Autor: bücher.de
Datum: 01.02.2023
Tags: Empfehlung, Krimi des Monats


Eine Tote im Wald, ein brutaler Täter - und eine neue Polizistin auf St. Pauli
Hamburg, 1947. Nach nur wenigen Wochen Ausbildung tritt Ida Rabe ihre erste Stelle als Polizistin an. Mitten auf St. Pauli, in der Davidwache, soll sie die neu gegründete Weibliche Polizei verstärken. Und schon bald bekommt sie viel zu tun: Im nachkriegszerbombten Hamburg trifft man das Elend an jeder Ecke - in …
Broschiertes Buch
16,00 €


Krimi des Monats

„Altes Leid“ von Lea Stein

Hamburg 1947. Das Dritte Reich ist Geschichte und doch noch überall spürbar. Alte Nazis sitzen wieder auf guten Posten, und Persilscheine bekommt, wer genug Geld dafür hinlegen kann. Brot, Wurst, Eier oder Kartoffeln sind Luxusgüter. Wer kann, tauscht irgendetwas auf dem Schwarzmarkt gegen Essbares. Doch auch hier gibt es fast nichts zu holen. Da spricht es sich schnell herum, wenn ein Bauer in den Vierlanden – einem Marschland vor Hamburg – Speck oder andere Kostbarkeiten zu bieten hat. Dann macht man sich auf zur Hamsterfahrt aufs Land. Doch immer öfter raunen die Menschen, dass sich Frauen in Acht nehmen sollen, da in den Vierlanden ein Monster umgehe.

Doch die Polizei hat von diesem Monster noch nichts mitbekommen. Das ändert sich erst, als Ida Rabe als Schutzpolizistin auf der Davidwache St. Pauli anfängt. Die junge Frau und ihre Kollegin Heide Brasch sind bei der weiblichen Polizei – eine von den Briten in der Besatzungszone Hamburg eingeführte Neuerung. Für Ida ist das eine wunderbare Gelegenheit – was die frauenfeindlichen Kollegen allerdings gar nicht so sehen. Auch Idas Vorgesetzte, Superintendent Ann Watson, macht es ihr nicht leicht. Für Watson sind Pflichterfüllung und Gehorsam entscheidend. Ida hingegen hat ihren eigenen Kopf und lässt sich auch von den Schikanen der Kollegen – allen voran Polizeimeister Hildesund – nicht einschüchtern.

Denn Ida will den Überfällen auf Frauen auf den Grund gehen. Einige von ihnen haben Anzeige erstattet, weil ihnen in den Vierlanden Schmuck geraubt worden sei. Mehr haben sie nicht preisgegeben, aber bald wird Ida klar, dass das Monster die Frauen vergewaltigt hat. Als kurz darauf eine bestialisch verstümmelte Tote in den Vierlanden gefunden wird, will Ida unbedingt zum Tatort – auch wenn sie eigentlich nur Schutzpolizistin und keine Ermittlerin ist. Unterstützt wird sie von Doktor Konstantinos. Der Gerichtsmediziner spricht mit Ida auf Augenhöhe und scheint obendrein als einer der Wenigen etwas zu essen zu haben – auch dank seiner griechischen Verwandtschaft. Im Laufe der Ermittlungen werden aus Ida Rabe und Ares Konstantinos ein echtes Team. Und auch Kollegin Brasch, anfangs reserviert und desinteressiert, taut langsam auf ...

Das Monster scheint auch zu morden – oder hat Ida etwas übersehen? Denn Monster gibt es in „Altes Leid“ einige. Monster, die im „Dritten Reich“ ihr Unwesen getrieben und so viel Leid verursacht haben, dass neue Monster geboren wurden. Monster ohne Gefühle und ohne Gewissen. Oder Menschen, die zum Monster werden, weil sie Rache wollen. Dann gibt es da noch Idas eigene dunkle Vergangenheit. Wenn jemals herauskommt, was sie vor ihrer Zeit bei der Polizei gemacht hat, dann wäre alles aus, so denkt sie. Und die Königin der Hamburger Unterwelt hat mit Ida noch eine Rechnung offen …

Autorin Lea Stein gelingt es in ihrem Krimi-Debüt, die Nachkriegszeit lebendig werden zu lassen, und entwickelt gleichzeitig einen packenden Krimi-Plot mit vielschichtigen Figuren. Die Rückblenden in die Zeit der Verfolgung im Nationalsozialismus, verschränkt mit dem prekären Alltag des Hamburgs von 1947, erzählt sie sensibel und stimmig. Und die beiden Hauptermittlerfiguren, Ida Rabe und Ares Konstantinos, schließt man beim Lesen schnell ins Herz. Spannend ist also nicht nur die Jagd nach dem Monster in den Vierlanden – sondern auch die Frage, wie es mit diesem besonderen Duo im nächsten Band der Reihe weitergeht!

Ermittlerportrait

Porträt der Ermittlerin Ida Rabe

Krabben pulen und am Amrumer Strand spazieren gehen: So sah Ida Rabes Jugend aus. Das klingt idyllisch, war es aber nur bedingt. Denn Ida wuchs in der Zeit des Nationalsozialismus auf. Zudem hatte sie als Mädchen auf dem Bauernhof ihres Vaters einen ganz schwierigen Stand. Frauen waren in seinen Augen zu nichts nutze – außer dazu, Kinder zur Welt zu bringen und den Männern zu dienen. Das war ganz sicher nicht das, was sich Ida für ihr Leben vorgestellt hatte. Spätestens als im Sommer 1944 auf Amrum Grauenvolles geschah, war Ida klar: Sie musste hier weg. Und sie war sich sicher, dass sie Polizistin werden wollte. „Es ging nie darum, etwas zu beweisen. Sondern darum, meinen Weg zu finden, obwohl es um mich herum stockfinster war.“

1947 hat es Ida geschafft: Sie beginnt ihren Dienst als Schutzpolizistin auf der Hamburger Davidwache. St. Pauli ist ein raues Pflaster, und die Tage auf der Davidwache haben es in sich. Die männlichen Kollegen sind feindselig, die einzige weibliche Kollegin, Heide Brasch, ist kühl und lethargisch. Ganz anders Ida. Mit ihren 1,82 m fühlt sie sich oft genug angeglotzt wie ein „regenbogenbuntes Zirkuspferd“ – auch weil sie trotz ihrer Größe nie den Kopf einzieht. Und Ida hat Temperament, was auch anderen nicht entgeht: „Ich mag deine Brutalität, Kleine. Wenn du wütend bist, könntest du glatt die Welt in Brand setzen.“ In Ida lodert ein Feuer, und sie ist bestimmt von ihrem unbändigen Gerechtigkeitssinn.

Das führt zwangsläufig zu Konflikten, etwa mit ihrer Vorgesetzten, Miss Ann Watson. Die korrekte Britin trägt den Spitznamen „Der Hai“ und schwört auf Disziplin. Ida dagegen ist ein Freigeist, trifft eigene Entscheidungen und gibt selten klein bei – immer wieder schrammt sie nur knapp an einer Entlassung vorbei. Und da gibt es noch etwas, das Ida zu schaffen macht: Nach ihrer Flucht von Amrum nach Hamburg hatte sie schon bald keinen Pfennig mehr in der Tasche und nahm Hilfe an: von Marlise, der Königin von St. Pauli. Eine Hilfe, die ihren Preis hat …

Ida kämpft also viele Kämpfe. Wie gut, dass sie auch Verbündete findet. Da ist zum einen Doktor Ares Konstantinos, der Gerichtsmediziner mit griechischen Wurzeln. Und auch mit Kollegin Heide Brasch entwickelt sich eine echte Nähe. Ein schrecklicher Vorfall, den beide Frauen gemeinsam durchstehen, bricht das Eis. Gemeinsam jagen Ida, Ares und Heide in ihrem ersten Fall einen Serienvergewaltiger und mutmaßlichen Mörder: das „Monster“.

Autorenporträt

Lea Stein ist das Pseudonym der Autorin und Journalistin Kerstin Sgonina, die bereits mehrere Romane veröffentlichte. Als sie mit 18 nach Hamburg zog, verliebte sie sich sofort in die Stadt. Nach dem Abitur schlug sie sich auf der Reeperbahn als Türsteherin und Barfrau durch. Heute lebt sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Brandenburg. "Altes Leid" ist ihr erster Kriminalroman und der Auftakt der Reihe um Polizistin Ida Rabe.

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