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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

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Insgesamt 732 Bewertungen
Bewertung vom 08.12.2023
NACHT - Die Toten von Jütland / Ein Fall für die Task Force 14 Bd.1
Bagger, Thomas

NACHT - Die Toten von Jütland / Ein Fall für die Task Force 14 Bd.1


gut

Im beschaulichen Jütland wird eine Leiche aus dem Leichenschauhaus entwendet, nur um makaber inszeniert wieder aufzutauchen. Unerfreulich, gar keine Frage! Doch erst die Entdeckung eines Massengrabs ruft die Sonderermittler der Task Force 14 auf den Plan, nicht unbedingt zur Freude der örtlichen Mordkommission.

Anfänglich war ich von «NACHT» sehr angetan. Bevor es in die düsteren Abgründe eines typischen dänischen Thrillers abtaucht, beginnt es wie ein Krimi der alten Schule: Die Grundzüge des Falls werden vorgestellt, dann das Team der Ermittler, die alle mit mehr oder weniger ausgeprägten Eigenheiten geschildert werden. Manches erschien mir etwas erzwungen, aber noch war ich voll und ganz an Bord.

Ein Nebenkonflikt entfaltet sich, als Kommissar William Grandberg wegen Befangenheit nicht selber ermitteln darf; der Name seiner Familie wurde in die Brust der entwendeten Leiche eingeritzt. Da spielt auch keine Rolle, dass er sich schon lange von den Grandbergs losgesagt hat, die unter dem Deckmäntelchen der gediegenen Oberschicht die Geschehnisse des Ortes lenken – auf mehr oder weniger dubiose Art…

Nach der Ankunft der Sonderermittler wendet sich das Blatt. Mit jeder Seite wird der Thriller düsterer, zieht der Fall weitere Kreise – bis ins brutale Milieu des organisierten Verbrechens in Rumänien. Die Grausamkeiten werden detailliert geschildert und dabei geradezu seelenlos abgearbeitet: Menschenhandel. Zwangsprostitution. Folter. Mord. Die beteiligten Charaktere wirkten wie Marionetten in einem Schauspiel der menschlichen Abartigkeiten, blieben mir jedoch vollkommen fremd.

Sicher, das ist leider realistisch. Doch die Art und Weise, wie es beschrieben wurde, bremste den Lesefluss für mich vollkommen aus. Ich fühlte mich zutiefst deprimiert, doch immer weniger am eigentlichen Fall interessiert.

Das Ende war überraschend, aber meines Erachtens überkonstruiert.

Fazit:

Der Schreibstil ist ansprechend, das grundlegende Handlungsgerüst vielversprechend. Doch die Spannung verliert sich in Momentaufnahmen der Grausamkeit, und die Charaktere sind mal gut geschrieben, mal schablonenartig aufs Papier gebracht.

Bewertung vom 05.12.2023
Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1
Lodge, Gytha

Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1


ausgezeichnet

Die Geschichte bedient sich eines klassischen Schemas:

Eine Freundesgruppe trifft sich an einem isolierten Ort, mit katastrophalen Folgen für eine:n der Anwesenden. Alle sind verdächtig, alle beharren auf ihrer Unschuld… Der Fall bleibt für lange Jahre unaufgeklärt, bis eine neue Entwicklung dazu führt, dass die Ermittlungen wieder aufgegriffen werden.

In Gytha Lodges Variation dieses Klassikers sind es sechs Jugendliche, die gemeinsam im Wald zelten – mit Alkohol, Drogen und brodelnden Hormonen. Am nächsten Morgen ist Aurora, das vierzehnjährige Nesthäkchen, spurlos verschwunden. Was ist passiert? Mindestens eine:r der Jugendlichen muss es wissen… Und schweigt. Dreißig Jahre später wird eine Leiche ganz in der Nähe des damaligen Zeltplatzes gefunden, und die Knochenanalyse zeigt: Alter und Geschlecht stimmen.

DCI Jonah Sheens beginnt damit, das dichte Lügengeflecht zu entwirren, und muss sich dabei durch einen Morast unzulänglicher, möglicherweise korrupter Polizeiarbeit wühlen – ohne an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, dass er Aurora kannte.

Zu meiner Meinung:

Um es vorweg auf den Punkt zu bringen: Die Grundidee mag nicht neu sein, doch Gytha Lodge setzt sie mit einer Souveränität um, die vergessen lässt, dass es sich hier um einen Debütroman handelt! Der atmosphärische Schreibstil führt sehr ansprechend und vielfältig durch die Geschichte.

Beim ersten Band einer neuen Krimireihe ist eine gute ‚Besetzung‘ schon die halbe Miete: komplex geschriebene Verdächtige mit Tiefgang, und vor allem Ermittler:innen, die einen lang angelegten Handlungsbogen tragen können. Als Fundament kann ein gewisser Sympathiefaktor dienen, aber sie sollten sich auch durch Intelligenz und frische Ermittlungsansätze auszeichnen. Meines Erachtens erfüllen die Charaktere von «Bis ihr sie findet» diese Anforderungen!

Die Spannung baut sich schnell auf, getragen durch intelligente Dialogwechsel und eine interessante psychologische Dynamik. Geschickte Rückblenden, Perspektivwechsel und unerwartete Wendungen sorgen dafür, dass sie bis zur Auflösung nur selten abflaut – und das ohne exzessive Gewalt.

Bewertung vom 22.11.2023
Die letzte Nacht / Georgia Bd.11
Slaughter, Karin

Die letzte Nacht / Georgia Bd.11


ausgezeichnet

'Es ist schon ewig her, dass du etwas von Karin Slaughter gelesen hast', dachte ich mir. 'Das solltest du mal ändern, und dieser Einzelband klingt vielversprechend!'

Tja. Dass es sich hier tatsächlich um den elften Band einer Reihe handelt, war mir nicht bewusst. Aber immerhin kann ich jetzt attestieren, dass es durchaus möglich ist, «Die letzte Nacht» ohne Vorkenntnisse zu lesen, auch wenn dadurch sicher viele Feinheiten an mir vorübergingen. Mea Culpa! Ich gelobe, die ersten Bände nachzuholen.

Die Handlung beginnt mit einem hohen Maß an Spannung und weiß bis zum schlüssigen Ende durchweg zu fesseln, mit einigen überraschenden Wendungen und einem dramatischen Finale. Da Karin Slaughter hier über Themen spricht, die auch in der Realität brutal und grausam sind, nimmt sich der Thriller nicht zurück und beschönigt nichts. Das ist intensiv, realitätsnah – und oft schwer zu lesen, auch wenn es meines Erachtens mitnichten reißerisch übersteigert wird.

Die Handlung ist logisch aufgebaut und bietet einen so gelungenen wie erschreckenden Einblick in die Abgründe der menschlichen Natur, sei es nun rohe Gewalt oder organisierte Kriminalität. Gleichzeitig erkundet der Roman die zarteren Elemente der menschlichen Psyche mit Subtilität und Feingefühl. Dem Schreibstil gelingt dieser Drahtseilakt mit Bravour, sodass die Lektüre sowohl fesselt als auch berührt.

Die angesprochenen Themen sind gleichzeitig brandaktuell und zeitlos, vor allem (sexuelle) Gewalt gegen Frauen, Incel-Kultur und Me-too.

An den Charakteren merkt man, dass es sich hier nicht um den ersten Band handelt: Sie haben alle ihre persönlichen Vorgeschichten, die mal dezent durchklingen, mal ausdrücklich referenziert werden. Die Beziehungen der wiederkehrenden Figuren sind komplex und vielschichtig, und das bietet einen reichen Nährboden für überzeugende Charakterentwicklung. Besonders Sara Linton macht eine tiefgründige Reise durch.

Fazit:

Der Thriller weiß mit spannendem Aufbau, fesselndem Erzähltempo und gelungener Darstellung sensibler Themen zu überzeugen, und der angenehme Schreibstil hält die verschiedenen Stränge der komplexen Handlung gekonnt beisammen.

Bewertung vom 17.11.2023
Der Uhrmacher in der Filigree Street
Pulley, Natasha

Der Uhrmacher in der Filigree Street


ausgezeichnet

Im London der 1880er Jahre arbeitet Thaniel Steepleton als einfacher Angesstellter im Innenministerium. Als er jedoch eine mysteriöse goldene Taschenuhr auf seinem Kissen findet, nimmt sein ansonsten gewöhnliches Leben eine fantastische Wendung. Bald entdeckt er, dass Pfandleiher sich vehement weigern, die wertvolle Uhr anzunehmen – und das, obwohl sie sie sofort als das Werk des Meisteruhrmachers Keita Mori erkennen. Verwirrt kehrt Thaniel zu seiner winzigen Wohnung und seinem ereignislosen Leben zurück. Dieses wird jedoch kurz darauf in mehr als einer Hinsicht in den Grundfesten erschüttert…

Nachdem die Uhr ihm buchstäblich das Leben gerettet hat, sucht Thaniel ihren Hersteller auf, hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit und Misstrauen. Obwohl der einsame Einwanderer aus Japan freundlich und harmlos erscheint, verfügt Mori offensichtlich über Wissen, das einen unheilvollen Beiklang hat… Doch Thaniel erkennt bald, dass dieser ruhige, bescheidene Mann zwar vieles verbirgt, jedoch nicht aus den Gründen, die die paranoide Xenophobie der englischen Gesellschaft suggeriert.

Währenddessen ist die junge Grace Carrow entschlossen, ihr Leben der Wissenschaft zu widmen. Um ein wissenschaftliches Labor einrichten zu können, muss sie allerdings die Bedingungen eines Erbes erfüllen – und heiraten.

Mit ihrem wunderschönen, atmosphärischen Schreibstil zieht Natasha Pulley ihre Leserinnen und Leser in eine außergewöhnliche, hochoriginelle Welt: Die Handlungsstränge verweben sich zu einer Mischung aus historischer Fantasy, magischem Realismus und einem Hauch von Mystery mit Steampunk-Elementen. Dabei erkundet der Roman Themen wie unerwartete Liebe, schwierige persönliche Entscheidungen und komplexe menschliche Beziehungen.

Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und vielschichtig, mit einem charmanten, gelegentlich skurrilen Touch. Die Freundschaft zwischen Thaniel und Keita Mori wird mit viel Feingefühl als zerbrechlicher Schatz beschrieben; darüber hinausgehende Gefühle schwingen meist subtil zwischen den Zeilen mit.

Außerdem enthält der Roman einen der entzückendsten Sidekicks, die ich je gelesen habe: Katsu, einen winzigen Uhrwerk-Oktopus, der gerne Socken stiehlt und viel mehr Persönlichkeit entwickelt, als sein Schöpfer beabsichtigt hatte.

Das Tempo ist eher langsam, was ich aber nicht als Mangel betrachte. Es gibt hier doch so viel zu entdecken! Daher wusste ich es zu schätzen, dass Natasha Pulley mir Zeit zum Erkunden ließ.

Fazit: Es war mir eine Freude, diesen originellen, charmanten Roman zu lesen. Die komplexen Charaktere und ihre vielschichtigen Beziehungen werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Für mich ist dies definitiv eine 5-Sterne-Lektüre!

Bewertung vom 08.11.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


sehr gut

Ein solider erster Fall für die Ermittler Fredrika Storm und Henry Calmont. Der Tod einer jungen Frau wühlt lange Verschwiegenes in Frerikas Heimatort auf – und enthüllt dunkle Geheimnisse ihrer eigenen Familie. Obwohl die Geschichte sich vertrauter Themen und Charakterkonstellationen bedient, hat die Handlung doch genug originelle Ideen zu bieten, um interessant zu bleiben.

Der Spannungsbogen nimmt nur langsam an Fahrt auf. Dies lässt der Autorin jedoch genug Zeit, um die verwickelten Familienverhältnisse und die Hintergründe des Mordfalls in Kapiteln voller Atmosphäre auszuarbeiten, mit schlüssigen Hinweisen und gelungenen falschen Fährten. Obwohl ihr das überwiegend stimmmig gelingt, wirken vereinzelte Aspekte der Handlung etwas unrealistisch, insbesondere Fredrikas Beteiligung an den Ermittlungen trotz offensichtlicher Befangenheit.

Die Hauptfiguren, insbesondere Fredrika und Henry, sind gut gezeichnete und lebendige Charaktere mit viel Potential. Die Dynamik zwischen den unterschiedlichen, oft etwas eigenwilligen Persönlichkeiten ist interessant und unterhaltsam.

Der Schreibstil ist flüssig, detailliert und atmosphärisch. Die kurzen Kapitel und der häufige Perspektivenwechsel tragen dazu bei, dass sich das Buch schnell und unterhaltsam lesen lässt. Lediglich ein paar Wiederholungen blähen die Handlung unnötig auf, sodass ein paar Passagen durchaus Längen aufweisen. Insgesamt ist das Buch jedoch meines Erachtens gut geschrieben.

Fazit:

Für mich war «Schwarzvogel» ein gelungener Reihenauftakt – ein klassischer, vielschichtiger Skandinavien-Krimi mit interessanten Charakteren. Noch ist zwar ein bisschen Luft nach oben, aber ich vergebe solide 4 Sterne.

Bewertung vom 04.11.2023
Weil da war etwas im Wasser
Kieser, Luca

Weil da war etwas im Wasser


sehr gut

Zitat:
«Wie das tiefschwarze Gefieder eines Hahnes vor dem Schrei dehnt sich dass All – und die Erde, unsere Heimat, ist darin nicht mehr als das Blitzen einer Federspitze.»

Tiere als Protagonisten sind nichts Neues. Katzen ermitteln in Mordfällen, Hunde berichten von der Liebesgeschichte ihres Frauchens – sogar Schafe sind schon als Handlungsträger aufgetreten. Aber ein Riesenkalmar, der Schwärze der Tiefsee entrissen? Oder genauer gesagt: die acht Arme des Kalmars, die voneinander unabhängig erzählen, sich sogar widersprechen? Eine mutige Wahl des Autors.

Diese Perspektive ist für Lesende ungewohnt, öffnet ein Fenster in eine Welt, die für uns so fremdartig ist wie ein anderer Planet. Monströs mag dieses Wesen auf den ersten Blick erscheinen, doch mit jeder Geschichte, die einer der Arme erzählt, erfahren wir mehr über seine Lebenswelt, seinen faszinierenden Körper, seine Gefährdung durch den Menschen.

Das ist halb Sachbuch, halb Roman. Durch eine Reihe weiterer, menschlicher Perspektiven schlägt der Autor Brücken zum für uns Nachvollziehbaren. Wir begegnen Menschen, die aus den verschiedensten Gründen mit dem Kalmar oder dem Ökosystem Meer im Allgemeinen zu tun haben. Außerdem widmet der Autor einige Passagen der Populärkultur, die sich mit den ‚Monstern‘, den Ungeheuern der Meere beschäftigen – von Jules Verne bis Steven Spielberg.

Doch auf jeden Schritt in vertraute Gefilde folgt wieder ein Bruch; dann zieht einer der Arme dich erneut ins Unbekannte.

Insgesamt ist die Konstruktion des Romans gewagt, in manchen Passagen meines Erachtens überfrachtet mit Themen, Fakten, Blickwinkeln. Dennoch: Die Erzählungen der Arme des Kalmars machen abstraktes Wissen greifbar, erheben ökologische Themen aus dem diffusen Nebel des leicht Ignorierbaren. Fußnoten schicken dich hierhin und dorthin – pures Chaos, aber unbedingt folgen!

Letztlich wirft Luca Kieser die Frage in den Raum, ob der Mensch überhaupt auf angemessene, sinnvolle Weise über Tiere und Natur sprechen kann. Kann der Roman als Bejahung dieser Frage gelten? Das liegt wohl im individuellen Ermessen der Leser:innen.

Für mich ist der Roman auf jeden Fall ein anerkennenswerter Versuch. Das Experimentelle seiner Struktur schubst dich aus der Komfortzone, und das macht Lust darauf, den angesprochenen Themen weiter nachzugehen.


Zitat:
«Und dann brach ein Klagelaut aus ihm hervor. Obwohl es stach, sog unser Kalmar in sich ein, was durch die Kiemen in ihn geriet. Schäumend grüne Gischt und jenes Gas – einen Moment waren da nur der Nachhall seines Schreis und das Weiß in einem grün schäumenden Meer und zwischen dem Himmel und ihm ein Kampf – dann siegte die Helligkeit und er duckte sich unter Wasser.»

Bewertung vom 23.10.2023
The Catch - Sie sagt, er sei perfekt. Doch ich weiß, dass er lügt ...
Logan, T.M.

The Catch - Sie sagt, er sei perfekt. Doch ich weiß, dass er lügt ...


ausgezeichnet

Abbie stellt ihren Eltern überraschend ihren Verlobten Ryan vor. Ihre Mutter ist entzückt – ach, was für ein höflicher, gut aussehender Mann! Aber bei ihrem Vater Ed schrillen alle Alarmglocken. Zwar kann er es nicht an etwas Konkretem festmachen, aber er ist sich sicher: Er steht einem Psychopathen gegenüber! Und dem soll er seine geliebte Tochter einfach so überlassen? Niemals.

Ed beginnt damit, Ermittlungen über Ryan anzustellen, auf der Suche nach Beweisen, die er seiner Frau und seiner Tochter präsentieren kann. Aber die Hochzeit rückt immer näher, und mit jedem erfolglos verstrichenen Tag wird Ed verzweifelter und obsessiver, überschreitet eine Grenze nach der anderen.

Obwohl die Handlung im Grunde recht einfach gestrickt ist, verleiht T.M. Logan ihr mit unerwarteten Wendungen und psychologischem Tiefgang eine originelle Note. Weder Ed noch Ryan lassen sich in die Karten blicken; die Eskalation des Konflikts geschieht unter der Hand. Im Ungesagten und in liminalen Räumen werden alltägliche Ängste auf die Spitze getrieben.

Es ist beklemmend, Ed dabei zuzusehen, wie er mehr und mehr den Halt verliert. Die Spannung schraubt sich immer weiter hoch, bis man gar nicht mehr weiß, welches Ende das Schlimmere wäre: Dass Ed Recht hat und Ryan wirklich gefährlich ist, oder dass er sich nur in etwa verrannt hat… Ja, manchmal schrappt Eds Verhalten haarscharf an der Grenze des Unglaubwürdigen entlang – aber meist stellt der Autor seinen Zwiespalt und seine Besessenheit nachvollziehbar dar. Im Großen und Ganzen fand ich die Charaktere gut ausgearbeitet.

Bewertung vom 22.10.2023
Dem Gehirn beim Denken zusehen
Niehaus, Monika;Osterloh, Martin

Dem Gehirn beim Denken zusehen


ausgezeichnet

Aus dem Inhalt:

🧠 Was sagt der IQ eigentlich aus?

🧠 Ist Künstliche Intelligenz wirklich intelligent?

🧠 Spiegeln Spiegelneuronen tatsächlich unser Gegenüber?

🧠 Wo verläuft die Grenze zwischen psychisch normal und krank?

🧠 Kann man Träume tatsächlich fotografieren?

🧠 Lässt sich Teenagerverhalten neurophysiologisch verstehen?

Normalerweise schreibe ich ausschließlich über Belletristik. Wenn ich doch mal ein Sachbuch vorstelle, dann ist es eines, an dessen Thematik ich persönlich interessiert bin und das mich vollends überzeugen konnte. Nun, ersteres ist hier definitiv der Fall! Neurowissenschaften faszinieren mich – vermutlich auch, weil ich seit zwei Jahrzehnten mit MS lebe und mich daher häufiger und näher mit dem Gehirn beschäftigt habe.

Aber meines Erachtens ist die Zielgruppe des Buches weiter gestreut:

📚 Interessierte Laien: Personen ohne tiefes Vorwissen in Neurowissenschaften, die aber neugierig sind und mehr über das Gehirn und seine Funktionen erfahren möchten.

📚 Menschen aus dem Bildungsbereich, die nach spannenden und verständlichen Ressourcen suchen, um Schüler:innen die Grundlagen der Neurowissenschaften näherzubringen.

📚 Allgemeinbildungsinteressierte: Personen, die generell ihr Wissen erweitern möchten.

Nun kommen wir zu meiner Meinung: inwiefern hat mich das Buch überzeugt?

Niehaus und Osterloh holen auch Lesende ohne Vorwissen ab. Für jedes Thema liefern sie eine Faktenbasis, die sich bei Interesse durch die im Anhang aufgelisteten Quellen vertiefen lässt. Selbst Personen, für die Neurowissenschaften ein nie zuvor erkundetes Fremdland ist, werden in jedem Kapitel direkte Bezüge zum eigenen Leben finden.

Zum Beispiel frönen allzu viele von uns dem Multitasking:

Wir schreiben einen Text für die Arbeit, checken nebenher unsere Social Media, beantworten SMS und lassen vielleicht noch die Lieblingsserie auf dem Fernseher laufen. Dabei fühlen wir uns hochproduktiv, vielleicht sogar stolz darauf, so gut zu funktionieren, dass alles gleichzeitig wie am Schnürchen läuft. Doch Untersuchungen zeigen, dass dies ein fataler Trugschluss ist. Tatsächlich senkt chronisches Multitasking nicht nur die Produktivität, sondern schädigt das Arbeitsgedächtnis nachhaltig. Hier liefert das Buch konkrete Angaben und Verweise auf Studien.

Katastrophal wird das beim 'distracted doctoring', wenn Chirurgen während der Op zum Handy greifen, der Narkosearzt nebenher auf Instagram postet, oder die Diagnoseärztin erstmal per SMS die Pläne fürs Abendessen abklären muss. Laut Studien ist das alles keineswegs unüblich – und dazu kommt noch, dass Ärzt:innen chronisch überarbeitet und übermüdet sind, was in einem anderen Kapitel näher besprochen wird.

Wussten Sie, dass 24 Stunden Schlaflosigkeit schon ähnliche Auswirkungen haben wie ein Blutalkoholspiegel von 1,0 Promille, Ärzt:innen aber durchaus mal 36 Stunden durcharbeiten? Würden Sie sich gerne unters Messer legen, wenn Sie wüssten, dass der Chirurg erstmal drei Bierchen gekippt hat?

Diese und andere Themen werden leicht verständlich und unterhaltsam erörtert, jedoch mit echtem Gehalt und keineswegs trivial. Empathie, freier Wille (oder die Illusion des freien Willens), die Messbarkeit von Intelligenz, die biologische Bedeutung des Träumens… Das ist hochspannend und zeigt sich immer wieder als überraschend relevant für den eigenen Alltag!

Insgesamt ist dieses Buch eine hervorragende Empfehlung für alle, die sich für die Funktionsweise des Gehirns und die Geheimnisse des Denkens interessieren, ohne dabei von Fachjargon überwältigt zu werden.

MONIKA NIEHAUS ist promovierte Biologin mit Schwerpunkt Neurophysiologie und arbeitet freiberuflich als Autorin, Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin. Sie schreibt nicht nur Sachbücher, sondern auch Belletristik.

MARTIN OSTERLOH ist Wirtschafts- und Sportpsychologe. Als systemischer Coach und Prozessbegleiter für ein interkulturelles Zentrum in Köln Chorweiler unterstützt er Menschen dabei, persönliche und berufliche Herausforderungen zu bewältigen. Sein Schwerpunkt ist Psychoedukation, Akzeptanz und Commitment Training.

Bewertung vom 20.10.2023
Das Teufelsloch / Tom Hawkins Bd.1 (eBook, ePUB)
Hodgson, Antonia

Das Teufelsloch / Tom Hawkins Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

London, 1727: Der junge Gentleman Tom Hawkins ist den Frauen und dem Alkohol ebenso wenig abgeneigt wie dem Glücksspiel. Landpfarrer werden wie sein Herr Vater? Pah, die Vorstellung allein ist ihm schon ein Graus! Als Toms verschwenderischer Lebenswandel ihn jedoch ins berüchtigte Londoner Schuldgefängnis »The Marshalsea« bringt, ein Labyrinth aus Intrigen, Korruption und Machtmissbrauch, beginnt für ihn ein Kampf ums nackte Überleben.

Er lässt sich von der Gefängnisleitung als Ermittler verdingen, um einen Mordfall an einem anderen Sträfling aufzuklären, der unbequeme Wellen schlägt – ansonsten wäre sein Leben keinen Pfifferling wert. Als Lohn winkt Tom der Schuldenerlass, bei Versagen drohen ihm Folter und Tod. Ausgerechnet sein Zellengenosse Fleet, der gefürchtet wird wie der Teufel selbst, findet Gefallen daran, ihm bei den Ermittlungen zu helfen – doch kann Tom ihm trauen?

Was »Das Teufelsloch« so einzigartig macht, ist seine gelungene Kombination aus historischem Setting und Kriminalroman. Ein bestechender, gut recherchierter Einblick in die englische Strafjustiz der Zeit und die grausamen Bedingungen, unter denen besonders die Häftlinge der unteren Gesellschaftsschichten existieren mussten. Die Autorin findet atmosphärische Bilder, die die Welt dieses Gefängnisses nur allzu eindringlich zum schrecklichen Leben erwecken.

Geschickt konstruiert, baut der Roman eine dichte Spannung auf, der man sich nur schwer entziehen kann – besonders, da auch Tom niemals mit Sicherheit weiß, wem er trauen kann.

Die Charaktere sind vielschichtig und gut ausgearbeitet, haben aber natürlich allesamt ein berechtigtes Interesse daran, sich nicht so ohne Weiteres in die Karten schauen zu lassen. Tom war für mich eine Überraschung: Er wirkte auf mich anfangs nicht sonderlich sympathisch, entpuppte sich dann aber doch als Protagonist, mit dem ich mitfühlen konnte. Hinter seinen Lastern verbergen sich glaubhafte innere Konflikte, die ihm Tiefgang geben.

Bewertung vom 18.10.2023
Der Botaniker (eBook, ePUB)
Craven, M. W.

Der Botaniker (eBook, ePUB)


sehr gut

Ein Hinweis vorneweg: Das Buch wird als «Auftakt der preisgekrönten Krimiserie aus Großbritannien» beworben. Tatsächlich ist dies der erste Band der Reihe, *der ins Deutsche übersetzt wurde* – im Original jedoch bereits der fünfte Band, nach «The Puppet Show», «Black Summer», «The Curator» und «Dead Ground»! Daher sind die Charaktere schon ein eingespieltes Team, als Leser:in fehlen dir jedoch die entsprechenden Vorgeschichten. Das Buch lässt sich zwar dennoch problemlos lesen, ich persönlich hätte dennoch lieber mit dem ersten Band begonnen.

Zugegeben: Die Tatsache, dass es sich hier um einen verkappten fünften Band handelt, hat durchaus auch positive Nebenwirkungen. Die Charaktere sind komplex und vielschichtig ausgearbeitet, mit viel Persönlichkeit und Mut zum Eigensinn. Man merkt, dass der Autor schon viel Zeit mit ihnen verbracht hat! DS Washington Poe hat ein unkonventionelles Ermittlungsteam zusammengestellt, dessen Schrullen und Eigenheiten sich wider alle Wahrscheinlichkeit zu einer effektiven Einheit zusammensetzen.

Einzig Analystin Tilly Bradshaw fand ich manchmal etwas zu überzeichnet. Brillant, aber ohne jegliche Sozialkompetenz, wirkte sie auch mich gelegentlich wie eine Ansammlung von Klischees – so stellt der Laie sich eine Person auf dem autistischen Spektrum vor. Dennoch ist sie auch mit kleinen Abstrichen immer noch ein interessanter Charakter mit viel Potenzial.

Der Schreibstil liest sich wie aus einem Guss: Die düstere und faszinierende Welt der Ermittlungsarbeit trifft hier auf feinen englischen Humor, und M.W. Craven hält dies mit prägnanten, klaren Worten in der Schwebe. Er hat ein Gespür für das richtige Tempo und die richtige Intensität, um das Meiste aus seinen Szenen herauszuholen.

Die Handlung ist komplex, ein geradezu klassischer Krimi mit originellen neuen Impulsen. Das ist clever, es ist hochspannend, und über lange Strecken des Buches konnte ich mir schlicht keine logische Auflösung vorstellen – der Mörder schien geradezu übernatürliche Fähigkeiten zu besitzen. Doch am Schluss bringt der Autor alles gekonnt zusammen.