Arundhati Roy
MP3-CD
Das Ministerium des äußersten Glücks
901 Min.. Lesung. Ungekürzte Ausgabe
Übersetzung: Grube, Anette;Gesprochen: Blum, Gabriele
Nicht lieferbar
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  Auf einem Friedhof in der Altstadt von Delhi wird ein handgeknüpfter Teppich ausgerollt. Auf einem Bürgersteig taucht plötzlich ein Baby auf. In einem verschneiten Tal schreibt ein Vater einen Brief an seine 5-jährige Tochter über die vielen Menschen, die zu ihrer Beerdigung kamen. In einem Zimmer im 2. Stock liest eine einsame Frau die Notizbücher ihres Geliebten. Im Jannat Guest House umarmen sich im Schlaf zwei Menschen, als ob sie sich eben erst getroffen hätten - aber sie kennen sich schon ein Leben lang.Voller Inspiration, Gefühl und Überraschungen beweist der Roman in jedem Mom...
Auf einem Friedhof in der Altstadt von Delhi wird ein handgeknüpfter Teppich ausgerollt. Auf einem Bürgersteig taucht plötzlich ein Baby auf. In einem verschneiten Tal schreibt ein Vater einen Brief an seine 5-jährige Tochter über die vielen Menschen, die zu ihrer Beerdigung kamen. In einem Zimmer im 2. Stock liest eine einsame Frau die Notizbücher ihres Geliebten. Im Jannat Guest House umarmen sich im Schlaf zwei Menschen, als ob sie sich eben erst getroffen hätten - aber sie kennen sich schon ein Leben lang.
Voller Inspiration, Gefühl und Überraschungen beweist der Roman in jedem Moment Arundhati Roys Kunst. Ihre Helden werden von der Welt zerbrochen, aber durch die Liebe geheilt. Und so werden sie unbezwingbar.
    Voller Inspiration, Gefühl und Überraschungen beweist der Roman in jedem Moment Arundhati Roys Kunst. Ihre Helden werden von der Welt zerbrochen, aber durch die Liebe geheilt. Und so werden sie unbezwingbar.
				Arundhati Roy wurde 1959 geboren, wuchs in Kerala auf und lebt in Neu-Delhi. Den internationalen Durchbruch schaffte sie mit ihrem Debüt »Der Gott der kleinen Dinge«, für das sie 1997 den Booker Prize erhielt. Aus der Weltliteratur der Gegenwart ist er nicht mehr wegzudenken. In den letzten zehn Jahren widmete sie sich außer ihrem politischen und humanitären Engagement vor allem ihrem zweiten Roman »Das Ministerium des äußersten Glücks« (2016). Dieser Roman wurde mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch 2017 ausgezeichnet.
Anette Grube, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist die Übersetzerin von Arundhati Roy, Vikram Seth, Chimamanda Ngozi Adichie, Mordecai Richler, Kate Atkinson, Monica Ali, Manil Suri, Richard Yates u.a.
Gabriele Blum ist Mitbegründerin der Bremer Shakespeare Company sowie des Theater aus Bremen/TAB. Als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin hat sie an zahlreichen Theaterinszenierungen mitgewirkt. Vielseitigkeit zeichnet auch ihre Arbeit als Hörbuchsprecherin aus. Ob klassische Stoffe, Kinderbuch oder blutige Krimis - mit ihrer unverkennbaren vollen Stimme macht sie jede Lesung zu einem spannenden Ereignis.
		Anette Grube, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist die Übersetzerin von Arundhati Roy, Vikram Seth, Chimamanda Ngozi Adichie, Mordecai Richler, Kate Atkinson, Monica Ali, Manil Suri, Richard Yates u.a.
Gabriele Blum ist Mitbegründerin der Bremer Shakespeare Company sowie des Theater aus Bremen/TAB. Als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin hat sie an zahlreichen Theaterinszenierungen mitgewirkt. Vielseitigkeit zeichnet auch ihre Arbeit als Hörbuchsprecherin aus. Ob klassische Stoffe, Kinderbuch oder blutige Krimis - mit ihrer unverkennbaren vollen Stimme macht sie jede Lesung zu einem spannenden Ereignis.
Produktdetails
- Verlag: Argon Verlag
 - Anzahl: 3 MP3-CDs
 - Gesamtlaufzeit: 901 Min.
 - Erscheinungstermin: 9. August 2017
 - Sprache: Deutsch
 - ISBN-13: 9783839815878
 - Artikelnr.: 48105129
 
Herstellerkennzeichnung
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Entzweit? Ach was, entdreit, entviert und mehr
Arundhati Roys "Das Ministerium des äußersten Glücks" ist eine kunstvolle Romanallegorie auf die Geschichte Indiens.
Sie wurde neben ihrer Mutter, Begum Arifa Yeswi, begraben. Mutter und Tochter starben durch dieselbe Kugel. Sie drang an Miss Jebeens linker Schläfe in ihren Kopf ein und blieb im Herzen ihrer Mutter stecken. Auf dem letzten Foto von ihr sah die Schusswunde wie eine schöne sommerliche Rose aus, arrangiert knapp oberhalb ihres linken Ohrs. Ein paar Blütenblätter waren auf ihr kaffin gefallen, das weiße Leintuch, in das sie gewickelt wurde, bevor man sie begrub. Miss Jebeen und ihre Mutter wurden zusammen mit fünfzehn anderen bestattet, die Gesamtzahl der
Arundhati Roys "Das Ministerium des äußersten Glücks" ist eine kunstvolle Romanallegorie auf die Geschichte Indiens.
Sie wurde neben ihrer Mutter, Begum Arifa Yeswi, begraben. Mutter und Tochter starben durch dieselbe Kugel. Sie drang an Miss Jebeens linker Schläfe in ihren Kopf ein und blieb im Herzen ihrer Mutter stecken. Auf dem letzten Foto von ihr sah die Schusswunde wie eine schöne sommerliche Rose aus, arrangiert knapp oberhalb ihres linken Ohrs. Ein paar Blütenblätter waren auf ihr kaffin gefallen, das weiße Leintuch, in das sie gewickelt wurde, bevor man sie begrub. Miss Jebeen und ihre Mutter wurden zusammen mit fünfzehn anderen bestattet, die Gesamtzahl der
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 Opfer des Massakers belief sich demnach auf siebzehn."
Das ist eine Passage, die sofort ihre Autorin verrät: Arundhati Roy. Nicht nur weil das Geschehen - an den Namen leicht zu erkennen - in Indien angesiedelt ist, sondern mehr noch des spezifischen Stils wegen: eines pathetisch-ästhetischen Erzählens, das wir schon aus "Der Gott der kleinen Dinge" kennen, dem mittlerweile zwanzig Jahre alten Debütroman der 1959 geborenen indischen Schriftstellerin und Aktivistin. Er war ein Welterfolg. In der Zwischenzeit hat Arundhati Roy viel Politisches geschrieben und noch mehr öffentlich gesprochen, aber für ihren zweiten Roman ließ sie sich Zeit. In dieser Woche ist er auf Deutsch erschienen, nur zwei Monate nach dem englischsprachigen Original, das in Indien sofort lebhaft diskutiert wurde (F.A.Z. vom 7. Juni). Er heißt "Das Ministerium des äußersten Glücks".
Dieser Titel verrät noch nichts über den Inhalt, und das Kapitel, das genauso heißt wie der Roman, enthält sogar die tragischste der vielen Lebensgeschichten, die auf 550 Seiten miteinander verwoben sind. Sie wiederum ist eingesponnen in die politische Geschichte Indiens, in den Kasten- und den Glaubenskampf, die das Land nach wie vor entzweien - man müsste sogar sagen: entdreien, entvieren oder noch viel mehr, denn die Konflikte in dem euphemistisch als "größte Demokratie der Welt" bezeichneten Indien sind schier unzählig. Das ist das große Trauma und Thema der Sozialaktivistin Arundhati Roy, und natürlich fehlt es auch in ihrem neuen Roman nicht.
Doch es ist kaschiert von einer Erzählstimme, die uns das Schreckliche mit dem Opulenten versüßt - wie die Schönheit der Eintrittswunde den tödlichen Schuss in den Kopf eines kleinen Mädchens im Eingangszitat. Arundhati Roy ist eine Märchenerzählerin, deren Fabeln unter der Oberfläche die Nachtseiten aber genauso deutlich erkennen lassen, wie es bei den Grimms der Fall ist. Für sie und für uns gilt, was sie eine ihrer Figuren über den von ihr geliebten Mann sagen lässt: "Tilo begriff, dass er vorsätzlich abschweifte, die Geschichte umkreiste, die zu erzählen ihm schwerfiele - schwerer als ihr, sie zu hören." Dieser Musa, das ist Arundhati Roy, diese Tilo, das sind wir.
Wobei Roy uns den Nachvollzug der einzelnen Fäden ihres Gewebes keinesfalls leichtmacht. Nehmen wir nur Anjum, die erste wichtige Protagonistin des Buchs, die im Körper eines Mannes geboren wurde, sich aber als Frau versteht und gibt - hijra nennt man das in Indien -, sich eine Geschlechtsumwandlung leistet und mit weiteren Hijras in ein gemeinsames Haus, eine Exklave in der festgefügten indischen Gesellschaft, zieht, ehe sie sich schließlich auf einem Friedhof häuslich einrichtet und diesen zu einer nun allen Friedliebenden offenstehenden Oase der Toleranz mitten in Delhi macht. Jene Anjum steht im Mittelpunkt des Romanbeginns, der in der unmitelbaren Gegenwart angesiedelt ist. Um sie wird eine große Gruppe weiterer Figuren versammelt, darunter ein gewisser Saddam Hussain, ein junger Inder, der sich entschlossen hat, Muslim zu werden und dazu den nur minimal veränderten Namen des hingerichteten irakischen Diktators anzunehmen. "Diese Art Dreckskerl will ich sein", erklärt er Anjum: "Ich will tun, was ich tun muss, und dann, wenn ich einen Preis dafür zahlen muss, will ich ihn so zahlen." Da ist wieder das Pathos, nun jedoch nicht mehr literarisch, sondern existentiell, als Lebensentwurf. Und ausgerechnet dieser Saddam Hussain erweist sich als wahrer Held: nämlich als braver Mann. Als Arundhati Roys Ideal.
Doch bis es dazu kommt, dauert es, denn auf Seite 123 steht: "Anjum wartete darauf zu sterben. Saddam wartete darauf zu töten. Und Meilen entfernt wartete in einem unruhigen Wald ein Baby darauf, geboren zu werden." Dann hebt ein neues Kapitel an, mit der Auffindung eines in der Nacht ausgesetzten Babys. Doch das ist nur ein Anlauf zur Anknüpfung an den Cliffhanger, der sofort wieder unterbrochen und erst 25 Seiten später fortgesetzt wird. Dazwischen steht die Geschichte von Massenprotesten in der Hauptstadt Delhi. Es gibt dabei bitterböse, für Roy typische Passagen wie diese: "Doktoranden von ausländischen Universitäten, die über soziale Bewegungen arbeiteten (ein extrem begehrtes Thema), führten lange Interviews mit Bauern und waren dankbar, dass ihre Feldstudie in die Stadt gekommen war, so dass sie nicht den ganzen Weg hinaus aufs Land auf sich nehmen mussten, wo es keine Toiletten gab und gefiltertes Wasser schwer aufzutreiben war." Anette Grube hat als Übersetzerin sowohl für solchen Zynismus wie für die tiefempfundenen Liebeserklärungen an Menschen, Stadt und Land jeweils den richtigen deutschen Tonfall gefunden.
Und dann ist das Baby plötzlich wieder da, aber ein weiteres Mal nur kurz, denn dessen vollständige Geschichte wird erst zum Schluss erzählt (sie gehört zur schlimmen Episode des Kapitels, das so heißt wie das Buch). Stattdessen tritt nun erst einmal jene Frau in den Fokus, die das Baby aufnimmt: Tilotamma, genannt Tilo. Ihr und den drei Männern, die in sie verliebt sind, gehört der Mittel- und größte Teil des Romans, und dessen Handlungsort verlagert sich von Delhi in die Provinz Kaschmir, mitten in die dortigen Konflikte zwischen Hindus und Muslimen, zwischen indischer Zentralgewalt und regionalen Separatisten, zwischen Versöhnung und Hass.
Mit Kaschmir ist das Hauptthema von Arundhati Roy angesprochen: die Spaltung in ihrer Heimat und dieser Heimat selbst. Das, was 1947 bei der Unabhängigkeit von Großbritannien geschah, die Entzweiung in die beiden Staaten Indien und Pakistan, das durchzieht als Muster und Metapher das ganze Buch. Das ist keine Besonderheit: Salman Rushdie hat es in den "Mitternachtskindern" auch gemacht. Mit Anjum hat Roy aber auch ein Gegenmodell geschaffen: einen Menschen jenseits der Geschlechtfestschreibung, aus eigenem Entschluss. Und mit Tilo, deren Bewunderer sich sowohl auf der Seite der Unabhängigkeitskämpfer als auch auf der der Zentralregierung finden, auch eine unfreiwillige Wanderin zwischen den Welten.
So erweist sich "Das Geheimnis des äußersten Glücks" als große Romanallegorie auf Indiens Geschichte seit der Unabhängigkeit, bis hin zur Weiteraufspaltung Pakistans in das heute noch so heißende Land und Bangladesch. Wie kunstvoll die entsprechenden Motive in die fiktive Gesellschaft der Hijras und Tilos Bemühungen um die Bewahrung desjenigen der drei Männer, den sie tatsächlich liebt, eingearbeitet sind, das kommt gegenüber der Handlungsoberfläche bewusst gar nicht zur Geltung, weil sie schon denkbar politisch ist. Und Arundhati Roy erzählt auch gleich noch den ganzen Kaschmir-Konflikt seit Mitte der neunziger Jahre mit, beginnend mit einem gewaltsam aufgelösten Protestzug in der Stadt Srinagar im äußersten Nordwesten Indiens, der jene Bluttat provoziert, der neben fünfzehn Demonstranten als Unbeteiligte Mutter und Tochter zum Opfer fallen. Wie auf individueller Ebene Verwandtschaft und Freundschaft, Liebe und Interessengemeinschaft, Engagement und Egoismus inszeniert werden, das lässt sich stets auch auf das große Bild im Hintergrund übertragen: das Panoptikum des ganzen indischen Subkontinents.
Arundhati Roy lebt nach wie vor in Indien - im Gegensatz zu den meisten prominenten indischen Autoren. Die Unmittelbarkeit ihrer Eindrücke kommt dem Buch zugute, es ist ein Fest der Momentaufnahmen und Details. Die Erzählperspektiven wechseln, doch immer dann, wenn man fürchtet, das Buch verliere sich im Wirbel der Geschehnisse, führt seine Verfasserin uns zurück ins Vertraute, zu lange vorher eingeführten Figuren, Gefühlen, Ereignissen. Es ist eine Erzählweise, die weder dem gängigen westlich-realistischen Literaturverständnis noch dem immer mehr zu Pose und Ideologie degenerierenden postkolonialen Diskurs entspricht, was Arundhati Roy zuverlässig Kritik wahlweise wegen angeblicher Formlosigkeit oder Verwestlichung einbringen wird. Doch formvollendeter und überkultureller kann kaum erzählt werden. Zu dieser Einsicht gehört allerdings die Bereitschaft, sich selbst über bequeme Dichotomien hinwegzusetzen: die von West und Ost, Roman und Parabel, Pathos und Kühle, Individual- und Kollektivbiographie. All das steckt in diesem Buch. Und mehr.
ANDREAS PLATTHAUS
Arundhati Roy: "Das Ministerium des äußersten Glücks". Roman.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2017. 556 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ist eine Passage, die sofort ihre Autorin verrät: Arundhati Roy. Nicht nur weil das Geschehen - an den Namen leicht zu erkennen - in Indien angesiedelt ist, sondern mehr noch des spezifischen Stils wegen: eines pathetisch-ästhetischen Erzählens, das wir schon aus "Der Gott der kleinen Dinge" kennen, dem mittlerweile zwanzig Jahre alten Debütroman der 1959 geborenen indischen Schriftstellerin und Aktivistin. Er war ein Welterfolg. In der Zwischenzeit hat Arundhati Roy viel Politisches geschrieben und noch mehr öffentlich gesprochen, aber für ihren zweiten Roman ließ sie sich Zeit. In dieser Woche ist er auf Deutsch erschienen, nur zwei Monate nach dem englischsprachigen Original, das in Indien sofort lebhaft diskutiert wurde (F.A.Z. vom 7. Juni). Er heißt "Das Ministerium des äußersten Glücks".
Dieser Titel verrät noch nichts über den Inhalt, und das Kapitel, das genauso heißt wie der Roman, enthält sogar die tragischste der vielen Lebensgeschichten, die auf 550 Seiten miteinander verwoben sind. Sie wiederum ist eingesponnen in die politische Geschichte Indiens, in den Kasten- und den Glaubenskampf, die das Land nach wie vor entzweien - man müsste sogar sagen: entdreien, entvieren oder noch viel mehr, denn die Konflikte in dem euphemistisch als "größte Demokratie der Welt" bezeichneten Indien sind schier unzählig. Das ist das große Trauma und Thema der Sozialaktivistin Arundhati Roy, und natürlich fehlt es auch in ihrem neuen Roman nicht.
Doch es ist kaschiert von einer Erzählstimme, die uns das Schreckliche mit dem Opulenten versüßt - wie die Schönheit der Eintrittswunde den tödlichen Schuss in den Kopf eines kleinen Mädchens im Eingangszitat. Arundhati Roy ist eine Märchenerzählerin, deren Fabeln unter der Oberfläche die Nachtseiten aber genauso deutlich erkennen lassen, wie es bei den Grimms der Fall ist. Für sie und für uns gilt, was sie eine ihrer Figuren über den von ihr geliebten Mann sagen lässt: "Tilo begriff, dass er vorsätzlich abschweifte, die Geschichte umkreiste, die zu erzählen ihm schwerfiele - schwerer als ihr, sie zu hören." Dieser Musa, das ist Arundhati Roy, diese Tilo, das sind wir.
Wobei Roy uns den Nachvollzug der einzelnen Fäden ihres Gewebes keinesfalls leichtmacht. Nehmen wir nur Anjum, die erste wichtige Protagonistin des Buchs, die im Körper eines Mannes geboren wurde, sich aber als Frau versteht und gibt - hijra nennt man das in Indien -, sich eine Geschlechtsumwandlung leistet und mit weiteren Hijras in ein gemeinsames Haus, eine Exklave in der festgefügten indischen Gesellschaft, zieht, ehe sie sich schließlich auf einem Friedhof häuslich einrichtet und diesen zu einer nun allen Friedliebenden offenstehenden Oase der Toleranz mitten in Delhi macht. Jene Anjum steht im Mittelpunkt des Romanbeginns, der in der unmitelbaren Gegenwart angesiedelt ist. Um sie wird eine große Gruppe weiterer Figuren versammelt, darunter ein gewisser Saddam Hussain, ein junger Inder, der sich entschlossen hat, Muslim zu werden und dazu den nur minimal veränderten Namen des hingerichteten irakischen Diktators anzunehmen. "Diese Art Dreckskerl will ich sein", erklärt er Anjum: "Ich will tun, was ich tun muss, und dann, wenn ich einen Preis dafür zahlen muss, will ich ihn so zahlen." Da ist wieder das Pathos, nun jedoch nicht mehr literarisch, sondern existentiell, als Lebensentwurf. Und ausgerechnet dieser Saddam Hussain erweist sich als wahrer Held: nämlich als braver Mann. Als Arundhati Roys Ideal.
Doch bis es dazu kommt, dauert es, denn auf Seite 123 steht: "Anjum wartete darauf zu sterben. Saddam wartete darauf zu töten. Und Meilen entfernt wartete in einem unruhigen Wald ein Baby darauf, geboren zu werden." Dann hebt ein neues Kapitel an, mit der Auffindung eines in der Nacht ausgesetzten Babys. Doch das ist nur ein Anlauf zur Anknüpfung an den Cliffhanger, der sofort wieder unterbrochen und erst 25 Seiten später fortgesetzt wird. Dazwischen steht die Geschichte von Massenprotesten in der Hauptstadt Delhi. Es gibt dabei bitterböse, für Roy typische Passagen wie diese: "Doktoranden von ausländischen Universitäten, die über soziale Bewegungen arbeiteten (ein extrem begehrtes Thema), führten lange Interviews mit Bauern und waren dankbar, dass ihre Feldstudie in die Stadt gekommen war, so dass sie nicht den ganzen Weg hinaus aufs Land auf sich nehmen mussten, wo es keine Toiletten gab und gefiltertes Wasser schwer aufzutreiben war." Anette Grube hat als Übersetzerin sowohl für solchen Zynismus wie für die tiefempfundenen Liebeserklärungen an Menschen, Stadt und Land jeweils den richtigen deutschen Tonfall gefunden.
Und dann ist das Baby plötzlich wieder da, aber ein weiteres Mal nur kurz, denn dessen vollständige Geschichte wird erst zum Schluss erzählt (sie gehört zur schlimmen Episode des Kapitels, das so heißt wie das Buch). Stattdessen tritt nun erst einmal jene Frau in den Fokus, die das Baby aufnimmt: Tilotamma, genannt Tilo. Ihr und den drei Männern, die in sie verliebt sind, gehört der Mittel- und größte Teil des Romans, und dessen Handlungsort verlagert sich von Delhi in die Provinz Kaschmir, mitten in die dortigen Konflikte zwischen Hindus und Muslimen, zwischen indischer Zentralgewalt und regionalen Separatisten, zwischen Versöhnung und Hass.
Mit Kaschmir ist das Hauptthema von Arundhati Roy angesprochen: die Spaltung in ihrer Heimat und dieser Heimat selbst. Das, was 1947 bei der Unabhängigkeit von Großbritannien geschah, die Entzweiung in die beiden Staaten Indien und Pakistan, das durchzieht als Muster und Metapher das ganze Buch. Das ist keine Besonderheit: Salman Rushdie hat es in den "Mitternachtskindern" auch gemacht. Mit Anjum hat Roy aber auch ein Gegenmodell geschaffen: einen Menschen jenseits der Geschlechtfestschreibung, aus eigenem Entschluss. Und mit Tilo, deren Bewunderer sich sowohl auf der Seite der Unabhängigkeitskämpfer als auch auf der der Zentralregierung finden, auch eine unfreiwillige Wanderin zwischen den Welten.
So erweist sich "Das Geheimnis des äußersten Glücks" als große Romanallegorie auf Indiens Geschichte seit der Unabhängigkeit, bis hin zur Weiteraufspaltung Pakistans in das heute noch so heißende Land und Bangladesch. Wie kunstvoll die entsprechenden Motive in die fiktive Gesellschaft der Hijras und Tilos Bemühungen um die Bewahrung desjenigen der drei Männer, den sie tatsächlich liebt, eingearbeitet sind, das kommt gegenüber der Handlungsoberfläche bewusst gar nicht zur Geltung, weil sie schon denkbar politisch ist. Und Arundhati Roy erzählt auch gleich noch den ganzen Kaschmir-Konflikt seit Mitte der neunziger Jahre mit, beginnend mit einem gewaltsam aufgelösten Protestzug in der Stadt Srinagar im äußersten Nordwesten Indiens, der jene Bluttat provoziert, der neben fünfzehn Demonstranten als Unbeteiligte Mutter und Tochter zum Opfer fallen. Wie auf individueller Ebene Verwandtschaft und Freundschaft, Liebe und Interessengemeinschaft, Engagement und Egoismus inszeniert werden, das lässt sich stets auch auf das große Bild im Hintergrund übertragen: das Panoptikum des ganzen indischen Subkontinents.
Arundhati Roy lebt nach wie vor in Indien - im Gegensatz zu den meisten prominenten indischen Autoren. Die Unmittelbarkeit ihrer Eindrücke kommt dem Buch zugute, es ist ein Fest der Momentaufnahmen und Details. Die Erzählperspektiven wechseln, doch immer dann, wenn man fürchtet, das Buch verliere sich im Wirbel der Geschehnisse, führt seine Verfasserin uns zurück ins Vertraute, zu lange vorher eingeführten Figuren, Gefühlen, Ereignissen. Es ist eine Erzählweise, die weder dem gängigen westlich-realistischen Literaturverständnis noch dem immer mehr zu Pose und Ideologie degenerierenden postkolonialen Diskurs entspricht, was Arundhati Roy zuverlässig Kritik wahlweise wegen angeblicher Formlosigkeit oder Verwestlichung einbringen wird. Doch formvollendeter und überkultureller kann kaum erzählt werden. Zu dieser Einsicht gehört allerdings die Bereitschaft, sich selbst über bequeme Dichotomien hinwegzusetzen: die von West und Ost, Roman und Parabel, Pathos und Kühle, Individual- und Kollektivbiographie. All das steckt in diesem Buch. Und mehr.
ANDREAS PLATTHAUS
Arundhati Roy: "Das Ministerium des äußersten Glücks". Roman.
Aus dem Englischen von Anette Grube. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2017. 556 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Roy ist eine der besten Schreiberinnen auf dem Subkontinent. Eine geniale Beobachterin Indiens, ironisch im Ton, herzhaft in der Sache. Laura Höflinger Der Spiegel 20170722
																									
								
								Indien, ein Land der Gegensätze.
Das hat mich ans Buch gefesselt. Gelungen fand ich auch den Beginn mit Anjum, einer Hija, ein Mittelding zwischen Mann und Frau.
Lange, für mich zu lange werden dann die Grausamkeiten des Kashmir-Konflikts beschrieben und ich habe auch ein wenig den roten …							
							
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                  				Indien, ein Land der Gegensätze.
Das hat mich ans Buch gefesselt. Gelungen fand ich auch den Beginn mit Anjum, einer Hija, ein Mittelding zwischen Mann und Frau.
Lange, für mich zu lange werden dann die Grausamkeiten des Kashmir-Konflikts beschrieben und ich habe auch ein wenig den roten Faden verloren. Bis zum Ende gelesen habe ich das Buch dennoch.                  				
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								Mein Fazit
Arundhati Roy hat ein Buch geschrieben, das man nicht schnell mal weg liest. Es will Wort für Wort gelesen und verstanden werden. Es handelt sich um Geschehnisse, deren Wahrheitsgehalt einem Geschichtsbuch alle Ehre machen. Ich habe sämtliche Orte und Begebenheiten …							
							
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                  				Mein Fazit
Arundhati Roy hat ein Buch geschrieben, das man nicht schnell mal weg liest. Es will Wort für Wort gelesen und verstanden werden. Es handelt sich um Geschehnisse, deren Wahrheitsgehalt einem Geschichtsbuch alle Ehre machen. Ich habe sämtliche Orte und Begebenheiten nachgeschlagen. 
Das Ganze hat sie mit Schicksalen verwoben, die uns hautnah Ängste, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Gewalt miterleben lassen. Doch auch Liebe, Freundschaft  und  die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden. Familientragödien und Geheimnisse verpassen der Story zusätzlich Spannung. Einen besonderen Einblick bekommen wir von den Hijras und ihren Platz in der Gesellschaft. Wunderbare Landschaften und Gebäude vermitteln einem ein Bild von Tausendundeine Nacht. Leider hinderten mich verschiedene religiöse Konflikte und politische Unruhen daran, dieses märchenhafte Bild aufrecht zu erhalten. Kaschmir steht im Mittelpunkt der Ereignisse. 
Arundhati holt den Leser ab und begibt sich mit ihm auf eine abenteuerliche Reise. Der Schreibstil mutet stellenweise poetisch an. Wunderbare Zitate erhöhen den Lese-Genuss. Vulgäre Ausdrücke haben ihre Berechtigung. Das wunderschöne Cover passt hervorragend zur Geschichte. Ich muss mich nun von vielen wunderbaren Menschen verabschieden. Aber, ich komme wieder. Ich werde das Buch nochmal lesen. 
Eine Empfehlung von mir an alle, die Indien kennen- oder kennenlernen möchten. 
Meine Lieblingszitate
Er, ein Revolutionär, gefangen im Geist eines Buchhalters. Sie, eine Frau, gefangen im Körper eines Mannes. (Seite 160) 
Sie schmiegte sich an ihn an.: Wab! Was für ein Mann. Er drückte ihr Brust. Sie schlug ihm auf die Hand. Nicht. Sie kosten ein Vermögen. Ich zahle immer noch die Raten ab. (Seite 179)
 Ich schwöre beim Leben meiner Kinder - sie reiten auf einem Pferd davon. Zwei Freaks mit einem Sack voller Plüschtiere, die auf einem verdammten weißen Pferd in den Nebel davonreiten. (Seite 264)                  				
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								Dieses Buch ist ein wirkliches Highlight - ehrlich, berührend und schockierend.
Der Schreibstil der Autorin ist großartig und umfasst alles, was man für ein gutes Buch benötigt und um den Leser mit der Geschichte zu ergreifen.
Das Lesen haben mir jedoch die indischen …							
							
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                  				Dieses Buch ist ein wirkliches Highlight - ehrlich, berührend und schockierend.
Der Schreibstil der Autorin ist großartig und umfasst alles, was man für ein gutes Buch benötigt und um den Leser mit der Geschichte zu ergreifen.
Das Lesen haben mir jedoch die indischen Begriffe und Namen sehr erschwert. Dies ist keine Lektüre für zwischendurch. Man sollte sich dafür Zeit nehmen, verinnerlichen und recherchieren - und vor allem nicht aufgeben und der Geschichte die Zeit am Anfang geben, die es braucht um einen Einstieg zu finden.
Ich habe dieses Buch während einer Leserunde gelesen und war sehr dankbar über jeden Hinweis, Tipp und Hintergrundinformationen - davon gibt es nämlich jede Menge sehr interessante und hilfreiche.
Das Glossar am Ende ist sehr von Notwendigkeit, jedoch sind natürlich nicht alle Begriffe des Buches aufgeführt.
Sie fragte sich, wie eine nicht freigelassene Seele, eine seelenförmige Lunge auf einem Scheiterhaufen aussehen mochte. Wie ein Seestern vielleicht. Oder ein Tausendfüßler. Oder wie ein getupfter Falter mit einem lebendigen Körper und Flügeln aus Stein - armer Falter -, hintergangen, niedergehalten von genau den Körperteile, mit deren Hilfe er fliegen sollte. (ZITAT)
Die Sprache ist malerisch und sehr detailliert, sodass die ganze Geschichte sehr authentisch und ehrlich beim Leser übermittelt wird.
Das schlichte einfache Cover passt perfekt - kein "Schnickschnack".
Mit ihrem Buch "Der Gott der kleinen Dinge" - was auch ein absolut großartiges Werk der Autorin ist - kann man dieses Buch jedoch nicht vergleichen. "Das Ministerium des äußersten Glücks"  ist anders und vermutlich der anspruchsvollste Roman, den ich bisher gelesen habe.                  				
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