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Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist in hohem Maße ein Geschlechterkrieg: Russland setzt sexuelle Gewalt in der Ukraine als Waffe ein, aber Frauenfeindlichkeit ist auch ein Instrument der internen Zentralisierung der Macht in Russland. Und sie ist ein Werkzeug des Imperialismus. Das Grauen, das Familien des Baltikums bereits einmal erleben mussten und das bis heute Wunden in den Familien hinterlassen hat, Deportationen, Besetzungen, Terror, Folter, Nazibeschuldigungen, Vergewaltigung, wiederholt sich, aber wie nie zuvor können Kriegsverbrechen dokumentiert werden, weil…mehr

Produktbeschreibung
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist in hohem Maße ein Geschlechterkrieg: Russland setzt sexuelle Gewalt in der Ukraine als Waffe ein, aber Frauenfeindlichkeit ist auch ein Instrument der internen Zentralisierung der Macht in Russland. Und sie ist ein Werkzeug des Imperialismus. Das Grauen, das Familien des Baltikums bereits einmal erleben mussten und das bis heute Wunden in den Familien hinterlassen hat, Deportationen, Besetzungen, Terror, Folter, Nazibeschuldigungen, Vergewaltigung, wiederholt sich, aber wie nie zuvor können Kriegsverbrechen dokumentiert werden, weil Journalistinnen, Richterinnen, Staatsanwältinnen und Anwältinnen beteiligt sind. Die Hoffnung besteht, dass die Straffreiheit Russlands ein Ende haben wird.

In diesem sorgfältig recherchierten Essay zeigt sich Sofi Oksanen erneut als absolute Kennerin Russlands, seiner Geschichte und seiner strategischen Frauenfeindlichkeit.
Autorenporträt
Sofi Oksanen, geboren 1977, Tochter einer estnischen Mutter und eines finnischen Vaters, studierte Dramaturgie an der Theaterakademie von Helsinki. Ihr dritter Roman, 'Fegefeuer', war monatelang Nummer eins der finnischen Bestsellerliste und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Finlandia-Preis, dem Literaturpreis des Nordischen Rates und dem Prix Femina. Der Roman erschien in über vierzig Ländern und machte die Autorin auch in Deutschland zu einer der wichtigsten Vertreterinnen der internationalen Gegenwartsliteratur. Sofi Oksanen lebt in Helsinki. Angela Plöger hat in Berlin, Budapest, Helsinki und Hamburg Finno-Ugristik und Slawistik studiert. Sie lebt als freiberufliche Übersetzerin vor allem finnischer Literatur und Dramatik in Hamburg. 2016 wurde sie für ihre herausragende Übersetzungsarbeit mit dem "Ritterkreuz des Orden des Löwen von Finnland" ausgezeichnet. Maximilian Murmann, 1987 geboren, ist Literaturübersetzer und Sprachwissenschaftler. Er übersetzt aus dem Finnischen, Estnischen und Englischen ins Deutsche und lebt mit seiner Familie in München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur 9punkt-Rezension

Die taz bringt noch eine Literaturbeilage. Hier spricht Sofi Oksanen mit Jens Uthoff über ihr neues Buch "Putins Krieg gegen die Frauen". "Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Antifeminismus in Russland und dem Ukrainekrieg: Die Ukraine repräsentiert alles, was der Kreml ablehnt - zum Beispiel, dass Frauen mehr Macht haben. Die Ukraine schickt auch Soldatinnen an die Front, hat rund 5.000 weibliche Offiziere, Präsident Selenski ehrt viele von ihnen mit der Ehrenmedaille 'Held der Ukraine'. Es ist definitiv auch ein Krieg um die Gleichberechtigung der Geschlechter."

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2024

„Sexuelle Gewalt ist das am meisten vernachlässigte Kriegsverbrechen“
Ein Besuch bei der finnisch-estnischen Schriftstellerin Sofi Oksanen, die das imperiale Russland bekämpft, auch mit ihrem neuen Buch „Putins Krieg gegen die Frauen“. Von Olivier Guez
Sofi Oksanen ist eine Nachteule. Ich betrete ihre Wohnung im obersten Stockwerk eines Gebäudes in Kallio, einem gentrifizierten Arbeiterviertel in Helsinki, um drei Uhr nachmittags. Der weiße, trübe Tag schwindet, und doch hat die Schriftstellerin die Fensterläden geschlossen und die Vorhänge zugezogen. Ein langer, schwarzer Tisch, umgeben von karminroten Möbeln, steht auf einem dunklen Parkettboden; die Wände sind granatrot gestrichen. Oksanen ist zierlich, rot gefärbte Lippen erhellen ihren blassen Teint, schmale Augen und Lider in Mauve werden von runden Brillengläsern umrahmt. Sie liebt Weihnachten. Ihr Weihnachtsbaum blinkt noch Ende Januar.
Über dem Kamin hängt eine Sammlung von Ikonen und auf einem Gemälde an der Wand sitzt eine junge Frau nackt, mit gespreizten Beinen. Das Haupt einer Geköpften verbirgt ihr Geschlecht, einen weiteren Kopf hält sie in der Hand. In diesem barocken Bau hat die finnisch-estnische Schriftstellerin ihr neuestes Werk geschrieben: eine Brandschrift gegen Russland: „Putins Krieg gegen die Frauen“.
„Ich musste einen Essay schreiben“, sagt sie: „Schnörkellos, die Zeiten sind nicht für Metaphern geeignet. Sexuelle Gewalt ist das am meisten vernachlässigte Kriegsverbrechen.“ Soldaten der russischen Armee vergewaltigen, manchmal in aller Öffentlichkeit. Übergriffe auf die Mütter, Ehefrauen und Schwestern der Soldaten und Befehlshaber zu legen, ist eine bekannte Kriegstaktik, um Gemeinschaften über Generationen zu brechen. Unter den Vollstreckern sind Söldner der Wagner-Gruppe, ehemalige Strafgefangene, die das AIDS- und das Hepatitis-C-Virus in sich tragen. Das Vorgehen nähere sich dem Genozid, schreibt Oksanen: Es gehe darum, die Fundamente einer Gesellschaft zu untergraben, um eine Gruppe von Menschen auszulöschen.
Das gehöre zur großangelegten frauenfeindlichen Politik, deren Waffen Wladimir Putin seit Jahren einsetze. Innenpolitisch würden Frauen daran gehindert, Verantwortung zu übernehmen. Auf internationaler Ebene finde er damit Verbündete, die für die „traditionellen Werte“ empfänglich sind, die er zu verteidigen vorgibt.
Sofi Oksanen kennt die Ukraine gut. Sie war als Kind dort, wenn ihr finnischer Vater als Elektriker auf Baustellen in der UdSSR arbeitete. Sie kehrte oft dorthin zurück, besonders zwischen 2015 und 2017, um für ihren Roman „Hundepark“ zu recherchieren. „Der Euromaidan hat das Land verändert“, sagt Oksanen. Das war 2014. „Die Ukraine war zuvor ein noch sowjetisches Land. Die ,Revolution der Würde‘ setzte die Energie der Menschen frei. Sie sprudelten vor Enthusiasmus, wollten alles verändern, und das nicht nur in der europäisierten Westukraine.“ Sie nennt das Beispiel von Dnipro im Osten des Landes, wo sie lange recherchiert hat. In dieser Stadt mit ihrer zaristischen Architektur, gegründet von Katharina der Großen, lebten schon vor dem Krieg viele Russen. „Aber auch dort hingen ukrainische Fahnen an den Fenstern. Die Bewohner hatten sich entschieden, Putin den Rücken zu kehren und die Zukunft zu umarmen.“
In Sofi Oksanens Bibliothek finden sich Bücher über den Gulag, über Lenin und den Holodomor, die Vernichtung von Millionen Menschen in der Ukraine durch eine Hungersnot, die Stalin in den 1930er-Jahren in die Wege leitete. Lange Zeit fiel die Autorin unter finnischen Intellektuellen aus dem Rahmen. Wegen ihrer bunten Dreadlocks, ihrer Bisexualität und ihres Bekenntnisses zum Feminismus. Und mehr noch wegen ihrer sehr feindseligen Haltung gegenüber Russland. „Man nannte mich eine hysterische Estin. Die politische Klasse in Finnland und der Westen setzten bis 2022 auf Appeasement. Als ob Russland ein Faktor für Frieden und Stabilität gewesen wäre.“ Das ist das andere Anliegen ihres neuen Buches: zu zeigen, dass die Invasion der Ukraine nur die jüngste Episode einer imperialistischen Legende ist, an der die Herren des Kreml – seien es die Zaren, die Kommunisten oder Putin – seit Jahrhunderten stricken.
Das war das Jahr, in dem die estnische Regierung den „Bronzesoldaten von Tallinn“, ein Ehrendenkmal für die Sowjetarmee, aus dem Zentrum an den Stadtrand verlegte. Es kam zu Unruhen, russische Beamte riefen zum Sturz der „faschistischen“ estnischen Regierung auf, und Internetseiten der Regierung, von Banken und Medien erlebten einen Cyberangriff ungeahnten Ausmaßes. „Putin hatte seine erste hybride Operation in einem fremden Land gestartet. Sie zeugte von Russlands Aggressivität, sie roch nach Krieg. Es war ein Testballon. Der Westen hat dem nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.“
Im vergangenen Frühjahr besuchte Oksanen die Tate Modern. Das Londoner Museum stellt die Vielfalt und die Kolonialgeschichte verschiedener Staaten aus, wie es inzwischen üblich ist. Kein einziger dissidenter Künstler aus Osteuropa sei dort aber zu sehen, merkt sie an. „Die UdSSR war die einzige Diktatur, die das Museum nicht als totalitären Staat zeigte“, schreibt sie in ihrem Buch enttäuscht, aber nicht überrascht: „Die Erfahrung des Totalitarismus, die Osteuropa im Kommunismus gemacht hat, ging nicht ins Gedächtnis des Kontinents über“.
Der russische Kolonialismus, zum Beispiel in Sibirien, werde in der westlichen Populärkultur nicht gesehen. Es gebe keine Bücher darüber, keine Filme wie „Killers of the Flower Moon“, den Martin Scorsese gerade den Osage gewidmet hat. „In der westlichen Vorstellung werden Imperialismus und Kolonialismus mit den Überseeexpeditionen der europäischen Mächte und der USA in Verbindung gebracht. Sie gehören jedoch auch zum Wesen Russlands. Dieses Land hat nie aufgehört, sich auf seine Nachbarn ausdehnen zu wollen.“
In dieser Linie ist der Konflikt in der Ukraine ihrer Meinung nach zu sehen. Die Russen verfolgten dort denselben Plan wie in den 1940er-Jahren in Estland, woher Oksanens Mutter kam. Dort verbrachte die junge Sofi ihre Sommer, als das Land noch von den Sowjets besetzt war: „Meine Großmutter und ihre Schwestern erzählten mir, wie die Russen vorgingen, als sie aufgrund des Molotow-Ribbentrop-Pakts zurückgekommen waren: Es gab Terror, Menschenrechtsverletzungen, Zerstörung der Kultur und Deportationen, die für die Sowjets zur Sicherung ihrer Herrschaft unerlässlich waren.“
In „Putins Krieg gegen die Frauen“ erinnert sie daran, wie im Juni 1941 die Eliten der unabhängigen Republik Estland ermordet wurden und wie acht Jahre später 20 000 Menschen, ganze Familien deportiert und Widerstandskämpfer vernichtet wurden. Estland verlor in diesem Krieg ein Viertel seiner Bevölkerung.
„Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt setzt Russland sein Verbrechen ohne Strafe fort und straft ohne Verbrechen“, schreibt sie, weil Putin wie seine sowjetischen Vorgänger die Geschichte umschreibe und manipuliere. Er habe den Großen Vaterländischen Krieg zur identitätsstiftenden Grundlage seiner Herrschaft gemacht. „Das ist nicht dieselbe Erinnerung wie die an den Zweiten Weltkrieg. Sie beginnt mit dem Überfall Deutschlands im Jahr 1941. In der Erinnerung daran können sich die Russen moralisch überlegen fühlen: Kein souveräner Staat ist ihrem Land ebenbürtig.
Diese Geschichte ermöglicht es dem Diktator, die Untaten Stalins, den er rehabilitiert hat, sowie gegenwärtige und künftige Verbrechen zu rechtfertigen und ein Feindbild zu schaffen. Ob gegen Estland in den 1940er-Jahren oder gegen die Ukraine heute, Russland kämpft immer gegen ,Faschisten‘ und ,Nazis‘. Man entmenschlicht die Gegner. Solange Russland seine Geschichte in dieser unveränderlichen Form festschreibt, gibt es nichts zu hoffen. An dem Tag, an dem es sich seiner Vergangenheit stellt, wird es sich von seiner imperialen Mentalität befreien können.“
Der französische Journalist und Schriftsteller Olivier Guez lebt in Rom. Zuletzt erschien sein Buch „Lob des Dribbelns: Über den Mythos des südamerikanischen Fußballs“ 2022 bei Aufbau. Aus dem Französischen von Marie Schmidt.
„Man nannte
mich eine hysterische
Estin“, sagt sie
Sofi Oksanen: Putins Krieg gegen die Frauen. Aus dem Finnischen von Angela Plöger und Maximilian Murmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 336 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2024

Sie weiß, wovon sie schreibt

Leidenschaftliche Anklage: Die Gräuel, die Russland heute in der Ukraine verübt, sind Teil einer jahrhundertealten Politik der Unterdrückung.

Dieses Buch hätte ein reines "Ich hab's euch doch gesagt" sein können. Eine 300-Seiten-Besserwisserei über die Naivität und Ignoranz des Westens. Sofi Oksanen, finnisch-estnische Starautorin, hätte jedes Recht dazu gehabt. Vor fast zehn Jahren stand sie in der Frankfurter Festhalle, Finnland war Gastland der Buchmesse 2014, und warnte vor der totalitären Herrschaft Russlands, vor Putins Unterdrückung anderer Völker, sie erinnerte an die brutale Kolonialisierungsgeschichte Moskaus. Ihre Rede stand in Kontrast zu der von Frank-Walter Steinmeier, damals noch Außenminister. Der heutige Bundespräsident warb für ein Verstehen Russlands (auch wenn er es mied, Putin und sein Land beim Namen zu nennen), sprach von der Möglichkeit eines "gedeihlichen Zusammenlebens" und umschrieb die kurz zuvor erfolgte Annexion der Krim mit "die dramatischen Umbrüche in der Ukraine".

Zu diesem Zeitpunkt hatte Oksanen schon längst schwere Waffen an der Grenze zu Russland gefordert, weil sie jeden Morgen aufwachte in der Erwartung einer neuerlichen Invasion.

Seit diese Invasion mit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 Realität geworden ist, hat Oksanen eine neue Chance erkannt, den Westen von der Gefährlichkeit Russlands überzeugen zu können. "Sei nicht gleichgültig, wende den Blick nicht ab", fleht sie in ihrem ersten, gerade erschienenen Sachbuch "Putins Krieg gegen die Frauen" den europäischen Leser an.

Ihr gedruckter Versuch, gehört zu werden, ist - anders als es der Titel vermuten lässt - keine reine Analyse von Putins Misogynie, sondern eine hilfreiche Erklärung über die Beweggründe Russlands und die Hintergründe eines Kriegs, der zwar für den Westen, aber keineswegs für die nord- und osteuropäischen Länder überraschend entbrannte. Oksanen bettet die Gräueltaten Russlands in der Ukraine in eine jahrhundertealte Politik der Unterdrückung und erzählt dabei, wie so oft, von ihrer eigenen Familiengeschichte.

Sie beginnt mit Oksanens Großtante, die schon der Anstoß für ihren erfolgreichsten Roman "Fegefeuer" gewesen war. Während der zweiten Besatzung Estlands durch die Sowjetunion wurde besagte Großtante eine ganze Nacht lang verhört. Am nächsten Tag kehrte sie äußerlich wohlbehalten nach Hause zurück. Doch hatte sie aufgehört zu sprechen. Alle hätten gewusst, schreibt Oksanen, dass sie vergewaltigt worden war.

Sexuelle Gewalt ist eine alte Waffe in Kriegen. Sie wird immer wieder eingesetzt, weil sie kaum thematisiert und verurteilt wird. Das prangern die UN, das prangert aber auch Oksanen an. Sie versucht, so präzise wie möglich über Russlands Methoden und die Auswirkungen zu schreiben: "Die Folterer verwendeten Elektroden und schlugen die Geschlechtsorgane der Männer mit einem zu diesem Zweck entwickelten Rohr, bis sie anschwollen wie bei einem Stier." Oksanen erklärt außerdem, wie Russland versucht, die Fortpflanzungsfähigkeit der Ukrainerinnen und Ukrainer zu zerstören, und dass sie deshalb von "genozidalen Vergewaltigungen" spricht. Wie unter anderem die Parlamente Litauens, Kanadas und Irlands nennt sie Russlands Vorgehen in der Ukraine schon jetzt einen "Genozid".

Die Gewalt der russischen Besatzer durchzieht die Leben von Oksanens Vorfahren. Deswegen kann man von ihr nicht die Sachlichkeit erwarten, die in Deutschland so oft bei der Bewertung der russischen Politik angemahnt wurde. Das mindert jedoch nicht die Glaubwürdigkeit ihrer Worte. Ihre Quellen sind seriös, ihre Expertise unumstritten und die Erfahrungen ihrer Familie aufschlussreich.

Dass die Vehemenz, mit der viele russischsprachige Ukrainer ihre eigene Sprache abgelegt haben, eine Verteidigung gegen eine jahrhundertealte Demütigungspolitik Russlands ist, erfährt man durch Oksanens estnische Großmutter. Auch sie und ihre Landsleute wurden, wie die Ukrainer heute, von den Russen als "Faschisten" beschimpft.

Während der sowjetischen Besatzung waren die meisten Lebensmittelverkäuferinnen Russinnen. Doch Oksanens Großmutter hatte nie Russisch gelernt. "Eine Estnisch sprechende Kundin bekam von der Verkäuferin oft ein Knurren zur Antwort wie: 'Sprich gefälligst eine Menschensprache!'", schreibt Oksanen. Es habe zum Alltag gehört, dass Estnisch Sprechende zu Tieren erklärt wurden. Das Gleiche sei im Winterkrieg der Finnen gegen die Rote Armee geschehen. Und: "Jetzt schnauzen die Folterer in der Ukraine ihre Ukrainisch sprechenden Opfer an: 'Sprich nicht diese Schweinesprache!'"

Oksanen lebt in Helsinki, aber sie kennt die Ukraine gut. Schon als Kind begleitete sie ihren finnischen Vater, der dort als Elektriker auf Baustellen arbeitete. Für zwei ihrer Bücher hat die 47-Jährige über die Leihmutterschaft-Industrie der Ukraine vor Ort recherchiert. Nach der Annexion der Krim hatte sie das Bedürfnis, dem von Putin bedrohten Staat mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, und veröffentlichte 2019 den in der jüngeren ukrainischen Geschichte spielenden Roman "Hundepark".

Für "Putins Krieg gegen die Frauen" hat Oksanen weit weniger Zeit gehabt, als sie es sonst bei ihren Büchern gewohnt ist. Sie nannte den Zeitplan "fast unmöglich" und sprach in den sozialen Medien offen über ihre Sorge, das Geschriebene sei nicht klar und zugänglich genug.

Tatsächlich ist die Sprache der Schwachpunkt des Werks. Die Atemlosigkeit beim Schreiben merkt man. Viele Sätze sind unnötig umständlich formuliert, Aussagen doppeln sich an zahlreichen Stellen, es gibt wenig Struktur. So ist nicht nur das Thema, sondern auch der Schreibstil so schwer, dass man "Putins Krieg gegen die Frauen" am besten nicht am Stück, sondern immer wieder in einzelnen Kapiteln liest. Dabei kann man ruhig hin und her springen, denn die verschiedenen Abschnitte bauen kaum aufeinander auf. Die deutsche Übersetzerin Angela Plöger - das liest man - wird einen ähnlich engen Zeitplan wie die Autorin gehabt haben.

Bei der englischen Ausgabe konnten sich Oksanen und ihre Verleger ein "Ich hab's euch doch gesagt" übrigens nicht ganz verkneifen. Im Titel "Same River Twice - Putin's War Against Women" widersprechen sie dem griechischen Philosophen Heraklit: Man kann sehr wohl zweimal in denselben Fluss steigen. SARAH OBERTREIS

Sofi Oksanen: Putins Krieg gegen die Frauen.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 336 S., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Oksanens feministische und baltische Perspektive auf den Ukraine-Krieg ist erhellend.« Gina Bachmann NZZ am Sonntag 20240331