Noch nie wurde so viel Fleisch gegessen wie heute und die Folgen der überbordenden Fleischproduktion für Tiere, Umwelt und Klima sind katastrophal. Alternativen werden gesucht. Kann »neues Fleisch«, das nicht an Tieren, sondern in Nährlösungen wächst, eine solche sein? Wird eine Fleischrevolution alles auf den Kopf stellen oder ist am Ende doch alles nur heiße Luft?
Der Journalist Hendrik Hassel nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise in die Labore und Produktionsräume, in denen heute am »neuen Fleisch« gearbeitet wird. Anschaulich und spannend erzählt er von erstaunlichen Entwicklungen in den Niederlanden, Israel, Russland, China und den USA.
Ein engagiertes Buch, das die enormen Chancen der aktuellen Entwicklungen aufzeigt und gleichzeitig die Herausforderungen thematisiert.
Der Journalist Hendrik Hassel nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise in die Labore und Produktionsräume, in denen heute am »neuen Fleisch« gearbeitet wird. Anschaulich und spannend erzählt er von erstaunlichen Entwicklungen in den Niederlanden, Israel, Russland, China und den USA.
Ein engagiertes Buch, das die enormen Chancen der aktuellen Entwicklungen aufzeigt und gleichzeitig die Herausforderungen thematisiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2019Fleisch aus der Retorte
Welches Potential die Produktion im Reagenzglas hat
Pflanzliche Burger, Bratlinge aus Kidneybohnen und Soja-Wurst erfreuen sich wachsender Beliebtheit, seit die Produktion von Fleisch als Umweltsünde und Klimakiller gilt. Dennoch nehmen Fleischkonsum und Massentierhaltung überall auf der Welt zu. Abhilfe soll Fleisch schaffen, das nicht mehr von getöteten Tieren aus den Schlachthäusern kommt, sondern mit tierischen Zellen, entnommen per Biopsie vom lebenden Tier, auf Nährlösungen im Reagenzglas seine Anfänge nimmt. Seit Jahren wird in Laboren rund um die Welt an sogenanntem Kultur- oder In-vitro-Fleisch gearbeitet, das auch Clean Meat heißt. Mit Forschung und Entwicklung dazu beschäftigen sich intensiv etwa 30 Start-ups, etwa in Maastricht, Tel Aviv, San Francisco, Berkeley und neuerdings auch in Rostock. Der Stuttgarter Journalist Hendrik Hassel hat sich die wichtigsten Forschungsplätze und ihre Akteure angeschaut. Sein Buch bietet einen spannenden Überblick zum gegenwärtigen Entwicklungsstand.
Obwohl der Autor unverkennbar engagierter Tierschützer ist, treibt ihn vor allem die Frage um, welches Potential die Kulturfleisch-Produktion als Wirtschaftszweig hat. Die Unternehmensberatung AT Kearney prognostiziert, dass sich Kulturfleisch von 2025 bis 2040 einen Marktanteil von 35 Prozent erkämpfen könnte. Der erste sichtbare Erfolg aus dem Labor liegt sechs Jahre zurück, als ein Forschungsteam um den niederländischen Pharmakologie-Professor Mark Post einen Burger mit 100 Gramm Fleisch präsentierte, das aus muskelzellbasierter Züchtung in einer Nährlösung entstanden war. Das Pionierprojekt kostete rund 300 000 Euro. Sein Unternehmen "Mosa Meats" will die künstliche Fleischherstellung langfristig zu vertretbarem Preis kommerziell ermöglichen. Wegbereiter der Idee war seit den 1980er Jahren der Niederländer Willem van Eelen.
Auch Start-ups in Amerika und Israel profilieren sich als Vorreiter von "Neuem Fleisch". Dahinter stehen meist ethisch oder ökologisch motivierte junge Akademiker, die mit ihrem Wissen aus Biologie, Biochemie, Biotechnologie, Stammzell- oder Impfstoff-Forschung nach alternativen Techniken suchen, um Tiere aus der Nahrungsmittelherstellung zu befreien. In Israel besuchte der Autor Hendrik Hassel drei junge Unternehmen, die mit unterschiedlichen Ansätzen Fleisch kultivieren wollen: "Super Meat" hat die Absicht, im Labor entwickeltes Hühnerfleisch auf den Markt zu bringen. "Aleph Farms" arbeitet speziell an Rindfleisch-Steaks als Premium-Produkt, was wegen des komplexen Gewebes ein besonders schwieriges Vorhaben ist und 2023 Marktreife erreichen soll. Bisher liegt nur ein hauchdünnes Stück vor, das immerhin durch Zugabe von Fettstrukturen im Geschmack überzeugt. "Future Meat Technologies" entwickelt einen Bioreaktor für Unternehmen, die ihrerseits einfache Fleischmasse für Würstchen oder tierisches Fett als Beigabe zu Fleischersatzprodukten herstellen möchten.
Der Autor geht auch auf die Schwierigkeiten dieses Innovationsfeldes ein: Fertige Produkte zum Markteintritt kann bisher offenbar keines der genannten Unternehmen vorlegen. Keines kann konkret sagen, wie viel Zeit für weitere Forschung und Entwicklung benötigt wird. Sorgen macht den Jungunternehmern die Suche nach weiterem Geld für Forschung und Entwicklung. Es sei riskanter, in das neue Fleisch zu investieren als in existierende Branchen, lautet die Erfahrung.
Hauptproblem aller sei aber, wie sich die Produktion von Laborfleisch aus winzigen Anfangsmengen vergrößern und die bislang horrenden Gestehungskosten auf ein erträgliches Maß drücken lasse. 80 Prozent des Preises verursacht die Nährflüssigkeit, in der Clean Meat wächst. Die Ausgaben dafür müssten drastisch sinken, damit Verbraucher bei Kulturfleisch zugreifen.
Selbst wenn die weitere Entwicklung positiv verläuft, wird das neue Fleisch vermutlich nicht von heute auf morgen in die Massenproduktion gehen. Erste kleinere Manufakturen könnten das Fleisch in geringen Stückzahlen als Premium-Erzeugnis auf den Markt bringen, meint Hassel. Er prophezeit, dass es sich bei größeren Mengen anfangs aus Kostengründen um Hybrid-Produkte handeln wird, die reines Kulturfleisch, weil noch zu teuer, mit pflanzlichen Alternativen mischen. Innovatives Fleisch werde nur eine Chance haben, wenn es den Preiskampf gegen das Billigfleisch aus den Schlachthäusern auf sich nehmen könne. Die heutige Erfahrung lehre: "Fleisch muss günstig sein, sonst bleibt es im Laden liegen." Aber auch der Geschmack müsse stimmen, wenn Clean Meat die herkömmliche Fleischproduktion auf den Kopf stellen und von Verbrauchern gekauft und gegessen werden wolle.
Die psychologische Hürde scheint beträchtlich. Kulturfleisch wird von vielen als unnatürlich angesehen, weil es nicht direkt vom Tier kommt. Und Menschen, die kein Fleisch essen, interessieren sich sowieso nicht dafür. Hassel hofft, dass die Akzeptanz für das neue Fleisch mit wachsender Kenntnis und Verbreitung zunimmt. Als Vorreiter sieht er Konsumenten, die "jung, männlich und politisch eher links sind, dazu Fleischgerichte favorisieren". In zwölf Thesen am Ende seines Buchs wirbt Hassel für ein neues Verständnis von Fleisch: "Eine andere Art der Fleischproduktion ist möglich", schreibt er. "Was bisher nur Science Fiction war, wurde eine echte Möglichkeit." Aber auch: "Bis heute ist es bei der Möglichkeit geblieben." Noch sei Fleisch aus dem Reagenzglas "eine Welt aus Zellen und Nährlösungen, aus mutigen Prognosen und einer ungewissen Zukunft. Der Wille ist da, aber das Fleisch noch nicht."
ULLA FÖLSING
Hendrik Hassel: "Neues Fleisch: Essen ohne Tierleid - Berichte aus der Zukunft unserer Ernährung", Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019. 176 Seiten. 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Welches Potential die Produktion im Reagenzglas hat
Pflanzliche Burger, Bratlinge aus Kidneybohnen und Soja-Wurst erfreuen sich wachsender Beliebtheit, seit die Produktion von Fleisch als Umweltsünde und Klimakiller gilt. Dennoch nehmen Fleischkonsum und Massentierhaltung überall auf der Welt zu. Abhilfe soll Fleisch schaffen, das nicht mehr von getöteten Tieren aus den Schlachthäusern kommt, sondern mit tierischen Zellen, entnommen per Biopsie vom lebenden Tier, auf Nährlösungen im Reagenzglas seine Anfänge nimmt. Seit Jahren wird in Laboren rund um die Welt an sogenanntem Kultur- oder In-vitro-Fleisch gearbeitet, das auch Clean Meat heißt. Mit Forschung und Entwicklung dazu beschäftigen sich intensiv etwa 30 Start-ups, etwa in Maastricht, Tel Aviv, San Francisco, Berkeley und neuerdings auch in Rostock. Der Stuttgarter Journalist Hendrik Hassel hat sich die wichtigsten Forschungsplätze und ihre Akteure angeschaut. Sein Buch bietet einen spannenden Überblick zum gegenwärtigen Entwicklungsstand.
Obwohl der Autor unverkennbar engagierter Tierschützer ist, treibt ihn vor allem die Frage um, welches Potential die Kulturfleisch-Produktion als Wirtschaftszweig hat. Die Unternehmensberatung AT Kearney prognostiziert, dass sich Kulturfleisch von 2025 bis 2040 einen Marktanteil von 35 Prozent erkämpfen könnte. Der erste sichtbare Erfolg aus dem Labor liegt sechs Jahre zurück, als ein Forschungsteam um den niederländischen Pharmakologie-Professor Mark Post einen Burger mit 100 Gramm Fleisch präsentierte, das aus muskelzellbasierter Züchtung in einer Nährlösung entstanden war. Das Pionierprojekt kostete rund 300 000 Euro. Sein Unternehmen "Mosa Meats" will die künstliche Fleischherstellung langfristig zu vertretbarem Preis kommerziell ermöglichen. Wegbereiter der Idee war seit den 1980er Jahren der Niederländer Willem van Eelen.
Auch Start-ups in Amerika und Israel profilieren sich als Vorreiter von "Neuem Fleisch". Dahinter stehen meist ethisch oder ökologisch motivierte junge Akademiker, die mit ihrem Wissen aus Biologie, Biochemie, Biotechnologie, Stammzell- oder Impfstoff-Forschung nach alternativen Techniken suchen, um Tiere aus der Nahrungsmittelherstellung zu befreien. In Israel besuchte der Autor Hendrik Hassel drei junge Unternehmen, die mit unterschiedlichen Ansätzen Fleisch kultivieren wollen: "Super Meat" hat die Absicht, im Labor entwickeltes Hühnerfleisch auf den Markt zu bringen. "Aleph Farms" arbeitet speziell an Rindfleisch-Steaks als Premium-Produkt, was wegen des komplexen Gewebes ein besonders schwieriges Vorhaben ist und 2023 Marktreife erreichen soll. Bisher liegt nur ein hauchdünnes Stück vor, das immerhin durch Zugabe von Fettstrukturen im Geschmack überzeugt. "Future Meat Technologies" entwickelt einen Bioreaktor für Unternehmen, die ihrerseits einfache Fleischmasse für Würstchen oder tierisches Fett als Beigabe zu Fleischersatzprodukten herstellen möchten.
Der Autor geht auch auf die Schwierigkeiten dieses Innovationsfeldes ein: Fertige Produkte zum Markteintritt kann bisher offenbar keines der genannten Unternehmen vorlegen. Keines kann konkret sagen, wie viel Zeit für weitere Forschung und Entwicklung benötigt wird. Sorgen macht den Jungunternehmern die Suche nach weiterem Geld für Forschung und Entwicklung. Es sei riskanter, in das neue Fleisch zu investieren als in existierende Branchen, lautet die Erfahrung.
Hauptproblem aller sei aber, wie sich die Produktion von Laborfleisch aus winzigen Anfangsmengen vergrößern und die bislang horrenden Gestehungskosten auf ein erträgliches Maß drücken lasse. 80 Prozent des Preises verursacht die Nährflüssigkeit, in der Clean Meat wächst. Die Ausgaben dafür müssten drastisch sinken, damit Verbraucher bei Kulturfleisch zugreifen.
Selbst wenn die weitere Entwicklung positiv verläuft, wird das neue Fleisch vermutlich nicht von heute auf morgen in die Massenproduktion gehen. Erste kleinere Manufakturen könnten das Fleisch in geringen Stückzahlen als Premium-Erzeugnis auf den Markt bringen, meint Hassel. Er prophezeit, dass es sich bei größeren Mengen anfangs aus Kostengründen um Hybrid-Produkte handeln wird, die reines Kulturfleisch, weil noch zu teuer, mit pflanzlichen Alternativen mischen. Innovatives Fleisch werde nur eine Chance haben, wenn es den Preiskampf gegen das Billigfleisch aus den Schlachthäusern auf sich nehmen könne. Die heutige Erfahrung lehre: "Fleisch muss günstig sein, sonst bleibt es im Laden liegen." Aber auch der Geschmack müsse stimmen, wenn Clean Meat die herkömmliche Fleischproduktion auf den Kopf stellen und von Verbrauchern gekauft und gegessen werden wolle.
Die psychologische Hürde scheint beträchtlich. Kulturfleisch wird von vielen als unnatürlich angesehen, weil es nicht direkt vom Tier kommt. Und Menschen, die kein Fleisch essen, interessieren sich sowieso nicht dafür. Hassel hofft, dass die Akzeptanz für das neue Fleisch mit wachsender Kenntnis und Verbreitung zunimmt. Als Vorreiter sieht er Konsumenten, die "jung, männlich und politisch eher links sind, dazu Fleischgerichte favorisieren". In zwölf Thesen am Ende seines Buchs wirbt Hassel für ein neues Verständnis von Fleisch: "Eine andere Art der Fleischproduktion ist möglich", schreibt er. "Was bisher nur Science Fiction war, wurde eine echte Möglichkeit." Aber auch: "Bis heute ist es bei der Möglichkeit geblieben." Noch sei Fleisch aus dem Reagenzglas "eine Welt aus Zellen und Nährlösungen, aus mutigen Prognosen und einer ungewissen Zukunft. Der Wille ist da, aber das Fleisch noch nicht."
ULLA FÖLSING
Hendrik Hassel: "Neues Fleisch: Essen ohne Tierleid - Berichte aus der Zukunft unserer Ernährung", Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019. 176 Seiten. 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»In zwölf kurzen Kapiteln bietet Hassel eine faktengesättigte und trotzdem zugänglich geschriebene Reportage mit lauter guten Nachrichten.« Christian Baron, Der Freitag