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YukBook
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München

Bewertungen

Insgesamt 272 Bewertungen
Bewertung vom 24.05.2024
Das Geflüster
Audrain, Ashley

Das Geflüster


gut

Der Roman beginnt mit einer Gartenparty, auf der die Stimmung alles andere als fröhlich ist. Der Reihe nach werden die „befreundeten“ Protagonisten aus der Nachbarschaft eingeführt, die sich argwöhnisch mustern. Verschärft wird das Ganze, als die Gastgeberin ihren Sohn anbrüllt und die Gäste schockiert. Ob dieser Vorfall mit einem späteren tragischen Unfall zusammenhängt, bildet die Rahmenhandlung.

Anhand der sehr unterschiedlichen vier Frauentypen beleuchtet die Autorin das Thema Mutterschaft in allen Facetten – vom unerfüllten Kinderwunsch über Erziehungsprobleme bis hin zur Selbstaufgabe in der Mutterrolle – und dem Druck, den Erwartungen gerecht zu werden. Interessant dabei ist, wie unterschiedlich das Selbst- und Fremdbild ist.

Auf mich wirkten die Figuren ein wenig zu stereotyp. Sie sind allesamt sehr negativ eingestellt und geprägt durch Misstrauen, Wut und Hass. Vergeblich wartete ich auf einen Funken Hoffnung oder ein Quentchen Humor, was ihre Probleme und Krisen abgefedert hätte. Auch das Ende überzeugte mich nicht ganz. An den Vorgängerroman „Der Verdacht“, der mich sehr gefesselt hatte, kommt diese Geschichte leider nicht heran.

Bewertung vom 06.05.2024
Brüderchen
Dupont-Monod, Clara

Brüderchen


ausgezeichnet

Wenn von einem schwerbehinderten Kind die Rede ist, denkt man oft an die zusätzliche Belastung für die Eltern, doch selten fragt man sich, wie es dabei den Geschwistern geht. Eine vage Vorstellung davon bekam ich in diesem Roman.

Das titelgebende dritte Kind in der namenlosen Familie kann weder sehen, sprechen noch laufen. Im ersten Kapitel wird erzählt, wie der älteste Bruder damit umgeht. Der Draufgänger verwandelt sich immer mehr zu einem fürsorglichen Beschützer, der eine starke emotionale Bindung zu dem Brüderchen aufbaut und seinen ganzen Lebenssinn auf ihn fokussiert.

Seine jüngere Schwester, scheinbar fröhlicher Natur, wird auch hin und wieder erwähnt, doch wie sie die gleiche Situation tatsächlich erlebt, erfahren wir erst im zweiten Kapitel. Ihre Sicht ist eine völlig andere, und ihr Leid und ihre kämpferische Haltung haben mich schlichtweg umgehauen.

Die Autorin beschreibt, welche Auswirkungen das unangepasste Kind auf diese Familie hat: für den einen verkörpert es Unschuld, eine reine Seele und ist eine Bereicherung, für den anderen raubt es die gesamte Energie der Familie und lässt andere Mitglieder vereinsamen. Was für eine originelle Idee, die Geschichte aus der Perspektive der Mauersteine im Hof erzählen zu lassen. Dieser Roman, der die raue Natur der Cevennen mit einbezieht und gekonnt zwischen zärtlichen, archaischen und tieftraurigen Gefühlen schwankt, zählt für mich zu den stärksten, die ich in letzter Zeit gelesen habe!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.04.2024
Der Meisterdieb
Finkel, Michael

Der Meisterdieb


ausgezeichnet

Die Geschichte klingt zu verrückt, um wahr zu sein, doch es gibt ihn wirklich: den Protagonisten Stéphane Breitwieser, der Kunstwerke in einem Wert von über einer Milliarde Euro erbeutete. Im Gegensatz zu anderen Kunstdieben, machte er seine Beute jedoch nicht zu Geld, sondern hortete sie im Dachboden des Hauses seiner Mutter und ergötzte sich an dem Anblick.

Den Wunsch, sich von Schönheit zu umgeben, kann ich als Kunstliebhaber gut verstehen – allerdings teile ich nicht seine Vorliebe für die Renaissance. Außerdem ist Kunst für alle da, doch Breitwieser sah das anders. Was seine Leidenschaft und seine Sammelwut in seiner Kindheit entfachte und was ihn antrieb, mit seiner Lebensgefährtin quer durch Europa auf Beutejagd zu gehen, erzählt der Autor einfach mitreißend. Seine Sprache ist reduziert, präzise und elegant  – genauso wie Breitwiesers Methode auf seinen Raubzügen.

Ich war fasziniert und empört zugleich, mit welchem Geschick und welcher Dreistigkeit er Skulpturen, Pokale und Gemälde mitgehen ließ, teilweise mehrere auf einen Schlag. Die farbigen Abbildungen im Mittelteil des Buches ersparten mir erfreulicherweise die Suche im Internet. Wie Psychologen seine Obsession beurteilten, fand ich ebenso interessant wie den historischen Einblick in andere Kunstdiebstähle. Das Buch liest sich wie ein Thriller und ist nicht nur für Kunstinteressierte ein großer Lesegenuss!

Bewertung vom 13.04.2024
Butter
Yuzuki, Asako

Butter


ausgezeichnet

Eine Geschichte über eine „Beziehung“ zwischen einer Reporterin und einer Gefängnisinsassin liest man nicht alle Tage. Doch nicht nur in der Hinsicht ist dieser Roman ungewöhnlich und originell.

Hauptfigur Rika Machida bemüht sich um ein Exklusivinterview mit Manako Kajii. Letztere soll das Leben dreier Männer auf dem Gewissen haben, die auf mysteriöse Weise umkamen. Bei jedem Besuch im Gefängnis versucht Rika mehr Infos aus der Angeklagten herauszulocken und kann sich immer weniger ihrem Einfluss entziehen.

Die Geschichte ist deshalb so faszinierend, weil die Autorin verschiedenste Frauentypen vorstellt, ohne eine bestimmte Position zu vertreten, und auch die typischen Bedürfnisse japanischen Männer auf den Punkt bringt. Manako zum Beispiel hat paradoxerweise eine sehr konservative Haltung zur Frauenrolle und nimmt sich trotzdem die Freiheit, sich ihren kulinarischen Gelüsten hinzugeben. Mit großem Vergnügen und Appetit habe ich verfolgt, wie sie von ihrer Zelle aus die Reporterin auf zahlreiche Missionen schickt, damit diese üppige Gerichte mit reichlich Butter und viele andere Delikatessen zu kochen und zu schätzen lernt. Die sinnlichen Beschreibungen ihrer Geschmackserlebnisse waren auch für mich ein Genuss.

Mit lakonischem Humor und Tiefgang beleuchtet Asako Yuzuki Themen wie Freundschaft, Ehe, Kinderwunsch, die Pflege älterer Menschen, Karriere und Einsamkeit und erzählt, wie die Protagonistin allmählich einen neuen Lebensstil und Selbstwertgefühl entwickelt.

Bewertung vom 24.03.2024
Wellness
Hill, Nathan

Wellness


ausgezeichnet

Über eine Liebe und Ehe, die heftige Risse bekommt, ist schon viel geschrieben worden. Selten ging ein Autor aber so in die Tiefe wie Nathan Hill in diesem Roman.

Die Psychologiestudentin Elizabeth und der junge Fotograf Jack lernen sich 1993 in Chicago kennen und werden schnell ein unzertrennliches Paar. Der Kontrast zwischen der Phase, in der sie auf Wolke sieben schweben, und ihrer Ehe, in der Planung und Pragmatismus jegliche Romantik vertreibt, wird durch den dramaturgischen Aufbau verstärkt. Der Autor springt wild zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her und breitet die Herkunft und Familiengeschichte der beiden episch aus, so dass man begreift, warum sie so handeln wie sie handeln.

Nathan Hill geht nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite und entlarvt, was die Haupt- und Nebenfiguren mit ihren unterschiedlichen Überzeugungen und Illusionen für die Realität halten. Egal, ob es um Gentrifizierung, Beziehungspsychologie, Verschwörungstheorien, Algorithmen oder Spiritualität geht, über jedes Thema schreibt er so detailliert und kenntnisreich, als wäre es sein Fachgebiet. Immer wenn ich das Gefühl hatte, es wird zu ausufernd, wurde ich von einer neuen Offenbarung überrascht. Dieser großartige Roman über zwei Menschen, die lernen müssen, mit der Last ihrer Vergangenheit und den Unwägbarkeiten der Gegenwart umzugehen, ist mit viel Humor gespickt und bereitete mir trotz der über 700 Seiten ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Bewertung vom 08.03.2024
Am Meer
Strout, Elizabeth

Am Meer


ausgezeichnet

Die innige und zugleich schwierige Beziehung zwischen den Protagonisten Lucy und William ist mir seit dem Vorgängerroman „Oh William“ vertraut. Diesmal wird ihr Verhältnis erneut auf die Probe gestellt. Das Coronavirus breitet sich in New York aus, und William bringt seine Ex-Frau in ein Haus in Maine, um sie zu schützen.

Auch für Leser, die das Paar noch nicht kennen, wird der Unterschied zwischen den Charakteren sofort sichtbar: Lucy fühlt sich überrumpelt und unterschätzt die Gefahr, während William vernunftgesteuert und tatkräftig alles Nötige in die Wege leitet. Ich konnte mich gut in Lucy hineinfühlen und erinnerte mich daran, dass auch mir der Lockdown damals so surreal vorkam. Ich war gespannt, ob die Ausnahmesituation die Verhaltensmuster, die sich nach 20 Jahren Ehe und 20 Jahre Trennung bei ihnen eingespielt haben, durchbrechen wird.

Das Talent der Autorin, subtil und mit wenigen Worten intensive Emotionen und eine existenzielle Erfahrungstiefe zum Ausdruck zu bringen, habe ich schon immer geschätzt, doch in diesem Roman erreicht dies noch eine höhere Stufe. Wie kein anderer schafft sie es, ihre aufmerksamen Beobachtungen, klugen Gedanken über zwischenmenschliche Beziehungen, Ängste und Erinnerungen an traumatische Erlebnisse in eine wunderbare Sprache zu packen. Wie die Pandemie nicht nur das Leben von Lucy, William und ihren Kindern, sondern auch New York verändert hat, ist absolut lesenswert.

Bewertung vom 04.03.2024
Der Wald
Catton, Eleanor

Der Wald


ausgezeichnet

Der Kontrast zwischen den zwei Protagonisten könnte kaum größer sein. Mira Bunting engagiert sich in der Aktivistengruppe Birnam Wood, die Gärten auf vernachlässigten Grundstücken anpflanzt. Dem Milliardär Robert Lemoine kommt die Begegnung mit ihr sehr gelegen, denn die finanzielle Unterstützung dieses Kollektivs kann er zu seinem eigenen Vorteil nutzen.

Die beiden kommen aus völlig verschiedenen Welten, handeln aus unterschiedlichen Interessen und doch sind sie sich ebenbürtig, was ihre Willensstärke und ihr Talent für Lügen und Täuschungen betrifft. Wie sie miteinander in Tuchfühlung gehen, sich gegenseitig provozieren und einen verbalen Schlagabtausch liefern, zählte für mich zu den Höhepunkten des Romans. Diese Konstellation bringt allerdings eine neue Dynamik in das Kollektiv und hat ungeahnte Folgen. Weitere Protagonisten kommen ins Spiel, die Ereignisse überschlagen sich und ich flog nur so über die Seiten.

Eine temporeiche, raffinierte Story über hochbrisante Themen, die uns derzeit beschäftigen, gepaart mit charismatischen Figuren und psychologischer Tiefe machen den Roman zu einem Thriller, den man nicht mehr aus der Hand legen kann. Ich werde ganz sicher noch mehr von Eleanor Catton lesen.

Bewertung vom 01.03.2024
Das Hotel am Fuße des Vulkans
Maynard, Joyce

Das Hotel am Fuße des Vulkans


sehr gut

Dass die Hauptfigur Irene nach einem schweren Verlust nur noch weg will von San Francisco, ist verständlich. Als sie spontan in einen Bus steigt und in einem Hotel in einem mittelamerikanischen Dorf landet, wo sie fürsorglich aufgenommen wird, scheint es das Schicksal diesmal gut mit ihr zu meinen.

In blumiger Sprache entfaltet Joyce Maynard einen exotischen Schauplatz in üppiger Natur, in den man mit allen Sinnen eintaucht, ähnlich wie in das gelungene Buchcover. Für Irene ist „La Llorona“, das von einer weisen, außergewöhnlichen Frau geführt wird, genau die richtige Unterkunft, um auf andere Gedanken zu kommen. Erfreulicherweise zeichnet die Autorin kein reines Paradies, sondern einen bezaubernden, aber auch maroden Ort, wo Schönheit und Vergänglichkeit, warmherzige und hinterhältige Menschen Seite an Seite existieren.

Tragische, heitere und erstaunliche Lebensgeschichten von Gästen, Angestellten und Dorfbewohnern treffen aufeinander. Manche berührten mich emotional, manche schienen mir etwas zusammenhanglos aneinandergereiht, doch am Ende liefen viele Fäden auf überraschende Weise zusammen. Es ist ein lebensbejahender Roman, der zeigt, wie man am Tiefpunkt seines Lebens wieder Hoffnung und Mut für einen Neuanfang schöpfen kann.

Bewertung vom 25.02.2024
Riverman
McGrath, Ben

Riverman


sehr gut

Ben McGrath erzählt eine wahre Geschichte über Dick Conant, der mehr als zwanzig Jahre mit seinem Kanu auf Flusswegen quer durch die USA unterwegs war. Das allein bietet schon genügend spannenden Lesestoff. Die Tatsache, dass sein Kanu im Dezember 2014 gefunden wurde ohne jegliche Spur des Fahrers und der Autor der Sache nachgeht, verleiht dem Roman eine besondere Note.

Angetrieben wird er sowohl von seinem journalistischem als auch persönlichem Interesse, denn ganz zufällig lernte er den Flusswanderer in Piermont am Westufer des Hudson kennen, als dieser von Kanada nach Florida paddelte. Mich interessierte vor allem, warum sich ein Mensch auf solch ein verrücktes und gefährliches Abenteuer einlässt. Diese Frage blieb dank seinen Tagebüchern und einem biografischen Exkurs, den Berichten von Dick Conants Familienangehörigen und zahlreichen mitunter skurrilen Bekanntschaften entlang des Flussufers nicht unbeantwortet.

Erstaunlich ist, wie unterschiedlich sie den unermüdlichen Kanufahrer in Erinnerung behalten haben. Manche sahen in ihm nur einen armen Schlucker und Außenseiter, die meisten jedoch waren fasziniert von seiner starken Persönlichkeit, sahen in ihm gar einen zeitgenössischen Volkshelden. Ich habe Ben McGrath auf seiner Recherchereise, auf der er ähnlich wie Dick Conant wertvolle Freundschaften schließt, gern begleitet und gesellschaftliche Randgruppen, die sonst nicht so im Fokus stehen, kennengelernt.

Bewertung vom 01.02.2024
Schreibwelten
Johnson, Alex

Schreibwelten


ausgezeichnet

Als Literaturliebhaber möchte man doch gern mal in die Räume hineinschnuppern, in denen berühmte Werke wie „Große Erwartungen“ von Charles Dickens oder „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood entstanden sind. Gelegenheit dazu bietet dieses Buch, in dem die Arbeitsplätze von 50 Schriftstellern und Schriftstellerinnen vorgestellt werden. Für mich liegt der Reiz besonders darin, dass die Räume nicht fotografiert, sondern von James Oses farbig und ganzseitig mit vielen Details illustriert werden.

Manche Locations hatten sogar einen direkten Einfluss auf den Inhalt der Romane wie der Garten von Anton Tschechow in „Der Kirschgarten“ und „Die Möwe“. Die Schreiborte von Arthur Conan Doyle und den Bronté Schwestern zeigen, dass Mobile Office und Coworking Space gar keine modernen Phänomene sind. Das Zuhause sagt ja viel über den Menschen, der darin wohnt, aus. Zusätzlich erfährt man Interessantes über die bevorzugten Schreibhaltungen, -werkzeuge, -mobiliar und -routinen der Autoren. So fangen manche immer am 8. Januar ein neues Buch an während andere je nach Genre unterschiedliche Tintenfarben benutzen.

Wenn ich mir einen Schreibort aussuchen könnte, wäre es der Ferienbungalow Goldeneye von Ian Fleming mit Blick auf die jamaikanische Oracabessa Bay. Die Reise durch die vielfältigen Schreibwelten rund um die Welt ist ein informatives und visuelles Vergnügen – schade nur, dass der deutschsprachige Raum nicht dabei ist. Nützlich ist die Liste am Ende, welche Orte besichtigt werden können. Im Emily Dickinson Museum in Amherst, Massachusetts kann man sich sogar für zwei Stunden an Dickinsons winzigen Schreibtisch im Schlafzimmer setzen und selbst schreiben.