Agustina Bazterrica
Broschiertes Buch
Wie die Schweine
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Marcos verantwortet die Produktion einer Schlachterei. Er kontrolliert die eingehenden Stücke, kümmert sich um den korrekten Schlachtvorgang, überprüft die Qualität, setzt die gesetzlichen Vorgaben um, verhandelt mit den Zulieferern ... Alles Routine, Tagesgeschäft, Normalität. Bis auf den Umstand, dass in der Welt, in der Marcos lebt, Menschen als Vieh zum Fleischverzehr gezüchtet werden.Dieser Roman hält uns Fleischfressern kompromisslos den Spiegel vor. Er stellt Fragen in den Raum - nach Moral, Empathie, den bestehenden Verhältnissen. Und er verschafft, was nur die Literatur vers...
Marcos verantwortet die Produktion einer Schlachterei. Er kontrolliert die eingehenden Stücke, kümmert sich um den korrekten Schlachtvorgang, überprüft die Qualität, setzt die gesetzlichen Vorgaben um, verhandelt mit den Zulieferern ... Alles Routine, Tagesgeschäft, Normalität. Bis auf den Umstand, dass in der Welt, in der Marcos lebt, Menschen als Vieh zum Fleischverzehr gezüchtet werden.
Dieser Roman hält uns Fleischfressern kompromisslos den Spiegel vor. Er stellt Fragen in den Raum - nach Moral, Empathie, den bestehenden Verhältnissen. Und er verschafft, was nur die Literatur verschafft: neue Einsichten, neue Gefühle, nachdem alle Argumente längst ausgetauscht sind.
Dieser Roman hält uns Fleischfressern kompromisslos den Spiegel vor. Er stellt Fragen in den Raum - nach Moral, Empathie, den bestehenden Verhältnissen. Und er verschafft, was nur die Literatur verschafft: neue Einsichten, neue Gefühle, nachdem alle Argumente längst ausgetauscht sind.
Agustina Bazterrica, geboren 1974 in Buenos Aires, traf mit der Veröffentlichung ihres Romans Wie die Schweine einen neuralgischen Punkt der argentinischen Kultur. Nach wochenlanger Platzierung auf der Bestsellerliste und der Verleihung des Premio Clarín, der wichtigsten literarischen Auszeichnung des Landes, gilt sie als eine der erfolgreichsten Autorinnen ihrer Generation. Im September 2024 erschien ihr Roman Die Nichtswürdigen, übersetzt von Matthias Strobel.
Produktdetails
- Suhrkamp Nova
- Verlag: Suhrkamp
- Originaltitel: Cadáver exquisito
- Artikelnr. des Verlages: ST 5023
- 4. Aufl.
- Seitenzahl: 236
- Erscheinungstermin: 20. Januar 2020
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 128mm x 25mm
- Gewicht: 286g
- ISBN-13: 9783518470237
- ISBN-10: 351847023X
- Artikelnr.: 56046051
Herstellerkennzeichnung
Suhrkamp Verlag
Torstraße 44
10119 Berlin
info@suhrkamp.de
Zeit der Kannibalen
Ein Bestseller über den Kapitalismus als Schlachthof
Dies ist kein realistischer Roman. Zum Glück. Die albtraumhafte Welt, von der die argentinische Schriftstellerin Agustina Bazterrica in "Wie die Schweine" erzählt, ist nicht unsere. Und doch muss man an manchen Stellen denken: Wäre da nicht dieses eine Detail, könnten die Dinge, die im Buch vorkommen, genauso in unserer Wirklichkeit stattfinden.
In Bazterricas Welt werden Menschen von Menschen gefressen. Das ist das Detail. Wie es dazu kommt, erfahren wir bereits auf den ersten Seiten: Als Regierungen und Medien weltweit melden, dass ein neuentdecktes Virus, das alle Tierarten befällt, auch für Menschen tödlich sein könnte, wird der
Ein Bestseller über den Kapitalismus als Schlachthof
Dies ist kein realistischer Roman. Zum Glück. Die albtraumhafte Welt, von der die argentinische Schriftstellerin Agustina Bazterrica in "Wie die Schweine" erzählt, ist nicht unsere. Und doch muss man an manchen Stellen denken: Wäre da nicht dieses eine Detail, könnten die Dinge, die im Buch vorkommen, genauso in unserer Wirklichkeit stattfinden.
In Bazterricas Welt werden Menschen von Menschen gefressen. Das ist das Detail. Wie es dazu kommt, erfahren wir bereits auf den ersten Seiten: Als Regierungen und Medien weltweit melden, dass ein neuentdecktes Virus, das alle Tierarten befällt, auch für Menschen tödlich sein könnte, wird der
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Konsum von Tierfleisch verboten und die gesamte Tierpopulation vernichtet. Doch der Hunger der Bevölkerung nach Fleisch ist unstillbar (und offensichtlich kommt niemand auf die Idee, jene Fleischersatzprodukte herzustellen, die in unserer Welt gerade immer beliebter werden). Also beginnen einige Menschen, heimlich Menschen zu töten und zu essen.
Zuerst geschieht dies illegal und mörderisch, in manchen Ländern verschwinden massenweise Immigranten, Obdachlose, Arme. Bald aber setzt die milliardenschwere Fleischindustrie, aus Mangel an Rohstoffen zum Stillstand gekommen, die Regierungen unter Druck: Und so wird die Produktion des sogenannten "Spezialfleischs" legalisiert. "Die Schlachthöfe und Regulierungen wurden angepasst. Es dauerte nicht lange, da wurden sie wie Vieh gezüchtet, um die massive Nachfrage zu stillen." Agustina Bazterricas Roman spielt in der nahen Zukunft, als seine Handlung einsetzt, ist der industrialisierte Kannibalismus nicht nur offiziell etabliert: Er ist vor allem vollkommen selbstverständlich geworden.
Marcos ist Produktionsleiter in einem der Schlachthöfe für "Spezialfleisch", der Roman begleitet ihn durch seinen Tag. Dass er seinen Job hasst, ist von Anfang an klar. Fast jeden Tag wacht Marcos aus Albträumen von "Blut, Gestank, Automatisierung" schweißgebadet auf: "Er weiß, dass ihn ein weiterer Tag erwartet, an dem er Menschen schlachten muss" - auch wenn niemand offen von "Menschen" sprechen darf, sondern nur von "Stücken", "Männchen", "Weibchen". Marcos glaubt, wie viele um ihn herum, dass es in Wirklichkeit gar kein Virus gibt, sondern dass es vielmehr eine Erfindung ist, um die Überbevölkerung zu stoppen. Menschen zu essen, die nicht in zweckmäßigen Farmen gezüchtet wurden, ist zwar immer noch illegal, wird aber nicht wirklich betraft, ein riesiger Schwarzmarkt ist entstanden.
Aber kündigen kann Marcos seinen Job trotzdem nicht, auch wenn er ihn hasst - weil er für seinen Vater sorgen muss. Dem hat früher jener Schlachthof gehört, in dem Marcos nun arbeitet, beim "Übergang" zum neuen System hat der Vater dann einen Nervenzusammenbruch erlitten. Marcos lebt ein Leben in Stumpfsinnigkeit und Apathie, sein Sohn ist noch als Baby gestorben, seine Ehe gescheitert. Im Grund ist seine Geschichte die bekannte eines angepassten Mannes in einer Welt, in der Lügen und Grausamkeit die Normalität sind - aber dann widerfährt diesem Mann etwas, das ihn aus der Gewöhnlichkeit seiner Tage reißt: Marcos bekommt ein lebendes Geschenk: ein "Weibchen", das er zu Hause züchten soll. Es könnte sein Leben ändern.
"Wie die Schweine" ist der zweite Roman von Agustina Bazterrica, die 1974 in Buenos Aires geboren wurde. Nach seinem Erscheinem im Jahr 2017 stand der Roman wochenlang auf den argentinischen Bestsellerlisten und gewann schließlich den Premio Clarín, einen der wichtigsten Literaturpreise Argentiniens. (Im Spanischen trägt das Buch übrigens einen passenderen Titel als im Deutschen, "Cadáver exquisito", nach der kollektiven Schreibmethode der Surrealisten, "Cadavre Exquis".)
Mit nüchternen, unaufgeregten Sätzen führt uns Bazterrica durch eine barbarische und groteske Welt. Ein Geschäftsnetzwerk hat sich um die neue Enährungsweise entwickelt, von den Farmen, auf denen Menschen gezüchtet werden, den Betrieben, in denen sie industriell geschlachtet werden, den Lederfabriken, wo ihre Haut für die Modebranche bearbeitet wird - bis zu den Jagdspielen, für die die stärksten Exemplare der Farmen bestimmt werden, zu den Experimenten mit lebendigen "Stücken", die eine gewisse Doktor Valka - von ihren Mitarbeitern heimlich "Doktor Mengele" genannt - in einem Labor durchführt, und zuletzt zu den Fleischereien, in denen sich Verkäufer und Kunden über die besten Stücke fürs Mittagessen unterhalten.
Ohne Zweifel, kein angenehmes Buch. Das oft sogar Ekel hervorruft, Erschrecken und zugleich dennoch eine morbide Neugier. Die makabre Anziehungskraft rührt nicht zuletzt daher, dass Bazterricas grausame neue Welt, so monströs, wie sie ist, uns doch immer wieder bekannt vorkommt. Das ist beunruhigend - und eine der Stärken des Buches.
Dabei wirkt dieser dystopische Roman zunächst eher konventionell. Er erinnert an Ray Bradburys berühmtes "Fahrenheit 451" aus dem Jahr 1953, über eine Welt, in der Bücher verboten sind, und einen desillusionierten Feuerwehrmann, der sich dagegen wehrt, seinen Job zu tun, also jedes Buch, das er aufspüren kann, zu verbrennen - ein Akt des zivilen Ungehorsams, der die Perspektive auf eine andere Welt öffnet. Auch Marcos, der Schlächter, stellt das System, in dem er selbst eine so aktive Rolle spielt, mehr und mehr in Frage. Handelt "Wie die Schweine" also von der Wiederentdeckung der Menschlichkeit? Der Eindruck täuscht: Nach und nach wird nämlich klar, dass der Roman - im Unterschied eben zu den Konventionen des dystopischen Genres - etwas anderes verspricht als ein Erwachen des "Helden" und seiner Welt. Bei einem so heftigen Buch wie diesem wünscht man sich nichts anderes als eine Form der Erlösung. Aber der Schluss ist verblüffend. Denn Bazterrica bleibt konsequent, was hier heißt: gnadenlos.
An manchen Stellen des Romans zeigt sich etwas zu plakativ die Absicht der Autorin, ihr Publikum zu schockieren. Und doch wirkt die Entscheidung der Autorin, uns den Wunsch nach einer beruhigenden Heldenreise zu verwehren, auf gespenstige Weise erfrischend. Bewohnen wir doch selbst Realitäten, die sich manchmal wie ausgedachte Dystopien anfühlen können, und vermuten, dass funktionelle Ordnungen - auch wenn sie auf Ungerechtigkeit und Rohheit fußen - leider nicht leicht zu demontieren sind.
Im Jahr 1729 veröffentlichte Jonathan Swift eine Satire gegen den englischen Imperialismus, sie ist weltberühmt geworden: "Ein bescheidener Vorschlag, wie Kinder armer Leute zum Wohle des Staates am besten benutzt werden können" empfiehlt den Kannibalismus zur demographischen Kontrolle Irlands. Ein prominenter Einfluss auf diesen Roman, Bazterrica weist fast wortgetreu darauf hin. Die Schriftstellerin zehrt auch von einer - innerhalb Lateinamerikas - spezifisch argentinischen Tradition, die sich vom sogenannten "Magischen Realismus" abgrenzt, unter dem man so oft die gesamte lateinamerikanische Literatur der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu erfassen glaubt: Das Genre der phantastischen Literatur hat - auf Jorge Luis Borges folgend - Autoren wie Adolfo Bioy Casares oder César Aira geprägt und bizarre oder grässliche alternative Realitäten erträumt.
Vor allem aber gehört Agustina Bazterrica einer neuen Generation von Erzählerinnen an, die einige der originellsten und erschütterndsten Werke der heutigen Literatur Lateinamerikas hervorbringen: wie Lina Meruane aus Chile, Karina Sainz Borgo aus Venezuela, Samanta Schweblin aus Argentinien oder Valeria Luiselli aus Mexiko.
Woher auch immer die Einflüsse stammen: Ihr Roman über "Menschen, die sich gegenseitig fressen", hat Agustina Bazterrica erklärt, soll eine Realität widerspiegeln, "in der dieses gegenseitige Fressen schon seit langem stattfindet, wenn auch nur symbolisch". Es handelte sich um die Realität des Kapitalismus, der "ein Schlachthaus ist". Als allgemeine Kapitalismuskritik ist Bazterricas Allegorie sicher interessant: Aber seine wirklich aufwühlende Wirkung entfaltet dieser Roman, setzt man ihn in Beziehung zum menschlichen Umgang mit Tieren.
Die Welt, in der "Wie die Schweine" spielt, mag nicht unsere sein. Doch die grauenvollen Prozeduren der Aufzucht und Tötung, die hier fachmännisch geschildert werden, sind nicht ausgedacht. Was der Roman vorführt - zwar auf zugespitzte und, weil auf Menschen projiziert, bestürzende Weise - sind nichts anderes als die real existierenden Umstände der modernen Fleischproduktion. Die ja immer noch einen wichtigen Teil der weltweiten Wirtschaft ausmacht.
Und bedenkt man dann, dass dieser Roman aus Argentinien kommt, wo Fleischkonsum so etwas wie nationale Leitkultur ist, erkennt man noch deutlicher seine eigentliche, ungemütliche Frage: Wie grausam wollen wir sein, um unseren Hunger zu stillen?
HERNÁN D. CARO
Agustina Bazterrica: "Wie die Schweine". Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Suhrkamp. 237 Seiten, 15,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zuerst geschieht dies illegal und mörderisch, in manchen Ländern verschwinden massenweise Immigranten, Obdachlose, Arme. Bald aber setzt die milliardenschwere Fleischindustrie, aus Mangel an Rohstoffen zum Stillstand gekommen, die Regierungen unter Druck: Und so wird die Produktion des sogenannten "Spezialfleischs" legalisiert. "Die Schlachthöfe und Regulierungen wurden angepasst. Es dauerte nicht lange, da wurden sie wie Vieh gezüchtet, um die massive Nachfrage zu stillen." Agustina Bazterricas Roman spielt in der nahen Zukunft, als seine Handlung einsetzt, ist der industrialisierte Kannibalismus nicht nur offiziell etabliert: Er ist vor allem vollkommen selbstverständlich geworden.
Marcos ist Produktionsleiter in einem der Schlachthöfe für "Spezialfleisch", der Roman begleitet ihn durch seinen Tag. Dass er seinen Job hasst, ist von Anfang an klar. Fast jeden Tag wacht Marcos aus Albträumen von "Blut, Gestank, Automatisierung" schweißgebadet auf: "Er weiß, dass ihn ein weiterer Tag erwartet, an dem er Menschen schlachten muss" - auch wenn niemand offen von "Menschen" sprechen darf, sondern nur von "Stücken", "Männchen", "Weibchen". Marcos glaubt, wie viele um ihn herum, dass es in Wirklichkeit gar kein Virus gibt, sondern dass es vielmehr eine Erfindung ist, um die Überbevölkerung zu stoppen. Menschen zu essen, die nicht in zweckmäßigen Farmen gezüchtet wurden, ist zwar immer noch illegal, wird aber nicht wirklich betraft, ein riesiger Schwarzmarkt ist entstanden.
Aber kündigen kann Marcos seinen Job trotzdem nicht, auch wenn er ihn hasst - weil er für seinen Vater sorgen muss. Dem hat früher jener Schlachthof gehört, in dem Marcos nun arbeitet, beim "Übergang" zum neuen System hat der Vater dann einen Nervenzusammenbruch erlitten. Marcos lebt ein Leben in Stumpfsinnigkeit und Apathie, sein Sohn ist noch als Baby gestorben, seine Ehe gescheitert. Im Grund ist seine Geschichte die bekannte eines angepassten Mannes in einer Welt, in der Lügen und Grausamkeit die Normalität sind - aber dann widerfährt diesem Mann etwas, das ihn aus der Gewöhnlichkeit seiner Tage reißt: Marcos bekommt ein lebendes Geschenk: ein "Weibchen", das er zu Hause züchten soll. Es könnte sein Leben ändern.
"Wie die Schweine" ist der zweite Roman von Agustina Bazterrica, die 1974 in Buenos Aires geboren wurde. Nach seinem Erscheinem im Jahr 2017 stand der Roman wochenlang auf den argentinischen Bestsellerlisten und gewann schließlich den Premio Clarín, einen der wichtigsten Literaturpreise Argentiniens. (Im Spanischen trägt das Buch übrigens einen passenderen Titel als im Deutschen, "Cadáver exquisito", nach der kollektiven Schreibmethode der Surrealisten, "Cadavre Exquis".)
Mit nüchternen, unaufgeregten Sätzen führt uns Bazterrica durch eine barbarische und groteske Welt. Ein Geschäftsnetzwerk hat sich um die neue Enährungsweise entwickelt, von den Farmen, auf denen Menschen gezüchtet werden, den Betrieben, in denen sie industriell geschlachtet werden, den Lederfabriken, wo ihre Haut für die Modebranche bearbeitet wird - bis zu den Jagdspielen, für die die stärksten Exemplare der Farmen bestimmt werden, zu den Experimenten mit lebendigen "Stücken", die eine gewisse Doktor Valka - von ihren Mitarbeitern heimlich "Doktor Mengele" genannt - in einem Labor durchführt, und zuletzt zu den Fleischereien, in denen sich Verkäufer und Kunden über die besten Stücke fürs Mittagessen unterhalten.
Ohne Zweifel, kein angenehmes Buch. Das oft sogar Ekel hervorruft, Erschrecken und zugleich dennoch eine morbide Neugier. Die makabre Anziehungskraft rührt nicht zuletzt daher, dass Bazterricas grausame neue Welt, so monströs, wie sie ist, uns doch immer wieder bekannt vorkommt. Das ist beunruhigend - und eine der Stärken des Buches.
Dabei wirkt dieser dystopische Roman zunächst eher konventionell. Er erinnert an Ray Bradburys berühmtes "Fahrenheit 451" aus dem Jahr 1953, über eine Welt, in der Bücher verboten sind, und einen desillusionierten Feuerwehrmann, der sich dagegen wehrt, seinen Job zu tun, also jedes Buch, das er aufspüren kann, zu verbrennen - ein Akt des zivilen Ungehorsams, der die Perspektive auf eine andere Welt öffnet. Auch Marcos, der Schlächter, stellt das System, in dem er selbst eine so aktive Rolle spielt, mehr und mehr in Frage. Handelt "Wie die Schweine" also von der Wiederentdeckung der Menschlichkeit? Der Eindruck täuscht: Nach und nach wird nämlich klar, dass der Roman - im Unterschied eben zu den Konventionen des dystopischen Genres - etwas anderes verspricht als ein Erwachen des "Helden" und seiner Welt. Bei einem so heftigen Buch wie diesem wünscht man sich nichts anderes als eine Form der Erlösung. Aber der Schluss ist verblüffend. Denn Bazterrica bleibt konsequent, was hier heißt: gnadenlos.
An manchen Stellen des Romans zeigt sich etwas zu plakativ die Absicht der Autorin, ihr Publikum zu schockieren. Und doch wirkt die Entscheidung der Autorin, uns den Wunsch nach einer beruhigenden Heldenreise zu verwehren, auf gespenstige Weise erfrischend. Bewohnen wir doch selbst Realitäten, die sich manchmal wie ausgedachte Dystopien anfühlen können, und vermuten, dass funktionelle Ordnungen - auch wenn sie auf Ungerechtigkeit und Rohheit fußen - leider nicht leicht zu demontieren sind.
Im Jahr 1729 veröffentlichte Jonathan Swift eine Satire gegen den englischen Imperialismus, sie ist weltberühmt geworden: "Ein bescheidener Vorschlag, wie Kinder armer Leute zum Wohle des Staates am besten benutzt werden können" empfiehlt den Kannibalismus zur demographischen Kontrolle Irlands. Ein prominenter Einfluss auf diesen Roman, Bazterrica weist fast wortgetreu darauf hin. Die Schriftstellerin zehrt auch von einer - innerhalb Lateinamerikas - spezifisch argentinischen Tradition, die sich vom sogenannten "Magischen Realismus" abgrenzt, unter dem man so oft die gesamte lateinamerikanische Literatur der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu erfassen glaubt: Das Genre der phantastischen Literatur hat - auf Jorge Luis Borges folgend - Autoren wie Adolfo Bioy Casares oder César Aira geprägt und bizarre oder grässliche alternative Realitäten erträumt.
Vor allem aber gehört Agustina Bazterrica einer neuen Generation von Erzählerinnen an, die einige der originellsten und erschütterndsten Werke der heutigen Literatur Lateinamerikas hervorbringen: wie Lina Meruane aus Chile, Karina Sainz Borgo aus Venezuela, Samanta Schweblin aus Argentinien oder Valeria Luiselli aus Mexiko.
Woher auch immer die Einflüsse stammen: Ihr Roman über "Menschen, die sich gegenseitig fressen", hat Agustina Bazterrica erklärt, soll eine Realität widerspiegeln, "in der dieses gegenseitige Fressen schon seit langem stattfindet, wenn auch nur symbolisch". Es handelte sich um die Realität des Kapitalismus, der "ein Schlachthaus ist". Als allgemeine Kapitalismuskritik ist Bazterricas Allegorie sicher interessant: Aber seine wirklich aufwühlende Wirkung entfaltet dieser Roman, setzt man ihn in Beziehung zum menschlichen Umgang mit Tieren.
Die Welt, in der "Wie die Schweine" spielt, mag nicht unsere sein. Doch die grauenvollen Prozeduren der Aufzucht und Tötung, die hier fachmännisch geschildert werden, sind nicht ausgedacht. Was der Roman vorführt - zwar auf zugespitzte und, weil auf Menschen projiziert, bestürzende Weise - sind nichts anderes als die real existierenden Umstände der modernen Fleischproduktion. Die ja immer noch einen wichtigen Teil der weltweiten Wirtschaft ausmacht.
Und bedenkt man dann, dass dieser Roman aus Argentinien kommt, wo Fleischkonsum so etwas wie nationale Leitkultur ist, erkennt man noch deutlicher seine eigentliche, ungemütliche Frage: Wie grausam wollen wir sein, um unseren Hunger zu stillen?
HERNÁN D. CARO
Agustina Bazterrica: "Wie die Schweine". Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Suhrkamp. 237 Seiten, 15,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die makabre Anziehungskraft rührt nicht zuletzt daher, dass Bazterricas grausame neue Welt, so monströs, Me sie ist, uns doch immer wieder bekannt vorkommt. Das ist beunruhigend - und eine der Stärken des Buches.« Hernán D. Caro Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20200308
Die Argentinierin Agustina Bazterrica zeichnet eine erschreckende Zukunft. Erschreckend grausam und unmenschlich und zugleich dennoch erschreckend vorstellbar: Ein Virus macht Rind, Schwein, Geflügel & co. ungenießbar für den menschlichen Verzehr, und so muss …
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Die Argentinierin Agustina Bazterrica zeichnet eine erschreckende Zukunft. Erschreckend grausam und unmenschlich und zugleich dennoch erschreckend vorstellbar: Ein Virus macht Rind, Schwein, Geflügel & co. ungenießbar für den menschlichen Verzehr, und so muss "Spezialfleisch" her - Menschen, die gezüchtet werden, um als Speise auf dem Teller anderer Menschen zu landen.
Thematisch ist dies fürwahr keine leichte Kost, und doch entwickelt die Geschichte eine große Sogwirkung. Einerseits führt uns Bazterrica die Brutalität unserer heutigen Massentierhaltung vor Augen, denn die von ihr geschilderten Szenen in den Schlachthöfen sind größtenteils real, nur eben mit Schweinen und Rindern statt mit menschlichem Schlachtvieh.
Andererseits zeigt die Autorin geschickt auf, wie totalitäre Regime anhand von Sprachvorgaben Menschen entmenschlichen und dadurch Verbrechen zunächst denkbarer und schließlich gesellschaftlich akzeptabel werden. Moralisch-ethische Grenzen werden überschritten - wie etwa aktuell auch in Tschechien, wo Buchläden das antisemitische Kinderbuch "Der Giftpilz" wieder vertreiben, in dem Juden als giftige Gewächse verunglimpft werden.
Außerordentlich gut gelungen ist auch das Cover : Wie ein Stück abgepacktes Fleisch in der Kühltheke des Supermarkts kommt das Paperback daher. Titel und Autorin sind wie in ein Etikett eingedruckt, hier ist alles stimmig bis ins kleinste Detail, einschließlich der realen Gewichtsangabe des Buches, seines Preises und des "100 % Mensch"-Piktogramms.
Fazit: große Literatur, die ganz große Fragen aufwirft und Alltägliches in neuem Licht erscheinen lässt. Unbedingt lesen!
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„Wie die Schweine“ ist ein Roman, der klar auf Schock ausgerichtet ist. Die Autorin möchte Entsetzen erzeugen, die Menschen anregen nachzudenken. Dabei schreckt sie weder vor bildhaften, brutalen Szenen zurück, noch vor einigen Passagen, in denen die Gefühle die Hauptfigur …
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„Wie die Schweine“ ist ein Roman, der klar auf Schock ausgerichtet ist. Die Autorin möchte Entsetzen erzeugen, die Menschen anregen nachzudenken. Dabei schreckt sie weder vor bildhaften, brutalen Szenen zurück, noch vor einigen Passagen, in denen die Gefühle die Hauptfigur Marcos schier übermannen. Er arbeitet als rechte Hand eines Schlachthof-Besitzers und kümmert sich um Zulieferer, Kunden aber auch den Schlachtbetrieb als solchen. Man begleitet ihn während des Lesens in kurzen Kapiteln und einer neutralen Erzählweise durch seinen Alltag. Einen Alltag, der ihn nach einem persönlichen Schicksalsschlag nur noch anekelt, da sich sein komplettes Sein fast ausschließlich um den Tod (bzw. um das Kind beim Namen zu nennen: um die Ermordung von Menschen!) dreht.
Die Geschichte spielt dabei in einem Argentinien, das der Zensur unterliegt. Regiert von einem Regime, das keine Kritiker zulässt. Sollte man das Schlachten von „Stücken“ als Mord bezeichnen oder gar von Kannibalismus reden, landet man selbst auf dem Teller seiner Mitbürger. Grund für all diese Abscheulichkeiten ist ein Virus, mit dem sich alle Tiere weltweit infiziert haben. Ein Virus, der für die Menschen tödlich endet – egal, ob sie das Fleisch der infizierten Tiere essen oder von ihnen gekratzt oder gebissen werden. Als Vorsichtsmaßnahme wurden aus diesem Grund alle Tiere getötet: Haustiere, Nutztiere, Wildtiere - alle Tiere, die man auffinden konnte. Marcos jedoch vermutet, dass der Virus von der Regierung erfunden ist oder gezielt in Umlauf gebracht wurde, um sich durch den Verzehr von „Spezialfleisch“ auch von Problemen wie Überbevölkerung und Armut loszusagen.
„Wie die Schweine“ zeigt auf, was wir Menschen schon jahrelang den Tieren antun und hält unserer Konsumgesellschaft erschreckend realitätsnah einen Spiegel vor! Es gibt im Roman so viele „interessante“ Einblicke in diese grausame Zukunftsversion, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Katastrophale Haltungsbedingungen, Besamungen, Melkmaschinen, Wachstumshormone, Labor-Versuche, Schlachthof-Bewerber, die Spaß am Töten empfinden… ein Schockmoment jagte wirklich den nächsten. Es gibt Jagdreviere, in denen nun statt Tieren „Stücke“ gejagt werden – am liebsten sind den Jägern trächtige Weibchen, da diese sich mehr wehren (ekelhaft!). Selbst alte Menschen werden in dieser dystopischen Welt nicht mehr auf dem Friedhof bestattet. Es gibt nur noch Scheinbestattungen, da selbst Friedhöfe von Aasfressern geplündert wurden. Besonders wohlhabende Personen halten sich Heimstücke, die sie dann nach und nach essen. Das heißt auf gut deutsch: In einer gekühlten Vorratskammer steht ein lebendes „Stück“, dem man heute einen Arm abschneidet und in der nächsten Woche ein nächstes Körperteil, um möglichst frisches Spezialfleisch auf den Tisch zu bringen! Es ist echt ein krank!
Ich weiß nicht, ob ich froh oder traurig war, als der Roman endete. Ein bisschen von beidem vermutlich. Froh, weil das Schrecken ein Ende hatte; traurig, weil dieses Buch echt großartige Literatur und Gesellschaftskritik ist. Das Ende hat mich überrascht – auch wenn ich mir noch mehr Informationen zum Fortgang gewünscht hätte und die Geschichte auf keinen Fall auserzählt scheint, so war ich doch sehr angetan vom kompletten Roman!
„Wie die Schweine“ regt zum Nachdenken an – auf sehr vielen verschiedenen Ebenen. Politik,Tierhaltung und Tierwohl, Profitgier, Konsumverhalten, Armut, Überbevölkerung, Moral und Ethik. All das spielt eine Rolle und trotzdem ist es ein spannender Roman, der beim Lesen mitfühlen und mitfiebern lässt. Von mir gibt es eine eindeutige Leseempfehlung, für alle, die sich diese Themen zutrauen. Ich habe mein erstes großes Jahreshighlight gefunden!
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Dass mit dem Konsum von Fleisch, insbesondere mit dessen Herstellung, etwas bei uns im Argen liegt, ist ja bereits länger bekannt. Und auch andere Länder haben offenbar so ihre Schwierigkeiten damit. Denn dieses Buch, das die Gier der Menschen nach Fleisch auf eine allerhöchste Spitze …
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Dass mit dem Konsum von Fleisch, insbesondere mit dessen Herstellung, etwas bei uns im Argen liegt, ist ja bereits länger bekannt. Und auch andere Länder haben offenbar so ihre Schwierigkeiten damit. Denn dieses Buch, das die Gier der Menschen nach Fleisch auf eine allerhöchste Spitze treibt, ist in Argentinien erschienen, wo es ausgezeichnet wurde und wochenlang auf der Bestsellerliste stand.
Marco ist der stellvertretende Chef eines Schlachthofes. Doch dort werden keine Tiere mehr geschlachtet, da alle ein Virus befiel, der für den Menschen tödlich ist. Die Gier nach Fleisch ist jedoch ungebrochen, so dass, zuerst heimlich, mit Zustimmung der Regierung mit der Züchtung von menschlichem Fleisch begonnen wurde. Diejenigen, die es sich leisten können, kaufen es sich in offiziellen Metzgereien; die anderen versuchen ihr Glück auf dem Schwarzmarkt oder auch auf Friedhöfen.
Was sich so makaber anhört, führt Agustina Bazterrica bis ins Detail aus: die Anlieferung in den Schlachthof, die Ruhigstellung (Stress macht das Fleisch schlecht), das Betäuben, das Köpfen und Ausbluten, usw. Was heute die tägliche Routine beispielsweise bei Schweinen ist, wird in diesem Buch an Menschen vollzogen, was einem die Rohheit und Grausamkeit dieses Tuns überdeutlich macht.
Marco ist nicht immun gegenüber diesem Grauen, das er täglich vor Augen hat. Und durch den plötzlichen Tod seines eben erst geborenen Sohnes und dem Weggang seiner Ehefrau erkennt er das entsetzliche Leid der zu schlachtenden Stücke (wie diese Menschen umschrieben werden) um einiges deutlicher. Der Zwiespalt zwischen seiner Arbeit und seinem Bedürfnis nach Empathie und Zuwendung werden immer größer. Und um ihn herum erkennt er die zusehende Verrohung der Gesellschaft.
'Wie die Schweine' ist wirklich keine leichte und unterhaltsame Lektüre. Obwohl die Autorin in einem völlig nüchternen klaren Stil schreibt, ist das Buch eklig, grausam und brutal - und stellt ein extrem übersteigertes Abbild unserer Gesellschaft dar. Grandios gemacht!
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