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Waldeule

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 11.09.2022
Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1
Yokomizo, Seishi

Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1


sehr gut

Solider japanischer Krimi im Stil Agatha Christies

Auf der Rückseite des Buches steht ein Zitat der Japan Times „… Vergleiche mit Sherlock Holmes sind absolut gerechtfertigt.“ Mit dem legendären Sherlock Holmes möchte ich das Buch nun nicht unbedingt vergleichen, aber mit einer anderen Meisterin des Cosy-Krimis, Agatha Christie, kann es meiner Meinung nach auf jeden Fall mithalten.

Wie bei Agatha Christie geht es vielmehr um genaue Beobachtungsgabe und schlaues Kombininieren als um blutige Tatbeschreibungen oder raffinierte technische Hilfsmittel. Vergleichbar ist auch die Handlungszeit 1937, nur dass dieses Buch nicht in England oder im Orient, sondern im ländlichen Japan spielt. Seishi Yokomizo ist ein bekannter japanischer Krimiautor, der diesen Auftaktband um den Detektiv Kosuke Kindaichi bereits 1973 in Japan veröffentlichte. Doch genau wie bei den Krimis von Agatha Christie ist die Handlung und ihre Aufklärung zeitlos und lässt sich heute noch genauso gut lesen wie damals. Natürlich gibt zahlreiche falsche Fährten, wobei von Anfang an der Kreis der Begrenzten begrenzt ist, was zum Miträtseln und Ermitteln einlädt.

Der sehr sympathische Erzähler ist der Autor selbst, der immer wieder die Leser auch direkt anspricht und mit an den Tatort nimmt. Er weist von Beginn an auf die Besonderheit des „Locked Room Murder Mystery“ hin und wird nicht müde, zahlreiche andere (literarische) Kriminalfälle dieser Art zum Vergleich heranzuziehen. Dieses Vorgehen hat mir immer wieder ein Schmunzeln entlockt, lockert es doch auf und bietet viele Querverweise.

Der für mich exotische Handlungsort Japan macht einen zusätzlichen Reiz der Geschichte aus. Ganz automatisch erfährt man viel über das Leben japanischer Höhergestellten auf dem Land kurz vor dem 2. Weltkrieg. Zahlreich auftretende japanische Wörter werden entweder leser/innen-freundlich direkt im Text erklärt oder lassen sich im Glossar nachschlagen. Auch ein Personenregister hilft bei der Orientierung. Zwar sind zumindest mir manche Handlungen der Protagonisten fremd, doch kann ich sie zumindest nachvollziehen. Auch der Plot ist zufriedenstellend, so dass ich das Buch mit befriedigt zugeklappt habe.

Fazit: Ein gut geschriebener solider japanischer Krimi im Stile Agatha Christies. Kein Highlight, aber ein schönes Lesevergnügen. Daumen hoch und vier Sterne.

Bewertung vom 26.08.2022
Matrix
Groff, Lauren

Matrix


ausgezeichnet

Außergewöhnlich und faszinierend
Ein ganz und gar ungewöhnliches, um nicht zu sagen außergewöhnliches Buch! Es lässt sich nicht in die ansonsten üblichen Bewertungsschemas „gefällt“ oder „gefällt nicht“ einordnen, da es nicht unbedingt „schön“, aber intelligent geschrieben und anregend, teilweise auch fordernd ist.

Ungewöhnlich ist es sowohl stilistisch als auch inhaltlich. Der Stil ist auf der einen Seite nüchtern, mehr distanzierte Erzählung als lebendiger Roman, mit durchgehend indirekter Rede. Oft mit langen, verschachtelten Sätzen. Auf der anderen Seite ist die Sprache wunderschön, fast poetisch. Der Rhythmus hat mich oft an ein Lied erinnert, ohne das aber an bestimmten Dingen festmachen zu können. Die Sprache trägt durch das Leben von Marie, einer jungen unehelichen französischen Adligen, die unfreiwillig zur Priorin eines abgelegenen englischen Klosters wird. Auch das ungewöhnlich - Klosterleben im 12. Jhd. ist üblicherweise kein Thema für heutige Bestseller.

Faszinierend fand ich, wie mich Maries Geschichte aus einer ganz anderen Zeit nicht nur in den Bann gezogen, sondern mir auch so viel zum heutigen Leben zu sagen hat bzw. mich viel zum Nachdenken anregt. Ganz unwillkürlich tauchten bei mir Fragen auf, nach der Kraft der Frauen z. B., nach dem sinnvollen Einbringen in eine Gemeinschaft oder aber auch nach Macht und wie viel davon für eine einzelne Person gut ist.

Das Buch fordert, ohne Frage. Man muss sich einlassen auf Marie, die viele unterschiedliche Seiten hat und nicht nur im Aussehen, sondern auch im Charakter kantig und sperrig ist. Man muss sich auch einlassen können auf ihre Art, die Welt zu sehen inkl. mystischer Erfahrungen und ganz eigener religiöser Anschauungen. Belohnt wird man dafür mit einem großartigen Buch, das sicherlich im Gedächtnis bleibt. Einige Längen im Mittelteil verzeihe ich da gern.

Erwähnen möchte ich noch, dass es Marie als Marie de France tatsächlich gegeben hat. Viel weiß man nicht mehr über sie, so dass die Darstellung größtenteils fiktiv ist. Doch dass es tatsächlich so gewesen hätte sein können macht das Buch für mich noch reizvoller.

Fazit: Ein außergewöhnliches und faszinierendes Buch, auf das man sich aber einlassen muss. Fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung für alle, die von Literatur mehr als nur „Unterhaltung“ wollen.

Bewertung vom 27.07.2022
Beifang
Simons, Martin

Beifang


gut

Differenzierte, aber wenig berührende Familiengeschichte

Der Titel klingt nach Fischfang und Meer, doch das Cover deutet den tatsächlichen Inhalt des Buches an: es geht um den Zechenort Beifang am Rande des Ruhrgebiets. Frank möchte nach dem Verkauf seines Elternhauses mehr über die Geschichte seines Vaters sowie Großvaters erfahren.

Es ist ein atmosphärisches und dichtes Buch, das sich fast ausschließlich auf die Spurensuche Franks beschränkt. Aus verschiedenen Perspektiven, in erster Linie von Franks Onkel und Tanten, wird die Person des Großvaters betrachtet. Die verschiedenen Erinnerungen und Hinterlassenschaften ergeben so nach und nach ein differenziertes Bild, in dem sich die eine Wahrheit nur schwer finden lässt.

Die Tiefe des Buches, in dem viel erzählt und wenig gewertet wird, hat mir gut gefallen. „Man macht ständig Kompromisse und merkte erst im Nachhinein, welcher davon der eine zu viel gewesen war.“ (Buch S. 219) Trotzdem fand ich es stellenweise anstrengend zu lesen. Immer wieder musste ich zurückblättern, wer bei den vielen Geschwistern wer ist bzw. wer was gesagt hat. Außerdem konnte es mich bis zum Ende nicht fesseln, die Personen blieben mir fremd und so haben mich auch die Erkenntnisse Franks wenig berührt. Es blieb bei mir (zu) wenig hängen.

Fazit: Eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Großelterngeneration. Sehr differenziert, aber auch anstrengend zu lesen. Letztlich bleibt für mich zu wenig zurück und so vergebe ich gerade noch drei Sterne.

Bewertung vom 16.05.2022
Selbstversorgung
Diederich, Marie

Selbstversorgung


sehr gut

Vorneweg: die Aufmachung des Buches ist toll. Sehr stabiles Hardcover mit Lesebändchen, dickes Papier mit einer angenehmen Haptik und durchgehend farbige Bilder, davon viele ganzseitig. Dazu farbig abgesetzte Seiten. Da rechtfertigt die hochwertige Ausstattung auch den hohen Preis. Allerdings hätte ich mir manchmal eine andere Bildauswahl gewünscht (dazu später mehr).

Wie bei anderen Ratgeberbüchern ist die Meinung über den Inhalt sehr individuell. Die eine findet genau das an Information, was sie sucht/braucht, der andere nicht. So ist auch meine Meinung sehr subjektiv. Ich kenne weder andere Sachbücher zu diesem Thema noch den Blog oder Videos der Autorin, so dass ich sehr unvoreingenommen an das Buch heranging.

Der „Untertitel“ des Buches: Dein eigenes Gemüse anbauen, mit Hühnern kuscheln, in selbstgebackenes Brot beißen tritt die Aufteilung sehr gut. Im größten Teil (ca. 2/3 des Buches) geht es um den Anbau von Gemüse und etwas Kräuter sowie Obst. Neben vielem Basiswissen wie Gartenplanung, Beetanlage oder Mulchen nehmen die sehr ausführlichen und detaillierten Pflanzenporträts großen Raum ein. Dabei unterscheidet die Autorin sehr charmant zwischen Pflanzen für Schnuppernächsen (Anfänger), Schwärmern (Fortgeschrittene) und Gemüseflüsterern (Profis). Ich habe zwar etwas Gartenerfahrung, konnte aber bei der Lektüre viel lernen und Neues erfahren.

Leider sind die Bereiche Kräuter und Obst mit nur wenigen Sorten meiner Meinung nach zu kurz gekommen. Dafür hätte ich persönlich gern auf die Tierhaltung – aufgegliedert in Hühner, Ziegen und Schafe – verzichtet. Das ist ja doch ein spezielles Thema und wäre wohl ausführlicher in einem eigenen Buch besser aufgehoben gewesen, auch wenn es eine gute Übersicht über die Grundlagen der Tierhaltung und Verarbeitung der tierischen Produkte gibt.

Mehr anfangen konnte ich wieder mit dem letzten großen Kapitel, dem Haltbarmachen von Gemüse und Obst sowie dem Brotbacken. Einkochen und Fermentieren war jahreszeitlich noch nicht drin, aber an das Backen mit Sauerteigbrot habe ich mich herangewagt und es hat nach ein paar kleineren Startschwierigkeiten gut funktioniert.

Insgesamt finde ich im Buch sehr viele verschiedene Informationen. Marie Diederich hat dabei ihre ganz eigene Methode zu gärtnern. Auch wenn ich sicher nicht alles so machen werde, konnte ich mir doch einiges abschauen. Nicht ganz glauben kann ich die Zeitangaben, selbst wenn mit viel Erfahrung sicherlich etliches schneller von der Hand geht. Aber z. B. drei Stunden wöchentlicher Aufwand für einen Selbstversorgergarten in einem 3-Personen-Haushalt finde ich zu gering angesetzt. Vielleicht im Jahresdurchschnitt, aber doch sicherlich nicht in der Hoch-Zeit im Frühjahr oder Sommer. Interessant und auflockernd fand ich die immer wieder eingeschobenen Texte, in denen sich die Autorin zu verschiedenen Themen rund um die Selbstversorgung Gedanken macht.

Ein ganz großes Plus ist der lockere Stil, in dem Marie Diederich schreibt. Als Leser*in werde ich persönlich angesprochen und die Texte kommen mir mehr wie ein Gespräch unter Freunden vor als ein Sachtext. So lassen sie sich ausgesprochen gut lesen. Dazu kommt Marie Diederichs sehr große Begeisterung, die durchgehend spürbar wird. Das motiviert ungemein und regt an, selber loszulegen und eigene Erfahrungen zu sammeln, egal wie die Umstände sind. So habe ich mich an das schon lang geplante und immer aufgeschobene Sauerteigbrot gewagt und es war längst nicht so schwierig und viel weniger zeitaufwändig als gedacht. Allerdings hätte ich mir hin und da doch noch etwas genauere Informationen und das ein oder andere hilfreiche (und nicht nur dekorative) Foto gewünscht.

Fazit: Sehr viele (hilfreiche) Informationen, eine tolle Aufmachung und vor allem spürbare Begeisterung der Autorin, die ansteckt. Einige Kritikpunkte habe ich aber trotzdem und so bleibt es bei vier sehr guten Sternen. :-)

Bewertung vom 13.03.2022
Kaiserstuhl
Glaser, Brigitte

Kaiserstuhl


ausgezeichnet

Ein tolles Buch! Eines, das mich total begeistert hat, denn es hat alles, was ich mir bei guten Büchern wünsche: eine packende (fiktive) Geschichte, die vor dem Hintergrund realer Historie erzählt wird; spannende Charaktere, die nicht einfach nur schwarz oder weiß sind und dazu ein anschaulicher Schreibstil, der mich mit vielen kleinen Details und Bildern in eine andere Lesewelt entführt.

Ihr merkt, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu schwärmen. Das Buch kurz zusammenzufassen ist für mich nahezu unmöglich, weil es so vielseitig ist. Deswegen sei hier ein Satz aus dem Klappentext des Buches zitiert:

„Kaiserstuhl erzählt von der heilenden Erfahrung, sich der Vergangenheit zu stellen und zu vergeben – und von den Anfängen des europäischen Traums.“

Das finde ich hervorragend auf den Punkt gebracht! Ergänzend sei nur noch gesagt es geht um das Leben im Grenzgebiet Deutschland/Frankreich nach und auch während des Krieges, wobei sowohl die große Politik als auch die kleinen Alltäglichkeiten 1962/1963 geschickt eingeflochten werden. Eines der weiteren großen Themen ist Champagner und Wein, ebenfalls etwas, was beide Länder eng miteinander verbindet. Als fiktiver roter Faden passt da die Suche nach einer verschwundenen Champagnerflasche sehr gut dazu.

Die Autorin schafft es bei aller Komplexität, die ganzen Fäden in der Hand zu behalten und alle Stränge in ein großes Ganzes einzubinden. Das finde ich angesichts der Vielzahl der angesprochenen Themen eine ganz große Kunst und damit ist ihr meiner Ansicht nach wirklich eine Meisterleistung gelungen.

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen. Die Handlung ist auf einige wenige Hauptpersonen fokussiert, die wir durchgehend begleiten. So fügen sich alle anderen Stränge um Henny, Paul, Kätter und Kaspar wunderbar ein und das Buch verliert sich nicht in Nebenschauplätzen. Man muss sich einlassen können auf das Buch, es erfordert eine gewisse Konzentration. Belohnt wird man dafür mit einer sehr lesenswerten, komplexen und vielseitigen Geschichte. Die kurzen Kapitel haben mich immer wieder an einen Film erinnert – übrigens auch ein wiederkehrendes Thema des Buches – der in verschiedenen Szenen die Geschichte und ihre Hintergründe langsam entwickelt. Das passt hier perfekt.

Die Protagonisten sind nicht einfach. Sie haben alle ihre Erfahrungen gemacht und sind dadurch zu denen geworden, die sie im Gegenwartsstrang sind. Das fand ich sehr gut dargestellt, vor allem mit einer großen Tiefe. Überhaupt mag ich Protagonisten, die in Grautönen gezeichnet sind. Sie alle wachsen im Laufe des Buches und schaffen es, über ihren eigenen Schatten zu springen. Eine Entwicklung, die ich gerne mit ihnen gegangen bin.

Fazit: Ein Buch, über das ich noch lange schwärmen könnte. Für mich hat es perfekt gepasst und deswegen vergebe ich ausgezeichnete fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung an alle, die komplexe Geschichten aus der Nachkriegszeit mögen und sich gerne darauf einlassen.

Bewertung vom 23.01.2022
Gelassen leben
Middendorf, Katharina

Gelassen leben


ausgezeichnet

Punktgenaue Infos, hilfreiche Impulse und tolles Layout

Hinter dem unscheinbaren Cover verbirgt sich ein äußerst wertvoller Inhalt. Auf 220 Seiten gibt viele hilfreiche Informationen und Tipps zu den Themen Stress(vermeidung), Lebensfreude, Selbstliebe, Ausgeglichenheit, Kommunikation und Lebensgestaltung.

Dabei sind die Sachinformationen knapp und genau auf den Punkt zusammengefasst. Auf jeweils einer Doppelseite wird nur das Wesentliche präsentiert, so dass das Buch ein tolles Informations- und Nachschlagewerk zu den genannten Themen ist, ergänzt mit sinnvollen Impulsen. Wer darüber hinaus mehr wissen will, kann leicht nach den genannten Experten oder Stichpunkten im Internet suchen oder nutzt die angegebenen Webseiten. Eine perfekte Zusammenfassung auch von Inhalten, die mir schon bekannt waren. Etliches war für mich aber neu und einige Dinge habe ich zwar so wahrgenommen, hatte aber keine Benennung dafür. Da hat mir das Buch sehr geholfen.

Neben den Infoseiten gibt es sehr viele „Besser nicht“/“Viel besser“-Seiten, in denen positive und negative Verhaltensweisen gegenübergestellt werden. Diese immer mit tollen, aussagekräftigen Fotos, genauso wie der Rest des Buches. Diese Gestaltung des Buches begeistert mich genauso wie der Inhalt, denn es ist sehr übersichtlich strukturiert und absolut passend bebildert. Auch wenn die Seiten eine tolle Haptik haben hätte ich mir aber eine wertigere Ausstattung gewünscht, dann könnte das perfekte Layout noch besser zur Geltung kommen.

Für mich ist es kein Buch zum klassischen Durchlesen von vorne nach hinten, sondern ich nehme es immer wieder gerne zur Hand, blättere darin und lese die Punkte, bei denen ich hängenbleibe. So kann ich mich einlassen auf die gewinnbringenden Ideen und vielfältigen Tipps, die oft überdacht, verarbeitet und ausprobiert werden wollen.

Fazit: Ein enorm gewinnbringendes Buch mit vielen Informationen auf den Punkt gebracht und hilfreichen Impulsen, mehr Gelassenheit ins eigene Leben zu bringen. Leuten, die sich für das Thema interessieren, sehr zu empfehlen.

Bewertung vom 10.01.2022
Unser kostbares Leben
Fuchs, Katharina

Unser kostbares Leben


ausgezeichnet

Ein richtig schöner Schmöker, der nicht nur unterhaltsam ist, sondern auch viel Zeitgeist aus den 1970er-Jahren vermittelt. Mir hat das Buch aus verschiedenen Gründen sehr gut gefallen.

Zum einen fand ich es nahe dran an den Protagonistinnen. Wir dürfen die Freundinnen Minka und Caro und deren Adoptivschwester Claire über ein Jahrzehnt hinweg begleiten. Als LeserIn erleben wir sie zunächst als Kinder, dann als suchende Jugendliche und letztlich als junge Frauen, die ihren eigenen Weg finden. Die Kapitel sind sehr leserInnenfreundlich mit den Namen der handelnden Personen überschrieben, wobei in diesen immer wieder auch Personen aus dem Umfeld der Mädchen in den Mittelpunkt gerückt werden. So ergibt sich nach und nach ein sehr umfassendes Bild vom Aufwachsen in einer Kleinstadt.

Zum anderen fand ich das Buch sehr lebensnah. Es gibt Höhen und Tiefen im Leben der drei Charaktere und diese dürfen wir miterleben. Aber dabei bleibt das Buch immer realistisch und ausgewogen, ohne übertriebene Dramatik. Wie im wahren Leben bleiben manche Fragen offen und nicht alle Ziele können erreicht werden. Doch immer wieder gibt es Etappenfolge zu feiern und darauf liegt der Fokus. Das fand ich wesentlich realistischer und angenehmer zu lesen, als wenn sich alle Probleme in Wohlgefallen aufgelöst hätten.

Besonders begeisterte mich die sehr gut vermittelte Atmosphäre der 1970er, wozu auch die eingestreuten Liedtexte dieser Zeit beitragen (die man dann unvermittelt mitsummt). Die Details des ganz normalen Alltags werden dabei genauso thematisiert wie die große Politik. Sicher nicht zufällig spielt die Handlung hauptsächlich 1972, 1976 und 1980, jeweils die Jahre einer Bundestagswahl. Ich habe etliches über die politische Entwicklung Deutschlands zur damaligen Zeit erfahren und wurde angeregt, einiges nachzulesen. Ich mag Bücher, die das anstoßen. Großes Augenmerk wird auf die gedankenlose Umweltzerstörung und die darauf entstehende Gegenbewegung gelegt. Für mich in dieser Zeit geborene war es sehr interessant, die damaligen Geschehnisse literarisch mitzuerleben.

Das Aufwachsen der drei Mädchen und die gesellschaftlichen und politischen Schilderungen sind dabei sehr geschickt ineinander verwoben und bilden ein perfektes Ganzes. Daneben ist das Buch sehr gut und anschaulich geschrieben und so entwickelt die Geschichte schnell einen Lesesog, den ich mich nicht entziehen konnte. Wie ganz am Anfang schon geschrieben: ein tolles Buch zum wegschmökern, das darüber hinaus auch noch einiges mitgibt. Fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung für alle Interessierten an dieser Zeit.

Bewertung vom 31.12.2021
Das Geheimnis des blauen Skarabäus
Michéle, Rebecca

Das Geheimnis des blauen Skarabäus


sehr gut

Ägypten 1921 – die Suche nach den Gräbern der Pharaonen ist in im vollem Gang. Auch Cleo, eine junge Engländerin, deren Vater als Archäologe arbeitet, lässt sich vom Fieber anstecken. Der abenteuerliche Roman führt von den grünen Hügeln Cornwalls über das quirlige, exotische Kairo in die heiße und staubige Wüste Ägyptens. Dabei bin ich Cleo und ihren Reisegefährten sehr gerne gefolgt.

Überhaupt habe ich mich sehr gefreut, eine Neuerscheinung aus der Hoch-Zeit der archäologischen Ausgrabungen in Ägypten entdecken zu können, habe ich von diesem Genre doch schon viel zu lange nichts mehr gelesen. Ich wurde dabei nicht enttäuscht, denn das Buch ist sehr kurzweilig, spannend und entführt in vergangene Zeiten und ferne Länder. Der Zeitgeist der 1920er, in dem die starren englischen Standesunterschiede so langsam aufbrechen, ist deutlich zu spüren. Dabei bleibt das Buch aber immer realistisch und nachvollziehbar.

Immer wieder kam es zu überraschenden Wendungen, die aber sehr gut ins Gesamtbild passen. Als LeserIn lässt es sich prima miträtseln, welches Geheimnis sich hinter dem blauen Skarabäus verbirgt. Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Abenteuerroman, Historie, Krimi und Liebesgeschichte. Mit über 400 Seiten ist es kein dünnes Buch, für mich hätte es gerne aber auch noch länger sein dürfen. Ich habe die Atmosphäre sehr genossen und konnte die Seiten so richtig wegschmökern. Manche Szenen gingen mir sogar etwas zu schnell.

Die Hauptperson Cleo ist sehr sympathisch und hat genau die richtige Kombination aus Angepasstheit, die zu der Zeit von jungen Frauen erwartet wurde, und eigener Ziele. Alle Protagonisten sind erfreulicherweise in Grautönen und nicht in starres schwarz-weiß gezeichnet und haben so ihre positiven und negativen Seiten.

Fazit: Ein gelungener Abenteuerschmöker, bei dem auch Kopf und Herz nicht zu kurz kommen.

Bewertung vom 31.12.2021
16 Uhr 50 ab Ellingen
Sigrun Arenz

16 Uhr 50 ab Ellingen


ausgezeichnet

„Ein fränkisch-britischer Kriminalroman“ so steht auf dem Cover des Buches und das trifft es meiner Meinung nach sehr gut. In bester Agatha-Christi-Tradition geschieht ein unblutiger Mord innerhalb eines festgelegten Personenkreises – beste Voraussetzungen für die LeserInnen, selbst auf Tätersuche zu gehen. Dabei wimmelt es auf dem fränkischen Schlosshotel nur so von Verdächtigen, denn alle haben ihre Geheimnisse.

Neben der spannenden Suche nach dem Täter hat es mir vor allem die Atmosphäre des Buches angetan. „Britisch“ angehaucht ist nämlich nicht nur Titel und Krimigenre, sondern auch der stattfindende Winterball im Regency-Stil. Jane-Austen-LeserInnen kommen dabei voll auf ihre Kosten, denn trotz Mordermittlungen und Handy steckt das Buch voller Anspielungen auf ihre Geschichten.

Es ist also ein ganz wundervoller Retro-Krimi, der trotzdem modern und frisch wirkt. Die Auflösung ist durchaus ungewöhnlich, trotzdem nachvollziehbar und stimmig. Und auch die übrigen Geheimnisse werden überzeugend aufgedeckt.

Fazit: Für mich stimmt hier eigentlich alles: Atmosphäre, Schreibstil, (verdächtige) Personen und Handlung. Ich habe das Buch sehr genossen.

Bewertung vom 31.10.2021
Die Enkelin
Schlink, Bernhard

Die Enkelin


ausgezeichnet

Lebenslinien eindringlich erzählt

Bernhard Schlink ist ein begnadeter Erzähler. Das zeigt er auch wieder in seinem neusten Roman „Die Enkelin“. Er beherrscht die Kunst, in wenigen Worten sehr detailreich mit vielen Zwischentönen ganze Lebensgeschichten zu erzählen. Den eindringlichen und sehr nahe gehenden Schreibstil Schlinks finde ich auch in diesem Roman beeindruckend und ich mag die große spürbare Empathie zu den Personen.

Trotzdem schafft es Bernhard Schlink, mich in seinen Büchern immer wieder zu überraschen. Das gelingt ihm auch hier, als die melancholische Spurensuche Kaspars nach der Vorgeschichte seiner verstorbenen Frau plötzlich endet und er vor einer ganz neuen Herausforderung steht: Wie umgehen mit dem völkischen Gedankengut unserer Zeit? Hielt ich die Darstellung dieser sehr traditionellen Lebensweise zunächst für übertrieben, hat mich eine kurze Internetrecherche eines besseren belehrt. Schlink hat es hier (wieder) geschafft, mit dem Aufgreifen dieser real existierenden Parallelwelt meiner Weltsicht neue Facetten hinzuzufügen.

Dabei werden immer wieder auch ganz große Lebensfragen aufgeworfen: Wann ist es besser zu gehen, wann zu bleiben? Großmutter, Mutter und Tochter müssen auf diese Frage eine Antwort finden, ihre eigenen Entscheidungen treffen und vor allem damit leben. Mit ruhigen Worten, aber umso intensiver spürt Schlink dem Leben dieser Frauen nach, zusammengehalten durch die Hauptperson Kaspar. Die Lebensgeschichten der Protagonisten werden dabei gekonnt miteinander verwoben und ich bewundere den Autor, auf nicht einmal 400 Seiten so viel erzählen zu können.

Einzig mit dem Mädchen Svenja hatte ich zum Teil einige Probleme. Ob ihre fast märchenhafte Entwicklung in der Realität wirklich so sein könnte?

Fazit: Wie gewohnt beschreibt Bernhard Schlink mit leisen, aber eindringlichen Tönen das Schicksal seiner Protagonisten. Für mich ein besonderes Lesehighlight, deshalb auf jeden Fall empfehlenswert!