Broschiertes Buch
Vielfalt
Das andere Wörterbuch. 100 Wörter - 100 Menschen - 100 Beiträge
Herausgegeben: Pertsch, Sebastian
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Diversität spiegelt sich inzwischen auch sprachlich in einer großen Anzahl an Begriffen wider. Aber welche davon werden im Diskurs und in den Medien wirklich verwendet, wenn es um das Thema Diversity geht? Kann man noch "Behinderte" sagen oder ist nur noch "Menschen mit Behinderungen" angemessen? Was wünschen sich die Betroffenen? Wie steht es um "woke", das auf soziale Ungerechtigkeit und Rassismus hinweist, in rechten Kreisen aber fälschlich synonym für links steht? Und welche Begriffe sollten Sie als Fachleute oder Laien wirklich kennen? Dazu gehören "Ableismus", "TERF" und auch "Klas...
Diversität spiegelt sich inzwischen auch sprachlich in einer großen Anzahl an Begriffen wider. Aber welche davon werden im Diskurs und in den Medien wirklich verwendet, wenn es um das Thema Diversity geht? Kann man noch "Behinderte" sagen oder ist nur noch "Menschen mit Behinderungen" angemessen? Was wünschen sich die Betroffenen? Wie steht es um "woke", das auf soziale Ungerechtigkeit und Rassismus hinweist, in rechten Kreisen aber fälschlich synonym für links steht? Und welche Begriffe sollten Sie als Fachleute oder Laien wirklich kennen? Dazu gehören "Ableismus", "TERF" und auch "Klassismus". Welche Diversity-Begriffe müssten hingegen eigentlich längst bekannt sein, sind es aber noch nicht? Dazu gehören "queer", "marginalisiert", "Misogynie" und "Inklusion". Die Dudenredaktion lässt 100 namhafte Fachleute, die häufig auch einen persönlichen und/oder beruflichen Bezug zum Thema haben, 100 Wörter erklären. Es schreiben u.a. Ferda Ataman, Raúl Krauthausen, Natascha Strobl, Marina Weisband und Christian Stöcker.
Produktdetails
- Duden - Sachbuch
- Verlag: Duden / Duden / Bibliographisches Institut
- Artikelnr. des Verlages: 8906
- Seitenzahl: 272
- Erscheinungstermin: 11. Dezember 2023
- Deutsch
- Abmessung: 213mm x 147mm x 22mm
- Gewicht: 520g
- ISBN-13: 9783411756018
- ISBN-10: 3411756012
- Artikelnr.: 67660911
Herstellerkennzeichnung
Bibliograph. Instit. GmbH
Mecklenburgische Straße 53
14197 Berlin
info@cvk.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Krischke ist erbost über das "andere" Wörterbuch der Dudenredaktion, das in die Begrifflichkeiten von (Gender-)Diversity einführen will. Dabei stört sich der Kritiker offensichtlich schon an den Grundannahmen, die dieser Herausgabe zugrunde liegen, wenn er etwa vom in genderaktivistischen Milieus verbreiteten "Glauben" daran spricht, dass der Diskurs die Realität forme, oder von der "Überzeugung", die geschlechtliche Identität sei weniger biologisch gesetzt als sozial geformt. Konkret auf das Buch und seinen Aufbau bezogen kritisiert er, dass die Artikel mit je einer kurzen Definition und einem Text nicht ernsthaft an Kommunikation bzw. Vermittlung durch
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Sprache, sondern an Identitätspolitik interessiert seien; er unterstellt dem Band hier "Propaganda" und den Autor*innen, die keinen sprachwissenschaftlichen, sondern etwa einen aktivistischen oder publizistischen Hintergrund haben, eine Unfähigkeit, sich außerhalb ihrer Bubble verständlich zu machen: "Spezialjargon durch Spezialjargon" zu erklären, funktioniere nicht, spöttelt Krischke. Auch mit den im Buch erklärten Konzepten wie "Othering" oder "kritischem Weißsein" kann der Kritiker nichts anfangen und hält mit - zum Teil selbst einigermaßen verdrehten - Beispielen dagegen. Ein die "Vielfalt" nur behauptendes, dabei der "Parteilichkeit" und Identitätspolitik verfallendes Buch und schlicht "untaugliches" Nachschlagewerk, wütet Krischke.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Bloß weg mit den Hater*innen
Ein Wörterbuch zum Thema "Vielfalt" möchte mit Diversity-Begriffen bekannt machen
Wissen Sie, was "TERF", "Ableismus", "Bodyneutrality", "Klassismus" oder "FLINTA" bedeutet? Nein? Dann haben Sie dringenden Lernbedarf, denn diese Wörter gehören zu einer langen Reihe von "Diversity-Begriffen", die "Sie als Fachleute oder Laien wirklich kennen" sollten. Das jedenfalls findet der Dudenverlag und bietet zum Füllen der Wissenslücken "das andere Wörterbuch" mit hundert Stichwörtern zum Thema "Vielfalt". Neben Ausdrücken der Alltagssprache wie "Chancengleichheit", "Digitalisierung" oder "Mobilität" stehen viele Wörter, die zum Kernbestand eines Soziolekts gehören, der sich in den vergangenen
Ein Wörterbuch zum Thema "Vielfalt" möchte mit Diversity-Begriffen bekannt machen
Wissen Sie, was "TERF", "Ableismus", "Bodyneutrality", "Klassismus" oder "FLINTA" bedeutet? Nein? Dann haben Sie dringenden Lernbedarf, denn diese Wörter gehören zu einer langen Reihe von "Diversity-Begriffen", die "Sie als Fachleute oder Laien wirklich kennen" sollten. Das jedenfalls findet der Dudenverlag und bietet zum Füllen der Wissenslücken "das andere Wörterbuch" mit hundert Stichwörtern zum Thema "Vielfalt". Neben Ausdrücken der Alltagssprache wie "Chancengleichheit", "Digitalisierung" oder "Mobilität" stehen viele Wörter, die zum Kernbestand eines Soziolekts gehören, der sich in den vergangenen
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drei Jahrzehnten in einem Milieu herausgebildet hat, das von Identitätspolitik und Genderaktivismus geprägt ist. Viele dieser Begriffe und die mit ihnen verknüpften Weltanschauungen haben ihren Ursprung im Umfeld amerikanischer Universitäten. So erklärt sich die hohe Zahl an Anglizismen ("Blackfacing", "Othering", "woke") und Lehnübersetzungen ("kritisches Weißsein", "Intersektionalität").
Am Anfang jedes Wörterbucheintrags steht eine Kurzdefinition der Dudenredaktion, dann folgt ein zweiseitiger Text. Die Autoren - jeder Artikel stammt aus einer anderen Feder - sind in den meisten Fällen keine Sprachwissenschaftler, sondern mit den Feldern, über die sie schreiben, beruflich, als Aktivisten, Verbandsvertreter, Lobbyisten oder sympathisierende Publizisten verbunden. Dass die Texte durchgängig gegendert sind und dieser Sprachgebrauch unter dem entsprechenden Stichwort positiv bewertet wird, bedarf angesichts dieser Voreinstellungen kaum noch der Erwähnung.
Schlägt man nun beispielsweise unter "FLINTA" nach, erfährt man, dass es eine Sammelbezeichnung ist "für Frauen, Lesben (auch: FrauenLesben), inter à nicht binäre, à trans* und ageschlechtliche (auch: agender) Menschen". Diese Gruppen würden "in einem patriarchalen und endo-cis-sexistischen System" benachteiligt. Wer sich in dem Akronym nicht richtig enthalten fühle, könne das durch ein Sternchen kompensieren: FLINTA*. Zu bedenken sei auch, dass das L in FLINTA sich "weniger auf eine sexuelle/romantische Orientierung als auf deren gesellschaftliche Verknüpfung mit geschlechtlichen Normen und die daraus folgenden möglichen Auswirkungen auf lesbische Personen" beziehe.
Nicht nur in diesem Wörterbuchartikel wird versucht, den Spezialjargon durch Spezialjargon zu erläutern. Darin zeigt sich nicht nur die mangelnde Fähigkeit der Insider-Autoren, sich Lesern außerhalb ihrer Welt verständlich zu machen. Deutlich wird auch die Hermetik einer Sprache, die nicht auf Kommunikation, sondern auf Präsentation der eigenen Identität und Kleingruppenzugehörigkeit ausgelegt ist. Grundlage der diversitätspolitischen Nomenklatur ist die Überzeugung, dass die geschlechtliche Identität wenig bis nichts mit den Chromosomen zu tun hat, sondern eine soziale Rolle ist, in die man schlüpfen und die man wechseln kann.
Die daraus resultierende "Fluidität" macht nun aber Geschlechtskategorien nicht überflüssig. Sie vervielfacht sie vielmehr, denn angesichts eines sich immer weiter auffächernden Spektrums steigt das Bedürfnis, sich selbst in dieser Unübersichtlichkeit sprachlich zu verorten und die sexuelle Orientierung zum Kernbestandteil der persönlichen Identität zu erheben. Der unter Diversitätsaktivisten verbreitete Glaube, dass "der Diskurs" die Realität forme, verleiht diesen verbalen Konstrukten eine zusätzliche Schlüsselrolle.
Je feiner die Gender-Nuancen werden, desto größer ist auch das Bedürfnis nach sprachlich fixierter Abgrenzung. Manche Begrifflichkeiten erinnern an die Etikettierungen des Stalinismus zur Markierung der unterschiedlichen "Abweichler" von der jeweils gültigen Parteilinie. Ein Beispiel ist das Akronym TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminist), eine meistens negativ gemeinte Bezeichnung für "Feminist*innen, die trans* Personen aus ihrem Feminismusverständnis ausschließen".
Die bekannteste als "TERF" angeprangerte Person ist Joanne K. Rowling. Die "Harry Potter"-Autorin hat sich in der Transgenderszene viele Feinde gemacht, weil sie die Bedeutung der Biologie für die Geschlechtszuordnung betont und es ablehnt, "Frauen" durch "menstruierende Menschen" zu ersetzen. Dies auch deshalb, weil sie befürchtet, "Transfrauen", die biologisch Männer seien, würden Frauen in Schutzräumen wie Umkleiden oder Toiletten gefährden. Rowling wurde dafür nicht nur "kritisiert", wie es im betreffenden Wörterbuchartikel heißt, sondern sie erhielt zahlreiche Morddrohungen. Die Autorin des Wörterbucheintrags gibt Rowlings Gegnern indes recht. Die Befürchtung, geschützte Räume für Frauen seien gefährdet, entbehrt ihr zufolge jeder Grundlage. Dafür verweist sie auf eine Studie, die 2019 in Massachusetts zu diesem Thema durchgeführt wurde. Was sie nicht erwähnt, ist, dass diese Studie wegen grundlegender empirischer und methodischer Mängel in der Kritik steht, sodass an ihrer Beweiskraft erhebliche Zweifel angebracht sind.
Die meisten Wörterbuchartikel sind durch solche Parteilichkeit gekennzeichnet. Die Autoren haben nicht die nötige Distanz, um unvoreingenommene Informationen über die politischen Hintergründe und Gebrauchsweisen der Wörter und ihre - oft umstrittenen - weltanschaulichen Voraussetzungen zu liefern. Stattdessen dienen die Stichwörter als Aufhänger, um eine Identitätspolitik zu propagieren, deren Kern ein empfundener Minderheiten- und Opferstatus ist, der vor allem Migranten, Transgenderpersonen, religiöse Minderheiten und andere von Aktivisten der Diversitätspolitik anerkannte Gruppen umfasst.
Eine solche Identität samt Wertekanon ist von jedermann fraglos zu akzeptieren; über sie äußern darf sich aber nur der Identitätseigentümer selbst. Wird er hingegen von einem Mitglied der Mehrheitsgesellschaft nach ihr gefragt - "Woher kommen Sie?" -, liegt ein Fall von "Othering" vor. Dazu erfährt man unter dem entsprechenden Stichwort, dass hierdurch Personen als andere, Fremde "konstruiert und hervorgebracht" und dadurch abgewertet werden. Dass die Frage nach der Herkunft ein Ausdruck von Offenheit, Neugier und interessierter Anteilnahme sein könnte, kommt der Autorin nicht in den Sinn.
Außerhalb diversitätspolitischer Fürsorge steht, wer weiß ist. Er lernt im Eintrag "kritisches Weißsein", dass er als Träger dieser Hautfarbe von Geburt an automatisch "privilegiert" ist. Selbst wenn er besten Willen zeigt - schon durch seine bloße Existenz wirkt er als Unterdrücker, denn "die Gesellschaft" sei "objektiv rassistisch". Es handelt sich also um eine Form der Erbsünde, und was dem frommen Christen die Selbstzerknirschung, ist dem kritisch Weißseienden die Selbstanklage mit dem Ziel, schließlich "seine "weiße Identität . . . zu dekonstruieren". Die deutschstämmig-weiße Supermarkt-Kassiererin muss demzufolge bußfertig ihre Privilegien hinterfragen, nicht aber die chinesischstämmige Zahnärztin, die ihr die Einkäufe auf das Transportband stellt.
Mit der "Vielfalt", die das Wörterbuch auf dem Umschlag verkündet, ist es in seinem Inneren nicht weit her. Viele seiner Autoren möchten die Blumen des Diskurses nur in einem von ihnen selbst bestellten Meinungsbeet blühen lassen. Bezeichnend dafür ist der Artikel zur "Meinungsfreiheit". Mit der soll es nämlich ein Ende haben, sobald sich "Hater*innen" und "Rechtspopulist*innen" - beides wird weder definiert noch differenziert - auf sie berufen, wollen sie damit doch in Wahrheit nur die Demokratie untergraben. Die zahlreichen Bestrebungen aus dem links-diversen Spektrum, unliebsame Positionen aus dem Diskurs zu verbannen, finden hingegen keine Erwähnung.
"Cancel Culture" und die "politische Korrektheit" bezeichnen nach Meinung der Wörterbuchautoren keine Realität, sondern dienen als bloße Kampfvokabeln zur Diskreditierung des Engagements gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Diese Selbstimmunisierung gegen Kritik findet sich auch im Artikel zu "woke". Diente das Wort seit den Sechzigerjahren zur Selbstzuschreibung eines progressiven Bewusstseins, hat es heute einen zunehmend negativen Beiklang, weil die damit verbundene Geisteshaltung von vielen Zeitgenossen als selbstgerecht und illiberal empfunden wird. Für die Autorin spiegelt sich in diesem Bedeutungswandel aber nur eine Abwehrhaltung, "um von gesellschaftlichen Problemen abzulenken". Das Wort "Bias", so erfährt man in diesem "anderen" Wörterbuch, bezeichnet "Denkmuster, die Verzerrungen oder Stereotypen beinhalten". Es ist genau das, was dieses Nachschlagewerk untauglich macht. WOLFGANG KRISCHKE
Sebastian Pertsch (Hrsg.): "Vielfalt".
Das andere Wörterbuch.
Dudenverlag, Berlin 2023. 272 S., Abb., br.,
28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Am Anfang jedes Wörterbucheintrags steht eine Kurzdefinition der Dudenredaktion, dann folgt ein zweiseitiger Text. Die Autoren - jeder Artikel stammt aus einer anderen Feder - sind in den meisten Fällen keine Sprachwissenschaftler, sondern mit den Feldern, über die sie schreiben, beruflich, als Aktivisten, Verbandsvertreter, Lobbyisten oder sympathisierende Publizisten verbunden. Dass die Texte durchgängig gegendert sind und dieser Sprachgebrauch unter dem entsprechenden Stichwort positiv bewertet wird, bedarf angesichts dieser Voreinstellungen kaum noch der Erwähnung.
Schlägt man nun beispielsweise unter "FLINTA" nach, erfährt man, dass es eine Sammelbezeichnung ist "für Frauen, Lesben (auch: FrauenLesben), inter à nicht binäre, à trans* und ageschlechtliche (auch: agender) Menschen". Diese Gruppen würden "in einem patriarchalen und endo-cis-sexistischen System" benachteiligt. Wer sich in dem Akronym nicht richtig enthalten fühle, könne das durch ein Sternchen kompensieren: FLINTA*. Zu bedenken sei auch, dass das L in FLINTA sich "weniger auf eine sexuelle/romantische Orientierung als auf deren gesellschaftliche Verknüpfung mit geschlechtlichen Normen und die daraus folgenden möglichen Auswirkungen auf lesbische Personen" beziehe.
Nicht nur in diesem Wörterbuchartikel wird versucht, den Spezialjargon durch Spezialjargon zu erläutern. Darin zeigt sich nicht nur die mangelnde Fähigkeit der Insider-Autoren, sich Lesern außerhalb ihrer Welt verständlich zu machen. Deutlich wird auch die Hermetik einer Sprache, die nicht auf Kommunikation, sondern auf Präsentation der eigenen Identität und Kleingruppenzugehörigkeit ausgelegt ist. Grundlage der diversitätspolitischen Nomenklatur ist die Überzeugung, dass die geschlechtliche Identität wenig bis nichts mit den Chromosomen zu tun hat, sondern eine soziale Rolle ist, in die man schlüpfen und die man wechseln kann.
Die daraus resultierende "Fluidität" macht nun aber Geschlechtskategorien nicht überflüssig. Sie vervielfacht sie vielmehr, denn angesichts eines sich immer weiter auffächernden Spektrums steigt das Bedürfnis, sich selbst in dieser Unübersichtlichkeit sprachlich zu verorten und die sexuelle Orientierung zum Kernbestandteil der persönlichen Identität zu erheben. Der unter Diversitätsaktivisten verbreitete Glaube, dass "der Diskurs" die Realität forme, verleiht diesen verbalen Konstrukten eine zusätzliche Schlüsselrolle.
Je feiner die Gender-Nuancen werden, desto größer ist auch das Bedürfnis nach sprachlich fixierter Abgrenzung. Manche Begrifflichkeiten erinnern an die Etikettierungen des Stalinismus zur Markierung der unterschiedlichen "Abweichler" von der jeweils gültigen Parteilinie. Ein Beispiel ist das Akronym TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminist), eine meistens negativ gemeinte Bezeichnung für "Feminist*innen, die trans* Personen aus ihrem Feminismusverständnis ausschließen".
Die bekannteste als "TERF" angeprangerte Person ist Joanne K. Rowling. Die "Harry Potter"-Autorin hat sich in der Transgenderszene viele Feinde gemacht, weil sie die Bedeutung der Biologie für die Geschlechtszuordnung betont und es ablehnt, "Frauen" durch "menstruierende Menschen" zu ersetzen. Dies auch deshalb, weil sie befürchtet, "Transfrauen", die biologisch Männer seien, würden Frauen in Schutzräumen wie Umkleiden oder Toiletten gefährden. Rowling wurde dafür nicht nur "kritisiert", wie es im betreffenden Wörterbuchartikel heißt, sondern sie erhielt zahlreiche Morddrohungen. Die Autorin des Wörterbucheintrags gibt Rowlings Gegnern indes recht. Die Befürchtung, geschützte Räume für Frauen seien gefährdet, entbehrt ihr zufolge jeder Grundlage. Dafür verweist sie auf eine Studie, die 2019 in Massachusetts zu diesem Thema durchgeführt wurde. Was sie nicht erwähnt, ist, dass diese Studie wegen grundlegender empirischer und methodischer Mängel in der Kritik steht, sodass an ihrer Beweiskraft erhebliche Zweifel angebracht sind.
Die meisten Wörterbuchartikel sind durch solche Parteilichkeit gekennzeichnet. Die Autoren haben nicht die nötige Distanz, um unvoreingenommene Informationen über die politischen Hintergründe und Gebrauchsweisen der Wörter und ihre - oft umstrittenen - weltanschaulichen Voraussetzungen zu liefern. Stattdessen dienen die Stichwörter als Aufhänger, um eine Identitätspolitik zu propagieren, deren Kern ein empfundener Minderheiten- und Opferstatus ist, der vor allem Migranten, Transgenderpersonen, religiöse Minderheiten und andere von Aktivisten der Diversitätspolitik anerkannte Gruppen umfasst.
Eine solche Identität samt Wertekanon ist von jedermann fraglos zu akzeptieren; über sie äußern darf sich aber nur der Identitätseigentümer selbst. Wird er hingegen von einem Mitglied der Mehrheitsgesellschaft nach ihr gefragt - "Woher kommen Sie?" -, liegt ein Fall von "Othering" vor. Dazu erfährt man unter dem entsprechenden Stichwort, dass hierdurch Personen als andere, Fremde "konstruiert und hervorgebracht" und dadurch abgewertet werden. Dass die Frage nach der Herkunft ein Ausdruck von Offenheit, Neugier und interessierter Anteilnahme sein könnte, kommt der Autorin nicht in den Sinn.
Außerhalb diversitätspolitischer Fürsorge steht, wer weiß ist. Er lernt im Eintrag "kritisches Weißsein", dass er als Träger dieser Hautfarbe von Geburt an automatisch "privilegiert" ist. Selbst wenn er besten Willen zeigt - schon durch seine bloße Existenz wirkt er als Unterdrücker, denn "die Gesellschaft" sei "objektiv rassistisch". Es handelt sich also um eine Form der Erbsünde, und was dem frommen Christen die Selbstzerknirschung, ist dem kritisch Weißseienden die Selbstanklage mit dem Ziel, schließlich "seine "weiße Identität . . . zu dekonstruieren". Die deutschstämmig-weiße Supermarkt-Kassiererin muss demzufolge bußfertig ihre Privilegien hinterfragen, nicht aber die chinesischstämmige Zahnärztin, die ihr die Einkäufe auf das Transportband stellt.
Mit der "Vielfalt", die das Wörterbuch auf dem Umschlag verkündet, ist es in seinem Inneren nicht weit her. Viele seiner Autoren möchten die Blumen des Diskurses nur in einem von ihnen selbst bestellten Meinungsbeet blühen lassen. Bezeichnend dafür ist der Artikel zur "Meinungsfreiheit". Mit der soll es nämlich ein Ende haben, sobald sich "Hater*innen" und "Rechtspopulist*innen" - beides wird weder definiert noch differenziert - auf sie berufen, wollen sie damit doch in Wahrheit nur die Demokratie untergraben. Die zahlreichen Bestrebungen aus dem links-diversen Spektrum, unliebsame Positionen aus dem Diskurs zu verbannen, finden hingegen keine Erwähnung.
"Cancel Culture" und die "politische Korrektheit" bezeichnen nach Meinung der Wörterbuchautoren keine Realität, sondern dienen als bloße Kampfvokabeln zur Diskreditierung des Engagements gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung. Diese Selbstimmunisierung gegen Kritik findet sich auch im Artikel zu "woke". Diente das Wort seit den Sechzigerjahren zur Selbstzuschreibung eines progressiven Bewusstseins, hat es heute einen zunehmend negativen Beiklang, weil die damit verbundene Geisteshaltung von vielen Zeitgenossen als selbstgerecht und illiberal empfunden wird. Für die Autorin spiegelt sich in diesem Bedeutungswandel aber nur eine Abwehrhaltung, "um von gesellschaftlichen Problemen abzulenken". Das Wort "Bias", so erfährt man in diesem "anderen" Wörterbuch, bezeichnet "Denkmuster, die Verzerrungen oder Stereotypen beinhalten". Es ist genau das, was dieses Nachschlagewerk untauglich macht. WOLFGANG KRISCHKE
Sebastian Pertsch (Hrsg.): "Vielfalt".
Das andere Wörterbuch.
Dudenverlag, Berlin 2023. 272 S., Abb., br.,
28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ein vielfältiges Wörterbuch
"Vielfalt" ist das etwas andere Wörterbuch. Hier haben 100 Menschen 100 Wörter erklärt. In der Einleitung wird erläutert wie die Idee zu diesem Buch entstanden ist. Die Vielfalt der Sichtweisen und Erklärungen sind allein …
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Ein vielfältiges Wörterbuch
"Vielfalt" ist das etwas andere Wörterbuch. Hier haben 100 Menschen 100 Wörter erklärt. In der Einleitung wird erläutert wie die Idee zu diesem Buch entstanden ist. Die Vielfalt der Sichtweisen und Erklärungen sind allein schon durch die verschiedenen Berufe der Autor*innen mal sehr fachkundig und neutral geschildert, aber teilweise auch nach meiner Wahrnehmung sehr subjektiv erläutert. Natürlich ist es verständlich, dass Meinungen abweichen können und ein jeder die Wörter auf seine Weise interpretiert. Das macht es diese Lektüre umso interessanter und lesenswerter.
Von einigen Autor*innen werden leider einige Fremdwörter oder auch Fachwörter genutzt, die nicht immer unbedingt bekannt sind. So muss man unter Umständen erst in einem Wörterbuch nachschlagen, um ein Wörterbuch zu lesen.
Ich kann sagen, dass ich persönlich viel gelernt habe und mir einige Wörter sogar unbekannt waren. Erstaunt war ich, dass immer wieder Wörter, wie z.B. Internet oder Sport, hier Einzug gefunden haben, doch nach der Erklärung ist der Zusammenhang hier deutlich geworden.
Für jeden Begriff ist eine Doppelseite vorbehalten mit teilweise kleinen Grafiken. Am Ende des Buches gibt es eine wirklich sehr umfangreiche Auflistung von Quellen und Medienstipps.
Auf jeden Fall ist es eine gute Anleitung die inklusive Sprache zu verinnerlichen und zu gebrauchen.
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„Vielfalt“ aus dem renommierten Dudenverlang versteht sich als „anderes Wörterbuch“ – so der Untertitel – in dem 100 Begriffe und in letzter Zeit ins Bewusstsein getretene Wörter von 100 Autor*innen hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte und Verwendung …
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„Vielfalt“ aus dem renommierten Dudenverlang versteht sich als „anderes Wörterbuch“ – so der Untertitel – in dem 100 Begriffe und in letzter Zeit ins Bewusstsein getretene Wörter von 100 Autor*innen hinsichtlich ihrer Entstehungsgeschichte und Verwendung erklärt und kommentiert werden. Das Buch bietet vielschichtige und umfassende Erklärungen zu Begriffen wie woke, Bias, Ally und vielen anderen, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Es dient somit als wertvolles Nachschlagewerk und bietet a gleichzeitig Stoff zum Nachdenken - hinsichtlich des eigenen Sprachgebrauchs, aber auch in bezug auf eigene Denkmuster und Einstellungen zu verschiedenen Themen.
Bemerkenswert ist die Vielfalt der fachkundigen Autor*innen aus den verschiedensten (Forschungs)bereichen. Durch die Einbeziehung von verschiedenen Fachleuten mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Erfahrungen erhält der / die Leser*in eine breite Perspektive auf verschiedene Themen. Jede*r Autor*in bringt seine / ihre eigene Expertise ein und verleiht den Aufsätzen eine eigene Note.
Das Buch ist gut strukturiert und alphabetisch aufgebaut. Jeder Begriff wird auf einer Doppelseite erläutert, Infografiken, sowie kurze Infos zu den Autor*innen lockern die Aufsätze auf. Besonders hervorzuheben ist auch der Teil „Quellen und Medientipps“, in dem über 1100 Quellen angeführt werden. Das unterstreicht die wissenschaftliche Fundierung und ermöglicht es dem / der Leser*in, sich weiter in die Thematik einzuarbeiten.
„Vielfalt“ geht weit über ein Wörterbuch hinaus. Es ermutigt den Leser, eigene Vorurteile zu überdenken und zu hinterfragen und einen bewussteren Umgang mit Sprache zu pflegen, was das das Verständnis für Vielfalt und Inklusion erweitern kann.
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