Ungewöhnliches Debüt über eine in einer Mordserie an Obdachlosen ermittelnden Journalistin
Jensen ist schon seit Monaten wieder aus London zurück. Da sie in der Zeit noch nichts Brauchbares als Reporterin für das Dagbladet verfasst hat, macht sie sich eines Morgens schon sehr früh mit dem Rad auf
den Weg zur Arbeit, um das Versäumte nachzuholen. Da ist Kopenhagen noch still, verschneit und…mehrUngewöhnliches Debüt über eine in einer Mordserie an Obdachlosen ermittelnden Journalistin
Jensen ist schon seit Monaten wieder aus London zurück. Da sie in der Zeit noch nichts Brauchbares als Reporterin für das Dagbladet verfasst hat, macht sie sich eines Morgens schon sehr früh mit dem Rad auf den Weg zur Arbeit, um das Versäumte nachzuholen. Da ist Kopenhagen noch still, verschneit und menschenleer. Doch in einer verlassenen Gasse der Kopenhagener Altstadt findet Jensen einen jungen, erstochenen Obdachlosen. Und die Geschichte lässt sie nicht mehr los.
Schneeflockengrab ist der Debütroman von Heidi Amsinck, die bereits Kurzgeschichten verfasst hat und für dänische Medien in London geschrieben hat. Abwechslungsreich wird in kurzen Kapiteln aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Diese umfassen neben der Sichtweise von Jensen auch die von Kommissar Henrik Jungersen, der in der Mordserie an Obdachlosen in Kopenhagen ermittelt und mit dem Jensen früher eine Affäre hatte.
Hauptfigur Jensen ist nicht gerade das, was ich eine Sympathieträgerin nennen möchte. Sie lässt ihre Arbeit schleifen, obwohl sie gefördert von ihrer Chefin Margrethe Skov eine Chance nach der nächsten erhält und sie sich selbst nicht so recht erklären kann, woran das nur liegt. Auch Kollegialität scheint keine Stärke von Jensen zu sein. Erst weigert sie sich die Geschichte über den von ihr aufgefundenen Toten zu schreiben, um dann dem Kollegen, der die Story von ihr übernommen hat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Parade zu fahren und ihn auszuboten. Sympathischere Züge zeigt Jensen nur in der Ausbildung von Margrethes Neffen, den sie jedoch zuerst nur äußerst widerwillig als Praktikanten annimmt, bevor sie ihn dann doch als Reporter auszubilden beginnt.
Abgesehen von den Hauptfiguren überzeugt Schneeflockengrab in seinen starken, mal skurrilen, mal eigenwilligen Nebenfiguren. Das beginnt bei Jensens so autoritärer wie furchteinflößender Chefin Margrethe Skov, die jedoch eine der besten Journalistinnen ist, die Dänemark zu bieten hat. Das reicht über den Politiker Esben, der nicht nur als Frauenheld auffällt und dem Jensen ihre Karriere zu verdanken hat, und dem kantigen Original von Polizeioberrat Mogens Hansen, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint, bis hin zu Margrethes Neffen, der trotz seiner Jugend nicht so unbedarft ist, wie er auf den ersten Blick scheint.
Nebenher spricht Heidi Amsinck eine Vielzahl relevanter Themen an. Neben der Schlangengrube Borgen, der Jensen wegen ihres Politikerfreundes Esben einen Besuch abstattet, und dem Niedergang der Presse am Beispiel des Dagbladets, für das Jensen tätig ist, setzt die Autorin sich auch mit der Problematik der Obdachlosigkeit in Dänemark sowie unterfinanzierten Jugendwohnheimen und ähnlichen Einrichtungen auseinander. Da im weiteren Verlauf dieses Krimis das in dessen Kern erzählte Familiendrama immer weiter an Bedeutung gewinnt, wäre an dieser Stelle vielleicht weniger mehr gewesen. Mir hätte besser gefallen, wenn die Autorin nicht jedes relevante Thema, zu dem sie ein Statement abzugeben hat, anschneidet, sondern sich stattdessen auf wenige davon beschränkt, sich diesen dafür aber mit mehr Tiefgang gewidmet hätte.
Zum Schluss hätte ich mir mehr Informationen zum Motiv und Hintergrund des Täters gewünscht, die mir die Autorin leider schuldig geblieben ist. Den Täter hatte ich so recht früh vermutet, da ein Mangel an anderen Verdächtigen bestand, worunter dann für mich zum Schluss hin leider ein wenig die Spannung gelitten hat. Das hätte für mich ein tieferer Einblick in die Gedankenwelt des Täters herausreißen können.
Dafür wird der nächste Band der Reihe, in dem Jensen wohl wieder an der Seite ihres treuen Praktikanten ermitteln wird, in geschickter Weise von Heidi Amsinck vorbereitet. Auch kann ich mir gut vorstellen, dass dieser Fall, der mehr um Betrugsdelikte und Wirtschaftsverbrechen kreisen wird, besser zum starken Schreibstil der Autorin, ihrem eigenwilligen Humor und den schrägen Charakteren passen mag. Denn das intensive Drama, das eigentlich dieses Debüt prägen sollte, ist mir dann gerade zum Ende hin doch ein wenig blass geblieben.