Michela Murgia
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Eine Frau sucht einen Namen für ihren Tumor. Eine andere holt sich die Pappfigur eines Popsängers ins Haus, als der geliebte Sohn auszieht. Eine Kinderhasserin bietet sich ihren Freunden als Leihmutter an. Aus Angst, seiner Exfreundin zu begegnen, traut sich ein Mann kaum noch vor die Tür, und eine Verlassene kann die Trennung buchstäblich nicht verdauen. Die Protagonisten von Michela Murgias Geschichten erleben alle auf ihre Weise einen radikalen Umbruch: Sie verlieren sämtliche Gewissheiten - und finden die unterschiedlichsten Antworten auf das, was ihnen geschieht. Sie treffen ungewöh...
Eine Frau sucht einen Namen für ihren Tumor. Eine andere holt sich die Pappfigur eines Popsängers ins Haus, als der geliebte Sohn auszieht. Eine Kinderhasserin bietet sich ihren Freunden als Leihmutter an. Aus Angst, seiner Exfreundin zu begegnen, traut sich ein Mann kaum noch vor die Tür, und eine Verlassene kann die Trennung buchstäblich nicht verdauen. Die Protagonisten von Michela Murgias Geschichten erleben alle auf ihre Weise einen radikalen Umbruch: Sie verlieren sämtliche Gewissheiten - und finden die unterschiedlichsten Antworten auf das, was ihnen geschieht. Sie treffen ungewöhnliche Entscheidungen, kämpfen ums Überleben, erfinden sich neue Rituale oder wählen die kontrollierbare Katastrophe, um der unkontrollierbaren zu entgehen. Ausgehend von ihrer eigenen Erfahrung erzählt Michela Murgia in zwölf miteinander verflochtenen Geschichten von Krankheit und Tod, von Trauer und neuer Liebe, von der Kunst des Abschiednehmens und der des Weiterlebens. Ein Mut machendes Buch über Krisen und Neuanfänge, wahrhaftig und hell.
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Michela Murgia wurde 1972 in Cabras (Sardinien) geboren. Mit Romanen wie »Accabadora« avancierte sie zu einer der bekanntesten Autorinnen Italiens. In Radio und Fernsehen, Essays und Satiren wie »Faschist werden« bezog Murgia Position gegen die italienische Rechte und wurde dafür heftig attackiert. Im Frühjahr 2023 machte sie ihre schwere Krankheit öffentlich, im August - kurz nach Erscheinen von »Drei Schalen« in Italien - starb Michela Murgia im Alter von 51 Jahren.
Produktdetails
- Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
- Seitenzahl: 160
- Erscheinungstermin: 1. Februar 2024
- Deutsch
- ISBN-13: 9783803143877
- Artikelnr.: 69770611
»Michela Murgia verfügte über das großartige Talent, Dinge wirklich verändern zu können.« Roberto Saviano
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Niklas Bender wundert sich etwas über die bisher eher "gemischte" Aufnahme von Michela Murgias in Italien erfolgreichem Erzählband in der deutschen Kritik - zwar sei nicht jede Geschichte ein Knaller, aber überwiegend gefallen sie ihm gut. In loser Verknüpfung geht es um verschiedene Alltagssituationen, die das Potenzial zum Wendepunkt im Leben ihrer Protagonisten haben: Etwa um eine Handballtrainerin, die eine von ihren Schülern ermordete Ratte vergraben muss und dabei mit ihrer gewaltvollen Kindheit konfrontiert wird, oder um eine Anwaltsgattin, die sich nach dem Auszug ihres Sohnes in die Obsession mit einem K-Pop-Star flüchtet. Besonders berührend findet der Kritiker zwei Geschichten, in der die mittlerweile verstorbene Autorin ihre Krebskrankheit zu verhandeln scheint - erzählt wird von einem Diagnose-Gespräch mit dem Onkologen, und später, zu Ende des Bandes, von der Trauerfeier, bei der die Schwester der Toten deren Kleidungsstücke in Bäumen aufhängt. Für Bender ein "schöner Grabstein", den sich diese "unkonventionelle" und "leidenschaftliche Intellektuelle" mit diesem Band selbst gesetzt habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Amöben können keine Romane schreiben
Als sie erfuhr, dass sie Krebs hatte, schrieb die italienische Aktivistin Michela Murgia noch ein Buch. Es half ihr dabei, die Krankheit als Komplizin ihrer Komplexität zu begreifen. Nicht als Fehler, den sie begangen haben könnte. Es sind zwölf Geschichten, die vor allem vom Leben handeln.
Von Karen Krüger
Im Mai vor einem Jahr, kurz bevor Michela Murgia auf der Turiner Buchmesse ihr Werk "Drei Schalen" präsentierte, erschien im "Corriere della sera" ein langes Interview mit der sardischen Schriftstellerin und Aktivistin. Wer sich die Zeitung nicht schon morgens gekauft hatte, holte das im Laufe des Tages nach, weil das bewegende Interview sofort Gesprächsthema war. Der
Als sie erfuhr, dass sie Krebs hatte, schrieb die italienische Aktivistin Michela Murgia noch ein Buch. Es half ihr dabei, die Krankheit als Komplizin ihrer Komplexität zu begreifen. Nicht als Fehler, den sie begangen haben könnte. Es sind zwölf Geschichten, die vor allem vom Leben handeln.
Von Karen Krüger
Im Mai vor einem Jahr, kurz bevor Michela Murgia auf der Turiner Buchmesse ihr Werk "Drei Schalen" präsentierte, erschien im "Corriere della sera" ein langes Interview mit der sardischen Schriftstellerin und Aktivistin. Wer sich die Zeitung nicht schon morgens gekauft hatte, holte das im Laufe des Tages nach, weil das bewegende Interview sofort Gesprächsthema war. Der
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Journalist Aldo Cazzullo hatte es geführt. Beim "Corriere" ist er der Redakteur für besondere Aufgaben. Was er Murgia entlockte, wirkte wie eine Art literarisches, existenzielles und politisches Manifest - und wie ein Testament. Cazzullos erste Frage lautete: "Michela Murgia, Ihr neues, großartiges Buch 'Drei Schalen' beginnt mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Ist darin etwas Autobiographisches enthalten?"
"Es stimmt wortwörtlich. Es ist die Erzählung dessen, was mir widerfährt. Diagnose inbegriffen."
"Sie schreiben: 'Nierenkarzinom im vierten Stadium'. Gibt es keine Hoffnung?"
"Ab dem vierten Stadium gibt es keinen Weg zurück."
Das Bekenntnis erschütterte Murgias Leserinnen und Leser und die politische und intellektuelle Szene zutiefst. Die kämpferischste und bedeutendste Intellektuelle des Landes, die von Italiens rechtem Milieu gehasst wurde, seitdem sie 2018 ihre Polemik "Faschist werden: Eine Anleitung" schrieb, hatte ihre Krankheit bis dahin nicht öffentlich gemacht. Nun erklärte sie dem Journalisten, sie hätte schon während der Pandemie gewisse Symptome bemerkt. Wegen des eingeschränkten Zugangs zu Ärzten und Krankenhäusern sei sie jedoch nicht zur Kontrolle gegangen. Und jetzt: Metastasen in der Lunge, in den Knochen, im Gehirn.
Sie habe sich jetzt ein Haus gekauft, groß genug, um die ihr verbleibende Zeit mit ihrer queeren Wahlfamilie verbringen zu können. Ein Haus mit zehn Betten. Und sie werde heiraten, nicht nur wegen der Rechtssicherheit. Einen Mann? "Einen Mann, aber es hätte auch eine Frau sein können. Gegenseitige Fürsorge kennt kein Geschlecht."
Michela Murgia wirkte bewundernswert ruhig, mutig und klar in dem Gespräch mit Aldo Cazzullo. Nein, sie empfinde keine Wut. Aber tiefe Dankbarkeit, Erfahrungen und Erinnerungen gesammelt zu haben, die "zehn Leben" füllten. Murgia wusste, die Immuntherapie, die sie machte, würde ihr keine Heilung schenken. Nur ein paar Monate mehr Zeit. Sie wünsche sich, erst dann aus dem Leben zu gehen, wenn Giorgia Meloni nicht mehr Ministerpräsidentin sei, sagte sie.
Drei Monate später, am 10. August 2023, starb Michela Murgia mit 51 Jahren. Wenige Tage zuvor hatte sie noch ein weiteres Buch, "Dare la vita" ("Leben schenken") vollendet, es versammelt ihre Gedanken zu alternativen Modellen von Elternschaft und Familie und liegt seit Januar in den italienischen Buchläden. Auf Deutsch ist es jetzt unter dem Titel "Drei Schalen" erschienen. Es war in Italien wochenlang ein Bestseller.
Das Buch entfaltet sich in zwölf Erzählungen, deren Protagonisten lose miteinander verknüpft sind, ohne in direktem Bezug zueinander zu stehen. Der Onkologe etwa, der in der ersten Erzählung der Protagonistin mitteilt, dass sie einen Tumor an der Niere hat, steht in einer späteren im Vordergrund. Es ist, als habe Murgia sich beim Schreiben den Blick aus dem Himmel auf das irdische Beziehungsgeflecht vorgestellt. Sie verengt die Perspektive, zoomt nah an jemanden heran, verfolgt mit fast wissenschaftlich-interessiertem, aber zärtlichem Blick dessen Nöte und intimsten Geheimnisse, erweitert die Perspektive dann wieder und schwenkt weiter.
Alle bleiben namenlos, was den Eindruck verstärkt, Zeugin oder Zeuge eines laufenden Geschehens zu sein: Eine Frau verliebt sich in die Pappfigur eines koreanischen Sängers, den sie vor ihrem Mann im Kleiderschrank versteckt, und ein Mann - der Onkologe - kann nicht mehr von einem Miniatur-Prätorianer lassen; eine Frau hasst Kinder, trägt in ihrem Uterus aber ein Baby für einen Freund und dessen Partnerin; ein Mann verlässt seine Freundin, bleibt aber in gemeinsamen Erinnerungen gefangen; eine Schülerin ritzt sich, eine Frau täuscht einen Orgasmus vor, eine andere erbricht sich wochenlang aus Wut und enttäuschter Liebe.
Es sind Frauen und Männer, deren Welt sich auf eine Weise verändert, dass die Zerbrechlichkeit ihres Selbst zum Vorschein kommt, oder die nach einer medizinischen Diagnose einen radikalen Wandel durchleben. Alte und neue Rituale werden zu vermeintlichen Überlebensressourcen, aber der menschliche Körper stirbt eben trotzdem - und das ist der rote Faden dieser Geschichten. Murgia webt daraus kein Klagetuch. Die Protagonisten verheimlichen ihre Zweifel und Krankheiten nicht, und Murgia erzählt sie nicht im Duktus der Katastrophe. Sie gehören zum Leben dazu.
Diese Haltung spricht besonders aus der ersten Geschichte. In einer schnörkellosen, poetischen Sprache schreibt Murgia über eine Frau, die in einem Krankenhaus in Rom, man trägt noch Maske, mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert wird. Sie ist Autorin, spricht mehrere Sprachen, lernt Koreanisch - der autobiographische Bezug ist unübersehbar. Die Frau legt auch Wert auf ihre Garderobe, da sie nicht reich geboren wurde. Sie weiß, Kleider wirken mehr auf die, die sie sehen, als auf die, die sie tragen: "Die Kleiderwahl für diesen Termin war sie planmäßig angegangen, nur erstklassige Designer, dabei schlicht, nicht wie für ein Date, sondern eher, um eine vornehme Dame mit generationenaltem Reichtum zu beeindrucken oder um bei einer wichtigen Vertragsverhandlung nicht zu interessiert zu wirken oder um sich Respekt zu verschaffen. Ihr Kleiderschrank war eigens dafür gemacht, eine Rüstkammer mit verschiedenen gut geschnittenen Waffen namhafter Hersteller, eine für jeden der Kriege, in denen sie sich keine Niederlage erlauben durfte."
Sie habe eine Neoplasie an der Niere, sagt der Arzt. Eine Neubildung, ein neues Leben eigentlich, das aber zum Tod der Frau führen wird. Was habe ich falsch gemacht?, fragt die Frau, die nicht raucht, selten trinkt, Vegetarierin ist. Er würde nicht von einem Fehler sprechen, sagt der Arzt. Menschen seien hoch entwickelte Organismen und als solche eher anfällig für Fehlleistungen: Einzellige Organismen haben keine Neoplasmen, "aber sie sprechen auch keine Sprachen. Amöben schreiben keine Bücher." Die Frau beschließt, den Krebs als Komplizen ihrer Komplexität zu begreifen, "als ein verirrtes Teil ihres hoch entwickelten Körpers", als "einen Fehler, den es zu beheben gilt", und "nicht als Feind, den man bekriegt" - denn das bedeutete, Krieg gegen sich selbst zu führen. Sie gibt dem Tumor einen koreanischen Namen. Das Wort vom anderen Ende der Welt soll Distanz zwischen ihr und der Diagnose schaffen. Sie würde sie sonst nicht aushalten.
Von einer anderen Art des Nicht-mehr-aushalten-Könnens erzählt "Familienverhältnisse". Auch hier steht eine Frau im Zentrum. Murgia hat eine schöne Sex-Szene für sie geschrieben. Zunächst ist in der Erzählung jedoch Sonntag, und wie jeden Sonntag haben die Frau und ihr Ehemann, ein dreiundzwanzig Jahre älterer Regisseur und Professor an der Filmhochschule, Freunde und Bekannte aus dem kulturbetrieblichen Dickicht Roms zum Mittagessen eingeladen. "Die Organisation dieses allwöchentlichen Rituals kostete sie viel Kraft, und gerne hätte sie dafür eine Haushaltshilfe geholt, doch ihr Mann fand, er sei zu links, um sich gegen Bezahlung von jemandem bedienen zu lassen." Also bedient seine Frau, die früher seine Studentin war und ihn nach langer Affäre dazu brachte, seine Familie zu verlassen. Das erreichte Ziel entpuppt sich immer mehr als Verlustgeschäft. Sie wird weder von ihm noch von den Künstlerfreunden als ebenbürtig betrachtet. Das Maß ist voll, als er einer Sterilisation zustimmt, ohne sich zuvor mit ihr, die Kinder möchte, zu besprechen und damit auch über ihren Körper verfügt.
Über Körper hat Michela Murgia immer wieder geschrieben. Auch über ihren eigenen. Er war oft das Ziel verbaler Hetze aus rechten Kreisen, da er sich gängigen weiblichen Schönheitsidealen entzog. Für Murgia war ihr Körper ein politischer, der wie bei Pier Paolo Pasolini in den Kampf geworfen wird. Bis zuletzt postete sie Fotos aus dem Krankenbett, lächelnd, mit kahlem Kopf. Sie hat erzählt, wie sie an ihrem fünfzigsten Geburtstag fünfzig Kleider aus ihrer "Rüstkammer" nahm, sie an Bäume hängte, und jeder ihrer Freunde suchte sich eines aus, als Erinnerung und um dem Stück ein weiteres Leben zu geben. Am Ende ihres Buches zelebriert eine Frau das gleiche Trauerritual. Die einstige Besitzerin, ihre Schwester, ist jedoch schon tot, und jeder, der sie liebte und möchte, darf ein Kleid mitnehmen.
Nur durch den Krebs hätte sie die Energie gefunden, ihre "Drei Schalen" in nur drei Monaten zu schreiben, sagte die Schriftstellerin gegenüber dem "Corriere". Michela Murgia hat aus etwas Schrecklichem etwas sehr Schönes gemacht. Wie gute Literatur das eben kann.
Michela Murgia "Drei Schalen". Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Verlag Wagenbach, 115 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Es stimmt wortwörtlich. Es ist die Erzählung dessen, was mir widerfährt. Diagnose inbegriffen."
"Sie schreiben: 'Nierenkarzinom im vierten Stadium'. Gibt es keine Hoffnung?"
"Ab dem vierten Stadium gibt es keinen Weg zurück."
Das Bekenntnis erschütterte Murgias Leserinnen und Leser und die politische und intellektuelle Szene zutiefst. Die kämpferischste und bedeutendste Intellektuelle des Landes, die von Italiens rechtem Milieu gehasst wurde, seitdem sie 2018 ihre Polemik "Faschist werden: Eine Anleitung" schrieb, hatte ihre Krankheit bis dahin nicht öffentlich gemacht. Nun erklärte sie dem Journalisten, sie hätte schon während der Pandemie gewisse Symptome bemerkt. Wegen des eingeschränkten Zugangs zu Ärzten und Krankenhäusern sei sie jedoch nicht zur Kontrolle gegangen. Und jetzt: Metastasen in der Lunge, in den Knochen, im Gehirn.
Sie habe sich jetzt ein Haus gekauft, groß genug, um die ihr verbleibende Zeit mit ihrer queeren Wahlfamilie verbringen zu können. Ein Haus mit zehn Betten. Und sie werde heiraten, nicht nur wegen der Rechtssicherheit. Einen Mann? "Einen Mann, aber es hätte auch eine Frau sein können. Gegenseitige Fürsorge kennt kein Geschlecht."
Michela Murgia wirkte bewundernswert ruhig, mutig und klar in dem Gespräch mit Aldo Cazzullo. Nein, sie empfinde keine Wut. Aber tiefe Dankbarkeit, Erfahrungen und Erinnerungen gesammelt zu haben, die "zehn Leben" füllten. Murgia wusste, die Immuntherapie, die sie machte, würde ihr keine Heilung schenken. Nur ein paar Monate mehr Zeit. Sie wünsche sich, erst dann aus dem Leben zu gehen, wenn Giorgia Meloni nicht mehr Ministerpräsidentin sei, sagte sie.
Drei Monate später, am 10. August 2023, starb Michela Murgia mit 51 Jahren. Wenige Tage zuvor hatte sie noch ein weiteres Buch, "Dare la vita" ("Leben schenken") vollendet, es versammelt ihre Gedanken zu alternativen Modellen von Elternschaft und Familie und liegt seit Januar in den italienischen Buchläden. Auf Deutsch ist es jetzt unter dem Titel "Drei Schalen" erschienen. Es war in Italien wochenlang ein Bestseller.
Das Buch entfaltet sich in zwölf Erzählungen, deren Protagonisten lose miteinander verknüpft sind, ohne in direktem Bezug zueinander zu stehen. Der Onkologe etwa, der in der ersten Erzählung der Protagonistin mitteilt, dass sie einen Tumor an der Niere hat, steht in einer späteren im Vordergrund. Es ist, als habe Murgia sich beim Schreiben den Blick aus dem Himmel auf das irdische Beziehungsgeflecht vorgestellt. Sie verengt die Perspektive, zoomt nah an jemanden heran, verfolgt mit fast wissenschaftlich-interessiertem, aber zärtlichem Blick dessen Nöte und intimsten Geheimnisse, erweitert die Perspektive dann wieder und schwenkt weiter.
Alle bleiben namenlos, was den Eindruck verstärkt, Zeugin oder Zeuge eines laufenden Geschehens zu sein: Eine Frau verliebt sich in die Pappfigur eines koreanischen Sängers, den sie vor ihrem Mann im Kleiderschrank versteckt, und ein Mann - der Onkologe - kann nicht mehr von einem Miniatur-Prätorianer lassen; eine Frau hasst Kinder, trägt in ihrem Uterus aber ein Baby für einen Freund und dessen Partnerin; ein Mann verlässt seine Freundin, bleibt aber in gemeinsamen Erinnerungen gefangen; eine Schülerin ritzt sich, eine Frau täuscht einen Orgasmus vor, eine andere erbricht sich wochenlang aus Wut und enttäuschter Liebe.
Es sind Frauen und Männer, deren Welt sich auf eine Weise verändert, dass die Zerbrechlichkeit ihres Selbst zum Vorschein kommt, oder die nach einer medizinischen Diagnose einen radikalen Wandel durchleben. Alte und neue Rituale werden zu vermeintlichen Überlebensressourcen, aber der menschliche Körper stirbt eben trotzdem - und das ist der rote Faden dieser Geschichten. Murgia webt daraus kein Klagetuch. Die Protagonisten verheimlichen ihre Zweifel und Krankheiten nicht, und Murgia erzählt sie nicht im Duktus der Katastrophe. Sie gehören zum Leben dazu.
Diese Haltung spricht besonders aus der ersten Geschichte. In einer schnörkellosen, poetischen Sprache schreibt Murgia über eine Frau, die in einem Krankenhaus in Rom, man trägt noch Maske, mit einer schwerwiegenden Diagnose konfrontiert wird. Sie ist Autorin, spricht mehrere Sprachen, lernt Koreanisch - der autobiographische Bezug ist unübersehbar. Die Frau legt auch Wert auf ihre Garderobe, da sie nicht reich geboren wurde. Sie weiß, Kleider wirken mehr auf die, die sie sehen, als auf die, die sie tragen: "Die Kleiderwahl für diesen Termin war sie planmäßig angegangen, nur erstklassige Designer, dabei schlicht, nicht wie für ein Date, sondern eher, um eine vornehme Dame mit generationenaltem Reichtum zu beeindrucken oder um bei einer wichtigen Vertragsverhandlung nicht zu interessiert zu wirken oder um sich Respekt zu verschaffen. Ihr Kleiderschrank war eigens dafür gemacht, eine Rüstkammer mit verschiedenen gut geschnittenen Waffen namhafter Hersteller, eine für jeden der Kriege, in denen sie sich keine Niederlage erlauben durfte."
Sie habe eine Neoplasie an der Niere, sagt der Arzt. Eine Neubildung, ein neues Leben eigentlich, das aber zum Tod der Frau führen wird. Was habe ich falsch gemacht?, fragt die Frau, die nicht raucht, selten trinkt, Vegetarierin ist. Er würde nicht von einem Fehler sprechen, sagt der Arzt. Menschen seien hoch entwickelte Organismen und als solche eher anfällig für Fehlleistungen: Einzellige Organismen haben keine Neoplasmen, "aber sie sprechen auch keine Sprachen. Amöben schreiben keine Bücher." Die Frau beschließt, den Krebs als Komplizen ihrer Komplexität zu begreifen, "als ein verirrtes Teil ihres hoch entwickelten Körpers", als "einen Fehler, den es zu beheben gilt", und "nicht als Feind, den man bekriegt" - denn das bedeutete, Krieg gegen sich selbst zu führen. Sie gibt dem Tumor einen koreanischen Namen. Das Wort vom anderen Ende der Welt soll Distanz zwischen ihr und der Diagnose schaffen. Sie würde sie sonst nicht aushalten.
Von einer anderen Art des Nicht-mehr-aushalten-Könnens erzählt "Familienverhältnisse". Auch hier steht eine Frau im Zentrum. Murgia hat eine schöne Sex-Szene für sie geschrieben. Zunächst ist in der Erzählung jedoch Sonntag, und wie jeden Sonntag haben die Frau und ihr Ehemann, ein dreiundzwanzig Jahre älterer Regisseur und Professor an der Filmhochschule, Freunde und Bekannte aus dem kulturbetrieblichen Dickicht Roms zum Mittagessen eingeladen. "Die Organisation dieses allwöchentlichen Rituals kostete sie viel Kraft, und gerne hätte sie dafür eine Haushaltshilfe geholt, doch ihr Mann fand, er sei zu links, um sich gegen Bezahlung von jemandem bedienen zu lassen." Also bedient seine Frau, die früher seine Studentin war und ihn nach langer Affäre dazu brachte, seine Familie zu verlassen. Das erreichte Ziel entpuppt sich immer mehr als Verlustgeschäft. Sie wird weder von ihm noch von den Künstlerfreunden als ebenbürtig betrachtet. Das Maß ist voll, als er einer Sterilisation zustimmt, ohne sich zuvor mit ihr, die Kinder möchte, zu besprechen und damit auch über ihren Körper verfügt.
Über Körper hat Michela Murgia immer wieder geschrieben. Auch über ihren eigenen. Er war oft das Ziel verbaler Hetze aus rechten Kreisen, da er sich gängigen weiblichen Schönheitsidealen entzog. Für Murgia war ihr Körper ein politischer, der wie bei Pier Paolo Pasolini in den Kampf geworfen wird. Bis zuletzt postete sie Fotos aus dem Krankenbett, lächelnd, mit kahlem Kopf. Sie hat erzählt, wie sie an ihrem fünfzigsten Geburtstag fünfzig Kleider aus ihrer "Rüstkammer" nahm, sie an Bäume hängte, und jeder ihrer Freunde suchte sich eines aus, als Erinnerung und um dem Stück ein weiteres Leben zu geben. Am Ende ihres Buches zelebriert eine Frau das gleiche Trauerritual. Die einstige Besitzerin, ihre Schwester, ist jedoch schon tot, und jeder, der sie liebte und möchte, darf ein Kleid mitnehmen.
Nur durch den Krebs hätte sie die Energie gefunden, ihre "Drei Schalen" in nur drei Monaten zu schreiben, sagte die Schriftstellerin gegenüber dem "Corriere". Michela Murgia hat aus etwas Schrecklichem etwas sehr Schönes gemacht. Wie gute Literatur das eben kann.
Michela Murgia "Drei Schalen". Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Verlag Wagenbach, 115 Seiten, 20 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Gebundenes Buch
Die Autorin und Aktivistin gegen die italienische Rechte Michela Murgia machte im Frühjahr letzten Jahres ihre schwere Krankheit öffentlich. Kurz nach Erscheinen ihres Erzählbandes DREI SCHALEN in Italien verstarb sie im Alter von nur 51 Jahren im August 2023.
DREI SCHALEN ist ein …
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Die Autorin und Aktivistin gegen die italienische Rechte Michela Murgia machte im Frühjahr letzten Jahres ihre schwere Krankheit öffentlich. Kurz nach Erscheinen ihres Erzählbandes DREI SCHALEN in Italien verstarb sie im Alter von nur 51 Jahren im August 2023.
DREI SCHALEN ist ein Abschied und zugleich eine Ermutigung, sich mit Veränderungen, scheinen sie auch noch so ungangbar zu sein, auseinanderzusetzen, Herausforderungen nicht den Kampf anzusagen, sondern sie anzunehmen und daran zu wachsen.
Die erste Geschichte UNÜBERSETZBARER AUSDRUCK erzählt genau in diesem Geist von der Diagnose, deren Name nicht aussprechbar ist. Worte, wie KREBS oder KARZINOM manifestieren Gewissheiten und geben ihnen eine Bedeutung, die dem Gefühl, das die Ich-Erzählerin im Innern trägt, nicht entspricht. Verbundenheit findet sie in einer fremden Sprache.
Michela Murgia nähert sich dem Existenziellen von hinten, indem sie das Verborgene im Sichtbaren, im Banalen beschreibt. In der Geschichte DREI SCHALEN zeigt sich der Schmerz über das Verlassenwerden nicht im Schmerz selbst, sondern in wochenlangem Erbrechen. Heilung geschieht durch Routinen und Ordnung, die den äußeren Rahmen schaffen, die Trauer zu überwinden.
Zwölf Kurzgeschichten reihen sich wie eine Perlenkette aneinander, die in sich geschlossen sind und doch Berührungspunkte haben. Eigentlich wollte Michela Murgia ihr letztes Werk als Essay schreiben, hat sich aber überzeugen lassen, dass „sie mithilfe der Literatur weniger Eindeutiges sagen kann, ja sogar Dinge, die ihrer eigenen Meinung widersprechen“, sagt sie in einem Interview.
In klaren ungeschönten Worten, die aber immer auch etwas Versöhnliches haben, erzählt sie mit viel Humor und Elementen der Satire aus ihrem Innern und den Unruhen in der Gesellschaft. Sie dreht sich selbst die Worte im Mund herum, schafft immer neue Perspektiven auf peDie lesbische Frau, die eine künstliche Schwangerschaft anstrebt und dabei Kinder hasst, ist für mich das beste Beispiel, wie Murgia ihre Geschichten erzählt. Die Vorzeichen werden vertauscht, man weiß nicht mehr wo oben und unten, was richtig oder falsch ist. Und man fängt an zu denken. Und zu fühlen.
Das Kleid, das sie in der ersten Geschichte beim Besuch des Onkologen trägt, ist vielleicht das, das in der letzten Geschichte nach ihrer Beerdigung im Wind flattert und auf jemanden wartet, der es mitnimmt und sich darin einhüllt. Kreise schließen sich.
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Gebundenes Buch
Die 12 Kurzgeschichten auf 155 Seiten haben es in sich. Es ist ein unbequemes Buch. Beim Lesen beschlich mich immer mehr das Gefühl, dass Murgia unverblümt von Situationen erzählt, über die man nicht gern spricht, die man nicht gern hört. Und tatsächlich machte ich nach …
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Die 12 Kurzgeschichten auf 155 Seiten haben es in sich. Es ist ein unbequemes Buch. Beim Lesen beschlich mich immer mehr das Gefühl, dass Murgia unverblümt von Situationen erzählt, über die man nicht gern spricht, die man nicht gern hört. Und tatsächlich machte ich nach jeder Geschichte eine Pause und habe lange darüber nachgedacht.
Murgia schreibt über Krisenzeiten, Trauer, Verlust, Krankheit und Tod – Zeiten, in denen Menschen nach Verbündeten suchen, nach Lösungen. Das Verbindende sind die durchweg namenlosen Figuren, die sich wie ein unsichtbarer, loser, roter Faden durch die Geschichten ziehen, was sie zu etwas Universellen macht. Ganz im Gegensatz zu den Lösungen, die individueller nicht sein könnten. Und das macht das Buch so nachdenklich.
Da ist die Frau, die erfährt, dass sie Krebs hat und ihrem Tumor einen Namen geben will – Murgias biografischste Geschichte. Oder ein Arzt, der mit ansehen muss, dass trotz akribischer Vorsichtsmaßnahmen sein Sohn mit Covid angesteckt wird. Die lesbische Frau, die Kinder hasst, sich aber als Leihmutter für ihren besten Freund zur Verfügung stellt. (Und das in einem Land, wo das Adoptionsrecht von Regenbogenfamilien beschnitten wird.)
Der Mann, der nach einer Trennung alle Orte meidet, an denen er mit seiner Freundin je gewesen ist. Die Exfreundin, die seitdem mit Übelkeit kämpft.
Eins haben sie alle gemeinsam – ihr Leben wurde durch ein Ereignis mehr oder weniger aus der Bahn geworfen. Murgia zeigt, dass es normal ist, auch unkonventionelle Lösungen zu finden. Gerade in der Pandemie hat sich immer wieder gezeigt, dass es manchmal etwas Kreativität braucht, um sich mit dem Unfassbaren, Unsichtbaren zu arrangieren, sei es auch nur, um nicht verrückt zu werden.
Nach allen Geschichten drängte sich die Frage auf, ob es wirklich ein Richtig oder Falsch gibt oder einfach nur die eigene Entscheidung, die uns hilft weiterzuleben, Akzeptanz zu finden, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Was für den einen bizarr und absurd erscheint, ist für andere vielleicht die einzige Art, einen Verlust zu kompensieren oder mittels eines Rituals eine Krise zu bestehen.
Somit wird Murgias Buch auch zu einem Appell an die Toleranz, denn so vielfältig die Menschen sind, so zahlreich sind auch ihre Entscheidungen. Damit richtet Murgia den Blick vom Individuum auf das Wir, mit ihrem direkten, ironischen Ton, den man von ihr kennt. Es ist nie zu spät, sich von alten Denkmustern zu lösen und neue Erfahrungen zu sammeln. Vielleicht war das Murgias Vermächtnis, ich weiß es nicht, aber wenn, dann würde es mir gefallen.
Anders als in Deutschland war Murgia in Italien eine der bekanntesten Stimmen, die sich zeit ihres Lebens gegen Misogynie, Homophobie und den Rechtsruck in ihrem Land einsetzte. Sie war vieles, Feministin, Aktivistin, Kommunistin und nicht zuletzt die Stimme Sardiniens. Ihr Schreiben war immer politisch, genau wie ihr Leben. Kurz vor ihrem Tod kaufte sie noch ein Haus für ihre zehnköpfige queere Familie und heiratet einen Mann, »aber es hätte genauso gut eine Frau sein können«, wie sie sagt, denn das Geschlecht spielte für sie keine Rolle.
»Ich bin fünfzig Jahre alt, aber ich habe zehn Leben gelebt. Ich habe Dinge getan, die die allermeisten Menschen in einem ganzen Leben nicht tun. Dinge, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie mir gewünscht habe. Ich habe wundervolle Erinnerungen.«*
In dem *Interview mit »Corriere della Sera«, bei dem sie ihre unheilbare Krebserkrankung öffentlich machte, sagte sie, wie wolle nicht unter der Regierung Melonis sterben. Dieser Wunsch hat sich nicht erfüllt, sie starb am 10. August in Rom.
Ich lege allen dieses Buch ans Herz, die eine innere Auseinandersetzung mit den o.g. Themen nicht scheuen und bereit sind, bei der Sicht auf die Dinge der Welt eine anderen Perspektive einzunehmen.
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Gebundenes Buch
Das letzte große Meisterwerk von Michela Murgia
Michela Murgia war nicht nur eine großartige Autorin, sondern auch Aktivistin gegen die italienische Rechte. Sie stand für Toleranz, Queerness und soziale Gerechtigkeit ein. Im Frühling 2023 machte sie ihre schwere Krankheit …
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Das letzte große Meisterwerk von Michela Murgia
Michela Murgia war nicht nur eine großartige Autorin, sondern auch Aktivistin gegen die italienische Rechte. Sie stand für Toleranz, Queerness und soziale Gerechtigkeit ein. Im Frühling 2023 machte sie ihre schwere Krankheit öffentlich. Kurz nachdem ihr Erzählband „Drei Schalen“ in Italien erschien, verstarb sie im Alter von nur 51 Jahren im August 2023, viel zu früh!
Die Menschen in Michela Murgias 12 Kurzgeschichten erleben alle auf unterschiedliche Art und Weise einen radikalen Umbruch. Basierend auf ihren eigenen Erfahrungen erzählt Michela Murgia in zwölf miteinander verflochtenen Geschichten von Krankheit und Tod, Trauer, Abschied, neuer Liebe und vom Weiterleben, von Krisen und Neuanfängen. Die meisten Geschichten sind sehr kurz und zeigen nur eine kurze Episode im Leben der jeweiligen Person, aber dank des großen Talents von Michela Murgia braucht es gar nicht mehr Worte, um es genau auf den Punkt zu bringen.
Ich finde es einfach grandios, wie Michela Murgia die 12 Geschichten ineinander verwebt. Am Ende schließt sich der Kreis mit der letzten Geschichte ... unfassbar gut gelungen!
Trotz der allesamt eher „unangenehmen“ und traurigen Themen ist es meiner Meinung nach doch auch ein Buch, das Hoffnung macht, Mut macht.
Michela Murgias Schreibstil spricht schon immer für sich und ihre Protagonisten sind alle sehr authentisch und gut getroffen. Das ist ganz große Kunst!
Das ist eine Autorin, die ich ganz schmerzlich vermissen werde! Ruhe in Frieden, Michela Murgia!
"Wer nicht weiß, wo er hingeht, kann überall ankommen."
"Unsere Geheimnisse entstehen unter den Blicken der anderen."
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