. Die beiden Freundinnen wohnen direkt übereinander und teilen ihr Leben mit Kindern, sind sich wieder nahe und Elena findet in ihrer Heimatstadt zu sich selbst, findet durch Lila Inspiration und lebt in relativer Ruhe. Bis das verlorene Kind wieder alles verändert für beide Frauen und ihre Familien.

Elena Ferrante nimmt in diesem letzten Band Fäden aus den vorangegangenen Büchern auf, verknüpft sie geschickt. Man erfährt von allen Begleitern aus der Kindheit und Jugend, wie es ihnen im Rione und außerhalb erging, und das mit Spannung erzählt und in gewohnter Manier völlig ohne Zuckerguss. Die Geschichte ist verknüpft mit gesellschaftlich-politisch wichtigen Ereignissen, die Italien in dieser Zeit bewegten. Mafiöse Strukturen, Terrorismus und politische Machtkampf mit unmittelbarer Beteiligung der Figuren spielen ebenso wie das Erdbeben 1980 in der Irpinia eine wichtige Rolle für die Geschichte.
Im Vordergrund steht, wie bereits in allen drei Vorgängerbänden, die Freundschaft der beiden Frauen Elena und Lila, die geprägt ist vom Schwanken zwischen Liebe und Hass, Manipulation und der Hoffnung Elenas nach Ruhe und Frieden. Ohne Erfüllung bleiben oft nach wie vor die Erwartungen auf der Strecke. Nie öffnen sich die beiden Freundinnen bedingungslos, immer schwingt ein Geheimnis in der vermeintlichen Vertrautheit mit und am Ende steht häufig Frustration und Enttäuschung.

Wie schon der erste Band ist auch der Abschluss der Saga eine Hommage an Neapel, besonders an sein altes Viertel mit Blick auf den Vesuv. Das Buch lockt, dorthin zu reisen und sich die Stadt mit eigenen Augen anzusehen, und auch wenn eine neue Stufe der Gewalt und des Verbrechens gegenüber Band eins deutlich zu spüren ist, sprüht Elenas und Lilas Liebe zu ihrer Heimatstadt aus dem Text.

Mir hat dieser letzte Band sehr gut gefallen, und auch wenn ich zugegebenermaßen beim Zuklappen des Buches zunächst froh war, dass mein Lesemarathon des gesamten monumentales Werkes zum Ende gekommen war, ist es mit etwas Abstand betrachtet eine wirklich fesselnde und großartige Geschichte zweier Frauen und ihrer Entwicklung, die im Band vier perfekt zum Abschluss gebracht wird und die insgesamt sehr lesenswert ist.

Bewertung vom 02.01.2018
Die Eishexe / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.10
Läckberg, Camilla

Die Eishexe / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.10


gut

Düster und Spannend

Im Buch „Die Eishexe“, dem zehnten Band der Reihe um den Ermittler Patrick Hedström und seine Frau Erica Falck, zieht die schwedische Bestseller-Autorin Camilla Läckberg neue Register.
Sie verknüpft geschickt einen aktuellen Fall und dessen Ermittlungen mit einem dreißig Jahre zurückliegendem Mord und mit einer Hexenjagd aus dem 17. Jahrhundert.

Ein kleines Mädchen, die vierjährige Linnea Berg, wird vermisst und kurze Zeit darauf tot aufgefunden. Beängstigende Parallelen zu einem dreißig Jahre zurückliegendem Mordfall tun sich auf, die entweder auf denselben Täter oder eine Nachahmung schließen lassen. Damals war ebenfalls ein kleines Mädchen, die vier Jahre alte Stella, verschwunden und ermordet aufgefunden worden, und es wurde nie zufriedenstellend geklärt, was genau damals vorgefallen war.
Parallel dazu verfolgt man beim Lesen eine alte Geschichte aus dem 17.Jahrhundert, aus der Zeit der Hexenverfolgungen in der Gegend von Fjällbacka, die ihre Spuren bis in die Gegenwart auszustrecken scheint.
Erika Falck, die bekannte Schriftstellerin, arbeitet gerade an einem Buchprojekt, das sich mit dem alten Mordfall an der kleinen Stella Strand auseinandersetzt. In bekannter und sehr lesenswerter Manier unterstützt sie die polizeilichen Ermittler aus Tanum bei ihren Nachforschungen mit kühlem kriminalistisch spitzfindigem und sehr menschlichem Blick.
Ebenso mit von der Partie sind syrische Flüchtlinge, die am Rand von Tanum, ausgegrenzt vom sozialen Leben, eine Unterkunft gefunden haben, die ihnen leider keine Sicherheit bietet. Die Anfeindungen nehmen zu, die Situation eskaliert und die Polizei von Tanum hat mehr als alle Hände voll zu tun.

Lieb gewonnenen Protagonisten aus vorherigen Bänden mit ihren sozialen Verbindungen, ihren Ecken und Kanten, begegnet man auch in diesem Band wieder. Neben den Ermittlern aus Tanum und ihren Familien kommen neue Personen dazu, die mit dem aktuellen Fall und dem alten Kindermord verknüpft sind. Das für mich große Vergnügen beim Lesen besteht eben darin, dass Charaktere nicht nur als gehetzte Polizisten oder klischeehafte Bösewichte auftreten und ihre Rolle spielen, sondern dass es viele Grautöne gibt, dass die Geschichte nicht ausschließlich von Spannung der Krimihandlung sondern auch von den sehr persönlichen Hintergründen zu den Charakteren lebt. Liebevoll und dreidimensional sind die Figuren gezeichnet, lebensecht und glaubhaft. Auch im Scheitern und bei den Tätern findet man glaubhafte und eindringliche Beschreibungen der Personen und ihrer Beweggründe. Genau das ist es, was mir an den Läckberg-Krimis so gut gefällt und was sie zu etwas Besonderem macht.

Ein wirkungsvoll und gut eingearbeiteter Aspekt ist die aktuelle Flüchtlingssituation. Am Ortsrand von Tanum, unverstanden und sozial ausgegrenzt, sind arabische Familien untergebracht, die in die Handlung geschickt integriert werden. Die Autorin betrachtet Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln, so auch aus dem der beiden syrischen Jugendlichen Khalil und Adnan oder dem Familienvater Karim, die auf der Suche nach einer neuen Heimat durch die Geschehnisse stolpern, angefeindet werden, auf Feindschaft und auf Hilfsbereitschaft gleichermaßen stoßen. Es wirkt sehr natürlich und in keiner Weise zu sehr gewollt, wie mit der Thematik im Buch umgegangen wird.

Die Geschichte spielt auf verschiedenen Zeitebenen. Neben dem gegenwärtigen Mord an der kleinen Linnea wird von Ermittlungen von vor 30 Jahren zum Mord an der vierjährigen Stella erzählt. Zusätzlich springt man in die Vergangenheit ins 17. Jahrhundert zur Geschichte über eine Hexenjagd, die mit einem Fluch mit Bezug zur Gegenwart endet.
Die Zeitebenen sind recht gut auseinanderzuhalten, und mit aufmerksamen Lesen kommt man auch mit den viele Charakteren klar. Allerdings wäre ein Personenverzeichnis für Neulinge der Reihe sicher hilfreich.

Bewertung vom 02.01.2018
Mudbound - Die Tränen von Mississippi
Jordan, Hillary

Mudbound - Die Tränen von Mississippi


ausgezeichnet

Eindringlich und erschütternd

Eine Südstaatengeschichte, deren Verfilmung bereits Furore macht und eine hochkarätige Riege von Sprechern - das hat mich sehr neugierig gemacht, und ich wurde nicht enttäuscht von der deutschen Hörbuch-Version von „Mubound. Die Tränen von Mississippi“ der Autorin Hillary Jordan. Es ist eine ergreifende, mitreißende, spannende und interessante Geschichte zweier Familien in den Südstaaten der USA nach dem 2.Weltkrieg, die von sechs Sprechern aus dem jeweiligen Blickwinkel eines der sechs Protagonisten des Romanes eindringlich und absolut passend gelesen wird.

Kurz nach Kriegsende folgt die liberal erzogene Südstaatlerin Laura McAllan ihrem Ehemann Henry auf eine Baumwollplantage in Mississippi, die weit von ihrer gewohnten städtischen Umgebung entfernt ist, und auch noch mit extrem rückständigen Wohnverhältnissen aufwartet. Begleitet von ihren beiden geliebten Töchtern und dem rassistischen, bösartigen Schwiegervater richtet sie sich mehr schlecht als recht ein, wohingegen ihr Mann Henry als Farmer förmlich in seiner Aufgabe aufblüht.
Wie damals in den Südstaaten auf den Baumwollplantagen üblich hat die weiße Farmerfamilie McAllen Pächter, die sie auf den Feldern unterstützen und einen Teil ihres Ertrages an den Eigentümer abtreten müssen. Eine davon ist die schwarze Familie Jackson, die unermüdlich dafür arbeitet und kämpft, sich ein eigenes Stück Land leisten zu können. Dafür arbeitet Hap Jackson gemeinsam mit seinen Kindern auf den Feldern für die McAllens und Florence, seine Frau, unterstützt Laura McAllan im Haushalt. Der Schmutz, der anstrengende und unsichere Alltag des Landlebens, die Engstirnigkeit der Umgebung und ein Unglücksfall schaffen eine angespannte Situation, in die die beiden Kriegsheimkehrer Ronsel Jackson und Jamie McAllen kommen. Alte und neue Wunden brechen auf, und nicht zuletzt wegen der missgünstigen und rassistischen Umgebung eskaliert letztlich alles.

Das Hörbuch bietet einen ungewohnten Blickwinkel, nämlich nicht entweder den der armen schwarzen oder einer armen weißen Familie in den Südstaaten, sondern widmet sich ausdrücklich den Berührungspunkten, an denen beide Familien verknüpft sind. Das ist die willensstarke, stolze und eindrucksvolle schwarze Florence, die als Haushaltshilfe der gütigen Laura McAllan zur Hand geht. Obwohl beide in ihren jeweiligen Rollen gefangen sind, schreiten sie an die Ihnen zugedachten Grenzen und widersetzen sich bis zu einem gewissen Grad den Rassengesetzen, indem sie fast so etwas wie Vertrautheit und Achtsamkeit füreinander empfinden.
Einen Schritt weiter gehen Ronsel Jackson, Florences Sohn und Kriegsheimkehrer, und Lauras Schwager Jamie McAllan, ebenfalls Kriegsheimkehrer, die sich beim Trinken gegen die Dämonen, die sie aus dem Krieg mitbrachten, anfreunden und dabei ziemlich offen gegen die Rassengesetze und den „guten Ton“ im Baumwollpflückerland rebellieren.

Neben der eigentlichen Geschichte bietet das Buch Einblick in die verheerenden damaligen Zustände in den Südstaaten der USA. Durch die Nähe, die die Autorin zu den Personen schafft, und die auch die Sprecher gekonnt transportieren, bekommt dieser Aspekt des Buches eine besonders abartige und grausame Komponente.

Bewertung vom 30.10.2017
Der Preis, den man zahlt / Lorenzo Falcó Bd.1
Pérez-Reverte, Arturo

Der Preis, den man zahlt / Lorenzo Falcó Bd.1


sehr gut

Cleverer Spionagethriller

Ein abgebrühter Geheimagent in den Wirren des spanischen Bürgerkrieges 1936, ein Auftrag, hinter dem sich ein unglaubliches politisches Komplott verbirgt und Sucht nach dem Leben und der Liebe sind die Zutaten zu diesem Agentenroman, der ein bisschen an Film-noir-Klassiker mit kettenrauchenden melancholischen einsamen Wölfen, schönen Frauen in mehr oder weniger heruntergekommenen Hotelbars und ständig lauernder Gefahr erinnert.

Der Autor Arturo Perez-Reverte bietet in seinem Roman „Der Preis, den man zahlt“ eine äußerst spannende und gekonnte Mischung aus Agententhriller und Historienroman. Er erzählt eine verstrickte und abgründige Geschichte und wird in meinen Augen völlig zu recht als Umberto Eco in Steven-King-Manier gelobt.
Natürlich sollte man bei solch einem Buch keine ganz große Literatur mit tiefschürfenden Einblicken in die Seelen der Charaktere erwarten, und das versucht das Buch auch nicht zu sein. Es ist ein sehr gut geschriebener, fesselnder Spannungsroman vor dem hochinteressantem historischen Hintergrund der Bürgerkrieges in Spanien 1936 zwischen den militärischen Putschisten und Falangisten auf der einen und den Kommunisten und Anarchisten auf der anderen Seite, der mit Blick auf den mit allen Wassern gewaschenen Agent Lorenzo Falcó eine Geschichte von Gewissenlosigkeit, Loyalität und Menschlichkeit am Rande des Abgrundes erzählt, von politischer Leidenschaft und Opferbereitschaft und davon, wie Menschen letztlich nur Figuren auf dem großen Spielbrett beim Kampf um die Macht sind.

Die auf wahren Ereignissen basierende Geschichte begleitet Lorenzo Falcó, den Agenten einer Spezialeinheit des Franco-Geheimdienstes SNIO, während eines Auftrages hinter den feindlichen Linien in der Gegend um Cartagena. Er soll organisieren, den Falangisten-Führer José Antonio Primo de Rivera aus dem Gefängnis in Alcante zu befreien. Falcó scheint genau der Richtige für den Job zu sein, mit allen Wassern gewaschen, ein ehemaliger Waffenhändler, berechnender Frauenheld und zwiespältiger Charakter, der den Kick der Gefahr braucht und sich nahe am Abgrund bewegt.
Doch nichts ist wie es scheint, Falcó gerät zwischen die Fronten und Interessen der Machtrangeleien zwischen der Republik, Franco-Anhängern und Falangisten und damit in sehr große Gefahr. Letztlich muss er erstmals eigene Entscheidungen treffen, um eine Chance auf sein Überleben zu haben in dieser düsteren und hoffnungslosen Welt.

Der Autor Arturo Perez-Reverte schreibt in klarer und sehr gut lesbarer Sprache, schon die Eröffnungssequenz setzt ein hohes Niveau in Anlehnung an das hohe Tempo alter James-Bond Geschichten, das allerdings im weiteren Verlauf nicht ganz gehalten werden kann. Die düsteren und knappen Dialoge unterstreichen die Stimmung sehr gut, vermitteln ein Gefühl für den abgehalfterten Lebensstil und die Abgebrühtheit von Falcó, dem ein bisschen mehr Verwundbarkeit und Melancholie als Charakter sehr gut getan hätte, um in Philip-Marlowe Manier letztlich mit dunklem Blick auf die Scherben der Ereignisse und der Welt zu schauen.

Der Autor Arturo Perez-Reverte (geboren 1951 in Cartagena), Autor des Weltbestsellers „Der Club Dumas“ ist einer der erfolgreichsten Autoren Spaniens. Er arbeitete 21 Jahre als Kriegsreporter, seine Romane sind in viele Sprachen übersetzt.

Bewertung vom 30.10.2017
Palast der Finsternis
Bachmann, Stefan

Palast der Finsternis


sehr gut

Schmetterlingspalast

Das Buch „Palast der Finsternis“ ist ein aufregendes Jugendabenteuer mit Horrorelementen, definitiv nicht für zarte Gemüter geschrieben. Realität und fiktive Passagen mischen sich zu einer sehr gelungenen Geschichte, die teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart spielt.

Anouk, die rotzige Außenseiterin, ist mit vier weiteren Jugendlichen von New York nach Paris geflogen, um eine archäologische Sensation zu erforschen. Es handelt sich um einen unterirdischen Palast, dessen Bau vom Marquis Frédéric du Bessancourt im 18. Jahrhundert vor der Französischen Revolution begonnen wurde und in den der Marquis beim Sturm auf die Bastille mit seiner Familie floh. Ein unterirdischen Versailles soll es sein, eine der wichtigsten Entdeckungen in Europa dieses Jahrhunderts.
Was sich zunächst als aufregendes und gut organisiertes Abenteuer für die Jugendlichen darstellt zeigt sich schnell als tödliche Falle. Nichts ist wie es scheint, nachdem Anouk und ihre Begleiter den unterirdischen Palast betreten haben, kämpfen sie um ihr Leben auf der Suche nach einem Ausweg aus Labyrinth-artigen Räumen und Gängen. Fallen, Täuschungen uralte dunkle Wesen und Schlimmeres lauern am Weg, und die Organisatoren der Tour scheinen auch nicht das zu sein, was sie vorgaben zu sein.

Mit viel Spannung wird der Leser gemeinsam mit der kleinen Gruppe Jugendlicher durch den unterirdischen Palast getrieben. Bildhaft und mit viel Detailliebe beschreibt der Autor die morbide Pracht, die in den Räumen herrscht, ausgeklügelt gemeine Fallensysteme lassen an Horror-Räume von Altmeister Edgar Allan Poe denken, und die Jagd durch das Palais du Papillon ist so treibend, dass die Seiten nur so fliegen. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, dass man als Leser lange Zeit genauso ahnungslos wie die Protagonisten ist.

Das Buch erzählt eine Geschichte aus zwei Perspektiven in zwei Zeitebenen. Eine davon ist die Expedition, bei der man in der Jetztzeit Anouk begleitet, der zweite Handlungsstrang spielt zu Zeiten der Französischen Revolution. Hier lebt man gemeinsam mit Aurélie zunächst im Chateau Bessancourt, später nach dem Sturm auf die Bastille im unterirdischen Palast, der damals auch schon gespenstische Züge hatte.
Skurrile Dinge passieren in beiden Zeitebenen, und der Vorhang wird spannungsfördernd jeweils nur ein ganz kleines Stückchen gelüftet.

„Wenn andere dich Abend weinen sehen, ist es, als besäßen sie einen Teil von dir. Es ist, als hätte man sich ein Stück weit geöffnet, und sie hätten durch den Panzer geblickt…“

Die Französische Revolution ist nur der Rahmen, das Buch lebt von der Jagd durch den unterirdischen Palast mit all seinen Schrecken in der Gegenwart und vom Versuch, dem Palast zu entfliehen, in der Vergangenheit.
Die beiden Protagonistinnen Anouk und Aurélie sind lebensecht und glaubwürdig gezeichnet. Beide sind Kämpferinnen, die ihre Umgebung mitreißen können. Man nimmt Anouk ihren Trotz ab, ihre Abschottung vor anderen und ihre harte Schale, genauso wie Aurélie als besorgte junge Frau gut ankommt.

Sprachlich ist das Buch angemessen einfach geschrieben. Viel Spannung steckt in den kurzen und leicht überschaubaren Sätzen, keine anspruchsvollen Bandwurmsätze - das hätte der Geschichte nicht gut getan.

Ich war schnell durch mit der Geschichte, und obwohl ich mit ab der Hälfte etwas weniger atemlose Jagd und mehr Erklärung gewünscht hätte hat es mich sehr gut unterhalten.