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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
des Volksglaubens
Japan-Kenner Wieland Wagner analysiert fundiert
Geschichte und Gegenwart des Kaiserhauses.
Tokio – Es ist mal wieder so eine Phase in Japan, in der man gerne wüsste, was der Tenno eigentlich dazu sagt. Kaiser Naruhito ist ein hochgebildeter Mann, er hat in Oxford studiert und auch sonst die Welt bereist. Anders als sehr viele Japanerinnen und Japaner, die sich für die Ferne nicht besonders interessieren, schien er in seinen jüngeren Jahren immer mit wachem Blick in die Welt zu schauen. Und erst recht seine Frau, Kaiserin Masako, eine frühere Diplomatin des japanischen Außenministeriums, die fließend Französisch und Englisch spricht und einst Universitäten in Harvard, Grenoble, Oxford besuchte.
Das Urteil der beiden über den Zustand der japanischen Demokratie könnte spannend sein. Über die vielen Erbpolitiker, die weit weg von den Normalmenschen des Inselstaats zu sein scheinen. Über die rechtskonservative Regierungspartei LDP von Premierminister Fumio Kishida, die jüngst ein heftiger Spendenskandal erschüttert.
Aber Naruhito und Masako dürfen ja nicht über Politik reden. Sie dürfen so gut wie gar nichts sagen, das über höfliche Grußworte und Ermutigungen hinausgeht. Das ist das Schicksal der Menschen im japanischen Kaiserhaus. Sie sind gebunden an die Formalien und Regeln, welche die Bürokraten des Hofamtes streng überwachen. Der Tenno ist das Symbol des japanischen Staates und der Hohepriester der Nationalreligion Shinto. Das bringt mehr Pflichten als Rechte mit sich, und Naruhito kann aus der Rolle nicht heraus. Er, Masako, auch deren Tochter Aiko und alle aus ihrer nächsten Verwandtschaft leben damit, dass sie sich verhalten müssen wie Gefangene des japanischen Volksglaubens ohne eigene Meinung und Haltung. Umso wichtiger, dass es Bücher gibt wie jenes, das nun der Spiegel-Korrespondent und Japan-Versteher Wieland Wagner vorgelegt hat.
„Das Erbe des Tennos“ beschreibt die Kämpfe der modernen Menschen in der ältesten Monarchie der Welt. Es erzählt vom Übergang der japanischen Mythologie in die historisch nachvollziehbare Tenno-Erbfolge. Es stellt dar, wie Japans Oligarchen in der Phase der Industrialisierung nach der Edo-Zeit von 1603 bis 1868 den göttlichen Kaiser und das Shinto-Zeremoniell als Werkzeuge einsetzten, um den Menschen beim Umbau des zerstrittenen Landes in einen Nationalstaat ein Gefühl von Einheit zu geben. Und es lässt natürlich auch die Zeit nicht aus, in der das japanische Kaiserreich seine Machtsphäre in Ostasien gewaltsam ausweitete und im Zweiten Weltkrieg die Vereinigten Staaten angriff.
In Japan würden viele gerne glauben, dass Kaiser Hirohito als Oberbefehlshaber über Heer und Marine im Zweiten Weltkrieg nur eine Marionette seiner Generäle war, aber Wieland Wagner hält sich an neutrale Quellen. Eine „überaus aktive Rolle“ im Krieg schreibt er Hirohito zu, auch wenn dieser oft keinen Einfluss auf das Militär hatte. Und am Ende verpasste Hirohito genauso wie alle anderen Verantwortlichen 1945 den Zeitpunkt zur Kapitulation, der die amerikanischen Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki verhindert hätte.
Aber Wagners Buch ist vor allem deshalb ein anschauliches Japan-Porträt, weil es sich mit der Gegenwart und jüngeren Geschichte des Kaiserhauses befasst. Gerade im Umgang mit der Tenno-Dynastie erweist sich die drittgrößte Volkswirtschaft mit ihrem Hightech-Anspruch nämlich immer noch als ein Land von Machismo und nationalistischer Moral.
Vor allem der emeritierte Kaiser Akihito, 90, der Vater Naruhitos, Tenno von 1989 bis 2019, steht für die weise Version Japans, für ein selbstkritisches Geschichtsbewusstsein, für Volksnähe und Mitgefühl. Schon, dass er abdankte und nicht bis ans Lebensende auf dem Chrysanthemen-Thron blieb, war eine Art japanische Revolution. Aber Hofamt, rechter Mainstream und erzkonservative Politik vereinnahmen die Familienmitglieder weiterhin für ihre Vorstellung von japanischer Herrlichkeit und Ordnung.
Akihitos Frau Michiko und Kaiserin Masako, beide bürgerlicher Herkunft, bekamen das einst auf Kosten ihrer Gesundheit zu spüren. Bevor Prinzessin Mako, Tochter des Kronprinzen Akishino, im Oktober 2021 den bürgerlichen Kei Komuro heiratete und wie vorgeschrieben den Hof verließ, stand auch sie in der Kritik, weil die Öffentlichkeit ihren Verlobten für die falsche Wahl hielt. Gleichzeitig läuft immer noch die Debatte über die Frage, wie das Kaiserhaus langfristig überleben soll. Derzeit gibt es für Naruhito nur zwei realistische rechtmäßige Nachfolger. Dessen Bruder, Kronprinz Akishino, und Akishinos 17-jährigen Sohn Hisahito. Die Regierung in der Hauptstadt Tokio kann sich nicht dazu durchringen, auch Frauen auf den Thron zu lassen.
Über all das schreibt Wieland Wagner mit sachlicher Kompetenz, kritisch, aber wie schon in seinem lesenswerten Sachbuch „Japan – Abstieg in Würde“ von 2018 ohne einen Ton des Besserwissens. Einem westlichen Japan-Beobachter kann es schon mal passieren, dass man die Eigenheiten des Inselstaats missversteht und auf eine Weise abschätzig betrachtet, die nicht angemessen ist. Wieland Wagner macht solche Fehler nicht. Dazu kennt er das Land zu gut. Und dazu ist ihm Japan wahrscheinlich auch zu wichtig.
THOMAS HAHN
Hirohito war im Weltkrieg
keineswegs nur die
Marionette seiner Generäle
Akihitos Abdankung
im Jahr 2019
gilt als Revolution
Wieland Wagner:
Das Erbe des Tennos.
Die geheimnisvollste Monarchie der Welt und das Ringen um Japans Zukunft.
Deutsche Verlagsanstalt (DVA), München 2023.
416 Seiten, 26 Euro.
E-Book: 22,99 Euro.
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