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Edda246
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 52 Bewertungen
Bewertung vom 14.08.2023
Bei euch ist es immer so unheimlich still
Schröder, Alena

Bei euch ist es immer so unheimlich still


ausgezeichnet

Silvia Borowski kehrt überstürzt mit ihrer Tochter Hannah 1989 in ihr Heimatdorf zurück. Jahrelang in der Hauptstadt Berlin in einer WG lebend, konfrontiert sie sich jetzt mit ihrer Mutter Evelyn und ihrer Herkunft. Auch Evelyn war einmal jung und ihre eigene Geschichte wird ab dem Jahr 1950 in Abschnitten bis 1989 erzählt. Die Perspektive von Silvia ist das Jahr 1989. Die Vergangenheit wird erzählt, aufgearbeitet, nähert sich.

Spießbürgertum, Schuld, Verpflichtungen, sozialer Zwang, Entscheidungen, die passend zur damaligen Zeit geschehen sind und die man jetzt so erfrischend mit empathischem Abstand genießen kann. Jede der 318 Seiten dieses Romans habe ich als spannendes Eintauchen in die Zeit empfunden, den „Kleinstadtmief“ mit heutigen Augen zu betrachten, betroffen und dennoch betrachtend. Doch sie geben auch Anregung darüber, wie der Mensch tickt und die Frage, welche Verkleidung die jetzige Zeit auswirft. Auch wie das Leben prägt durch angenommene Schuld und getroffene Entscheidungen. Beide Erzählstränge, der von Silvia sowie der von Evelyn sind vergangene, was das Zeitlose an dem Buch bewirkt – ein Stück Geschichte, nicht nur die der beiden, sondern auch die der deutschen Ereignisse. Die deutsche Mauer wird fallen, auch Evelyn und Silvia werden neue Wege einschlagen.

Die humorvolle und präzise Beobachtung der unterschiedlichen Milieus, hat mich beeindruckt. Es werden in diesem Roman Teilstücke erzählt, die sich erst zum Ende hin zusammenfügen und aufschlussreichen Sinn ergeben. Nebendarsteller werden zu maßgebenden Wendepunkten in Silvias sowie Evelyns Lebensweg. Der Roman ist raffiniert geschrieben, die Sprache entspringt der Jetztzeit und führt dadurch in die betrachtende, unbefangene Gegenwartsperspektive. Attribute, die ein kluges unterhaltsames Buch erfüllen: Zeitkolorit, Milieubetrachtungen, glaubhafte lebendige Protagonisten und Nebendarsteller, die zu eigenen Erinnerungen anregen. Alena Schröder trifft den Punkt und fesselt. Sie schildert ohne zu urteilen. Kinder nehmen die Eltern als eigene Persönlichkeit nicht wahr während sie Kind sind. Hier wird dies angeregt und aufgearbeitet.

Alena Schröder arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin. Schon ihr erstes bekanntes Buch „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ überzeugte. Auch dieser Roman mit dem“ vielsagenden Titel „ Bei euch ist es immer so unheimlich still“ ist eine absolute Empfehlung.
Ein großer Wurf, eine erstklassige Unterhaltung!

Bewertung vom 12.07.2023
What the Fake!
Asllani, Etrit

What the Fake!


ausgezeichnet

Dieser Ratgeber ist bereichernd für jeden, der im Internet unterwegs ist, über soziale Netzwerke oder per Email.

Etrit Asllani zeigt auf, wie man Falschmeldungen erkennt und von tatsächlich passierten und belegten Informationen unterscheidet. Er, der Psychologe stellt dar, was ihn zu diesem Buch bewegt hat, welche Erfahrungen ihn zu dieser Recherche geführt haben.
Wie fallen wir auf falsche Informationen herein, wie werden wir manipuliert, was ist das Anliegen von denen, die Falschmeldungen verbreiten.
Worauf sollte man achten.

Das Buch ist verständlich erklärt und durch das Hinzuziehen von Ereignissen der Geschichte, die durch Unwahrheiten und Manipulationen ihr Ziel erreichten, sehr spannend!

Ist die gelesene Meldung tatsächlich informativ und mit Fakten belegt oder dient sie einem fremden Eigennutz?
Körpersprache Ausdruck des Gegenüber, Sprache und Gesamteindruck fallen bei Informationen über das Internet weg – es gibt kein Gegenüber, den wir mit sozusagen noch gesundem Menschenverstand beurteilen können.
So müssen wir auf andere Tricks zurückgreifen. Hierbei ist Etrit Asllani überaus hilfreich.

Meine Großmutter kannte nur Brot vom Bäcker oder selbstgebackenes, bei dem sich die Frische mit einem Daumendruck ins Brot erkennbar machte. Als dann Konservierungsstoffe und andere Zutaten das Brot länger weich und haltbar machten, war der Urinstinkt irritiert, so dass man sich informieren musste, warum – um in Kenntnis gesetzt zu werden, um entscheiden zu können, ob man weiterhin die althergebrachte Richtung einschlägt oder ob man sich auch mit der Zeit auseinandersetzt, die diese Abarten auswirft.
Und das ist das Anliegen des Psychologen Asllani, die Manipulationen dieser jetzigen Zeit erkennbar zu machen, leider das Nebenprodukt der umfangreichen und bereichernden Informationen, die wir durch das Internet erhalten. Die Sprache Asllanis berührt und nimmt einen sofort mit in diese komplexe Thematik.

Ein kompakter Ratgeber für jede Altersstufe, der mit verständlichen Worten erklärt und auch Hinweise auf weiterführenden Seiten gibt. Gut aufgebaut in 8 Kapiteln, lehrreich mit umfangreichem Quellenverzeichnis. Nach dem Lesen dieses Buches sollte man gewappnet sein, zu hinterfragen, was mit im Internet gelesenen Meldungen bezweckt wird, wie man selber darauf anspringt, was es in einem auslöst und zu welcher Meinungsbildung es führt.

Sehr empfehlenswert, humorvoll, mit vielen Aha – Erlebnissen und umfangreichen helfenden Hinweisen!

Bewertung vom 12.06.2023
Sommersonnenwende
Engman, Pascal;Selåker, Johannes

Sommersonnenwende


sehr gut

Ein Kriminalroman mit vielen Vorschusslorbeeren!
Nach Pascal Engmans internationaler Bekanntheit durch „ der Patriot“ und anderen Thrillern wie Rattenkönig, Feuerland, hat er sich mit dem Journalisten Johannes Selaker – leitete eine der größten Me Too Untersuchungen – zusammengetan und diesen Kriminalroman „Sommersonnenwende“ gemeinsam verfasst.
Das Cover ist ein Hingucker, stellt man sich genau die brütende Hitze zur Mittsommerzeit vor. Schweden im Jahr 1994: Auf Platz 3 der Fussball-Weltmeisterschaft, der Amokläufer Flink, der in Falun 7 Menschen tötete und Schwedens politische Entscheidung der EU beizutreten – ein umwälzendes Jahr für die Schweden. Es gab noch keine Kommunikation mit Mobiltelefonen, es wurde viel geraucht, viel getrunken – ein Bild der damaligen Zeit wird geschaffen. Tomas Wolf, Kriminalkommissar, und Vera Berg, Journalistin, ermitteln zuerst parallel, dann gemeinsam an einer Mordserie und geben sich wertvolle Hinweise.
Beides sind Protagonisten mit Problemen, die sie mit und in sich tragen, Tomas von seiner Zeit im Krieg in Bosnien-Herzegowina, Vera durch ihre gescheiterten Ehe mit einem Kriminellen.
Ihre Verhaltensweisen sind nicht immer nachvollziehbar, überschreiten auch Grenzen, kommen doch letztendlich dem Mörder auf die Spur. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg über falsche Fährten und persönlichen Auseinandersetzungen.

Die Protagonisten waren für mich keine Sympathieträger. Es fehlte mir an Identifikation. Für das Leben der beiden sehr wohl wichtige Nebenfiguren bleiben seltsam flach wie z.B Birgitta, die Nachbarin, die sich überwiegend um den kleinen Sigge kümmert, Zingo, der Partner von Tomas, Tomas Ehefrau Klara. Manches erscheint unrealistisch ( z.B. Veras Interview mit Tomas Ehefrau oder dass Tomas Vera seinen vollständigen Verdacht mitteilt oder dass das Jugendamt benachrichtigt wird mit Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, weil Sigge nicht beim Schwimmkurs erschienen ist).
Für mich ein Kriminalroman mit Spannung, ohne Identifikation etwas mühselig die 580 Seiten zu genießen, mit Zeitkolorit und eingeflochten aktueller politischer Thematik, die anregend ist.

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Bewertung vom 25.04.2023
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


ausgezeichnet

Was für ein ungewöhnliches Leben! Hedy Lamarr, als Hedwig Maria Kiesler in Wien geboren, nimmt einen abenteuerlichen Werdegang bis zu den MGM Filmstudios in Hollywood. Schon früh steht sie auf der Bühne spielt die Sisi. Ein großer Verehrer, der Waffenfabrikant Fritz Mandl wird sie, die geborene Jüdin christlich heiraten.
Nach der einengenden Ehe flüchtet sie über Paris nach London, nimmt Kontakt zu dem Filmproduzenten Mayer auf und wird als Filmschauspielerin in Hollywood bekannt und berühmt. Was viele nicht wissen, ist ihr Erfindergeist. Ihre bekannteste Erfindung wird Vorreiter für das heutige Bluetooth und Wlan.
Marie Benedict schreibt Biografien in Romanform. Dies ist die erste, die ich gelesen habe. Schon das Cover ist sehr ansprechend. Der Roman ist aus Sicht von Hedy geschrieben mit ihren Gedanken, Empfindungen und Betrachtungen der sie umgebenden Welt von 1933 – 1942. Vorerst noch behütet in Wien und naiv entwickelt sie in der sie umgebenden Welt ein waches politisches Bewusstsein, wählt Wege, ihre Familie und sich zu schützen vor dem beginnenden 2. Weltkrieg. Sofort ist sie ein Sympathieträger, ihre Gedanken und Betrachtungen sind sympathisch nachvollziehbar und vorbildlich – eine Heldin!. Als Leserin war ich begeistert über ihre Klugheit, die sie gezielt einsetzt. Man erlebt regelrecht das Abenteuer ihres Lebens hautnah mit, kann nachvollziehen, warum sie die Entscheidungen ihres Lebens trifft. Beeindruckend, dass sie nicht aufgibt, nicht lockerlässt, sich auseinandersetzt, bis zur nächsten Wegzweigung. Großartig u, spannend und unterhaltsam von Marie Benedict beschrieben. Man glaubt ihr jedes Wort. Große und nachhallende Unterhaltung in Form der Biographie! Empfehlenswert!

Bewertung vom 17.04.2023
Solange wir leben
Safier, David

Solange wir leben


sehr gut

Beginnend 1937 in Wien erzählt David Safier Lebensgeschichte seiner Eltern Joschi und Waltraut.
In zwei Erzählsträngen begleiten wir sie, er jüdischer Herkunft, lebend in Wien, sie deutscher. Die unterschiedliche Herkunft, zieht unterschiedliche Konsequenzen aus dem 2. Weltkrieg. Er darf nach Palästina auswandern, sie wächst im Kriegsdeutschland in Bremen auf.
Durch einen Zufall begegnen sich die beiden in einer Eisdiele und nähern sich an.
Doch 20 Jahre Altersunterschied sind vorerst nicht einfach.
David Safier schildert die Geschichte seiner Eltern bis zu ihrem Lebensende. Durch das jeweilige Zeitkolorit ist man als Leser sofort in die jeweilige Situation hineingeworfen. Ich war erstaunt, was ich wiedererkannt habe aus den Erzählungen meiner eigenen Mutter, die auch in Norddeutschland aufwuchs, an Sprache, Vorstellungen und Wünschen der Generation, die den Krieg überlebt haben. Ehrlich und ungeschönt, dabei sehr liebevoll werden die Lebensumstände, Gedanken von Waltraut und Joschi beschrieben . Die umfangreiche Recherche und großes Einfühlungsvermögen beeindruckt! Für mich waren es allerdings keine Protagonisten, mit denen ich warm wurde. Doch das ist auch nicht das Anliegen dieses Romans. Ein Zeitdokument zum Verstehen dieser Lebensabschnitte. Auch ein großes Abenteuer durch diese politisch und wirtschaftlich unruhige Zeit, welche für jeden einzelnen viel Phantasie aufbringen musste, nur um zu überleben. Das macht den Roman spannend, diesen Überlebenskampf gibt es Gott sei Dank in dieser Form heute hier nicht mehr. Ihre Wünsche, Vorstellungen und Entscheidungen sind den damaligen Umständen geschuldet. Das gibt die Distanz zum Staunen, Begreifen und Betrachten. Doch die große Verbindung, alle Zeit überdauernd ist die Liebe und Zuneigung zueinander, was sehr berührt. Eine gelungene Romanbiographie, detailliert recherchiert und aufrichtig betrachtet!

Bewertung vom 03.04.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

Caroline Wahls gelungenes Erstlingswerk ist aus der Perspektive von Tilda, einer Studentin, geschildert.
Tilda, eine gekonnte Schwimmerin absolviert regelmäßig 22 – 23 Schwimmbahnen. Das Buch schildert ihren Alltag. Tilda, die neben ihrem Mathematikstudium an der Supermarktkasse jobbt, kümmert sich um ihre kleine Schwester Ida, sowie um die Alkohol abhängige Mutter.
Die Situation muss neu erdacht werden, als Tilda Viktor kennenlernt, ihr eine Promotion in Berlin angeboten wird und Ida auf eine weiterführende Schule kommt.
Wenn Tilda nicht so erwachsen agieren würde und Ida nicht so klug, wäre die Situation möglicherweise nur durch äußere Hilfe zu bewältigen. So wird die Familie erhalten, der, trotz der misslichen Situation, Auffangort und Heim der beiden verbundenen Schwestern ist.
Die Mutter wird betrachtet, wird als hilflos und absurd beschrieben, wirkt in kaum einer Szene wie eine traditionelle Mutter, wird jedoch zu diesem Zeitabschnitt als notwendig erachtet. Trotz aller Widrigkeiten bleiben Tilda und Ida mit beiden Beinen am Boden und versuchen die Situation zu meistern.

Wunderbar empfindsam wird das Schicksal, der überschaubaren Mitspieler, Tilda, ihrer kleine Schwester Ida und ihrer Mutter von Caroline Wahl beschrieben. Das macht das Buch so sympathisch, das genaue Schildern, das liebevolle Verstehen der einzelnen Personen, vor allem Tildas Verbundenheit zu Ida.

Ein mit Humor und Lebensweisheit berührender moderner coming-of-age Roman.
Ein gelungener Debütroman! Caroline Wahl, 1995 geboren, schreibt über ihre Generation und einer Protagonistin mit einem selbstverständlichen, unverfälschten Urvertrauen, das berührt. Ein stark nachwirkendes Buch, das den Punkt trifft!

Bewertung vom 06.03.2023
Fünf Winter
Kestrel, James

Fünf Winter


ausgezeichnet

Ein Page-Turner, ein von Anfang an fesselnder Krimi. Atmosphärisch dicht, man ist sofort im Geschehen mitten drin und identifiziert sich mit dem sympathischen Protagonisten Joe McGrady. Dieser, ansässig auf Hawaii, wird von seinem Vorgesetzten zu einem Mordfall gerufen,der für ihn schicksalhaft werden wird. Der Neffe eines Oberbefehlshabers und die Tochter eines Japaners werden brutal verstümmelt und erhängt in einer abgelegenen Scheune aufgefunden. McGradys Ermittlungen führen im weiteren Verlauf nach Hongkong, wo er festgenommen und nach Japan gebracht wird. Erst nach 5 Wintern kann er den Fall abschließen.
Der Roman ist in drei Teile aufgeteilt, wobei der erste Teil am 16. November 1941 beginnt und mit dem Überraschungsangriff der Japaner auf die amerikanische Flotte in Pearl Harbour am 7.Dezember endet. Joe McGrady wird ein Spielball der politischen Ereignisse, in die er als Detective gerät.
Einerseits die Recherche von McGrady, die wahren Zusammenhänge des Geschehens, der brutalen Morde, herauszufinden, auf der anderen Seite die detaillierten Einblicke in die damalige Zeit, genau das ist hervorragend fesselnder Stoff. Kestrel bewältigt dies sehr unterhaltsam auf fast 500 Seiten, es wird auch eine romantische Liebesgeschichte mit hinein gewoben. Es gibt beherzte Helden, Begegnungen, die erst später ihre Bedeutung erfahren. Jede Person hat einen Wiedererkennungswert. Die Entscheidungen und Beweggründe des Protagonisten sind nachvollziehbar.

Eine hoch spannende und glaubhafte Heldenreise erzählt vor dem geschichtlichen Hintergrund des auch in Asien ausbrechenden 2. Weltkriegs und dessen Ende im Sept 1945. Die Aufklärung der Morde sowie die Darstellung des Zeitabschnitts, zwischen Angriff der Japaner, Eintritt der Amerikaner in den 2. Weltkrieg und dessen Ende durch den Abwurf von Atombomben auf Japan – ein ganz großer Wurf von James Kestrel, der diesen Zeitabschnitt durch Gespräche mit seinem Großvater und Großonkel und anderen Zeitzeugen in dieser Generation lebendig werden ließ.

Bewertung vom 23.02.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


ausgezeichnet

Julia wird aufgrund eines Fehlers als Krankenschwester aus der städtischen Klinik entlassen, schweratmig und arbeitslos kehrt sie in das Dorf Ihrer Eltern zurück. Der Vater, pflegebedürtig, die Mutter abwesend, der Bruder in einer betreuten Einrichtung. Der ganze Dorfmief kommt ihr entgegen, bekommt ein I-Tüpfelchen mit einer schreienden Ziege, die vorerst nicht zu bändigen ist. Dann taucht Oskar auf. Er, ein Städter mit einem vorangegangenen Herzinfarkt, ist zur Erholung in den Ort gekommen. Julia und Carl nähern sich an. Oskar ist nicht die Lösung von Julias Problemen, dennoch, die trübe Grundstimmung, die wir mit der Protagonistin teilen, erlebt einen frohen Aufschwung. So wird Julia inspiriert, sich mit dem sie Umgebenden neu auseinanderzusetzen und wahrzunehmen.

Birgit Birnbacher schaut genau hin auf den dargestellten Kleinstadtmief und genau das genaue Hinschauen, bewirkt im Leser eine unaufgeregte entspannte und neugierige Resonanz. Sie zieht dadurch an, die Geschichte, so deprimierend sie zuerst anmutet, weiter zu verfolgen.
Gedanken, die anregen: Er: „ an das glauben, was man vor sich hat. An etwas glauben, das es vielleicht nie gibt...Von diesen Dingen leben wir doch“ .
Sie: „Der Städter hat sich an meinen Ort gebunden und macht es mir damit unmöglich,
sich an ihn zu binden“.

Der Name der Protagonistin Julia Noch beschreibt schon, was Birnbacher ausdrückt. Noch ist alles offen, wandelbar. Julia erscheint hierbei mehr passiv und auch hilfsbedürftig, doch in all ihrer Zögerlichkeit gibt sie sich dem hin und entwirft ihr Schicksal. Wie man etwas trägt, wie man etwas erträgt. So war ich nicht enttäuscht, dass der Schluss zwar überraschend aber stimmig ist.

Der Roman zeigt in der Ehrlichkeit der Hauptdarstellerin, wie das Leben ist, wie es sich wandelt, wie es niemals fertig wird und man es nicht messen kann. Die großartige Erkenntnis ist das genaue Hinsehen, das Verarbeiten und wiederum Fließen lassen, das heißt Entscheidungen werden durch den Wandel und den folgenden Herausforderungen getroffen.
Die Schönheit der Formulierung, die Sprache, ist tief zufriedenstellend. Für mich ein Frauenbuch mit großer künstlerischer, schriftstellerischer Leistung, die sich erhebt über den dargestellten Alltag, berührend und nachhallend. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 18.01.2023
Frankie
Köhlmeier, Michael

Frankie


ausgezeichnet

Frankie ist ein 14- jähriger Junge im Übergang zum Erwachsensein. Wir erfahren seine Sicht auf sein bisheriges Leben mit seiner alleinerziehenden Mutter, seiner Schule, seinem später auftauchenden Vater, erfahren über die Selbständigkeit seiner Gedanken, geprägt am behütet Erlebten. Die Mutter schneidert an der Oper und seine Wahrnehmung ist eine sensible Ästhetische, gepaart mit erkenntnisreichen Gedanken, die sich ein Jugendlicher über das Leben macht, jedoch in der Art und Weise, die den Leser in Erinnerung bringt, wie weltklug ein Mensch in diesem Alter wahrnehmen, analysieren und philosophieren kann. Und genau das berührt die ganze Geschichte hindurch, mit kleinen Längen, bis zum ungewöhnlichen Ende. Der nach jahrzehntelanger Haft entlassene Großvater bringt einen neuen unheimlichen Impuls in Frankies überschaubares Dasein, wird als Bedrohung und als Reiz von ihm empfunden - und er geht dem nach. Er fühlt den Sog und entscheidet, mit dem Großvater in einem gestohlenen Auto wegzufahren. So gerät er in einen Ablauf von unbekannten und für sein Leben grenzüberschreitenden Situationen – ein Abenteuer, das ihn auf sich zurückwirft und ihn zu ungewöhnlichem Handeln veranlasst.

Frank erfährt, dass die Erwachsenen, wie Mutter, später auftauchender Vater, eigene Leben mit neuen Partner haben, sogar der irgendwie faszinierende Großvater. Der rote Faden bewegt sich auf dem vorwärts, was unausgesprochen ist, der Neugier. Von außen, nur die Handlung betrachtend, könnte man sagen, der Großvater hat einen schlechten Einfluss auf den Jungen, doch für diesen ist er vorerst eine Inspiration zum Erwachsenwerden.
Spannend fand ich, wie detailliert Frankie seine Welt, Mutter, Vater und Großvater betrachtet und auf seine Weise erkennt und entlarvt und das ist der Moment, die Triebfeder, seine eigene Reise anzutreten – aus Frankie wird Frank.
Ein schönes Buch zum Schmunzeln, Staunen und Nachdenken mit einer Geschichte, die so wahrscheinlich niemals stattfinden wird, doch eine ureigene „Heldenreise“ sich vorstellt.
Hervorragend erzählt! Z.B. Zitat: „Ich habe mich vor dem Bett gefürchtet, das gebe ich zu, ich habe gefürchtet, es schaut mich an und sagt: Komm du, komm du ich mach dich fertig heute Nacht!
Dies ist mein erstes Buch, das ich von Michael Köhlmeier gelesen habe. Er ist vielfach mit deutschen Literaturpreisen ausgezeichnet . Er inspiriert durch eine ganz eigene, besondere Sprache.

Bewertung vom 05.12.2022
Wintersterben
Krüger, Martin

Wintersterben


ausgezeichnet

Ein Mord in den Walliser Alpen beordert Valeria Ravelli, Leutnant von Interpol an den kleinen, abgeschiedenen Ort Steinberg. Ein ehemaliger BKA Ermittler ist in einer Höhle tot aufgefunden worden, fast schon mumifiziert. Ihr Kollege Colin Bain forscht parallel auf der Spur der Vergangenheit des Toten.
Valeria, sich vorerst als Touristin ausgebend, begibt sich allein in diesen kleinen, eigenartigen Bergort. Wem kann Sie vertrauen?
Eindringlich vermag Martin Krüger Atmosphären zu entwerfen, spielt mit den düster ängstlichen Vorstellungen des Lesers, die Gänsehaut und Schauergefühle hinterlassen.
Zitat: … tanzten die Geister, neben ihr zuckende Schatten... Ein Spagat zwischen Merkwürdigem und Realität, das immer noch Glaubwürdigkeit erzielt. Ein merkwürdiges Anwesen mit einem Comte und einem Butler entführen in Mittelalter, die Steinhöhlen in weitere Vergangenheit. Ein sehr schön gemachter Mix, bestechend an Gegebenheiten, Geschehnissen und Örtlichkeiten.
Geschickt führt er die Protagonistin in unbekanntes unheimliches Terrain. Spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Mir hat dieser zweite Band um Valeria Ravelli weitaus mehr Lesevergnügen bereitet, als der erste Band Waldeskälte, den ich streckenweise zu langatmig empfunden hatte. Obwohl die furiose Auflösung des Mordfalles, es kommen noch andere hinzu, nicht wirklich realistisch anmutet, bremst dies jedoch nicht den ausgezeichneten, unterhaltsamen deutschen Kriminalroman.