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Gerd @ Literatunten
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Berlin
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Die "Literatunten" diskutieren an jedem letzten Mittwoch im Monat um 20 Uhr im Mann-O-Meter Berlin über ein Buch mit schwulem Bezug. Mitmachen erwünscht! Näheres unter http://literatunten.de

Bewertungen

Insgesamt 35 Bewertungen
Bewertung vom 12.12.2014
Der ewige Krieg
Haldeman, Joe

Der ewige Krieg


gut

Irgendwie gerate ich bei diesem Roman zwischen Baum und Borke. Utopische Romane fand ich schon als Kind gut. Wenn die Logik des Romans in sich konsistent ist und die Handlung folgerichtig darauf aufbaut, löse ich mich gerne von der Realität und tauche in die verblüffenden Wendungen und Konsequenzen einer phantastischen Geschichte ein. All das bietet “Der ewige Krieg”. Er ist gut geschrieben, kurzweilig, interessant, manchmal vielleicht etwas zu techniklastig. Er hält tolle Bonmots parat: “… wie jede Realität illusorisch und vom Betrachter abhängig wird, wenn man sich mit der Allgemeinen Relativitätslehre befasst. Oder mit Buddhismus. Oder mit dem Sinn der Wehrpflicht.” (1. Teil, Kap. 10) Und er zeigt die Absurdität des Krieges an sich, wenn nach etwa 1.100 Jahren gnadenlosen Kampfes festgestellt wird, dass der Anlass dazu ein Missverständnis war und all die Leiden, die Toten zu verhindern gewesen wären. Er ist ein gutes Antikriegsbuch. Er wäre vielleicht sogar ein gutes Buch. Wenn … Tja, wenn der Autor die Ursache all der Aggressivität nicht in der Überbevölkerung gesucht und als Lösung des Problems eine allgemeine Homosexualität angeboten hätte. Auf den ersten Blick ein lustiger, schwulenfreundlicher Einfall. Welcher Schwule lebte nicht gern mal in einer nur aus Schwulen bestehenden Gesellschaft? Bei genauerer Betrachtung birgt er aber eine längst überholt geglaubte Sicht auf die Homosexualität: dass man Homosexualität erzeugen, dass man homosexuell konditioniert (verführt?) werden könne – und dass man dann genau so eben homosexuelle Menschen auch wieder heterosexuell “machen” kann. Und da sträuben sich mir dann doch die Nackenhaare…

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Bewertung vom 12.12.2014
Auf dem Sprung
Gramling, Roland

Auf dem Sprung


sehr gut

Macht Spaß und ist gute Urlaubslektüre: leicht, unterhaltsam, ein Schuss Sex, flüssig geschrieben. “Lindenstraße” auf schwul.

Bewertung vom 12.12.2014
Der Versucher
Gracq, Julien

Der Versucher


gut

Literatunten-Meinung
Zuerst einmal ist zu bemerken, dass es sich beim vorliegenden Werk definitiv NICHT um ein Buch mit schwulem Bezug handelt.
Die Meinung zur literarischen Qualität des Buches ging in der Gruppendiskussion extrem auseinander. Die meisten Anwesenden würdigten zwar die sehr stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen, bemängelten aber das Fehlen einer erkennbaren Handlung bzw. einer Entwicklung der Protagonisten. Dem Autor seien (es ist ja auch ein Frühwerk) erkennbar Anfänger-Fehler unterlaufen: zentrale, wichtige Figuren seien nicht entwickelt und spielten dann plötzlich eine Hauptrolle; in zwei ausufernd langen Briefen beschreibe Gracq quasi, wie der Roman zu lesen und zu verstehen sei; als Leser könne man keinen Sinn im Gelesenen erkennen; der Text sei letztendlich langweilig.
Einige wenige der Anwesenden waren nicht bereit, den Text so in Grund und Boden zu verurteilen. während Gerds Meinung zum Buch ja bereits bekannt ist (s. o.), bemerkte ein weiterer Diskussionsteilnehmer, dass ihn der Text mit der Zeit regelrecht in den Bann geschlagen hätte und er die Figuren und ihre Entwicklung brennend interessant fände. Das Buch sei eben eher von innen heraus geschrieben und daher vielleicht nicht vielen Lesern ohne weiteres zugänglich, aber er zähle diesen Text unbedingt zu den guten.

Gerds Meinung
Nein, einfach zu lesen ist dieses Buch nicht. Der Autor folgt nicht dem Mainstream und füllt Buchseiten mit Handlungssträngen und “Action”.
Sein Werk hat zwei stilistisch sehr unterschiedliche Teile. Im ersten, längeren schreibt Gracq ganz von innen heraus. Es geht nicht um Gefühle, es geht um Stimmungen. Stimmungen, die nicht einfach mitgeteilt werden, sondern über die Beschreibung von Landschaften und die Anhäufung von Metaphern entstehen. Oft geraten ihm dabei (zumindest in der vorliegenden deutschen Übersetzung) die Sätze zu wahren Satzmonstern. Diesen Text muss man sich erarbeiten. Schnelles, fliehendes Lesen führt zu Unverständnis, Langeweile, regt so zu noch mehr Überfliegen, noch weniger Aufmerksamkeit an, entleert schließlich Absatz um Absatz. Aber so wie die Beziehungsgeflechte in der kleinen Protagonistengruppe des Romans entwirrt werden müssen, muss man sich teilweise durch die komplizierten Satzstrukturen des Textes kämpfen, um ihren semantischen Gehalt zu erfassen. Und dann plötzlich klappt es: eine melancholische Stimmung voll von Überdruss stellt sich ein, ein Starren auf die etwas verschwommene Landschaft mit den darin schwimmenden, wechselnden Personengruppen und ein Gefühl für deren verhängnisvolle Verstrickungen.
Im zweiten Teil – welche Erleichterung – kürzere Sätze, mehr imaginierbare Handlung, Zuspitzung der Verhältnisse und schließlich die so lange hinausgezögerte, erlösende Auflösung einer dekadent erscheinenden Feriengesellschaft, die konsequenterweise auch eine Auflösung der einzelnen Mitglieder dieser Gesellschaft ist.
Was also ist Gacqs Text? – Ein Experiment? Geglückt oder misslungen? – Eine eindeutige Antwort kann ich mir nicht vorstellen. Sie wird abhängen von der jeweiligen Situation, von der Stimmung des Lesers. Ein Jeder wird sie selbst finden müssen. Und sie wird sicher auch immer wieder anders ausfallen, sollte man den Text mehrfach lesen. Erneut lesen allerdings würde ich den Roman im Augenblick nicht.

Bewertung vom 12.12.2014
Die Erziehung
Del Amo, Jean-Baptiste

Die Erziehung


weniger gut

Literatunten-Meinung:
Das Buch hat am 27. August 2014 zu einer lebhaften Diskussion unter den Anwesenden beim Literatunten-Treffen geführt. Einige der Leser waren nicht sonderlich angetan, andere lobten die Schrift sehr. Vielen missfiel, dass sich der Autor immer und immer wieder mit dem Schmutz und den Gestank in Paris befasste. Andere verstanden das als Metapher für den Zustand der Gesellschaft und als Widerspiegelung der Realität. Eine interessante Sichtweise ergab sich im Zusammenhang mit einem Bibelzitat: “Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme an seiner Seele Schaden?” (Lukas 9/25) Denn der Protagonist des Romans gewinnt Reichtum und gesellschaftlichen Stand – und dafür prostituiert er sich, erpesst, verrät, quält… Insgesamt kein einfaches Buch, über das sich gut streiten lässt. Dem einen wird es gefallen, dem anderen wohl eher nicht.

Gerds Meinung:
Ich gebe gleich zu Anfang zu, dass ich zu denen gehöre, denen das Buch nicht gefallen hat. Mir waren die ständigen Wiederholungen der Schmutz- und Gestankbeschreibungen denn doch zu viel. Ja, es stinkt und ist schmutzig – ich hatte es bereits bei der zweiten Widerholung verstanden. Wenn die Realität nicht schön ist, kann man sie auch unschön schildern. Trotzdem kann ein Buch gut sein, weil es einen fesselt, weil die Sprache spannend ist, weil der Text als solcher schön ist, obwohl er Hässliches beschreibt. Dieser Text hat dies aus meiner Sicht nicht vermocht.

Bewertung vom 12.12.2014
Göttlich
Coe, Christopher

Göttlich


sehr gut

In der Diskussionsrunde am 30. April 2014 besprachen die Literatunten Christopher Coes Buch “Göttlich”. Die schriftstellerische Qualität des Werks wurde allgemein gelobt, die Bedeutung des Textes jedoch sehr unterschiedlich gesehen.
Was wird uns hier zugemutet? Nicholas, der Held des Buches war zu Lebzeiten offenbar allseits beliebt, ja begehrt. Jetzt, da er tot ist, da sein Bruder über ihn nachdenkt, erscheint er plötzlich in einem ganz anderen Licht. Was auch immer der Erzähler über ihn berichtet, er kommt nicht gut dabei weg. Die meisten Anwesenden konnten nicht nachvollziehen, warum der “göttliche” Nicholas so eine Wirkung auf seine Umwelt hatte. Wie ein Vampir geht er auf Jagd. Nur dass er nicht auf das Blut seiner Opfer aus ist, sondern auf deren Aufmerksamkeit. Sobald Nicholas die Aufmerksamkeit eines Opfers sicher hat, ist es für ihn uninteressant geworden. Diese Lebensweise gipfelt schließlich im Ende des Protagonisten: In dem Augenblick, in dem er nicht mehr in der Lage ist, die Aufmerksamkeit aller Anwesenden an sich zu binden, verliert das Leben für ihn seinen Wert. Dieser Mann hat sich ausschließlich über die Beachtung definiert, die andere ihm geben. Kann er keine Aufmerksamkeit mehr bekommen, ist er am Ende.
Die Geschichte ist gut geschrieben. Sie hat eine dramatische Spannung bis zum Schluss. Aber Vorsicht: sie verstört.

Bewertung vom 12.12.2014
Willkommen in Falconer
Cheever, John

Willkommen in Falconer


weniger gut

Ich hatte mir mehr versprochen von dem hoch gelobten Werk. Vielleicht entspricht es einfach nicht meinem Geschmack, vielleicht gefällt mir einfach die Sprache nicht. Ich bin gespannt auf andere Meinungen!

Bewertung vom 12.12.2014
Der Verstoß / Pulp Master Bd.36
Carrino, L.R.

Der Verstoß / Pulp Master Bd.36


sehr gut

Dieses Büchlein ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Rückwärts führt uns der Autor auf gerade einmal 70 Seiten durch die kurze Zeit von Freitag, 23:49 Uhr bis Montag, 2:18 Uhr. Es handelt sich um die letzten Stunden im Leben Giovannis, der hingerichtet wird. Nicht von einer konkurrierenden Bande. Nicht, weil er zum Verräter geworden ist. Sondern weil er mit seinen homosexuellen Gefühlen die Ehre seines Clans beschmutzt hat. Homophobie tötet – selbst den Sohn des Bosses.
So kurz das Büchlein ist, so beeindruckend ist es doch. Der Autor versteht es, die Gefühle der handelnden Personen glaubhaft darzustellen. So wird der Ablauf folgerichtig, zwingend. Der Autor beschert uns ein Stück gute Literatur, die leicht lesbar, aber schwer zu lesen ist.

Bewertung vom 12.12.2014
Andere Stimmen, andere Räume
Capote, Truman

Andere Stimmen, andere Räume


sehr gut

Allgemein gelobt wurde im Literatuntentreffen am 25. Juni 2014 die stilistische Qualität und die inhaltliche Tiefe der Erzählung Capotes. Es schien den Anwesenden bemerkenswert, dass ein so junger Autor (er war im Erscheinungsjahr gerade 23 Jahre alt) so einen reifen und tiefgründigenText schreiben konnte. Capote hat eine sehr gute Beobachtungsgabe haben müssen, um die im Roman vorkommenden Menschen des verarmten amerikanischen Südens so nuancenreich sprachlich charakterisieren zu können. Immer wieder erinnert er an bessere Zeiten, in anderen Räumen und mit anderen Stimmen bzw. Ausdrucksweisen. – Sowohl im Leben des jungen Protagonisten, als auch in der Landesgeschichte. Neu war für die Meisten, dass der Autor im freundschaftlichen Verhältnis zwischen dem verträumten, introvertierten Joel und der frechen, jungenhaften Idabel offenbar seine Freundschaft mit der aus seinem Heimatort stammenden und ihm ein Leben lang verbundenen Harper Lee (“Wer die Nachtigall stört”) reflektiert. Nebelhaft geistert das Geschehen um Joel, der sich im Laufe der Erzählung doch ein ganzes Stück von seinem schüchternen, zurückgezogenen Ich emanzipieren kann. Ob das Vorbild des offen schwulen, sich dann und wann in Damenkleidung zeigenden Cousins Randolph dabei hilfreich oder hinderlich ist, möge jeder Leser selbst entscheiden.
Insgesamt auch heute noch ein sehr lesenswerter Text, der in Ruhe gelesen sein will und manches Geheimnis vielleicht sogar erst bei der Zweitlektüre offenbart.