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Waldeule

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 06.09.2020
Keine Panik, ist nur Technik
Ait Si Abbou, Kenza

Keine Panik, ist nur Technik


ausgezeichnet

„Warum bleiben wir nicht neugierig, wenn wir groß sind? Warum haben wir Angst vor neuen Sachen?“

Diese Fragen stellt Kenza Ait Si Abbou in ihrem Vorwort und ich gebe zu: auch wenn ich mich in bestimmten Computerbereichen durchaus zuhause fühle, hat sie mich hier ertappt.

Die Begeisterung der Autorin ist aber schnell auf mich übergesprungen und ich bin sehr froh über dieses tolle und lesenswerte Sachbuch! Kenza Ait Si Abbou, Informatikerin und Managerin für Robotik und künstliche Intelligenz, führt uns darin in die Grundlagen maschinellen Lernens ein und zeigt, wo und wie in vielen Bereichen des täglichen Lebens Technik und künstliche Intelligenz heute schon eine große Rolle spielen.

Dabei hat mir vor allem die Klarheit ihrer Erklärungen sehr gut gefallen. Die Autorin kann selbst komplizierte Sachverhalte einfach und kurz erklären. Sie schwafelt nicht rum, sondern bringt den Inhalt genau auf den Punkt und unterlegt die theoretischen Beispiele immer wieder mit anschaulichen Beispielen aus dem Alltagsleben. Dazu kommen witzige Sketch-Notes zur Verdeutlichung und viele Links und Quellangaben, um das eine oder andere nachzulesen. Das Buch ist sehr kurzweilig und gut lesbar geschrieben, da macht Sachbuchlesen richtig Spaß!

Gerade die einführenden Kapitel über das selbstständige Lernen von Maschinen haben mich dabei begeistert, auch wenn ich mich dabei ganz schön konzentrieren und den ein oder anderen Satz zweimal lesen musste. Ohne Vorkenntnisse sind diese Kapitel wohl beim ersten Lesen schwer zu verstehen, doch es wird dann wieder einfacher. Im weiteren Verlauf des Buches geht die Autorin auf verschiedene Einsatzgebiete von KI ein, wobei es mir da ruhig noch mehr ins Detail und in die Tiefe hätte gehen dürfen. Auch die Bewältigung der Corona-Krise mit Hilfe Künstlicher Intelligenz ist immer wieder Thema.

Kenza Ait Si Abbou geht in ihrem Buch auf positive Aspekte des Technikeinsatzes, aber auch auf Probleme und Risiken ein. Dabei hat mir die Ausgewogenheit sehr gut gefallen, Technik wird hier nicht verteufelt, aber auch nicht in den Himmel gehoben. Die Autorin gibt Lösungsvorschläge und Tipps, auf was man selbst achten kann und soll. Wir alle sind der Technik nicht hilflos ausgeliefert, vor allem dann nicht, wenn man zumindest grundlegend weiß, wie Technik funktioniert. Dazu ist dieses Buch eine große Hilfe.

Das Interesse an Technik zu wecken und sich aktiv miteinzubringen ist Kenza Ait Si Abbou ein großes Anliegen. Das Buch verdeutlicht deswegen auch, dass das Programmieren keine Sache von einigen InformatikerInnen ist, sondern sehr viele Disziplinen vereint und es auch StatistikerInnen, PsychologInnen, SoziologInnen, LinguistInnen, PhilosophInnen … braucht, um Algorithmen sinnvoll und gewinnbringend einzusetzen. Und vor allem auch uns als mündige, informierte und kritische NutzerInnen! Es geht also um weit mehr als „nur“ die Funktion Künstlicher Intelligenz – das Buch reißt die Frage an, wie wir unsere Gesellschaft im „Informationszeitalter“ organisieren wollen.

Fazit: Sehr empfehlenswertes Sachbuch über Künstliche Intelligenz. Begeisternd, informativ und auch unterhaltsam geschrieben! Ganz klar 5 Sterne vor mir.

Bewertung vom 15.08.2020
Die Hyperion-Gesänge
Simmons, Dan

Die Hyperion-Gesänge


ausgezeichnet

Ein grandioses Buch! Mehr gibt es dazu eigentlich auch nicht zu sagen, denn ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Bei der fantasievollen und doch so gut vorstellbaren Zukunftshandlung? Bei den unzähligen Anspielungen und Verbindungen zu Geschichte, Religion, Philosophie, Kunst, Kultur, Politik? Beim tollen Schreibstil, der durch die mehr als 1400 Seiten richtiggehend „fließen“ lässt? Oder beim raffinierten Buchaufbau, der sich von den Einzelschicksalen der sieben „Pilger“ hin zu einer universalen Geschichte über Raum und Zeit weitet?

Wahrscheinlich ist es die Gesamtkomposition des Buches, die mich so sehr begeistert. Ich nehme dabei die beiden Bände „Hyperion“ und Der Sturz von Hyperion“ zusammen, da sie für mich nur als Einheit Sinn ergeben und in diesem Sammelband auch gemeinsam abgedruckt sind. Lange Zeit habe ich mich gefragt, ob Simmons es schaffen wird, die ganzen Einzelstränge und -schicksale zu einem großen Ganzen zusammenzuführen. Jetzt kann ich aus vollster Überzeugung sagen: ja – er hat diese Mamutaufgabe mit Bravour gemeistert. Selbst kleine, nebenbei erwähnte Details fügen sich in dieses stimmige Gesamtkunstwerk perfekt ein. Über so viele Seiten, Planeten und Schicksale hinweg ist dies eine bewundernswerte Meisterleistung.

Daneben hat er es auch geschafft, sehr viele unterschiedliche Charaktere in seinem Buch nicht nur unterzubringen, sondern auch glaubhaft und vor allem als einzigartige Individuen zu schildern. Selbst Nebenfiguren haben ihre ganze eigene Geschichte, ihr Erleben, ihre Persönlichkeit. Über diese Personen transportiert Simmons ganz unterschiedliche Erfahrungen und Geschichten, was selbst bei Themen, die mich an sich wenig interessieren, trotzdem wunderbar funktioniert. In dem Buch steckt so extrem viel drin, dass beim ersten Lesen gar nicht alles aufgenommen werden kann. Jede Leserin/jeder Leser kann so persönliche Schwerpunkte entdecken und erlesen und es bleibt genügend Raum für eigene Interpretationen und Gedanken.

Fazit: Wie bereits gesagt – einfach grandios. Unbedingt lesen! Deshalb gibt es auch fünf ausgezeichnete Sterne von mir.

Bewertung vom 25.07.2020
Paradise City
Beck, Zoë

Paradise City


gut

Angepriesen wird Paradise City als Zukunfts-Thriller in Deutschland, was mich sehr angesprochen hat. Es wird dabei ein realistisches und vorstellbares nahes Zukunftsszenario entworfen – überschwemmte Küste, riesige Megacitys, verödetes Hinterland und Smartcases als unentbehrliches Kommunikations- und Hilfsmittel bei allen Fragen des Lebens. Dabei wirft das Buch richtige und wichtige Fragen auf: Was sind wir bereit für unsere Gesundheit zu tun, welche Einschränkungen nehmen wir dabei hin? Was ist uns überhaupt unsere Freiheit wert? Wo beginnt menschenwertes Leben und wer entscheidet darüber? …

Durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Einschränkungen haben diese Fragestellungen ungewollt einen sehr aktuellen Bezug bekommen, der über viele dieser Fragen nochmal ganz anders und viel intensiver nachdenken lässt.

Die Umsetzung dieser interessanten und wichtigen Fragen hat mir allerdings größtenteils nicht gefallen. Die Handlung ist mir zu unstrukturiert, sie springt hin und her, so dass ich den roten Faden einige Male verloren habe. Zunächst passiert lange nichts bzw. wenig, bevor im zweiten Teil die notwendigen Puzzlestücke im Eiltempo gefunden werden. Dabei spielt der Zufall eine viel zu große Rolle, da war für mich vieles nicht nachvollziehbar oder unglaubwürdig. Überhaupt der Zufall – ich fand die mehreren, unterschiedlichen Ebenen, in denen Hauptperson Liina in den Fall verstrickt ist, zu dick aufgetragen. Spannung kam bei mir fast keine auf. Anfangs wurde die Handlung ständig durch Rückblenden auf Liinas Leben unterbrochen, später wurde jede Situation, bei der es spannend hätte werden können, viel zu schnell abgehandelt.

Diese Fokussierung auf Liina hat mich sowieso genervt. Sie ist zwar als Reporterin auf der Wahrheitssuche die Hauptperson des Buches, aber bei einem Thriller erwarte ich Handlung und keine Familiengeschichte. Weder sie noch die anderen Personen konnten mich überzeugen, sie waren für mich zu steril und zu oberflächlich dargestellt.

Positiv erwähnen möchte ich aber die genderneutrale Darstellung der Charaktere. Zwar wurde noch viel zu viel zu der auftauchenden geschlechtsneutralen Person erklärt und ausschließlich weibliche Ärztinnen mit männlichen Helfern sind zu überzogen, um natürlich zu wirken, aber es geht eindeutig in die richtige Richtung. Er wäre wünschenswert, wenn die Vielfalt von Menschen irgendwann ganz selbstverständlich in Büchern wird, wie hier die Homosexualität einer Protagonistin.

Fazit: Interessante Grundidee, aber die Umsetzung konnte mich nicht überzeugen. Da wirkte vieles zu bemüht und zu konstruiert, außerdem fehlte mir die Spannung. Weil es sehr gut und flüssig zu lesen war, habe ich mich für drei von fünf Punkten entschieden.

Bewertung vom 22.03.2020
Was wir sind
Hope, Anna

Was wir sind


gut

Drei junge Frauen während ihres Studiums – frei und ungezwungen, die ganze Welt steht ihnen offen. … Nur ein paar Jahre später: alle drei haben einiges erreicht bei der Verwirklichung ihrer Ziele, doch das ist ihnen zu wenig. Sie scheitern an ihren Träumen und stehen vor Problemen, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Das Leben hat sie eingeholt.

Das Buch beginnt mit einer Leichtigkeit, die mich begeistert hat. Allerdings wird die dann schnell von sehr vielen Problemen abgelöst. Für mich zu viele Frauenprobleme, die in die Geschichte hineingepackt wurden, ohne dass dabei das ein oder andere wirklich vertieft angegangen wurde. Dazu kommt, dass in verschiedenen Rückblicken sehr ausführlich auf den bisherigen Lebensweg der drei Freundinnen eingegangen wurde – das hat sich für mich sehr in die Länge gezogen.

Mir fehlt in dem Buch die „Frauen-Power“. Lösungen oder zumindest Lösungsansätze gibt es wenige. Das Leben geht einfach weiter und jede versucht so gut sie kann mitzuschwimmen. Zwar nimmt das Buch gegen Ende Fahrt auf, mir war es aber insgesamt zu träge und zu wenig mitreißend. Es ist nicht nachhaltig, wenig bleibt hängen – auch emotional.

Wirklich gelungen finde ich das Cover. Es ist gerade in seiner Schlichtheit ein echter Hingucker und passt wunderbar zum ruhigen Ton des Buches. Außerdem blieben für mich beim Lesen die Personen genauso wenig greifbar wie auf dem Cover.

Fazit: Kann man lesen, muss man aber nicht und so gibt es (gerade noch) 3 Durchschnittssterne.

Bewertung vom 08.03.2020
Qube
Hillenbrand, Tom

Qube


sehr gut

Qube ist eine Fortsetzung von Hologrammatica und spielt einige Jahre danach, wobei Tom Hillenbrands Zukunftsvision grundlegend gleichbleibt. Aus meiner Sicht sollte man Hologrammatica deshalb kennen, sonst wird es hier mit den ganzen technischen Neuerungen schwierig. Ich fand es nicht mehr so überraschend und einzigartig wie den Vorgängerband, der mich sehr fasziniert hatte.

Qube erzählt ein neues, durchaus gelungenes Kapitel in dieser Zukunftswelt, wahrscheinlich nicht das letzte. Wie schon Hologrammatica wirft es viele Fragen auf, wie wir in Zukunft leben wollen. Und wie viel Einfluss wir darauf überhaupt haben – schließlich geht so einiges von den Plänen der Hauptpersonen schief.

Hauptperson ist Fran Bittner, die/den wir schon aus dem Vorgängerband kennen. Dieser sympathische Mensch führt sehr gekonnt durch die Geschichte und fasziniert mich wieder durch die fehlende Geschlechtsfestlegung. Dank der Möglichkeit in verschiedene Körper zu schlüpfen, ist das auch nicht mehr zwingend notwendig. Clever gelöst fand ich die Anredeform im Buch, die je nach verwendetem „Gefäß“ zwischen sie und er munter wechselt. Kling verwirrend, ist es aber nicht und einmal eine ganz andere Herangehensweise an die Genderthematik.

Insgesamt gibt es vier Erzählstränge, die lange Zeit parallel laufen, bis sie schließlich am Ende verknüpft werden. Die kurzen Kapitel und die ständigen Wechsel zwischen den Strängen sorgen zwar für Abwechslung, haben mich aber auch immer wieder genervt, weil ich mich nie so richtig in eine Geschichte vertiefen konnte und der Abschnitt meist mit einem Cliffhanger endete. Dazu kommt, dass ich einen der Handlungsstränge schlichtweg überflüssig fand. So richtig Fahrt nimmt das Buch erst auf, als sich nach ca. zwei Dritteln die Erzählstränge verbinden. Den Einblick in die professionelle Gamerszene muss man mögen, mir hat er sehr gut gefallen.

So überraschend und faszinierend wie Hologrammatica ist Qube leider nicht und auch die Spannung hätte durchaus höher sein können. Schön zu lesen war es trotzdem und so gibt’s gute 4 Sterne.

Bewertung vom 08.01.2020
Violet
Chevalier, Tracy

Violet


ausgezeichnet

„Violet“ ist ein sehr schönes, warmherziges und weitgehend stilles Buch, das aber im Laufe der Zeit eine große Kraft entwickelt, genauso wie die titelgebende Protagonistin.

Die Autorin nimmt uns mit in das England der 30er Jahre und sie lässt uns – genauso wie ihrer Figur – viel Zeit, uns in Winchester einzufinden. Wir lernen Violet kennen, eine nicht mehr ganz so junge Frau, die auch Jahre nach dem 1. Weltkrieg unter den dadurch erlittenen Verlusten leidet. Und die sich aufmacht, ihr eigenes Leben zu entdecken. Durch ihre Augen erkunden wir die eindrucksvolle Kathedrale von Winchester, lernen die laute Kunst des Glockenläutens und die stille Kunst des Stickens kennen. Dabei wird erfreulich wenig doziert, dafür viel erlebt.

Als LeserIn muss man sich einlassen können auf die ruhige Erzählweise und die Liebe zum Detail. Ich mochte diesen atmosphärischen Schreibstil sehr gern, ich fand ihn angenehm, ja fast meditativ, perfekt zum Abschalten. Als es dann im hinteren Teil des Buches in Violets Leben turbulent wird, war ich über diese „Störungen“ zunächst gar nicht so glücklich, da sie den geruhsamen Lesefluss unterbrachen. Bis dann die Neugierde auf die neuen Erlebnisse Violets überwog.

Tracy Chevalier erzählt über das schwierige Leben alleinstehender Frauen in einer Gesellschaft, in der alles auf die Institution Ehe ausgerichtet ist. Überhaupt schafft es die Autorin, ganz nebenbei viele historische Themen einzuarbeiten, ohne dass das Buch überladen wirkt. Die vorkommenden „Winchester Borderinnen“ unter der Leitung von Louisa Pesel mit ihren bis heute überdauernden Stickkunstwerken gab es übrigens tatsächlich. Ich finde es immer toll, wenn liebenswerte und interessante Details der Geschichte literarisch aufgegriffen werden.

Violet ist eine tolle Protagonistin, sie ist keine Heldin, sondern eine ganz normale Frau, die mit vielen Hindernissen zu kämpfen hat. Aber sie findet und geht ihren Weg, was sehr behutsam geschildert wird. Das hat mir sehr gut gefallen, denn so ist es sehr glaubhaft für ihre Zeit. Einzig ihre Gefühle, die man zwar durchaus zwischen den Zeilen lesen kann, hätte ich gern direkter und stärker miterlebt.

Fazit: Ein wunderschönes, stilles Buch mit einer sehr starken Frau, die ihren ganz persönlichen Weg findet. Ganz klare fünf Sterne von mir.

Bewertung vom 18.11.2019
Das Geheimnis von Shadowbrook
Fletcher, Susan

Das Geheimnis von Shadowbrook


ausgezeichnet

Ein tolles, ganz besonderes Buch, in dem eine junge Frau nach der Wahrheit sucht und im Laufe des Buches wesentlich mehr als diese findet. Sie bekommt einen viel weiteren Blick auf sich selbst und das Leben.

Clara Waterfield ist eine ganz besondere Protagonistin. Sehr gebildet, aber absolut ungeübt im Umgang mit Mitmenschen, da sie durch eine Krankheit während ihrer Kindheit ihr Elternhaus nicht verlassen konnte. Sie ist eigenwillig, unkonventionell und sehr direkt. Eigenschaften, die am Vorabend des 1. Weltkrieges bei einer Frau nicht gern gesehen wurden, doch gerade deshalb geht sie ihren ganz eigenen Weg. Mich hat Clara mit ihrer frischen Herangehensweise und dem Hinterfragen von allem, was ihr begegnet, begeistert und von Anfang an in den Bann gezogen.

Ich-Erzählerin Clara kommt durch ungewöhnliche Umstände auf ein ländliches Anwesen im südlichen England, in dem es spucken soll. Naturwissenschaftlich gebildet wie sie ist, will sie dieses Phänomen möglichst schnell aufklären. Es passiert so einiges, was Clara ihre vorgefassten Meinungen überdenken lässt. Im Laufe des Buches wandelt sich ihre Einstellung und diese Entwicklung fand ich sehr nachvollziehbar und glaubwürdig. Für mich steht im Mittelpunkt des Buches Clara und ihr Erleben, die Geschehnisse in Shadowbrook, so der titelgebende Name des Anwesens, sind nur der Aufhänger dafür.

Das Buch ist ein eher stilles Buch, es lebt vor allem von den detailliert gezeichneten Personen und ihren Dialogen. Mich hat dieser Schreibstil überzeugt, denn ganz unaufgeregt, aber trotzdem sehr fesselnd, mitreißend und kurzweilig wird von den Geschehnissen auf Shadowbrook und Claras Erlebnissen erzählt. Begeistert hat mich die ländliche, sehr englische Landhausatmosphäre, die sehr gut transportiert wird.

Fazit: Ein ganz tolles Buch, das ich mit großer Begeisterung gelesen habe. Ohne große Action, aber mit viel Gefühl, erzählt es vom Wachsen einer starken Persönlichkeit. 9 Eulenpunkte und eine große Leseempfehlung für alle, die an Menschen und nicht an Handlungen interessiert sind.

Bewertung vom 22.09.2019
Ein neues Blau
Saller, Tom

Ein neues Blau


ausgezeichnet

„Ein neues Blau“ hat eine ganz eigene, für mich sehr ungewohnte, aber sehr wohltuende Atmosphäre. Ich habe es als „stilles“ Buch empfunden, da immer wieder ganz bewusst die leisen Momente im Leben von Lili, der Hauptperson, betont werden. Und das, obwohl Lili zwischen den beiden Weltkriegen geboren wird und so in einer sehr ereignisreichen, „lauten“ Zeit lebt. Ich finde es toll, dass der Autor dazu (wohl ganz bewusst) einen Gegensatz setzt und der Text oft ganz leise Töne anschlägt. Damit verbunden ist auch eine gewisse Entschleunigung. Bei bestimmten Schilderungen wie z. B. der japanischen Teezeremonie ist mir aufgefallen, dass ich automatischer langsamer und bewusster lese. Dazu passen auch die kurzen, lesefreundlichen Kapitel, die mich am Ende immer wieder innehalten und meinen eigenen Gedanken nachhängen ließen.

Im Gegensatz zu der Stille ist das Buch aber inhaltlich enorm vielseitig und bringt ganz unterschiedliche Themen zusammen. Japanische, jüdische und deutsche Traditionen treffen aufeinander, Tee und Porzellan spielen eine große Rolle, zeitgenössische Kunst und natürlich auch die Politik finden ihren Platz. Das Buch wirkt dadurch aber nicht überladen, sondern fügt die unterschiedlichen Themen wunderbar zueinander, denn im Mittelpunkt steht immer das junge Mädchen Lili und ihr Aufwachsen. Oft steht in Büchern in diesem Handlungszeitraum der aufkommende Nationalsozialismus im Mittelpunkt. Ich fand es sehr wohltuend, dass es hier nicht so ist, sondern sich die politische Situation in das Gesamtbild einfügt, nicht aber vorherrschend ist.

Daneben gibt es eine Rahmenhandlung, die im Jahr 1985 spielt und in der Lili auf Anregung der Schülerin Anja auf ihr Leben zurückblickt. Auch diese Geschichte rahmt sich wieder perfekt in die Gesamtkomposition ein und ich finde die enge Verzahnung beider Teil am Ende wirklich toll. Ebenso positiv empfand ich die große Tiefe, die das Buch gegen Ende erhält – ein wichtiges Thema ist dabei (vermeintliche) Schuld. Die beiden Zeitebenen und auch die darin enthaltenen Zeitsprünge erfordern aber eine gewisse Aufmerksamkeit, so dass das Buch zum gedankenlosen Lesen nichts ist. Für mich war es auch wichtig, das Buch langsam zu lesen, denn es stecken sehr viele schöne, poetische Sätze und Gedankenanstöße darin.

Nahezu nebensächlich webt der Autor immer wieder sehr viele Informationen in seinen Text ein. Die vielen Themen werden nicht nur angesprochen, sondern es wird auch viel dazu erklärt. Manchen mag dieses Info-Dumping vielleicht stören, ich lerne gern beim Lesen so „nebenbei“ dazu und so fand ich diese Zusatzinformationen immer sehr interessant.

Ein toll komponiertes Buch - einen großen Kritikpunkt habe ich aber dennoch. Für mich bleibt die Beziehung zu Lili etwas auf der Strecke. Man erlebt sie in ihrem Aufwachsen und begleitet sie, doch emotional entsteht wenig Bindung. Mit fehlt dabei vor allem das Innenleben Lilis, es wird alles aus einer äußeren Erzählersicht sehr distanziert geschildert. Dass der Autor es auch anders könnte, zeigen die Kapitel der Rahmenhandlung, denn hier erzählt Anja als Ich-Erzählerin sehr direkt, authentisch und empathisch von ihrem Erleben.

Fazit: Ein schönes, wohltuendes Buch, in dem leider die Emotionalität etwas zu kurz kommt. Trotzdem vergebe ich gerade noch 5 Sterne, weil der Autor es ganz unaufdringlich geschafft hat, sehr viele unterschiedliche Themengebiete perfekt miteinander zu verweben.

Bewertung vom 23.08.2019
Mittwoch also
Elstad, Lotta

Mittwoch also


sehr gut

Sprachlich ist das Buch wohl einzigartig. Konsequent berichtet die Ich-Erzählerin Hedda aus ihrem Leben und zwar so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie springt hin und her, von einem zum nächsten, kommt vom hundertsten ins tausendste. Mal sind es Geschehnisse von heute, mal von gestern, anfangs auch vom letzten Monat. Nicht nur was sie sich gerade denkt und erlebt, sondern auch gerne, was ihre beiden Liebhaber (die sich beide gerne reden hören) so alles sprachlich von sich geben. Dabei geht es dann querbeet um Politik, Philosophie, Feminismus, das Leben im Allgemeinen und im Besonderen. Das ist chaotisch, kurzweilig, phasenweise anstrengend und manchmal auch nervig. Teilweise habe ich nicht verstanden, von was sie da alles spricht – da fehlt mir das (norwegische und sonstige) Hintergrundwissen. Aber da es für die Geschichte nicht von Bedeutung ist, war mir das auch egal. Lesbar wird das Sammelsurium durch die Einteilung in kurze Kapitel und unterschiedliche Abschnitte, so dass ein äußeres Gerüst die Geschichte rahmt.

Unter dem ganzen Blabla des Hintergrundgemurmels entdecken wir die eigentliche Geschichte von Hedda. Ein gestrandetes Großstadtkind mit sich häufenden Problemen: Liebe, Wohnung, Geld, Job und dann auch noch eine ungewollte Schwangerschaft. Es ist DIE große Kunst der Autorin, Heddas Geschichte so indirekt, ja fast unterschwellig „nebenbei“ zu erzählen. Das Wichtigste steht zwischen den Zeilen oder wird in kurzen Andeutungen angerissen. Und trotzdem transportiert Lotta Elstad vielleicht gerade durch diese ungewöhnliche Erzählweise Heddas Persönlichkeit, ihre Sprunghaftigkeit, ihre Art zu leben weitaus besser, als eine andere Form es gekonnt hätte. Hedda ist keine einfache Protagonistin, sie ist sperrig und – einfach Hedda. Über sie gäbe es viel zu schreiben, doch das hier ist eine Buchrezension und keine Persönlichkeitsanalyse – deswegen belasse ich es dabei.

Auch wenn es anfangs nicht so aussieht, folgt das Buch einem roten Faden. Und erzählt einen bestimmten Abschnitt in Heddas Leben, nämlich den ihrer frühen Schwangerschaft. Nicht mehr, nicht weniger. Wer ein rosarotes Herzchenbuch erwartet oder eine reflektierte Abwägung von „Für“ und „Gegen“ Abtreibung, der soll bitte die Finger vom Buch lassen.

Fazit: Ich bin sehr froh, das Buch gewonnen zu haben, denn so durfte ich eine ganz neue, unerwartete Leseerfahrung machen. Es ist durchaus ein anstrengendes Buch - sprachlich und mit sperriger Protagonistin - aber es zeigt, wie Literatur auch funktionieren kann. Mit einer ganz ungewohnten Erzählweise, die ich als „jung“ und „modern“ bezeichnen würde. Von mir vier Sterne für ein gelungenes Experiment.

Bewertung vom 07.04.2019
Ein wirklich erstaunliches Ding
Green, Hank

Ein wirklich erstaunliches Ding


ausgezeichnet

Nicht nur ein erstaunliches Ding, das April May da eines nachts mitten am Gehsteig entdeckt - sondern auch ein wirklich erstaunliches Buch, das Hank Green damit geschaffen hat! Sehr frisch, ganz ungewöhnlich und immer wieder überraschend und witzig kommt diese Geschichte um die „Carls“ und viel mehr noch um April May daher. Ich fand es toll und es ist für mich schon jetzt ein Highlight des Lesejahres!

Das liegt nicht nur an der außergewöhnlichen Handlung, es liegt vor allem an der sehr spritzigen Erzählart der Ich-Erzählerin April May. Sie beschönigt nichts, erzählt schonungslos über ihr Erleben und auch ihre Fehler und macht durch ihre Andeutungen immer wieder neugierig. Ein richtiges „Kind“ ihrer Zeit, verbunden in sozialen Netzwerken und - auch wenn sie es anfangs nicht zugeben will – natürlich auf der Suche nach „Likes“ und „Klicks“. Gerade diese Verbindung zwischen Unterhaltung (durch die „Carl“-Geschichte) und Ernsthaftigkeit (Umgang mit sozialen Netzwerken) macht den Reiz dieses Buches aus. Hier ist eine Fantasy-Geschichte, die einfach Spaß macht, mit aktuellen Fragestellungen und Problemen verknüpft und als Leser ist man aufgefordert, sich seine eigenen Gedanken dazu zu machen.

April May ist als Protagonistin und „Heldin“ wesentlich sperriger, als es zunächst aussieht. Sie ist nicht die Super-Heldin, die alles richtig macht. Ganz im Gegenteil: eher naiv, unbeholfen und manchmal auch sehr verletzend stolpert sie durch die Geschichte. Zumindest sieht sie ihre Fehler, auch wenn sie sie immer wieder macht. Trotzdem ist sie eine „perfekte“ Protagonistin, eben weil sie Ecken und Kanten hat wie jeder andere Mensch auch.

Fazit: Ein ungewöhnliches Buch, das mich sehr überrascht und begeistert hat. Es macht einfach Spaß zu lesen, erzählt eine außergewöhnliche Geschichte und verbindet trotzdem ganz aktuelle Fragen damit. Sehr empfehlenswert und fünf Punkte auf jeden Fall wert!

P. S. Und ein Buch, in dem so tolle Lieder wie „Don’t stop me now“ von Queen eine Rolle spielen MUSS einfach gut sein. :-)