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anyways
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greifswald

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Insgesamt 266 Bewertungen
Bewertung vom 07.12.2018
Flucht in die Schären / Thomas Andreasson Bd.9
Sten, Viveca

Flucht in die Schären / Thomas Andreasson Bd.9


ausgezeichnet

Staatsanwältin Nora Linde versucht schon seit geraumer Zeit Andreis Kovač, den Kopf der Stockholmer Drogenszene dingfest zu machen. Da die Beweise für den Drogenhandel fehlen, versucht sie ihn wegen Steuerbetrugs dingfest zu machen. Doch ihr Antrag auf Verlängerung der U-Haft wurde gerade abgelehnt. Andreis Kovač ist wieder auf freiem Fuß und lässt seinen Frust über die Demütigung an seiner Ehefrau aus. Diesmal war es der stehengelassene Staubsauger in der Küche, der ihn dazu veranlasste, seine Ehefrau Mina erneut krankenhausreif zu schlagen, wenn die Polizei und der Krankenwagen, alarmiert von einem anonymen Hinweisgeber, nicht so schnell vor Ort gewesen wären, vielleicht hätte Mina diese Tortur nicht überlebt. Diese Körperverletzung ist jedoch aktenkundig, und so erfahren auch Nora und die mit ihr zusammenarbeitende Kriminalkommissarin Leila Kacim davon. Nun hoffen sie darauf, dass sie Andreis Gerichtsakte auch dieses Verbrechen anhaften können. Doch Mina mauert und will nicht gegen ihren Ehemann aussagen. Sie lässt sich lediglich überreden ins Frauenhaus zu gehen. Doch nun eskaliert Andreis Kovač’s Gewalttätigkeit noch mehr, er scheut keine Mittel und Wege um an Mina und ihren gemeinsamen Sohn heranzukommen. Notfalls geht er über Leichen.

„Flucht in die Schären“ ist ein äußerst mitreißender Krimi der zwei große Themen miteinander verknüpft, auf der einen Seite wird das Leben der Betroffenen erzählt, die vor dem unfassbar grausamen Krieg Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts im ehemaligen Jugoslawien fliehen und auf der anderen Seite wird sich dem Kernthema „häusliche Gewalt“ gewidmet.
Es ist einfach unfassbar was sich hinter einigen Wohnungstüren zutragen kann. Noch unglaublicher ist das schiere Ausmaß dieser Gewalt und das es rein rechtlich gesehen viel zu wenig Schutz und Hilfe für Betroffene gibt. Viveca Sten durchleuchtet das Kernthema auf vielseitige Weise. Sie beschreibt die Ohnmacht der Ermittler, wenn sie wieder einen gewalttätigen Ehemann nicht dingfest machen können, weil die betroffene Frau nicht aussagen möchte oder kann. Gleichzeitig versucht sie auch das Leben der Frauen zu schildern, die durch diese Hölle gehen, die auch wenn sie sich Hilfe in einem Frauenhaus suchen auf einmal ihres persönlichen Umfeldes beraubt sind, deren normaler Alltag nicht mehr existiert, für sie und ihre beteiligten Kinder. Alles zusammen verpackt die Autorin in einen atemraubenden Krimi.

Es gibt hier nur einige Kleinigkeiten die mich an der Figur der Mina gestört haben, trotz allem Verständnis die ich für ihre geschilderte Situation aufbringen kann, waren mir ihre Handlungen stellenweise zu übersprunghaft. Es ist verständlich, dass man sich in einer solchen Situation nicht rational verhält, aber sich mehr als einmal in offene Gefahr zu begeben ist nicht nachvollziehbar.
Viveca Sten legt in ihrem neuen Buch mehr den Fokus auf den eigentlichen Fall, das Leben ihrer beiden Protagonisten Nora und Thomas nimmt auch wieder einen Platz ein, jedoch nicht so präsent wie in den Vorgängerbüchern. Dafür beschreibt sie aber wie immer die sehr schöne Landschaft der Schäreninseln die bei mir jedes Mal Fernweh wecken.


Fazit: Atemraubend und spannend, mit einer Handlung die aufrüttelt und nachdenklich macht.

Bewertung vom 07.12.2018
Mörderische Renovierung
Cantero, Edgar

Mörderische Renovierung


ausgezeichnet

A. , Student Anfang zwanzig, hat das unverschämte Glück ein riesiges Anwesen in Virginia zu erben. Das Axton House mit einer Vielzahl an Ländereien. Gut den Cousin vierten Grades, Ambrose Wells, hat er nie getroffen, noch nicht einmal von ihm gewusst und das dieser sich dann auch noch als vermögend herausstellt kommt A. doch sehr unwahrscheinlich vor. Aber nun begibt er sich zusammen mit seiner sehr jungen und stummen Freundin Niamh (ausgesprochen Nief) in die Vereinigten Staaten nach Virginia. Kein Studentenleben mehr, er hat ausgesorgt. Na gut etwas anrüchig ist die Geschichte schon, der Cousin hat sich das Leben genommen, genau wie dessen Vater 30 Jahre zuvor. Merkwürdig ist auch, dass der Butler (für A. irrwitzig einen Butler zu haben der mit in der Erbmasse „steckt“) verschwunden ist.

Kaum sind die beiden Europäer in das riesige, düstere Haus eingezogen beginnen A. schreckliche Alpträume zu quälen und er sieht nachts eine Erscheinung im Bad. Niamh, ganz pragmatisch, stattet das Haus mit diversen Kameras und Aufnahmegeräten aus, sie will elektronische Stimmenphänomene aufzeichnen.

A.. untersucht in der Zwischenzeit mal die diversen Arbeitsstätten seines verstorbenen Verwandten, denn dieser hat im gesamten Haus diverse Schreibtische platziert, und stolpert über einen rätselhaften Umschlag mit der Aufschrift „AESCHYLUS“. Nachdem sich A. und Niamh mit diversen manuellen Chiffriermethoden vertraut gemacht haben, entdecken sie dass der Brief dem verschwundenen Butler zugestellt werden sollte. Es bleibt jedoch nicht bei diesem einen Rätsel und bei derselben Dechiffrierung. Ebenso geheimnisvoll ist, dass der Verstorbene, der als Eigenbrötler galt und immer zurückgezogen gelebt hat, jedes Jahr kurz vor Weihnachten ausgesuchte Gäste zu einem großen Bankett eingeladen hat.

Dieses Buch ist rein inhaltlich einfach genial. Zusammengesetzt aus Ambroses Tagebuchaufzeichnungen, seinen und ihren Briefen an die Tante Liz, Niamh’s Notizen, A.‘s Traumjournal, Video- und Tonbandaufzeichnungen und diversem anderen, kreiert Edgar Cantero einen einzigartigen spannenden und gruseligen Mix aus Horror, Mystery und Thriller. Diese Zusammensetzung ist für mich beispiellos und birgt eigentlich die Gefahr, dass der Autor sich verzettelt. Das geschieht jedoch zu keiner Zeit. Mühelos folgt man dem Geschehen. Dabei ist seine Erzählweise so plastisch, das man mit Gänsehaut beladen durch das Labyrinth hinterherschleicht, die unzähligen versteckten Winkel und Ecken dieses Gemäuers durch die Kameraperspektive erspäht und sich natürlich vor dem „Hausgeist“ fürchtet.
Die Ausflüge in die Welt der Kryptographie und den damit verbundenen manuellen Entschlüsselungsverfahren waren für mich persönlich etwas zu langatmig, für die Aufklärung allerdings sinnvoll.
Den ganzen Plot finde ich phantasiereich, kreativ und teilweise auch dezent amüsant, dies äußert sich insbesondere bei den (schriftlichen) Dialogen vom Niamh und A..
Unvorhersehbar und auch verblüffend jedoch mit Glaubwürdigkeit (sofern man das in diesem Genre erwarten kann) ausgestattet ist, ist das Ende.
Eigentlich gibt es überhaupt gar keine Beanstandungen, jedoch muss ich den Geruch des Buches stark kritisieren. Ich liebe druckfrische Bücher, dieses jedoch stank entsetzlich. Ich bin in solchen Dingen überhaupt nicht empfindlich, hier viel es mir wirklich schwer den ersten hundert Seiten zu folgen. Also für alle nachfolgenden Leser, die ein eingeschweißtes Buch besitzen, der Hinweis erst ein zwei Tage auslüften, für den ultimativen Lesegenuss.

Fazit: Ein fabelhafter Ausflug ins Mysteriöse, cool und ideenreich umgesetzt.

Bewertung vom 01.11.2018
Echo Killer / Polizeireporterin Harper McClain Bd.1
Daugherty, Christi

Echo Killer / Polizeireporterin Harper McClain Bd.1


ausgezeichnet

Jeden Tag, von 16:oo Uhr bis 1:00 Uhr nachts sitzt die Polizeireporterin Harper McClain in der Redaktion der Daily News, einer örtlichen Zeitung in Savannah, und lauscht dem Polizeifunkscanner. Sie wartet auf Codes, die wenn man sie entschlüsseln kann, sich auf Bandenkriminalität, Mord usw. beziehen. Hört sie von so einem Fall, versucht sie zusammen mit ihrem Kameramann Miles so schnell wie möglich zum Tatort zu kommen, denn die Deadline für die Morgenausgabe sitzt ihr jeden Tag im Nacken. Auf ihren nächsten spektakulären Fall wird nicht sie selber aufmerksam, sondern Miles, der beordert sie zu einem Tatort in einer gehobenen Wohngegend, eine junge Mutter wurde brutal erstochen. Sie hinterlässt eine 12 jährige Tochter. Als Harper am Tatort ankommt, hat sie sofort ein Déjà-vu- Erlebnis. Auch sie ist in einer ähnlichen Wohngegend (nicht ganz so luxuriös) aufgewachsen, als sie dann noch hört, das die Tochter ihre ermordete Mutter fand, ist sie alarmiert, denn Harper hat ähnlich grausames durchmachen müssen. Sofort ist sie entschlossen die Grenzen zu übertreten und den Tatort zu inspizieren, sie muss einfach wissen ob der Mörder ihrer Mutter, der nie gefasst wurde, wiedergekehrt ist. Nach über 15 Jahren.

Christi Daugherty „Echokiller“ ist ein absolut spannendes Debüt. Ein Thriller, den ich kaum aus der Hand legen konnte, weil er alles beinhaltet was ich an diesem Genre mag. Eine zugkräftige Protagonistin, nicht zu viele, dafür gut skizzierte Nebenrollen, eine kleine Liebesgeschichte und vor allem eine abwechslungsreiche fesselnde Story. Ihre Protagonistin Harper hat für mich viel Ähnlichkeit mit Liza Marklund’s Annika Bengtson und Janet Evanovich‘s Stephanie Plum. Vielleicht war sie mir deshalb sofort sympathisch.
Auf den ersten siebzig Seiten legt die Autorin viel Wert auf die Charakterzeichnung und Arbeitsmethoden von Harper. Da sie dies innerhalb eines anderen spektakulären Falls macht, wirkt es nicht störend oder ausufernd. Danach geht es aber rasant mit dem eigentlichen Mordfall weiter. Mehrfach hat man das Gefühl, Harper verrennt sich in ihrer Fixierung auf den alten, ihr Leben verändernden, Mordfall. Christi Daugherty bekommt jedoch jedes Mal eine Wendung hin die dramatisch und aufregend ist. Gekonnt fängt die Autorin die Atmosphäre der Südstaaten-Stadt Savannah ein und lässt Harper in dieser schwül-heißen Klima agieren. Dabei hat sie jede Menge Verbündete aber auch jede Menge Gegenspieler die teils offensichtlich oder im geheimen operieren. Wie es sich für eine (fiktive) Journalistin gehört, überschreitet sie nicht selten Grenzen und macht sich damit weiter Feinde.

Fazit: Eine abwechslungsreiche, fesselnde Story mit einer sympathischen Protagonistin.

Bewertung vom 01.11.2018
Queen Victoria
Baird, Julia

Queen Victoria


ausgezeichnet

Eine Frau, deren Regentschaft als viktorianisches Zeitalter bezeichnet wird, muss einfach außergewöhnlich gewesen sein. Zur damaligen Zeit war der Thron, anders als jetzt, nicht nur ein repräsentatives Amt. Es wurde direkt Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Leben genommen und ganz nebenbei, natürlich abgepuffert durch unzählige Bedienstet und Lakaien, wurde eine große Familie gegründet. Frau und Mutter zu sein ist heute schon eine enorme Herausforderung für jede Frau. Für eine Königin die während ihrer Regentschaft fast ausschließlich von Männern begleitet wurde, muss das nicht minder anspruchsvoll gewesen sein.

Julia Bairds Biographie der Victoria ist ein sehr umfangreiches Werk, aufgebaut wie eine Dissertation, allein das Quellenverzeichnis macht ein Fünftel des Buches aus. Die Autorin zeichnet den Lebensweg der Monarchin nach, von der vaterlosen Kindheit und Jugend, über die Krönung, die Heirat mit einem deutschstämmigen Prinzen und die darauf folgende Familiengründung, der Trauer um ihren Mann und ihre Regentschaft in der sie aktiv politisch mitwirkt. Das Buch ist mit reichlich Bildmaterial unterlegt, es kommen jedoch nicht nur engste Vertraute Victorias zu Wort, sondern auch berühmte Zeitzeugen wie Charles Dickens, Winston Churchill, Mark Twain, Florence Nightingale u.v.m. Beindruckend fand ich auch, dass die Autorin viele Entscheidungen, die Victoria während ihrer Regentschaft trifft, recht ausführlich in den geschichtlichen Kontext bringt. Es werden die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der armen Bevölkerung geschildert. Der hohe Anteil an Kinderarbeit (tlw. sind Vierjährige in den Erzgruben beschäftigt worden), desolate Wohnverhältnisse, grassierende Seuchen, die durch hygienische Missstände immer wieder ausbrechen und ganz besonders hart die ärmere Bevölkerung treffen.

Für mich ist dieses Buch eine umfangreiche Schilderung der politischen Lage Europas des 19.Jahrhunderts. Viele politische (Fehl)Entscheidungen die dort getroffen wurden haben direkte Auswirkungen auf das 20. Jahrhundert und mittendrin eine emanzipierte Monarchin, die die Macht und Einflussnahme ihrerseits fordert, der weiblichen Bevölkerung aber erst zum Ende ihrer Regentschaft einige Zugeständnisse hinsichtlich ihrer Selbstbestimmung macht. Genau diese Ambivalenz macht Julia Baird mehrfach zum Thema.
„Victoria“ ist eine Biographie, die man nicht so nebenbei durchliest, auf dieses Buch muss man sich bewusst einlassen. Für Leser mit einer Vorliebe für sehr gut recherchierte Geschichte, ein absolutes Muss.

Ein Manko, das ich nicht in die Bewertung mit einfließen lasse (weil ich das der Autorin gegenüber ungerecht empfinden würde), sind die enormen Fehler in der Rechtschreibung und Grammatik. Ich kann jetzt nicht genau sagen ob das eventuell an der Übersetzung liegen könnte. Es sind jedenfalls so viele, dass ich mich, die sowas sonst gerne überliest, sehr gestört fühlte. Hier sollte vom Verlag noch einmal nachgebessert werden.

Bewertung vom 23.10.2018
Der Schmetterling / Kommissar Johan Rokka Bd.1
Ullberg Westin, Gabriella

Der Schmetterling / Kommissar Johan Rokka Bd.1


sehr gut

Ein grauenhaftes Verbrechen ereignet sich an Heiligabend in der Norrländischen Stadt Hudiksvall. Die kleine Stadt zählt nur 16.000 Einwohner, einer ihrer prominentesten ist Måns Sandins. Gerade erst hat er seine Fußballkarriere beendet und seinen letzten Verein, den FC Florenz verlassen, um mit seiner Familie in seiner Heimatstadt sesshaft zu werden. An Heiligabend ist er unterwegs um noch ein paar Kleinigkeiten zu besorgen, als er zurückkommt liegt seine Frau erschossen im Badezimmer und seine beiden kleinen Kinder sind völlig verstört.
Auch Kommissar Johan Rokka kehrt in seine Heimatstadt Hudiksvall nach vielen Jahren in Stockholm zurück. Wie das in so einer kleinen Stadt ist, Jeder kennt Jeden. Måns Sandins war sein Freund im Fußballverein, damals als sie noch Kinder und Jugendliche waren. Jetzt muss Rokka den Tod an dessen Frau Henna aufklären und sein ehemaligen Spielerfreund ist als Ehemann klar verdächtig. Keine leichte Sache.

„Der Schmetterling“ ist der Auftakt zu einer Krimiserie um den Kommissar Johan Rokka, den ich für sehr gelungen halte.

Skandinavische Krimis zeichnen sich oft durch sympathische Ermittler mit realistischem Arbeitspensum und nachvollziehbaren privaten Sorgen und Nöten (in der Regel nicht die typischen Alkohol- und/oder drogensüchtigen Ermittler)aus, die sehr bemerkenswerte komplexe Verbrechen aufklären müssen. „Der Schmetterling“ reiht sich da mühelos ein. Aus unterschiedlichen Perspektiven kommen sowohl die Teammitglieder des Kommissariats, Verdächtige, Zeugen und sogar die Verstorbene zu Wort. Nach dem dramatischen Anfang flacht die Story, durch die Vorstellung der vielen Mitwirkenden, erst einmal ab. Lange weiß man, ebenso wie die Ermittler (die fast vollständig im Dunkeln tappen) nicht, in welche Richtung ermittelt wird, da einfach zu wenig Beweise vorliegen. Nach und nach kommt jedoch Bewegung ins Spiel. Die verschiedenen Handlungstränge, die recht vielschichtig aufgebaut sind, laufen am Ende doch zusammen und geben ein schlüssiges Bild ab.

Ein paar Dinge haben mich an diesem Krimi jedoch auch irritiert bzw. gestört. Der Schmetterling, der ja auch namensgebend für den Titel des Buches ist, taucht nur am Rande auf und ist für die Handlung fast irrelevant und Gariella Ullberg Westin hat nicht ganz so viel Geschick in der Charakterisierung ihrer weiblichen Mitwirkenden. Die sind mir allesamt zu launenhaft, wankelmütig, instabil oder karrieresüchtig dargestellt. Keine dieser Frauen sind mir deshalb sympathisch geworden bzw. konnte ich ihre Handlungen nachvollziehen.

Fazit: Ein gelungener Auftakt zu einer neuen Krimireihe, deren weibliche Darsteller noch ein kleines Update nötig haben.

Bewertung vom 23.10.2018
Das Geheimnis der Grays
Meredith, Anne

Das Geheimnis der Grays


gut

King’s Polar, der Landsitz der Familie Gray. Jedes Jahr zu Weihnachten trifft sich die Familie, auf Weisung ihres Familienoberhauptes Adrian Gray. Kein friedliches und besinnliches Familienfest wird hier zelebriert, sondern es treffen versnobte Egozentriker, darunter ein angehender Politiker, ein Finanzspekulant und ein verarmter Künstler aufeinander, die eins verbindet Macht, Ansehen und Geld. Von letzterem haben einige in der letzten Zeit viel verloren und so hoffen sie auf finanzielle Zuwendung des Alten, doch der ist allgemein als geizig bekannt. Adrian Gray hat sechs lebende Kinder, zusammen mit deren Partnern bzw. Partnerinnen und der Mutter von Adrian Gray sind 11 Personen anwesend, die Überzahl an Bediensteten mal ausgenommen. Am Weihnachtsmorgen wird einer von ihnen nicht mehr leben.

Dieses Buch wurde für Leser von Agatha Christie und Dorothy L. Sayers angepriesen. Da mir beide Schriftstellerinnen nicht unbekannt sind, habe ich mich hier angesprochen gefühlt. Leider war meine Erwartungshaltung wohl zu groß, erfüllt wurde sie von diesem Buch nicht. Das lag zum einen daran, das eine für mich schier unübersichtliche Zahl an Personen agierte, die sich charakterlich, bis auf einzelne Ausnahmen, nicht unterschieden, bis ich die Personen so halbwegs identifizieren konnte waren zwei Drittel des Buches schon gelesen. Auch empfinde ich diesen nicht unbedingt als Kriminalroman, denn zu keiner Zeit trat für mich eine besondere Spannung auf. Nach einem Fünftel des Buches steht schon fest wer der Mörder ist, und dieser Umstand ließ meine Aufmerksamkeit noch weiter sinken. Die Autorin fokussiert sich bewusst auf den Täter, wie man auch dem Nachwort entnehmen kann, das tut sie für mich jedoch zu inkonsequent.

Fazit: Ein Kriminalroman mit Defiziten im Spannungsaufbau.

Bewertung vom 23.10.2018
Rachewinter / Evelyn Meyers & Walter Pulaski Bd.3
Gruber, Andreas

Rachewinter / Evelyn Meyers & Walter Pulaski Bd.3


ausgezeichnet

Wien im März

Strafverteidigerin Evelyn Meyers und ihr junger Assistent Florian Zock nehmen einen außergewöhnlichen Fall an. Michael von Kotten, jüngster Spross des von Kotten Familienclans, soll eine Woche zuvor seinen Liebhaber in dessen Penthouse umgebracht haben. Die Tat leugnen wird schwer fallen, denn es gibt ein Video und darauf ist Michael zu sehen. Das Opfer ist ein Mitarbeiter von Richard von Kotten, Michaels Vater. Richard von Kotten hingegen ist ein Multimillionär, der seinen immensen Reichtum seinem Schwiegervater und dem Aufbau von unzähligen Spielkasinos zu verdanken hat. Bevor Evelyn Michaels Fall übernimmt, pocht sie auf uneingeschränkte Ehrlichkeit von Michael ihr gegenüber und doch spürt sieinstinktiv, dass ihr ihr neuer Mandat einiges an Lügen auftischt.


Leipzig zur selben Zeit

Unterdessen kommt Walter Pulaski, Kommissar beim Kriminaldauerdienst, an einem Tatort in dem etwas schäbigen und zwielichtigen Motel in einem Leipziger Vorort an. Ein Mann hat sich mit einer Schere im Innenohr verletzt und ist an diesen Verletzungen gestorben. Auffällig sind die Leichenblässe des Mannes und das fast vollständige Fehlen von Totenflecken. An einen Unfall mag Pulaski gar nicht so recht glauben. Schon gar nicht als er den Toten erkennt. Es ist der Vater, der Freundin seiner Tochter Jasmin. Beide Mädchen drängen ihn den Fall weiter zu verfolgen, doch dieser wird schon ans LKA abgegeben. Da versuchen sich die beiden Mädchen, sehr zu Walters Entsetzen, als Detektivinnen.



Dies ist mein erstes Buch um das Duo Evelyn/ Pulaski, obwohl es in diesem Teil wohl eher ein Trio zu sein scheint. Trotzdem ich die anderen beiden Bücher nicht gelesen habe, bin ich von Anfang an gut in die Story reingekommen. Ich hatte nie das Gefühl irgendetwas verpasst zu haben, wie es ja manchmal sein kann, wenn man mit einer Reihe mittendrin anfängt. Das liegt vielleicht auch daran, dass Gruber ziemlich lange die beiden Schauplätze Wien und Leipzig getrennt laufen lässt. So können sich beide Stränge komplett entfalten. Lange Zeit wird man als Leser auch im Dunkeln gehalten, wie Pulaski/Meyers und Zock zusammen ermitteln sollten, weisen die Verbrechen doch keinerlei Gemeinsamkeiten auf.


Die Charaktere die der Autor kreiert, heben sich aus der Masse der unzähligen Ermittler auch im positiven Sinne ein wenig heraus. Da gibt es zum einen die junge und ehrgeizige Anwältin die aber nicht zu verbissen ihrem Beruf nachgeht, sympathisch ist und einen tollen Musikgeschmack hat. Zum anderen den zwar etwas verknitterten, sturköpfigen und vor Zynismus triefenden alten Hasen Walter, der aber durch seine Vaterrolle und den Problemen die ein solcher mit einer pubertierenden Tochter mitunter hat, ebenfalls sympathisch ist. Es ist auch mal ganz angenehm einem Nicht-Trinker zu folgen.


Auf fast sechshundert Seiten gibt es von Anfang an Spannung pur, die sich im letzten Drittel sogar noch um einiges steigert. Der Schreibstil ist zwar kompakt jedoch flüssig, die Spannungsbögen sind so gut gesetzt, dass man nicht aufhören möchte zu lesen. Das verstehe ich wirklich nicht, warum ich, die dieses Genre ja bevorzugt liest, noch nie ein Buch von Herrn Grube gelesen habe. Dies wird sich nun ändern.




Fazit: Ein komplexer, atmosphärisch dicht geschriebener Thriller mit sympathischen Protagonisten.

Bewertung vom 23.10.2018
Deutsches Haus
Hess, Annette

Deutsches Haus


ausgezeichnet

1963
Der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit sind lange vorbei. Das Wirtschaftswunder hat, zumindest in Westdeutschland, für einigen Wohlstand quer durch die Bevölkerungsschichten gesorgt. Da holt Deutschland sein grausigstes Verbrechen wieder ein. Fast 20 Jahr nach Kriegsende kommt es in den Jahren 1963-1965 zum ersten Auschwitzprozess. Hier siedelt die Autorin ihre Geschichte um die junge Dolmetscherin Eva Bruhns an. Die Mittzwanzigerin lebt mit ihrer älteren Schwester, dem viel jüngeren Bruder und ihren Eltern über der elterlichen Gaststätte „Deutsches Haus“ zusammen. Eva fiebert mit viel Aufregung dem Antrittsbesuch ihres Freundes Jürgen entgegen, wird er an diesem Adventssonntag um ihre Hand anhalten? Der Mittagstisch ist gerade aufgehoben, da erreicht Eva ein Anruf ihres Vorgesetzten. Sie wird dringend bei einer deutsch-polnischen Zeugenbefragung benötigt, da es Ausreiseschwierigkeiten beim polnischen Dolmetscher gab. Als reine Wirtschaftsdolmetscherin hat sie zuerst Schwierigkeiten die Erzählungen des Zeugen Josef Gabor richtig zu interpretieren. Als sie das ganze Ausmaß begreift, der Zeuge spricht von Vergasungen, Folter und Erschießungen ist sie entsetzt. Sie möchte gerne mit ihren Eltern und ihrer Schwester über das Erlebte sprechen, doch dort stößt sie auf totales Unverständnis. Der Krieg ist schon so lange her, und alle hatten es schwer. Eva ist irritiert, gibt den Wunsch, diesen Übersetzerjob zu beenden, jedoch nicht nach. Auch nicht als ihr Verlobter gegen sie insistiert.

Während in der DDR schon seit deren Gründung eine gewisse Gleichstellungspolitik gefahren wurde, war dies in den alten Bundesländern nicht so. Die Emanzipation war staatlicherseits nicht gefördert oder gewollt. Für mich ist es deshalb immer etwas befremdlich zu lesen, wenn die Frau ihre Eltern um Erlaubnis fragen muss, ob sie arbeiten gehen darf. Sogar der Verlobte, rein rechtlich eigentlich völlig unverständlich, kann Veto einlegen und seiner Verlobten die Arbeitserlaubnis verweigern. In diesem Jahrzehnt keimt aber so langsam die Emanzipationswelle in den alten Bundesländern auf und unsere Protagonistin verwandelt sich im Laufe dieses Prozesses von einem wohlbehüteten, leicht naivem Mauerblümchen zu einer selbstbewussten jungen Frau.
Die Autorin nimmt sich der dunkelsten und schwärzesten Geschichte Deutschlands an, und das absolut überzeugend. Opfer, Täter, Mitläufer, Wegseher, Denunzianten und Gerechtigkeitsfanatiker alle bekommen eine Geschichte die glaubwürdig (das liegt auch daran, dass die alten Prozessaufnahmen verwendet wurden) ist. Die Täter die jegliche Schuld von sich weisen. Die Opfer die sich den Grausamkeiten nach zwanzig Jahren erneut stellen müssen, ihren Peinigern wieder gegenübersitzen, die sie in der Regel nur verhöhnen. Und Schlussendlich kann man mit den Urteilsverkündungen nicht zufrieden sein. Annette Hess zeigt anhand der Familie Bruhns wie Schwierig die Aufarbeitung dieser Verbrechen sogar in der eigenen Familie sein kann.


Ein Buch das tief bewegt und eine Geschichte wiederaufleben lässt die man nie vergessen darf.

Bewertung vom 17.10.2018
Alchimie einer Mordnacht
Black, Benjamin

Alchimie einer Mordnacht


ausgezeichnet

Der Gelehrte Stern schreibt an seinen Memoiren. Von seiner Kinder- und Jugendzeit als unehelicher Sohn des Bischofs von Regensburg. Seine Studienzeit in Würzburg schneidet er nur kurz an, sein größtes Abenteuer ist 1599 die Reise nach Prag. Ein Erlebnis, das ihn am Ende seines Lebens immer noch sehr präsent ist. Nach dem Tod seines Erzeugers erbt er ein wenig Geld um sich einen lang ersehnten Wunsch zu erfüllen. Er möchte nach Prag, die damalige Hochburg der Alchimisten, reisen um die Gunst des Kaisers Rudolf II zu erlangen und als Wissenschaftler in seinem Hofstaat zu arbeiten. Dieser hat eine Vorliebe für Alchemisten und da die Naturphilosophie, die Stern unter anderem studiert hat, auch ein Teil der Alchemie ist träumt er von einer Anstellung als Gelehrte am Hofe des habsburgischen Kaisers in Prag. Doch in der ersten Nacht findet er die Leiche einer jungen, wahrscheinlich wohlhabenden Frau und wider Erwarten wird er für den Schuldigen gehalten. Seine Träume scheinen sich in Luft aufzulösen…



Cover und Buchgestaltung

Ich bin immer ganz entzückt, wenn ich ein Hardcover in den Händen halte das neben einem ansprechenden Cover über einen Schutzumschlag und ein Lesebändchen verfügt. Es lag diesem Buch auch noch ein Lesezeichen von einem Reiseveranstalter bei. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Prag ist immer eine Reise wert! All die historischen Orte in der Prager Altstadt, die in diesem Buch vorkommen, kann man auch heutzutage noch besuchen. Das „Goldene Gässchen“ (Arbeitsstätte der am Hofe, unter Rudolf II, eingestellten Alchimisten, die neben dem „Stein der Weisen“ auch künstliches Gold erzeugen sollten) darf dabei unbedingt auf dem Reiseplan stehen.


Schreibstil

Benjamin Black verfügt über einen scharfsinnigen, leicht schelmischen Schreibstil. Ungemein flüssig und spannend zu lesen.


Inhalt


Ein Kriminalfall in einer der schönsten Städte Europas, auch zu Zeiten des Protagonisten Christian Stern. Ein sympathischer Akteur, der leider hoffnungslos, bedingt auch durch seine eigene Selbstverliebtheit in den Strudel kaiserlicher und höflicher Intrigen gerät. Die politische Situation, die am Ende des 16. Jahrhunderts im Heiligen römischen Reich deutscher Nation herrschte, weiß der Autor geschickt einzubauen. Besonders gut gelingt ihm auch die Charakterisierung der historischen Persönlichkeiten.


Fazit:

Maskierung, Schein und Dekadenz bestimmen das Leben im kaiserlichen Dunstkreis der Prager Burg und man begibt sich mit Benjamin Black nur zu gerne hinein.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2018
Manhattan Beach
Egan, Jennifer

Manhattan Beach


gut

Es gab einen für mich sehr wichtigen Grund genau dieses Buch zu lesen. Mein Großvater war nach dem Krieg Minentaucher an der Ostseeküste. Ich kenne sowohl das „Tauchkleid“ als auch den riesigen und schweren Messinghelm. Dies und der Klappentext weckten Interesse an dem neuen Roman von Jennifer Egan.
Ich hatte jedoch zu Anfang große Schwierigkeiten in die Geschichte rein zu finden. Irritiert musste ich feststellen das Annas Vater einen sehr großen Platz in diesem Buch einnimmt, dahinter verblasst die eigentliche Akteurin fast. Der Schreibstil der Autorin war für mich genauso gewöhnungsbedürftig. Abgehackt und Übersprunghaft auf der einen Seite und viel zu distanziert auf der anderen Seite. Ich empfand auch keinen der Protagonisten authentisch oder in irgendeiner Weise sympathisch. Die eigentliche Geschichte, die Anrollende aus der Not geborenen Emanzipation der Frauen im Zweiten Weltkrieg mit dem New Yorker Gangsterleben in den 30- 40 Jahren zu kombinieren war sehr gewagt und ist leider nicht immer gelungen.

Mein Fazit: Die sich überschlagende positiven Pressestimmen für Manhattan Beach kann ich für mich so nicht bestätigen. Es ist jedoch ein Roman, der mit sehr viel Liebe zum Detail recherchiert wurde und dessen Hauptaugenmerk nicht nur auf der Emanzipation liegt, sondern auch auf der technischen Thematik.