?Ohne seine Gitarre wäre Dills Leben wirklich trostlos: Sein Vater ist im Gefängnis, seine Mutter unglücklich, und nach der Schule soll er im örtlichen Supermarkt arbeiten, um die Schulden abzubezahlen. Aber Dill sehnt sich nach einem anderen Leben, irgendwo da draußen. Seine Träume teilt er mit seinen beiden besten Freunden: Lydia, selbstbewusst und mit dem festen Plan, als Modebloggerin nach New York zu gehen, und Travis, der halb in seiner geliebten Fantasy-Serie lebt. Zusammen, glauben sie, können sie alles schaffen ...?
© BÜCHERmagazin, Syme Siegmund
Klapperschlangen
Ein Buch für Jungs – über
Freundschaft und Liebe
Drei Freunde sollt ihr sein. Dabei könnte es kaum unterschiedlichere Jugendliche geben als Dill, Lydia und Travis, die in einem Kaff in der Nähe von Nashville gemeinsam das letzte Schuljahr durchleiden. Warum sie überhaupt so eng zusammenhängen? Weil sie alle Außenseiter sind, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Das wird in Jeff Zentners Jugendbuch „Zusammen sind wir Helden“, das in wechselnder Perspektive die drei Hauptfiguren begleitet, sehr schnell klar.
Dill hat es offensichtlich am schlimmsten getroffen, denn er schlägt sich mit einem schweren Erbe herum: Sein Vater ließ als Pastor einer schrägen Kirche nicht nur sonntags als Mutprobe Klapperschlangen durch die Bankreihen reichen. Nein, der Vater sitzt überdies wegen Kinderpornografie gerade im Gefängnis, während die Mutter versucht, die Familie mit miesen Knochenjobs durchzubringen. Und der Sohn? Vergisst das alles leidlich, wenn er eine Gitarre in der Hand hält. Lydia hingegen – ein größerer Gegensatz ist nicht denkbar – ist die viel geliebte einzige Tochter wohlhabender und zu allem Überfluss auch noch sympathischer Eltern. Sie kommt in der virtuellen Welt gerade ganz groß raus als unkonventionelle junge Influencerin, mit einem Modeblog namens „Dollywood“. Und dann wäre da noch der sanfte Travis zu nennen, der von seinem Vater vermöbelt wird und sich daher in Fantasy-Serien flüchtet.
Klingt nach einer wilden Mischung? Wohl wahr, und doch fügt Jeff Zentner, der nach Jahren als Singer-Songwriter einen neuen Weg als Jugendbuchautor eingeschlagen hat, die drei Charaktere recht stimmig zusammen. Vor allem ist er spürbar nah dran an den Jugendlichen heute. Das mag daran liegen, dass ihn seine Arbeit mit jungen Musikern in einem Teen Rock Camp in Tennessee zu diesem ersten Jugendroman inspiriert hat. Und daran, dass er mit viel Herz schreibt. Ein bisschen Pathos bleibt da nicht aus, doch das macht nichts: Dies ist ein eingängig geschriebenes, emotionales Jungsbuch, und wer bei der Lektüre nicht irgendwann heult, der muss aus Stein sein.
Um die handlungs- und tränentreibenden Dramen nicht zu verraten, hier nur so viel: Natürlich geht es, wenn zwei Jungen und ein Mädchen befreundet sind, irgendwann auch um das Thema Liebe. Vor allem aber geht es darum, den richtigen Weg für das eigene Leben zu finden. Entkommt man einem Schicksal, das vorgezeichnet scheint? Muss arm bleiben, wer arm geboren wurde? Müssen Kinder für die Fehler der Eltern büßen? Das sind Fragen, die vor allem Dill beschäftigen. Über die Antworten, das zeigt dieser Entwicklungsroman, muss man schon ein wenig länger nachdenken. Um sie zu finden, braucht es nicht nur ein bisschen Hilfe von seinen Freunden, sondern auch den einen oder anderen Erwachsenen, der an einen glaubt. Dann steht irgendwann ein religiös geprägter Jugendlicher wie Dill vor seiner strengen, frommen Mutter – und widerspricht ihr. Denn er hat endlich begriffen: Er hat eine Wahl. (ab 13 Jahre)
ANTJE WEBER
Jeff Zentner: Zusammen sind wir Helden. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Carlsen Verlag, Hamburg 2018, 365 Seiten, 17,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensentin Judith Scholter lernt aus Jeff Zentners Jugendgeschichte um drei unterschiedliche Figuren, dass die Frage "Wer bin ich?" viele Antworten haben kann und die eigene Herkunft zwar das Leben lenken kann, aber nicht unbedingt bestimmen muss. Starkes Thema, schwierige Umsetzung, weiß Scholter. Doch wie der Autor seine drei Freunde in der kleinen amerikanischen Provinz vom großen Leben träumen lässt, wie er Beklemmung erzeugt, aber auch Hoffnung, das hat der Rezensentin gut gefallen. An Klischees vorbeischrammend schafft es der Autor, ein realistisches Bild vom Jungsein im amerikanischen Süden zu zeichnen, ohne das Thema aus dem Blick zu verlieren, lobt Scholter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Wer bei der Lektüre nicht irgendwann heult, der muss aus Stein sein.", Süddeutsche Zeitung, Antje Weber, 28.09.2018