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Gerd @ Literatunten
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Berlin
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Die "Literatunten" diskutieren an jedem letzten Mittwoch im Monat um 20 Uhr im Mann-O-Meter Berlin über ein Buch mit schwulem Bezug. Mitmachen erwünscht! Näheres unter http://literatunten.de

Bewertungen

Insgesamt 35 Bewertungen
Bewertung vom 14.12.2014
Gott bewahre
Niven, John

Gott bewahre


gut

Vielleicht bin ich zu alt für diesen Roman?
Die Idee, Jesus Christus Abenteuer bestehen zu lassen, die so nicht in der Bibel stehen, ist nicht gerade gebräuchlich. Ihr haftet wohl ein wenig der Ruch des Ketzerischen an, vor dem man sich halt in der christlich tradierten Welt scheut, selbst wenn man kein Christ ist. Aber er wurde durchaus schon in anderen Romanen benutzt (z. B. Christopher Moore “Die Bibel nach Biff”). Aber während ich die Mooresche Biff-Bibel äußerst amüsant fand, sehr lesbar, sehr witzig, bin ich vom vorliegenden “Gott bewahre” von John Niven nicht überzeugt. Mal davon abgesehen (wir sind hier in einem schwulen Literaturforum und also wollte ich es zumindest erwähnen), dass das Thema “Schwule” nur eine außerordentlich untergeordnete Rolle spielt, finde ich die Idee gut: Würde Jesus Christus heutzutage auf Erden wandeln, würde er gerade in der christlichen Welt als Spinner angesehen. Das sagt eine Menge über uns aus. Und über die von den Kirchen verwaltete Religion. Warum ist konsequent angewendete Nächstenliebe heutzutage so wenig anerkannt, warum haftet ihr heute gleich etwas Irres an? Basiert denn nicht eigentlich das Christentum auf der Idee der Nächstenliebe? Niven zeigt genau diesen Widerspruch. Nur scheint mir sein Plot insgesamt etwas verwirrend. Es fehlt ein wenig ein roter Faden. Das Buch wirkt wenig komponiert, eher spontan hin- und hergerissen. Der Autor ist m. E. zu sehr witzigen Einfällen verhaftet, statt der klugen Idee zu folgen. Jüngere Leser im Kiffer-Alter finden das Buch sicher umwerfend.
Nun: ich bin vielleicht schon zu alt. Summa: mal was anderes; lesbar, aber kein “Muss”.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.12.2014
Fluchtgemälde
Nathschläger, Peter

Fluchtgemälde


sehr gut

Ach, B.! Warum nur liest Du keine Phantasie-Romane? Diesen hier würde ich Dir empfehlen.
Nathschläger entwickelt eine Geschichte, die wirklich sehr phantastisch ist. Es passieren Dinge, die es so in der Realität nicht gibt. Dazwischen aber schildert er genau die Wirklichkeit, in der schwule Männer in weiten Teilen der Welt leider immer noch leben müssen – voll mit Angst, Verfolgung, Misshandlung. Das phantastische “Fluchtmalen” hat für mich die Funktion, den Protagonisten (und uns Lesern) in ausweglosen Situationen dann doch immer noch einen Ausweg, eine letzte Hoffnung offen zu lassen: Es gibt ja den einen, den zwar unwahrscheinlichen, dem Reich der Phantasie entstammenden, aber eben doch zumindest in diesem Buch gangbaren Ausweg.
Ansonsten ist das Buch streckenweise regelrecht gnadenlos. Nathschläger schenkt uns nichts, wenn er Schwulenverfolgung unter verschiedensten gesellschaftlichen Bedingungen schildert. Und ob nun ein korrupter kubanischer Beamter oder ein ideologisch aufgeheiztes Mullah-Regime den Schwulen tötet – ein Verbrechen ist es allemal.
Mir gefällt die Idee, dass sich Menschen in allerletzter Minute einfach aus der Realität stehlen und in ein schönes, erträumtes Leben flüchten können. Und mir gefällt auch die Idee, dass diese Menschen am Ende in der Gesamtsumme alles Guten auf Erden fehlen und dass dieses Vakuum wegen des Fehlens an Gutem nur mit Bösem gefüllt werden kann.
Starker Tobak das Buch – und lesenswert.

Bewertung vom 13.12.2014
Coming Out in New York
Meyer, DLuis

Coming Out in New York


schlecht

Was kann ich nur sagen, damit das Buch nicht so schlecht rüberkommt? – Leider nichts! Der Autor (oder sein Übersetzer) beherrscht weder die Grundregeln der Grammatik, noch die der Rechtschreibung oder gar der Syntax. Ohne Not werden Wörter anglisiert. Soll so eine Pseudomodernität vorgegaukelt werden? Fazit: Der Text liest sich holperig. Ständig wird der Lesefluss unterbrochen.
Nicht nur sprachlich ist die Lektüre eine anstrengende Arbeit. Der kärgliche Inhalt mit tödlich verunglückten und dann doch wieder lebenden Figuren gibt einem den Rest. Jedes Kapitel beginnt mit einer belehrend wirkenden, den Leser in Beschlag nehmenden Erörterung von Allgemeinplätzen. Und dann … erfährt man Belanglosigkeiten. Wie es aussieht, weiß Meyer manchmal selbst nicht, was er eigentlich erzählen will: Sätze bleiben unvollendet, verlaufen im Nichts, sind – auch bei mehrmaligem Lesen – völlig unverständlich. Figuren werden umständlich eingeführt und gerade in dem Moment, in dem man erahnt, was sie mit der eigentlichen Handlung zu tun haben, werden sie wieder aus der Geschichte geworfen. Meine Empfehlung: Liegen lassen!

Bewertung vom 12.12.2014
Londoner Triptychon
Kemp, Jonathan

Londoner Triptychon


gut

Eigentlich habe ich hier gleich drei Geschichten gelesen, die jeweils im Abstand von einigen Jahrzehnten spielen und nur sehr lose miteinander verbunden sind. Verbunden zum einen durch das Sujet – in allen dreien geht es um Stricher, ihren Beruf und ihr Verhältnis zu ihren Kunden und Kollegen -, zum anderen dadurch, dass dem Protagonisten aus der einen eine kleine Rolle in der nächsten Story zufällt.
Die drei Prostituierten haben ihren Beruf recht bewusst selbst gewählt, sie gehen ihrem Beruf selbstbestimmt und gerne nach, was vielleicht nicht auf die Mehrzahl der Sexarbeiter zutrifft. Alle drei scheitern letztendlich, weil ihnen in irgend einer Form die Liebe ins Gehege kommt: der eine verliebt sich in seinen Kunden Oscar Wilde (was natürlich das fatale Ende der Geschicht schon historisch vorgibt), der zweite wird geliebt und kommt darüber nicht hinweg, der dritte liebt einen Kollegen, der seine Liebe nicht erwiedert.
Das ganze ist gut geschrieben, toll übersetzt und ebenso zu lesen. Es unterhält. Die Konstruktion des Buches, in der sich die Episoden der Einzelgeschichten jeweils abwechseln, hat mir gefallen. Der Roman wird dadurch kurzweiliger, bekommt eine gewisse Komplexität.
Ja, und die Geschichte hat einen Schuss Erotik, was ja zu erwarten war. Und das ist auch das Problem an diesem Buch. Es ist vorhersehbar, weil es eben so ist, wie man einen Stricherroman erwarten würde. Es zeigt, wie man in den jeweiligen Gesellschaften mit Homosexuellen umgeht, aber nicht, welche Besonderheiten das Anschaffen mit sich bringt. Wer eine neue oder provokante Sicht auf diesen Teil der schwulen Kultur erwartet, wird enttäuscht. Wer das Milieu mag, die Halbweltatmosphäre anregend findet, der wird mit diesem Buch seinen Spaß haben.

Bewertung vom 12.12.2014
F
Kehlmann, Daniel

F


sehr gut

Die gleichen Ereignisse werden in diesem Roman mehrfach beschrieben. Immer aus der Sicht eines der drei Brüder. So erscheinen Begebenheiten mal aus dieser, mal aus jener Pespektive. Scheinen sie in einem Moment noch völlig unterschiedliche Vorkommnisse zu sein, so finden sie sich in der nächsten Sekunde. Und man begreift: das habe ich doch von dem andern schon gehört. Und dann driften sie gleich darauf wieder voneinander weg. Jeder der drei Brüder hat auch seinen eigenen Erzählstil. Es scheint fast, als hätte Kehlmann da mit zwei ungenannten Koautoren geschrieben. Das bringt Dynamik ins Buch, regt zum Nachdenken an: Was ist die Wirklichkeit … für mich … für andere?
Gut geschrieben ist der Roman, eindeutig lesenswert. Nur: ein schwules Buch ist das nicht, auch wenn der eine Bruder schwul ist. Nur spielt das letztendlich keine Rolle.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.12.2014
Der Einzelgänger
Isherwood, Christopher

Der Einzelgänger


ausgezeichnet

Literatunten-Meinung
Isherwoods “Einzelgänger” ist ein Buch, das man wieder und wieder lesen kann. Im Abstand von einigen Jahren gelesen ergibt sich dabei häufig eine völlig neue Sicht. Jüngere Leser berichteten von anderen Sichtweisen auf das Buch als ältere. Leser um die 55 identifizieren sich eher mit dem Protagonisten als jüngere.
Die Geschichte beschreibt einen Kreis: Vom Erwachen und dem “Hineinschlüpfen” des Geistes in Georges Körper verfolgt Isherwood den Literaturprofessor über 24 Stunden bis zu dem Moment, wo Georges Bewusstsein seinen Körper wieder verlässt. Ob George am Ende wirklich stirbt, oder ob es eine nur hypothetische, gedachte Möglichkeit bleibt, lässt Isherwood offen – und auch die Literatunten sind sich da nicht einig.
Auffällig ist, dass Isherwood bzw. sein Protagonist alles, was passiert, mit einem spezifisch “schwulen Blick” betrachtet: das Zusammenleben mit seinen Nachbarn, das Verhältnis zu seiner Freundin, das Tennisspiel zweier Studenten, seinen Unterricht im College… Und das in einem Roman, der Jahre vor Stonewall veröffentlicht wurde!
Der Roman geht unter die Haut. Er macht die unendliche Trauer Georges um seinen verunglückten Lebensgefährten greifbar. Man versteht, warum er sich einerseits von der Welt verlassen fühlt und sich andererseits von ihr distanziert. George kann sich für seine Trauer nicht in die Geborgenheit einer Gemeinschaft zurückziehen, die heterosexuellen Menschen zur Verfügung steht. Er ist allein. Sein Mann ist tot. Seine Umwelt kann und will seine Trauer nicht akzeptieren, weil sie seine Liebe nicht akzeptiert. Er ist “A Single Man”! (Die Übersetzung des englischen Titels in “Der Einzelgänger” ist wohl nicht sehr geglückt.)
Die Literatunten meinen: unbedingt (mal wieder) lesen!

Gerds Meinung
Ich war regelrecht überwältigt von der literarischen Wucht, die mich schon beim Lesen der ersten Zeilen dieses Romans übermannte. Was wäre ich froh, wenn ich so schreiben könnte, wie Isherwood…
Isherwood beschreibt 24 Stunden im Leben Georges, eines Highschool-Professors, der in der ach so toleranten Umgebung eines alternativen Wohnviertels von Los Angeles wohnt, und vor kurzem seinen Lebenspartner verloren hat. Ohne in ein wehleidiges Lamento zu verfallen, erzeugt er eine Atmosphäre der Trauer, der Verlorenheit, der Einsamkeit. Nichts und niemand kann George wirklich berühren. Nur einen Hoffnungsschimmer gibt es, die Begegnung mit einem Studenten, der sich wirklich für den Professor zu interessieren scheint, der es vielleicht vermag, ihm nahe zu kommen. Aber so, wie George zu Beginn des Romans erst langsam aus dem dinghaften Sein während des Schlafes zu sich, zu seinem Selbst findet, erlischt dieses Selbst in dem Augenblick, in dem eine neue Zukunft möglich scheint.
Große Literatur, unbedingt lesenswert!