Die wunderbare Absurdität des Hierseins
Ausdrucksstark und bildhaft beginnt Sandro Veronesi seinen Roman und erzählt so anfangs erst ein wenig über das beschauliche, in geordneten Bahnen verlaufende Leben des Dorfes. Und gerade die Schilderung dieses anfangs so beschaulichen, so vorhersehbaren
Lebens sorgt dafür, dass jetzt der Gänsehauteffekt einsetzt, als er urplötzlich auf das grauenhafte…mehrDie wunderbare Absurdität des Hierseins
Ausdrucksstark und bildhaft beginnt Sandro Veronesi seinen Roman und erzählt so anfangs erst ein wenig über das beschauliche, in geordneten Bahnen verlaufende Leben des Dorfes. Und gerade die Schilderung dieses anfangs so beschaulichen, so vorhersehbaren Lebens sorgt dafür, dass jetzt der Gänsehauteffekt einsetzt, als er urplötzlich auf das grauenhafte Geschehen umschwenkt. Die Stimmung ist plötzlich sehr geheimnisvoll, mysteriös und durch die Abgeschiedenheit des Dorfes wirkt die Story hier irgendwie auch gruselig.
Diese Szene beschreibt der Autor aus Sicht von Don Ermete, dem Dorfpfarrer, anschließend wechselt er zum Leben der Psychiaterin Giovanna. Und auch diese Szene ist äußerst verwirrend. In der Ich-Form beschreibt Sandro Veronesi die Gefühle von Giovanna als sie feststellen muss, dass eine fünfzehn Jahre alte Narbe an ihrem Finger wieder aufgebrochen ist. Als dann Giovanna aus dem Radio über das grausame Geschehen in San Giuda erfährt, sieht sie hier sofort einen Zusammenhang.
Und so wechselt die Geschichte ständig zwischen Giovanna und Don Ermete. Und man lernt so ihre Gedanken, ihre Gefühle und somit auch nach und nach etwas über ihr Leben kennen. Hierdurch stellt man schnell fest, dass Beide traumatische Erlebnisse in ihrer Vergangenheit hatten, die sie bis heute geprägt haben oder aber auch noch nicht verwunden haben. Dies alles vermittelt der Autor tiefschürfend, geheimnisvoll und anspruchsvoll, durchaus auch interessant, jedoch sehr spannungsarm.
Tja, und bald stellt man fest, dass zwar das grausame Geschehen im Wald von San Giuda der Dreh- und Angelpunkt des Romans ist, jedoch im Verlauf der Geschichte immer mehr in den Hintergrund rückt und das es sich hierbei definitiv nicht um einen Thriller handelt. Eher ist es eine Geschichte über Glaube und Vertrauen und über Schuld und Unschuld. Somit ist das Buch mehr eine Analyse über die Seelenwelt von Giovanna und Don Ermete, ihre Bewältigung mit ihrer Vergangenheit und die ständige Infragestellung ihrer Gefühle.
Keine Frage, der Sprachstil von Sandro Veronesi überzeugt von Anfang an, er sehr ausdrucksstark und durchaus anspruchsvoll. Doch die ständigen Analysen der Seelenwelt der Protagonisten ist teilweise extrem ausschweifend beschrieben und obwohl einen schon schnell klar ist, dass die Auflösung dieses seltsamen Geschehens im Wald von San Giuda keine logische Lösung haben kann und man somit lange rätselt, wie diese der Autor seinen Lesern präsentieren wird, verliert man doch recht bald die Lust am Lesen. Denn die Spannung verliert sich nach dem fulminanten Start extrem schnell und gerade die ständigen Telefonate zwischen Giovanna und ihrer Mutter haben mich irgendwann ziemlich angenervt. Ein wenig Spannung kam eigentlich für mich erst wieder zum Schluss auf, als Giovanna und Don Ermete gemeinsam in der Kirche versuchen, hinter das Geheimnis zu kommen. Aber da ist der Roman auch schon fast wieder fertig.
Fazit: Wer sich für Psychologie und Religiosität auf anspruchsvoller Ebene interessiert, liegt mit dem Roman sicherlich richtig. Wer jedoch einen Psychothriller erwartet, wird sehr enttäuscht sein.