Julian Barnes
Audio-CD
Vom Ende einer Geschichte
Ungekürzte Ausgabe, Lesung. 363 Min.
Übersetzung: Krueger, Gertraude; Regie: Ebel, Ralf; Gesprochen von Zapatka, Manfred
Nicht lieferbar
Weitere Ausgaben:
Der lange Schatten einer FreundschaftAls Adrian Finn in Tony Websters Klasse kommt, schließen die beiden Jungen schnell Freundschaft. Sex und Philosophie sind ihre Lieblingsthemen, und Tonyhat das Gefühl, dass Adrian in allem etwas klüger ist als er. Auch später, nach der Schulzeit, bleiben die beiden in Kontakt. Bis die Freundschaft ein jähes Ende findet.40 Jahre später: Tony hat eine Ehe, eine gütliche Trennung und eine Karriere hinter sich. Er ist mit sich im Reinen. Doch der Brief eines Anwalts weckt plötzlichZweifel an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Biographie und...
Der lange Schatten einer Freundschaft
Als Adrian Finn in Tony Websters Klasse kommt, schließen die beiden Jungen schnell Freundschaft. Sex und Philosophie sind ihre Lieblingsthemen, und Tony
hat das Gefühl, dass Adrian in allem etwas klüger ist als er. Auch später, nach der Schulzeit, bleiben die beiden in Kontakt. Bis die Freundschaft ein jähes Ende findet.
40 Jahre später: Tony hat eine Ehe, eine gütliche Trennung und eine Karriere hinter sich. Er ist mit sich im Reinen. Doch der Brief eines Anwalts weckt plötzlich
Zweifel an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Biographie und den
Erinnerungen an Adrian. Je mehr Tony erfährt, desto unsicherer scheint das
Erlebte und desto unabsehbarer sind die Konsequenzen für seine Zukunft.
Burghart Klaußner, Gewinner des deutschen Hörbuchpreises 2011, ist die ideale Besetzung für diesen so verstörenden wie klugen Roman.
Als Adrian Finn in Tony Websters Klasse kommt, schließen die beiden Jungen schnell Freundschaft. Sex und Philosophie sind ihre Lieblingsthemen, und Tony
hat das Gefühl, dass Adrian in allem etwas klüger ist als er. Auch später, nach der Schulzeit, bleiben die beiden in Kontakt. Bis die Freundschaft ein jähes Ende findet.
40 Jahre später: Tony hat eine Ehe, eine gütliche Trennung und eine Karriere hinter sich. Er ist mit sich im Reinen. Doch der Brief eines Anwalts weckt plötzlich
Zweifel an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Biographie und den
Erinnerungen an Adrian. Je mehr Tony erfährt, desto unsicherer scheint das
Erlebte und desto unabsehbarer sind die Konsequenzen für seine Zukunft.
Burghart Klaußner, Gewinner des deutschen Hörbuchpreises 2011, ist die ideale Besetzung für diesen so verstörenden wie klugen Roman.
Barnes, Julian
Julian Barnes, geboren 1946, gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren. Er hat ein umfangreiches erzählerisches Werk vorgelegt, u.a. die Romane "Flauberts Papagei", "Die Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln", "Darüber reden" und "Arthur & George". Für seinen Roman "Vom Ende einer Geschichte" erhielt er 2011 den Man Booker Prize.
Zapatka, Manfred
Manfred Zapatka ist einer der großen deutschen Charakterdarsteller. Große Popularität erlangte er u.a. durch seine gefeierten Rollen in Heinrich Breloers Doku-Drama "Todesspiel", in "Das Himmler-Projekt" und in der Serie "KDD - Kriminaldauerdienst". 2009 wurde er als Bester Interpret mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.
Julian Barnes, geboren 1946, gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren. Er hat ein umfangreiches erzählerisches Werk vorgelegt, u.a. die Romane "Flauberts Papagei", "Die Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln", "Darüber reden" und "Arthur & George". Für seinen Roman "Vom Ende einer Geschichte" erhielt er 2011 den Man Booker Prize.
Zapatka, Manfred
Manfred Zapatka ist einer der großen deutschen Charakterdarsteller. Große Popularität erlangte er u.a. durch seine gefeierten Rollen in Heinrich Breloers Doku-Drama "Todesspiel", in "Das Himmler-Projekt" und in der Serie "KDD - Kriminaldauerdienst". 2009 wurde er als Bester Interpret mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: Argon Verlag
- Anzahl: 4 Audio CDs
- Gesamtlaufzeit: 363 Min.
- Erscheinungstermin: 6. März 2012
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783839811641
- Artikelnr.: 34512417
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
© BÜCHERmagazin, Martin Maria Schwarz (mms)
Warum nur können die Engländer nicht ernsthaft ernst sein?
Julian Barnes ist einer der besten englischen Gegenwartsautoren. Jetzt wurde er endlich auch mit dem Booker-Preis belohnt. Die Novelle "Vom Ende einer Geschichte" zeigt seine ganze Meisterschaft.
Eines der herausragenden Werke dieser Saison erreicht uns erst spät im Jahr - und das auch nur, weil es Ende Oktober mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, sonst hätte man sich wohl bis zum Frühjahr Zeit gelassen mit der Übersetzung von "The Sense of an Ending", dem neuen Buch von Julian Barnes. Nachdem sich der englische Autor bereits in "Nichts, was man fürchten müsste" (2010) intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt hat, wendet er sich hier der Frage zu, wie
Julian Barnes ist einer der besten englischen Gegenwartsautoren. Jetzt wurde er endlich auch mit dem Booker-Preis belohnt. Die Novelle "Vom Ende einer Geschichte" zeigt seine ganze Meisterschaft.
Eines der herausragenden Werke dieser Saison erreicht uns erst spät im Jahr - und das auch nur, weil es Ende Oktober mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde, sonst hätte man sich wohl bis zum Frühjahr Zeit gelassen mit der Übersetzung von "The Sense of an Ending", dem neuen Buch von Julian Barnes. Nachdem sich der englische Autor bereits in "Nichts, was man fürchten müsste" (2010) intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt hat, wendet er sich hier der Frage zu, wie
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viel von unserer Erinnerung im Grunde Selbsttäuschung ist, wie viel Menschen voneinander wissen können und welche Verantwortung ihnen mit diesem Wissen übertragen wird.
"Vom Ende einer Geschichte", wie der Roman, der eigentlich eine Novelle ist, im Deutschen heißt, ist mit 180 Seiten ein eher schmales Werk, aber eines, in dem jeder Satz, jedes Wort auf die Goldwaage von Aussage und Form gelegt wurde. Die Hochspannung, die von ihm ausgeht, verdankt sich nicht allein Barnes' perfektem Aufbau der Geschichte, sondern ihrem psychologischen, emotionalen und moralischen Nachhall. Was hier erzählt wird, ist das Kondensat eines Lebens, das ohne größere Amplituden geführt wurde und auf das sein Protagonist doch nur voll Reue, Wehmut und Scham zurückblicken kann.
Zwei Selbstmorde markieren den auf Sicherheit und Schadensvermeidung geeichten Lebenstrott von Anthony Webster, genannt Tony. Der erste wird von einem Schulkameraden in der Oberstufe begangen, offenbar weil dieser ein Mädchen geschwängert hat: im engen, verklemmten Großbritannien der sechziger Jahre kein geringes Problem. Sein Abschiedsbrief bestand aus dem Satz "Tut mir leid, Mama." Die Tragödie beschäftigt Tony und seine Freunde Alex und Colin, wie das Schulskandale eben so tun - zumal er einen gewaltigen sexuellen Erfahrungsabstand zwischen ihnen und dem gleichaltrigen Toten offenbart. Der Einzige, der sich intensiver mit dem Ereignis auseinandersetzt, ist der Vierte im Bunde, Adrian Finn. Adrian ist hochintelligent und zurückhaltend, er biedert sich bei niemandem an und wird doch von allen bewundert. Die drei buhlen um seine Anerkennung, doch ein gewisser Abstand bleibt unausgesprochen bestehen - vielleicht weil Adrian selbst schon tiefes Unglück erfahren hat, als seine Mutter die Familie verließ. Doch die Jungs sind in einem Alter, da sich nur pseudointellektuell über die Dinge des Lebens reden lässt: "Ja, natürlich waren wir prätentiös - wozu ist die Jugend sonst da?"
Der zweite Selbstmord ereignet sich einige Jahre später, als Tony mit der Universität fertig ist und nach einem längeren Amerika-Aufenthalt erfährt, dass Adrian sich umgebracht hat. Über die genauen Umstände ist nichts zu erfahren; nur dass er sich im Bad die Pulsadern aufgeschnitten und für seine Mitbewohner einen Zettel an die Tür geklebt hat: "Nicht reinkommen - Polizei rufen - Adrian". Tonys letzter Kontakt mit dem Freund hatte einen heiklen Grund: Adrian hatte ihm mitgeteilt, dass er mit jener Veronica zusammen sei, Tonys früherer Freundin. Tony ist von seiner ersten Beziehung nicht viel mehr geblieben als die Erinnerung an ein merkwürdiges Wochenende im Haus von Veronicas Eltern und an monatelange sexuelle Frustration über ihre Weigerung, "es" mit ihm zu tun. In seinem Brief schreibt Adrian, dass er hoffe, Tony könne das Paar verstehen und akzeptieren. Doch daran, wie bitter und verletzend seine Antwort ausgefallen ist, erinnert Tony sich schon nicht mehr, als er ein gutes halbes Jahr später vom Selbstmord seines Freundes und Nachfolgers erfährt - geschweige denn knapp vierzig Jahre danach. Nach einer Beamtenkarriere in der Kulturverwaltung, einer gütlichen Scheidung und einem freundlich-distanzierten Verhältnis zu Tochter, Schwiegersohn und Enkeln erhält er ein notarielles Schreiben: Veronicas Mutter ist gestorben und hat dem verblüfften Tony fünfhundert Pfund und ein Dokument vererbt, nämlich Adrians Tagebuch seiner letzten Monate - doch wie sich herausstellt, befindet sich dieses im Besitz von Veronica. Längst vergangen geglaubte Ereignisse kehren damit zurück.
So wie einst dem Literaturwissenschaftler Frank Kermode in seiner Studie "The Sense of an Ending" (1967), von der Barnes seinen Titel entliehen hat, geht es auch dem fünfundsechzigjährigen Romancier um die vielfältigen Verbindungen zwischen Fiktionen, vergehender Zeit und apokalyptischem Geschehen. Während Kermode die Frage umtreibt, wie Schriftsteller die Erschütterungen ihrer Zeit in ihren Geschichten deuten, geht es Barnes um die Trugschlüsse, denen der Einzelne aufsitzt über die Erschütterungen seines Lebens. "Vom Ende einer Geschichte" ist eine ergreifende philosophische Reflexion über die seelischen Schäden, die selbst der vorsichtigste Mensch erleidet und die wir uns wissentlich oder unwissentlich zufügen, und darüber, wie wir mit diesen Beschädigungen umgehen, uns ihnen stellen, sie zu heilen oder zu verdrängen suchen.
Dass Barnes mit Tony Webster einen Mann des Mittelmaßes zum Protagonisten und Ich-Erzähler gewählt hat, macht die Wucht seines Buches aus. So allmählich, wie dieser im Rückspiegel auf sein Leben immer mehr Risse entdeckt, glaubt der Leser die Dimensionen dessen zu erahnen, was sich damals wirklich zugetragen hat - und ist am Ende schockiert ob der tatsächlichen Wahrheit, die die Schuldfrage noch einmal neu und überraschend stellt. Tonys ganzes Bestreben ist es, Schaden von sich abzuhalten. Doch nicht nur er hat sich so vor jener individuellen Verantwortung gedrückt, die Adrian zufolge aller Geschichte zugrunde liegt: "Das ist doch das Kernproblem der Geschichtsschreibung, nicht wahr, Sir? Die Frage der subjektiven gegenüber der objektiven Interpretation, die Notwendigkeit, die Geschichte des Geschichtsschreibers zu kennen, damit wir verstehen, warum uns gerade diese Version unterbreitet wird."
Der Zweifel, die Skrupel und das Gefühl tiefen, unendlichen Bedauerns, welche die Novelle durchziehen, künden aber noch von etwas anderem: der Sehnsucht dieses kontinentalsten englischen Schriftstellers der Gegenwart nach einer Ernsthaftigkeit, die sich nicht mit der englischen Dauerironiebereitschaft und dem instinktiven Herunterspielen von Liebe, Schmerz und Trauer als Abwehrstrategie gegen diese Empfindungen arrangieren will. "Ich hasse es, wie die Engländer nicht ernsthaft ernst sein können. Ich hasse es abgrundtief", bricht es einmal aus Adrian hervor, und man ahnt, dass hier Julian Barnes selbst spricht, der dazu auffordert, sich auf das Leben und damit auch auf Verletzungen ganz und gar einzulassen. Aber weil es eben Barnes ist, verpackt er solche Mitteilungen in feinste und gänzlich pathosfreie Prosa und verschnürt sie mit Einsichten von solcher Schönheit und Demut, wie sie wohl nur eigene Erfahrung und viel Nachdenken hervorbringen: "Es sollte uns doch klar sein, dass die Zeit nicht wie ein Fixativ wirkt, sondern wie ein Lösungsmittel."
Leider ist die Übersetzerin den Nuancen und Schattierungen dieser Sprache nicht immer gewachsen. Abgesehen von dem Umstand, dass englische Kraftausdrücke im Deutschen stets vulgärer klingen, irritiert das wiederkehrende "du", mit dem Tony in seinem Bericht niemand Bestimmten anspricht. Wendungen wie "Du magst einwenden" oder "Du hast wahrscheinlich erraten" durchziehen den Text. Dass ausgerechnet der jegliche Intimität meidende Tony Webster, der an seinem Anwalt schätzt, "dass er nie versucht hat, mich mit Vornamen anzureden" und dessen Horror es ist, dass unbekannte Krankenschwestern ihn eines Tages "Anthony nennen oder, schlimmer noch, Tony", den Leser wie einen Kumpel duzt, wirkt fehl am Platz. Vielleicht hätte man sich doch mehr Zeit geben sollen für die Übersetzung. Denn so erfreulich es ist, dass "Vom Ende einer Geschichte" nun rechtzeitig zu Weihnachten vorliegt - dieses ist ein Buch, das keine Saison braucht, weil es jede überdauern wird.
FELICITAS VON LOVENBERG
Julian Barnes: "Vom Ende einer Geschichte". Roman.
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 181 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Vom Ende einer Geschichte", wie der Roman, der eigentlich eine Novelle ist, im Deutschen heißt, ist mit 180 Seiten ein eher schmales Werk, aber eines, in dem jeder Satz, jedes Wort auf die Goldwaage von Aussage und Form gelegt wurde. Die Hochspannung, die von ihm ausgeht, verdankt sich nicht allein Barnes' perfektem Aufbau der Geschichte, sondern ihrem psychologischen, emotionalen und moralischen Nachhall. Was hier erzählt wird, ist das Kondensat eines Lebens, das ohne größere Amplituden geführt wurde und auf das sein Protagonist doch nur voll Reue, Wehmut und Scham zurückblicken kann.
Zwei Selbstmorde markieren den auf Sicherheit und Schadensvermeidung geeichten Lebenstrott von Anthony Webster, genannt Tony. Der erste wird von einem Schulkameraden in der Oberstufe begangen, offenbar weil dieser ein Mädchen geschwängert hat: im engen, verklemmten Großbritannien der sechziger Jahre kein geringes Problem. Sein Abschiedsbrief bestand aus dem Satz "Tut mir leid, Mama." Die Tragödie beschäftigt Tony und seine Freunde Alex und Colin, wie das Schulskandale eben so tun - zumal er einen gewaltigen sexuellen Erfahrungsabstand zwischen ihnen und dem gleichaltrigen Toten offenbart. Der Einzige, der sich intensiver mit dem Ereignis auseinandersetzt, ist der Vierte im Bunde, Adrian Finn. Adrian ist hochintelligent und zurückhaltend, er biedert sich bei niemandem an und wird doch von allen bewundert. Die drei buhlen um seine Anerkennung, doch ein gewisser Abstand bleibt unausgesprochen bestehen - vielleicht weil Adrian selbst schon tiefes Unglück erfahren hat, als seine Mutter die Familie verließ. Doch die Jungs sind in einem Alter, da sich nur pseudointellektuell über die Dinge des Lebens reden lässt: "Ja, natürlich waren wir prätentiös - wozu ist die Jugend sonst da?"
Der zweite Selbstmord ereignet sich einige Jahre später, als Tony mit der Universität fertig ist und nach einem längeren Amerika-Aufenthalt erfährt, dass Adrian sich umgebracht hat. Über die genauen Umstände ist nichts zu erfahren; nur dass er sich im Bad die Pulsadern aufgeschnitten und für seine Mitbewohner einen Zettel an die Tür geklebt hat: "Nicht reinkommen - Polizei rufen - Adrian". Tonys letzter Kontakt mit dem Freund hatte einen heiklen Grund: Adrian hatte ihm mitgeteilt, dass er mit jener Veronica zusammen sei, Tonys früherer Freundin. Tony ist von seiner ersten Beziehung nicht viel mehr geblieben als die Erinnerung an ein merkwürdiges Wochenende im Haus von Veronicas Eltern und an monatelange sexuelle Frustration über ihre Weigerung, "es" mit ihm zu tun. In seinem Brief schreibt Adrian, dass er hoffe, Tony könne das Paar verstehen und akzeptieren. Doch daran, wie bitter und verletzend seine Antwort ausgefallen ist, erinnert Tony sich schon nicht mehr, als er ein gutes halbes Jahr später vom Selbstmord seines Freundes und Nachfolgers erfährt - geschweige denn knapp vierzig Jahre danach. Nach einer Beamtenkarriere in der Kulturverwaltung, einer gütlichen Scheidung und einem freundlich-distanzierten Verhältnis zu Tochter, Schwiegersohn und Enkeln erhält er ein notarielles Schreiben: Veronicas Mutter ist gestorben und hat dem verblüfften Tony fünfhundert Pfund und ein Dokument vererbt, nämlich Adrians Tagebuch seiner letzten Monate - doch wie sich herausstellt, befindet sich dieses im Besitz von Veronica. Längst vergangen geglaubte Ereignisse kehren damit zurück.
So wie einst dem Literaturwissenschaftler Frank Kermode in seiner Studie "The Sense of an Ending" (1967), von der Barnes seinen Titel entliehen hat, geht es auch dem fünfundsechzigjährigen Romancier um die vielfältigen Verbindungen zwischen Fiktionen, vergehender Zeit und apokalyptischem Geschehen. Während Kermode die Frage umtreibt, wie Schriftsteller die Erschütterungen ihrer Zeit in ihren Geschichten deuten, geht es Barnes um die Trugschlüsse, denen der Einzelne aufsitzt über die Erschütterungen seines Lebens. "Vom Ende einer Geschichte" ist eine ergreifende philosophische Reflexion über die seelischen Schäden, die selbst der vorsichtigste Mensch erleidet und die wir uns wissentlich oder unwissentlich zufügen, und darüber, wie wir mit diesen Beschädigungen umgehen, uns ihnen stellen, sie zu heilen oder zu verdrängen suchen.
Dass Barnes mit Tony Webster einen Mann des Mittelmaßes zum Protagonisten und Ich-Erzähler gewählt hat, macht die Wucht seines Buches aus. So allmählich, wie dieser im Rückspiegel auf sein Leben immer mehr Risse entdeckt, glaubt der Leser die Dimensionen dessen zu erahnen, was sich damals wirklich zugetragen hat - und ist am Ende schockiert ob der tatsächlichen Wahrheit, die die Schuldfrage noch einmal neu und überraschend stellt. Tonys ganzes Bestreben ist es, Schaden von sich abzuhalten. Doch nicht nur er hat sich so vor jener individuellen Verantwortung gedrückt, die Adrian zufolge aller Geschichte zugrunde liegt: "Das ist doch das Kernproblem der Geschichtsschreibung, nicht wahr, Sir? Die Frage der subjektiven gegenüber der objektiven Interpretation, die Notwendigkeit, die Geschichte des Geschichtsschreibers zu kennen, damit wir verstehen, warum uns gerade diese Version unterbreitet wird."
Der Zweifel, die Skrupel und das Gefühl tiefen, unendlichen Bedauerns, welche die Novelle durchziehen, künden aber noch von etwas anderem: der Sehnsucht dieses kontinentalsten englischen Schriftstellers der Gegenwart nach einer Ernsthaftigkeit, die sich nicht mit der englischen Dauerironiebereitschaft und dem instinktiven Herunterspielen von Liebe, Schmerz und Trauer als Abwehrstrategie gegen diese Empfindungen arrangieren will. "Ich hasse es, wie die Engländer nicht ernsthaft ernst sein können. Ich hasse es abgrundtief", bricht es einmal aus Adrian hervor, und man ahnt, dass hier Julian Barnes selbst spricht, der dazu auffordert, sich auf das Leben und damit auch auf Verletzungen ganz und gar einzulassen. Aber weil es eben Barnes ist, verpackt er solche Mitteilungen in feinste und gänzlich pathosfreie Prosa und verschnürt sie mit Einsichten von solcher Schönheit und Demut, wie sie wohl nur eigene Erfahrung und viel Nachdenken hervorbringen: "Es sollte uns doch klar sein, dass die Zeit nicht wie ein Fixativ wirkt, sondern wie ein Lösungsmittel."
Leider ist die Übersetzerin den Nuancen und Schattierungen dieser Sprache nicht immer gewachsen. Abgesehen von dem Umstand, dass englische Kraftausdrücke im Deutschen stets vulgärer klingen, irritiert das wiederkehrende "du", mit dem Tony in seinem Bericht niemand Bestimmten anspricht. Wendungen wie "Du magst einwenden" oder "Du hast wahrscheinlich erraten" durchziehen den Text. Dass ausgerechnet der jegliche Intimität meidende Tony Webster, der an seinem Anwalt schätzt, "dass er nie versucht hat, mich mit Vornamen anzureden" und dessen Horror es ist, dass unbekannte Krankenschwestern ihn eines Tages "Anthony nennen oder, schlimmer noch, Tony", den Leser wie einen Kumpel duzt, wirkt fehl am Platz. Vielleicht hätte man sich doch mehr Zeit geben sollen für die Übersetzung. Denn so erfreulich es ist, dass "Vom Ende einer Geschichte" nun rechtzeitig zu Weihnachten vorliegt - dieses ist ein Buch, das keine Saison braucht, weil es jede überdauern wird.
FELICITAS VON LOVENBERG
Julian Barnes: "Vom Ende einer Geschichte". Roman.
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011. 181 S., geb., 18,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Julian Barnes' mit dem Bookerpreis ausgezeichneter Roman "Vom Ende der Geschichte" ist in dieser Hörbuchversion schlicht ein Meisterwerk, preist Rezensentin Sandra Kegel. Die Kritikerin möchte hier weniger von einer Lesung sprechen, als vielmehr von einer Inszenierung, denn Manfred Zapatka gelinge es in der Geschichte um den Historiker Tony Webster, der durch das geerbte Tagebuch eines ehemaligen Schulfreundes immer mehr mit seiner verdrängten Vergangenheit konfrontiert wird, jeden Gedankenstrich und jedes Ausrufezeichen hörbar zu machen. Zapatka bewältige mal zischelnd "mit zusammengebissenen Zähnen", mal voller Hingabe die Erinnerungsflut des Protagonisten, so die eingenommene Rezensentin, die versichert, dass sich auch eingefleischte Leser der Faszination dieses Hörbuches nicht entziehen können.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Perfekt bis ins Detail.« NZZ 20111227
"Wie Barnes allmählich die Selbstzensur in den Erinnerungen seines pensionierten Protagonisten Tony Webster bloßlegt, beweist seine ganze Meisterschaft" Süddeutsche Zeitung
Gebundenes Buch
Die Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, Realität oder Fiktion, können wir unserem Gedächtnis trauen, oder blendet man unbeliebte Passagen einfach aus um sich die Wahrheit erträglicher zu machen? Mit dieser Frage befasst sich im Wesentlichen dieses Buch.
Tony Webster, der …
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Die Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, Realität oder Fiktion, können wir unserem Gedächtnis trauen, oder blendet man unbeliebte Passagen einfach aus um sich die Wahrheit erträglicher zu machen? Mit dieser Frage befasst sich im Wesentlichen dieses Buch.
Tony Webster, der Ich-Erzähler, blickt ohne Reue auf ein erfolgreiches Leben zurück. Er hatte ein gutes Berufsleben und sieht seinem Ruhestand gelassen entgegen. Seine Ehe mit Margaret ist zwar gescheitert, doch tauscht er sich noch immer gern mit ihr aus. Auch zu seiner erwachsenen Tochter hat er ein gutes Verhältnis.
Doch dann fällt Tony etwas in die Hände, das seine in Jahrzehnten verfestigten Erinnerungen an seine Jugend und die damaligen Freunde radikal auf den Kopf stellt.
Julian Barnes, lässt seiner Hauptfigur sehr viel Raum für Reflexionen und philosophische Überlegungen, an einigen Stellen des Romans gerät die Erzählung etwas ins stocken, tut dem ganzen jedoch kein Abbruch. Der Autor entwickelt die Fähigkeit, in reflektierender Weise Vergangenes zu durchleuchten. Tiefenscharf sieht sein Tony in das vergangene Selbst und muss durch seine Erkenntnisse, auch die dunklen Seiten seines Daseins akzeptieren. 200 Seiten die es verdient haben, stehen zu bleiben!
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Broschiertes Buch
In „Vom Ende einer Geschichte“ erinnert sich Tony an sein Leben, seine Jugendzeit mit seinen Freunden, seine erste Liebe und einen Freund, der sich immer von den anderen abgehoben hatte, nämlich Adrian. Gemeinsam waren sie zur Schule gegangen, später trennten sich ihre Wege, …
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In „Vom Ende einer Geschichte“ erinnert sich Tony an sein Leben, seine Jugendzeit mit seinen Freunden, seine erste Liebe und einen Freund, der sich immer von den anderen abgehoben hatte, nämlich Adrian. Gemeinsam waren sie zur Schule gegangen, später trennten sich ihre Wege, als sie an unterschiedlichen Colleges studierten. Als Adrian mit Tonys erster Freundin eine Beziehung anfängt, bricht die Freundschaft ab. Tony heiratet, bekommt eine Tochter und lebt trotz späterer Scheidung ein glückliches und ruhiges Leben. Bis plötzlich der Brief eines Anwalts auftaucht und er das Tagebuch seines Jugendfreundes erben soll.
Julian Barnes beschreibt die Erinnerungen von Tony Webster ebenso eindringlich wie die Selbsttäuschung, der der Protagonist aufsitzt. Konfrontiert mit den Charakteren seiner Vergangenheit und ihrer Version seiner Lebensgeschichte wird ihm klar, wie subjektiv er seine Erinnerung verklärt und sich selbst ins richtige, weil schönere Licht gerückt hat. Ein alter Brief, den er damals geschrieben hat, zeigt ihm, wie unbarmherzig er doch mit anderen Menschen ins Gericht gegangen ist, ohne sich selbst kritisch zu hinterfragen und eigene Fehler einzugestehen. Die Geschichte um Tony und sein Leben nimmt einen mit auf eine Reise, die einen auch selbst hinterfragt. Denn jeder speichert seine Erinnerungen subjektiv ab, doch inwieweit verfälschen wir die Tatsachen dabei wirklich? Handelt es sich wirklich nur um Schönheitskorrekturen oder lügen wir uns an einigen Stellen nicht sogar unseren ganzen Lebensentwurf schön? Tony muss sich plötzlich mit diesen Fragen auseinandersetzen, an einem Punkt seines Lebens, an dem er eigentlich keine Abzweigungen oder Aufregungen mehr erwartet hatte.
All dies erzählt Julian Barnes mit einer Leichtigkeit, die einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt. Zu sehr will man wissen, was wirklich hinter dem Ende von Adrians und Tonys Freundschaft steckt, zu spannend ist die Frage, welche Rolle eine Frau dabei wirklich gespielt hat - und vor allem welche Frau. Die ganze Geschichte basiert auf den fein gestrickten Charakteren, die sich aneinander reiben, sobald sie aufeinander treffen. Dabei geht es auch um Menschen, die gerade deshalb Probleme haben obwohl sie eigentlich belanglos nebeneinander leben, ohne Konflikte auszutragen.
„Vom Ende einer Geschichte“ ist ein wunderbares nachdenkliches Buch, dass Fragen aufwirft, die sich auch der Leser stellen sollte. Für Tony lautet die wichtigste Frage „Wie war eigentlich mein Leben?“, denn seine Erinnerung scheint ihm einige -beschönigende- Streiche zu spielen.
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Gebundenes Buch
Irgendwann kommt ein Zeitpunkt, an dem man feststellt, dass die noch vor einem liegende Lebensspanne deutlich kürzer ist als die bereits vergangene. Es ist der Moment, ab dem man beginnt, sich öfter auf das Vergangene zu besinnen und sich Fragen stellt wie: Bin ich zufrieden mit meinem …
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Irgendwann kommt ein Zeitpunkt, an dem man feststellt, dass die noch vor einem liegende Lebensspanne deutlich kürzer ist als die bereits vergangene. Es ist der Moment, ab dem man beginnt, sich öfter auf das Vergangene zu besinnen und sich Fragen stellt wie: Bin ich zufrieden mit meinem Leben? War es erfüllt? Lebte ICH oder wurde ich gelebt? Was wurde aus meinen Träumen, Wünschen, Sehnsüchten?
Tony Webster, um die 60 und im Ruhestand, geschieden, im Großen und Ganzen mit sich im Reinen, ereilt dieser Moment, als er einen Brief eines Anwaltbüros erhält, in dem ihm mitgeteilt wird, dass er von der Mutter einer früheren Freundin eine kleine Erbschaft zu erwarten hat: 500 Pfund und das Tagebuch seines bewunderten Jugendfreundes Adrian. Wie diese in den Besitz des Buches kam, ist Tony völlig unklar und er beginnt mit Nachforschungen, die ihn in seine eigene Vergangenheit zurückführen und mit manchem konfrontieren, das er in völlig anderer Erinnerung hat.
Je intensiver er sich damit befasst, umso mehr muss er erkennen, dass seine Wahrheit nicht unbedingt die einzige und wahre ist und in schonungsloser Offenheit macht er sich klar, wieviel Selbsttäuschung in seinem Leben herrscht. Immer wieder kommen Fragen auf, die man sich auch selbst stellen kann und deren Beantwortung die Lesezeit des doch recht dünnen Büchleins (174 Seiten) deutlich verlängern können.
Es ist eine leise, zurückhaltende Geschichte ohne großen Spannungsbogen und vergleichsweise handlungsarm. Dennoch hat sie einen (zumindest für mich) überraschenden Schluss und es fiel mir schwer, das Buch vor dem Ende aus der Hand zu legen. Es regt zum Nachdenken über das eigene Leben an - und hoffentlich, bevor es zu spät ist.
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Gebundenes Buch dieses Buch möchte man in Einem durchlesen, eine fast unerträgliche Spannung wird aufgebaut, sind eigene Erinnerungen auch so trügerisch?
eins der besten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe
Antworten 16 von 24 finden diese Rezension hilfreich
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Gebundenes Buch
Ein literarischer Spaltpilz
Fast so aufregend wie das vorliegende Buch von Julian Barnes ist die Flut ungewöhnlich konträrer Rezensionen, die ihrerseits en passant einen zusätzlichen Lesespaß bieten, der einen letzten Endes aber auch nachdenklich macht. Ist doch einerseits …
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Ein literarischer Spaltpilz
Fast so aufregend wie das vorliegende Buch von Julian Barnes ist die Flut ungewöhnlich konträrer Rezensionen, die ihrerseits en passant einen zusätzlichen Lesespaß bieten, der einen letzten Endes aber auch nachdenklich macht. Ist doch einerseits dieses, übrigens eindeutig der Novelle als epischer Gattung zuzurechnende Buch für die eine, geradezu hymnisch urteilende Fraktion, ein grandioses Meisterwerk ohne jeden Makel, so ist es für seine erbitterten Kritiker ein Wühltisch-Schmöcker allerschlimmster Sorte. Und genau diese sich diametral einander gegenüber stehenden Standpunkte machen die Novelle zu einer uneingeschränkt empfehlenswerten Lektüre, sie stellt nämlich eine bestens gelungene Synthese aus geistigem Anspruch und glänzender Unterhaltung dar. Unbedingt lesen, kann ich nur sagen!
Im unverkennbar britischen Ton einer Konversation mit der inseltypisch beiläufigen Komik wird eine rätselhafte Geschichte erzählt, deren Spannung sich laufend steigert und bis zur allerletzten Seite anhält. Der einsträngige Plot beginnt in der Schulzeit des Protagonisten, der als Ich-Erzähler von manchen übereifrigen Kritikern mit dem Autor gleichgesetzt wird, was natürlich völlig abseitig ist. Bei mir wurden gleich zu Beginn angenehme Erinnerungen an den berührenden Kinofilm «Der Club der toten Dichter» wachgerufen. Tony, der Held, hat es sich in seiner knapp erzählten Lebensgeschichte, nach einem angepassten und völlig unspektakulären Leben mit all den üblichen Details, bereits in seinem wohlverdienten Ruhestand gemütlich gemacht, als ein unerwarteter Brief ihn plötzlich aufschreckt. Seine Erinnerungen erweisen sich als brüchig, fragwürdig, ja als falsch, und seine ihm so sicher erscheinende Identität ist weitgehend eine Selbsttäuschung. Er ist aus dem Gleichgewicht und begreift die Zusammenhänge erst ganz zum Schluss der Geschichte, buchstäblich auf der letzten Seite, und nichts ist dann mehr so, wie es bisher schien. Eindrücklicher kann man die Subjektivität dessen, was wir zu wissen glauben über das Leben, wohl kaum darstellen.
Die Handlung ist klug konstruiert und in sich schlüssig, tiefgründig und zum Nachdenken anregend, sie vermittelt ganz nebenbei auch Einblicke in die wohl eher trockene, weniger emphatische Mentalität der Briten. Kein Wunder, dass Barnes damit den Booker-Preis gewonnen hat, in England, Irland und dem Commonwealth ja die wichtigste, fast dem Nobelpreis gleichkommende Ehrung. Diese Novelle ist amüsant und schwungvoll geschrieben, mit sympathisch geschilderten Figuren und stimmigen Dialogen, sie hat Tiefgang und regt zum Nachdenken an, nicht zuletzt auch über das eigene Leben. Vielleicht ist es genau das, was die erbitterten Kritiker so ärgert. Ich konnte das kleine Buch schon nach der ersten Seite nicht mehr aus der Hand legen und habe es an einem einzigen, verregneten Nachmittag gelesen, der nicht zu den schlechtesten zählt in meinem Leben!
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Antworten 9 von 17 finden diese Rezension hilfreich
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