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Waldeule

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 23.08.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


sehr gut

Ungewöhnliches Porträt eines außergewöhnlichen Menschen

Für mich war das Buch weniger eine klassische Biografie als mehr ein Einblick in das Leben des Ausnahmemusikers und Aktivisten Igor Levit. Er und der Autor Florian Zinnecker zeigen uns Höhen, aber auch Tiefen und Zweifel seines Schaffens und bisherigen Werdegangs. Das Buch ist zur Zeit der Corona-Lockdowns erstanden, in dem Igor Levits Leben zwangsläufig komplett umgekrempelt wird.

Die beiden haben eine sehr ungewöhnliche Erzählweise gewählt. Ohne zeitliche Abfolge werden immer wieder Episoden und Ereignisse aus dem Leben Igor Levits herausgegriffen und beleuchtet. Dabei springen die beiden im Leben Igor Levits vor und zurück und greifen manche wichtige Wendepunkte immer wieder unter verschiedenen Gesichtspunkten auf. Das ist kurzweilig und aufschlussreich, auf Dauer aber auch sehr anstrengend, da mir teilweise ein durchgehender roter Faden gefehlt hat. Viele Szenen werden anhand wörtlich widergegebener Gespräche oder Vorträge geschildert. Auch das ist für mich eine ungewöhnliche Vorgehensweise, die mir zwar die Gedanken Igor Levits näherbringen, aber ebenfalls fordernd beim Lesen ist.

Inhaltlich war es für mich ein Blick über meinen Tellerrand hinaus, da ich bislang wenig Zugang zu klassischer Musik hatte. Das hat sich durch das Buch geändert, denn Florian Zinnecker schildert z. B. das Spiel der Waldsteinsonate von Beethoven so mitreißend, dass ich gar nicht anders konnte, als mir dieses und auch andere Musikstücke anzuhören. Diese tolle Beschreibung von Musik war für mich ein wesentlicher Pluspunkt des Buches.

Ansonsten erfahre ich zwar viel über das Leben und Denken von Igor Levit, doch es bleiben Lücken. Zum Teil werden viele Details geschildert, wie bei seiner musikalischen Prägung, zum Teil bleibt anderes, was mich interessiert hätte, wie Näheres zu seinen politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, aber unerzählt. Oder ist das Buch nur für Fans gedacht, die seine Aktivitäten in den (sozialen) Medien sowieso verfolgen? Das wäre aber sehr schade! Igor Levit wird als „ganz normaler Mensch“ beschrieben, nicht als musikalisches Wunderkind und auch seine Schwierigkeiten und Zweifel haben ihren Platz. So bin ich als Leserin sehr nah an ihm dran, was mir gut gefallen hat und einen durchaus kritischen Blick hinter die Kulissen des klassischen Musikbetriebes ermöglicht.

Fazit: Was bleibt ist eine äußerst ungewöhnliche Biographie eines außerordentlichen Menschen. Durchaus lohnenswert, aber so ganz überzeugen konnte sie mich aufgrund der teilweise anstrengenden Schreibweise nicht. Es bleiben einzelne Gedanken im Kopf, wenig aber vom großen Ganzen – außer den tollen Beschreibungen von Musik.

Bewertung vom 10.06.2021
Die fremde Spionin / Die Spionin Bd.1
Müller, Titus

Die fremde Spionin / Die Spionin Bd.1


ausgezeichnet

„Geschichte in Geschichten zu erzählen ist Titus Müllers großes Talent.“ Dieses Zitat von Bayern 2 steht auf der Rückseite dieses Buches und selten trifft ein Zitat so sehr zu wie hier. „Die fremde Spionin“ ist eine sehr spannende fiktive Geschichte über eine junge Frau in Ost-Berlin, die unversehens zwischen die Fronten der Geheimdienste gerät. Es ist aber auch ein packendes Zeitdokument über die Geschehnisse kurz vor und während des Mauerbaus.

Gleich von Anfang an hat mich die Spionagegeschichte in den Bann gezogen, denn es beginnt mitreißend und spannend. Nach und nach lernen wir die Protagonisten kennen, die sehr gut ausgearbeitet sind. Mitten zwischen BND, KGB und Stasi ist Ria, eine junge Sekretärin im Ministerium für Außenhandel der DDR in Berlin. Ihre eigene Geschichte ist eng mit dem jungen Staat verwoben und bringt sie zum Spionieren.

Sehr gut gefallen haben mir die Grautöne der Figuren, hier hat jeder Hauptcharakter Licht- und Schattenseiten, ein einseitiges schwarz-weiß gibt es glücklicherweise nicht. Sehr mitreißend agieren so die Personen und die Seiten verfliegen im Nu. Das Ende war mir persönlich etwas zu actionlastig (anderen wird gerade das gefallen) und so habe ich den Bezug zu den Figuren etwas verloren, doch das ist nur ein kleiner Kritikpunkt. Umso mehr freue ich mich auf den nächsten Band, denn „Die fremde Spionin“ ist der (abgeschlossene) Auftakt zu einer Trilogie, die mit den Geschehnissen 1989 enden wird.

Überhaupt ist der historische Bezug eine der weiteren großen Stärken des Buches. Ich fühlte mich mitgenommen in das Leben sowohl in Ost- als auch in Westberlin des Jahres 1961. Sehr atmosphärisch werden dabei viele kleine Details aus dem Alltagsleben erwähnt. Großen Spaß hatte ich z. B. bei den Beschreibungen der Tätigkeiten einer Sekretärin wie dem Schreiben auf der mechanischen Schreibmaschine oder dem aufwändigen Kopieren einer Seite.

Aber auch die große Politik kommt nicht zu kurz und für mich war es sehr aufschlussreich und spannend, die damaligen historischen Ereignisse in dieser Form miterleben zu dürfen. Dabei sind die vielen Informationen geschickt in die Handlung eingebunden, so dass die Geschehnisse ganz selbstverständlich und nebenbei geschildert werden. So wird Geschichte äußerst spannend erlebbar!

Fazit: Hier stimmt die Story, die Charaktere, die Hintergrundinformationen und vor allem die Atmosphäre. Unterhaltsam, spannend und lehrreich. Eine ganz klare Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2021
Die 12 Glücksbringer
Merten, Michaela;Franckh, Pierre

Die 12 Glücksbringer


ausgezeichnet

Auf der Suche nach dem Glück

Bin ich nach der Lektüre glücklicher? Diese Frage muss sich das Buch mit dem vielversprechenden Titel „Die 12 Glücksbringer“ durchaus gefallen lassen. Michala Merten und Pierre Franckh haben darin zwölf „Glücksformeln“ verschiedener AutorInnen gesammelt. Auf vielfältige Art und Weise wird sich so dem Thema Glück genähert und ganz unterschiedliche Antworten und Tipps zum Finden des persönlichen Glücks gegeben. Von den Vorgängen im Gehirn beim Ausschütten von Glückshormonen über den Blick in die eigene Kindheit und der Suche nach dem Glück hinter dem Glück hin zur Selbstwahrnehmung und der Erfüllung eigener Bedürfnisse ist es ein buntes Potpourri an Gedanken und Ideen, das die Herausgeber hier zusammengetragen haben.

Diese unterschiedlichen Herangehensweisen – tatsächlich hat sich nur eine davon wiederholt – fand ich sehr spannend und aufschlussreich. Es gibt nicht einen Weg zum Glück, sondern – je nach eigenem Charakter und persönlicher Lebenssituation – ganz unterschiedliche. Manche Kapitel haben mich sehr bereichert, weil sie momentan genau passen – andere hingegen weniger. Natürlich kann ein Gedanke auf den ca. 15 Seiten eines Kapitels nur grundlegend erörtert werden, aber mir hat diese Verknappung auf das jeweils Wesentliche sehr gut gefallen. Durch die weiterführenden Angaben zu AutorInnen, Verweise auf Literatur, Websites oder Podcasts gibt es viele Möglichkeiten, die persönlich ansprechendsten Ideen weiterzuverfolgen. Da ich ansonsten keine Ratgeber zu diesem Thema lese, waren mir die Inhalte und auch die Autoren weitgehend unbekannt und so empfand ich diese Zusammenstellung als eine große Bereicherung für mein Leben.

Alle Beiträge liesen sich gut lesen und sind kurzweilig geschrieben. Für mich war es aber keine Lektüre nebenbei, sondern ein richtiges „Arbeitsbuch“. Ich bin eingetaucht in das Buch und seine „Rezepte“ und habe mich intensiv damit auseinandergesetzt, was Zeit und Energie benötigte. Aber für mich war es wichtig und richtig, mir dazu viele Gedanken und Notizen zu machen, um einen möglichst großen Nutzen aus dem Buch ziehen zu können.

Noch ein Wort zur Aufmachung: diese gefällt mir (außer dem Cover) sehr gut. Es ist in dem sehr handlichen Format der GU-Ratgeber und das Rot des Covers zieht sich durch das gesamte Buch. Den verschiedenen Kapiteln sind unterschiedliche Rottöne zugeordnet, in dem (Zwischen-)Überschriften und Wissenswertes geschrieben sind. Das fand ich sehr übersichtlich und ansprechend.

Bevor ich zur Ausgangsfrage zurückkomme möchte ich noch erwähnen, dass ich vorher weder unglücklich noch auf der Suche nach dem Glück war, sondern zum Buch allein aus Interesse an den verschiedenen Herangehensweisen gegriffen habe. Trotzdem: bin ich nach der Lektüre „glücklicher“? Nun auf alle Fälle bin ich reflektierter, achtsamer, aufmerksamer und achte mehr auf meine Bedürfnisse. All das Facetten des Glücks, wie ich gelernt habe. Und ja, dadurch würde ich mich als ein kleines bisschen glücklicher bezeichnen. :-) Von daher: Daumen hoch und eine klare Leseempfehlung von mir für alle, die sich für das Glück interessieren.

Bewertung vom 28.03.2021
Die Roseninsel
Reitner, Anna

Die Roseninsel


sehr gut

Alte Wunden heilen und unerwartete Wunder geschehen

Idyllischer Schauplatz des Romans ist die Roseninsel im Starnberger See. Ganz zu Recht wurde sie im Buchtitel verewigt, denn für mich steht dieser wunderbare und außergewöhnliche Handlungsort im Mittelpunkt des Buches. Die junge Berlinerin Liv hat sich auf die Roseninsel zurückgezogen, um über ein traumatisches Ereignis hinwegzukommen, während für das Mädchen Magdalena in einem zweiten Zeitstrang über 100 Jahre vorher die Roseninsel zum Gefängnis wird. Beide dürfen wir im Buch auf einem Stück ihrer Lebenswege begleiten.

Es ist ein perfektes Buch zum Abtauchen und Entspannen. Fast meditativ begleiten wir Liv bei der Gartenarbeit und Magdalena bei ihren Spaziergängen um die Insel. Das Buch nimmt sich Zeit, in die Personen, in die Geschichten und vor allem in das Umfeld und die Atmosphäre der malerischen Roseninsel einzuführen. Lange Zeit ereignet sich zwar wenig, doch langweilig ist das Buch nie. Ich fühlte mich selbst auf die einsame Insel versetzt und konnte die geruhsamen Momente miterleben. Ideal zum Abschalten!

Mit Magdalena erleben wir eine ganz besondere (Hoch-)Zeit Bayerns – die Zeit des Prinzregenten Luitpolds am Ende des 19. Jahrhunderts. Zwar ist ihre Geschichte fiktiv, doch die Roseninsel und ihre Vergangenheit sind real und daran lehnt sich die Autorin gekonnt an. Es gibt ein paar Ungereimtheiten vor allem im zeitlichen Ablauf, über die ich gestolpert bin, doch sind sie so unwichtig, dass sie die Geschichte nicht weiter stören. Sie hätten nur nicht sein müssen.

Fazit: ein schöner Schmöker zum Abtauchen und Versinken in einer idyllischen Umgebung. Von mir gibt’s für die wunderbar entspannenden Stunden vier Sterne.

Bewertung vom 23.03.2021
Das Geheimnis der Themse
Goga, Susanne

Das Geheimnis der Themse


sehr gut

Susanne Goga entführt uns in ihrem neuen Buch nach London Ende des 19. Jahrhunderts. Es wird geheimnisvoll-mystisch, da Charlotte und Tom, ein junges Ehepaar, das manche/r Leser/in vielleicht schon aus „Der verbotene Fluss“ kennt, nach magischen Orten Londons suchen. Es knüpft zwar an die Geschehnisse des Vorgängerbandes lose an, doch kann man es auch wunderbar ohne dieses Vorwissen lesen.

"Das Geheimnis der Themse" ist ein schönes, atmosphärisches London-Buch, das mich mitgenommen hat in die Zeit der Industrialisierung und das damalige Umfeld mit ihren Licht- und Schattenseiten. Ein richtiges Buch zum Drin-Versinken und Abtauchen. Kurzweilig und spannend, aber nicht nervenaufreibend oder dramatisch. Das ein oder andere Detail ist überraschend, doch insgesamt ahnt man doch sehr schnell, auf welchen Höhepunkt das Buch zusteuert. Was aber zumindest bei mir dem Lesevergnügen keinen Abbruch getan hat.

Die Hauptfiguren Charlotte und Tom sind sehr sympathisch und menschlich gezeichnet. Abwechslung in das „Erwachsenen-Leben“ bringt Strandsucher Alfie, mit dem die beiden auf ihren Recherchen zusammentreffen. Mir gefällt an den Büchern Susanne Gogas, das die Figuren wirklich „leben“ und im Alltag stehen und auch unangenehme Themen oder Entscheidungen sich nicht einfach Luft auflösen, sondern stimmig zu einem passenden Ende geführt werden.

Heimliche Hauptperson: die Themse und ihre Ufergebiete, die viel Lust machen auf den nächsten London-Besuch. Begeistert haben mich auch die vielen historischen Details, die Susanne Goga ganz geschickt in den historischen Roman eingebaut hat, seien es beeindruckende Bauwerke wie der Lesesaal des Britischen Museums oder tatsächliche Geschehnisse wie die Ausbildungsschiffe für Straßenkinder. Gerne hätte ich auch noch mehr über die verschiedenen magischen Orte, auf die Charlotte und Tom bei ihrer Suche stoßen, erfahren.

Fazit: Ein wunderbarer Schmöker zum Abtauchen voller historischer Atmosphäre. Eine ganz klare Leseempfehlung und gute vier Sterne.

Bewertung vom 07.03.2021
Die dritte Frau
Fleischhauer, Wolfram

Die dritte Frau


ausgezeichnet

Ein ungewöhnlich und erfrischend anderes Buch. Es vermengt verschiedene Aspekte, bleibt aber dabei sehr gradlinig und seinem roten Faden treu.

Ich tue mich etwas schwer, die Geschichte in Worte zu fassen, auch um nicht zu viel zu verraten. Die Geschehnisse eines namenlosen Autors, der als Ich-Erzählern von seiner Recherche in Frankreich berichtet, muss man selber entdecken. Das Buch knüpft dabei an den historischen Roman „Die Purpurlinie“ des gleichen Autors an, aber man kann ihn sehr gut eigenständig lesen. Zwar gibt es immer wieder Bezüge darauf, doch diese werden gut erklärt und zusammengefasst, so dass ich nie den Eindruck hatte, ich würde etwas verpassen, weil ich das Vorgängerbuch nicht kenne.

Die historische Spurensuche zu Henriette d´Entragues, einer Geliebten Heinrichs IV., zeigt, dass man historische Episoden auch spannend und anschaulich in der Gegenwart erzählen kann. Außerdem bringt es eine neue, ganz andere Sichtweise auf die damaligen Geschehnisse. Und es verknüpft Probleme der damaligen Zeit mit der heutigen, wie auch unser Ich-Erzähler in Laufe der Geschichte erfahren muss. Die Wendung kommt unerwartet, aber sehr gut eingebettet und stimmig.

Ob mir die Auflösung so gefällt bin ich mir, selbst einige Tage nach dem Beenden des Buches, nicht schlüssig. Aber er wirft Fragen auf, über die ich seitdem nachdenke und das ist ja auf alle Fälle ein sehr gutes Zeichen. Gut gefallen hat mir auch, dass der Autor diese Fragen nicht beantwortet, sondern es uns, den LeserInnen überlässt, darauf mögliche Antworten zu finden.

Gut gefallen haben mir auch die Einblicke in den Literaturbetrieb und den Entstehungsprozess eines Buches, zu denen vor allem Literaturagentin Moran beiträgt.

Das Buch hat von Anfang einen Lesesog entwickelt. Dazu trägt auch die gradlinige und kurzweilige Erzählweise dabei. Der namenlose Ich-Erzähler und sein Erleben bleiben dabei jederzeit im Mittelpunkt des Geschehens, er erzählt diese Geschichte und weicht davon nicht ab. So wird sich nicht in Nebenstränge verfranst, sondern sehr konsequent durcherzählt. Das hat hier sehr gut gepasst.

Fazit: Ein Buch, das ich zwar nicht wirklich einordnen kann, dass ich aber sehr gerne gelesen habe und mir einiges zum Nachdenken mitgibt. Kein „Mainstream“, aber auf alle Fälle lesenswert, wenn man sich literarisch abseits der ausgetretenen Pfade bewegt. Von mir gibt’s noch 5 Sterne.

Bewertung vom 07.02.2021
Nachttiger
Choo, Yangsze

Nachttiger


ausgezeichnet

Ein schönes, um nicht zu sagen wunderschönes Buch. Es entführt nach Britisch-Malaysia des Jahres 1931 und erzeugt eine einzigartige Atmosphäre, die durch einheimische Mythen und dem Verschwimmen von Realität und Traum geheimnisvoll und exotisch wird.

Das Buch lässt sich keinem Genre zuordnen, es ist eine bunte Mischung aus Entwicklungsroman, Krimi und Liebesgeschichte und macht es dadurch für mich sehr besonders und einzigartig. Es ist kein tiefschürfendes Buch, aber eins, in dem man wunderbar eintauchen und versinken kann.

Es beginnt langsam und gibt uns Zeit, in die Geschichte und die Figuren einzufinden, bevor es dann sehr spannend wird. Bei mir hat die Geschichte mit der Zeit einen unbändigen Lesesog entwickelt, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Die Hauptpersonen, Houseboy Ren, der für seinen verstorbenen Herrn dessen amputierten Finger finden soll und die junge „Tanzlehrerin“ Ji Lin sind mir sehr schnell ans Herz gewachsen. Ihnen folgt man gerne auf ihrem Weg zwischen englischen Kolonialherrn und dem Leben der Einheimischen.

Einziger kleiner Kritikpunkt ist der zu abrupte Schluss. Es endet zwar sehr rund, ohne zu viel weiterzuerzählen, aber auf den letzten Seiten ging mir einiges zu einfach und zu schnell.

Noch ein Wort zum Cover: ich finde es gerade durch die Farbgestaltung wunderschön, für mich ein echter Hingucker. Es zaubert mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht, nur wenn ich es anschaue. Die wertige Aufmachung mit Lesebändchen und Leinenrücken tut ein Übriges. Nicht nur inhaltlich ein „schönes“ Buch.

Fazit: Eine ganz klare Leseempfehlung für alle, die sich gerne auf etwas „Anderes“ einlassen. Ihr werdet mit einer tollen Geschichte belohnt!

Bewertung vom 03.11.2020
Being Young
Skåber, Linn

Being Young


sehr gut

Das Buch besteht aus (inneren) Monologen, die die Autorin Linn Skåber nach vielen Gesprächen und Interviews Jugendlichen in den Mund legt. Eine sehr ungewöhnliche Art zu erzählen, aber sehr eindringlich.

Die kurzen Geschichten sind sehr verdichtet auf das Wesentliche, treffen dabei aber genau auf den Punkt. Dieser sehr eigene Stil hat mir grundsätzlich gerade in seiner Kürze und Aussagekraft sehr gut gefallen. Sie sind immer aus der Sicht von Jugendlichen, mal lustig, mal traurig, mal romantisch, leider auch manchmal deprimierend – auf alle Fälle laden sie aber immer zum Nachdenken ein. Wie bei den meisten Kurzgeschichten gefällt die eine besser und die andere weniger gut, insgesamt habe ich sie aber gern gelesen.

Die Bündelung in einem Buch fand ich dagegen etwas einseitig. Jede der Kurzgeschichte hat seine eigene Aussage und verdient es, nicht nur konsumiert, sondern auch durchdacht zu werden. Dazu kommt, dass ich mir zur Abwechslung und Entspannung zwischendurch andere Erzählweisen gewünscht hätte. Auch wenn mir der Stil sehr gefallen hat, ist der immer gleiche Ton auf Dauer anstrengend. Für mich ein Buch, in dem ich zwischendurch immer wieder gerne ein oder zwei Geschichte gelesen habe, aber kein Buch zum „Wegschmökern“.

Meinen beiden jugendlichen Testlesern am Anfang („verwirrend“) und in der Mitte der Pubertät („zu wenig spannend) hat es nicht gefallen. Aus meiner Sicht kann man die Geschichten nur schätzen, wenn man diese Umbruchszeit reflektiert betrachten kann – nicht wenn man mittendrinsteckt.

Sehr lobend hervorheben möchte ich die tolle grafische Gestaltung von Lisa Aisato. Schon der Buchumschlag, der Porträts aus dem Inneren als Collage vereint, ist ein echter Hingucker. Aber ganzseitig wirken die ganz unterschiedlichen Bilder natürlich noch viel besser. Sehr detailreich und mit viel Phantasie lassen sie die Texte noch einmal auf ganz andere Weise sprechen und vertiefen ihre Aussage. Ein Buch nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Anschauen.

Auch das größere Buchcover fällt auf den ersten Blick positiv aus und hebt es aus der Masse der „gängigen“ Buchgrößen heraus. Es liegt sehr angenehm in der Hand und ist durch das dickere Papier und die vielen Weißräume, die zum Tagträumen einladen, ein sehr hochwertiges Buch.

Fazit: Das Gefühlsleben Jugendlicher auf eine ganz andere, neue Art und Weise geschildert. Dazu kommt eine hochwertige Ausstattung und tolle Illustrationen. Ein Buch, das einlädt, es immer mal wieder in die Hand zu nehmen und eine Geschichte zu genießen.

Bewertung vom 01.11.2020
Wundersuche
Bruckner, Thomas

Wundersuche


sehr gut

Vorneweg: dieses Buch ist ein Erfahrungsbericht. Kein Sachbuch für und wider alternative Heilmethoden und schon gar kein Ratgeber mit Adressen und gar Bewertungen von Heilern und Schamanen. Thomas Bruckner hat seine ganz eigenen, subjektiven Erfahrungen auf der Suche nach dem Wunder der Heilung aufgeschrieben.

Mir hat diese sehr persönliche Suche gut gefallen. Der Autor berichtet von inspirierenden und irritierenden Begegnungen mit dem brasilianischen „Geisterheiler“ João de Deus genauso wie von Enttäuschungen, er erzählt von den Begegnungen mit Hellsichtigen und Heiler*innen in seinem Heimatland Österreich und angrenzenden Ländern, er trifft afrikanische Voodoo-Könige und ist in den Philippinen bei unerklärlichen „blutigen Operationen“ dabei.

„Kopfgesteuert und offenen Herzens, auf der Suche nach Wundern“, so beschreibt sich der Autor selbst und so ist das Buch auch geschrieben. Thomas Bruckner ist kein blinder Gläubiger, der einen Trend folgt, sondern er ist auf der Suche und begegnet dabei so manch Unglaublichem. Er ist dabei kritisch und fragt nach, gesteht sich und uns aber auch ein, wenn manche Dinge zwischen Himmel und Erde unerklärlich bleiben. Diese Mischung hat mir gut gefallen, es ist nicht einseitig ideologisch, sondern zeigt auf, was Thomas Bruckner als kopfgesteuerter Europäer erlebt, denkt und fühlt. Für mich ist das Buch damit sehr glaubwürdig. Da ich mich noch nie mit dieser Thematik auseinandergesetzt habe, war ich wirklich erstaunt, welche Heilungsansätze es auf unserer Welt gibt.

Thomas Bruckner erzählt größtenteils kurzweilig und wechselt geschickt zwischen Geschichten aus nah und fern ab. Manches wiederholt sich dabei und manche Episoden waren nicht ganz so interessant wie andere, aber das hat dem Lesegenuss keinen Abbruch getan. Der Autor ist Journalist, was man dem Text anmerkt, denn er ist gut geschrieben und lässt sich angenehm lesen.

Das Buch ist bereits 2018 erschienen, wurde aber 2020 (auch wegen der Anklage des Brasilianers João de Deus) überarbeitet und ergänzt.

Fazit: Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht, der mich in unbekanntes Terrain mitnahm. Interessant und manchmal auch staunenswert, dazu gut geschrieben. Empfehlenswert für alle, die aufgeschlossen für die Erfahrungen anderer sind.

Bewertung vom 20.09.2020
Jahresringe
Wagner, Andreas

Jahresringe


sehr gut

Mich hat „Jahresringe“ vor allem wegen seines realen Hintergrunds des Kohleabbaus im Ruhrgebiet und der damit verbundenen Zerstörung des Bürgerwaldes interessiert. Das wurde auch sehr gut in die fiktive drei-Generationen-Geschichte der Familie Klimkeit integriert, wobei ich mir zwischendurch noch mehr Tiefe gewünscht hätte.

In jedem der drei Buchabschnitte spielt eine Generation die Hauptrolle und so schlägt es einen Bogen vom Flüchtlingsmädchen Leonore zu den Enkeln Jan und Sarah, die zur Rodung des Hambacher Forsts ganz unterschiedlicher Meinung sind. Mit Abstand am stärksten fand ich diesen 3. Teil. So hätte ich mir das ganze Buch gewünscht. Da werden nicht nur verschiedene Meinungen vertreten, sondern vor allem dürfen wir mit der Familie Klimkeit mitleben und ihre Gedanken, Gefühle und Konkflikte hautnah erfahren. Diese Direktheit hat mir vor allem im mittleren Teil gefehlt, in dem sehr distanziert berichtet wird, wie Paul, der Sohn Leonores seine Jugend erlebt. Langatmig, ohne Emotionen und auch für mich thematisch nicht relevant. Im ersten Teil bin ich der Geschichte Leonores, die in Lich-Steinstraß eine neue Heimat findet, gerne gefolgt. Nur mit den mystischen Geschehnissen in diesem Teil konnte ich überhaupt nichts anfangen. Ich habe nichts gegen Übersinnliches in Büchern, wenn es denn passt – das hat es hier für mich aber gar nicht, abgesehen davon fand ich es auch völlig unnötig.

Mit dem letzten Abschnitt schließt sich der Kreis und sowohl die Familien- wie auch die tatsächliche Geschichte wird rund. Vom Grundaufbau gut gemacht und auch die die lebendigen Charaktere waren gut gewählt. Nur ihre spontanen Handlungen – gerade wenn es um das Thema Wald ging – haben mich immer wieder gestört. Das hätte man auch plausibler erzählen können.

Das Thema Heimat spielt durchgehend eine (große) Rolle, was mir sehr gut gefallen hat. Heimat, aus der man gewaltsam vertrieben wird; Heimat, die zu keiner Heimat wird; aber auch Heimat, die man selbst findet. Ich habe wie erhofft auch etwas über den geschichtlichen Hintergrund des Braunkohleabbaus und der damit verbundenen Zerstörung des Bürgerwaldes und dem Kampf im Hambacher Forst erfahren, allerdings hätte dieser Aspekt für mich durchaus ausführlicher und noch mehr in die Tiefe gehen dürfen. Das ist aber persönliche Vorliebe, andere LeserInnen werden das anders sehen.

Fazit: Familiengeschichte mit zeitgeschichtlichem Hintergrund. Gut gewähltes Thema, die Umsetzung hatte für mich ein paar Schwächen. Durch den gelungenen dritten Abschnitt aber doch noch vier Sterne.