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Verena Roßbacher
Gebundenes Buch
Mon Chéri und unsere demolierten Seelen (Mängelexemplar)
Roman Österreichischer Buchpreis 2022
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»Mit zwölf Jahren wurde mir schlagartig klar, dass ich nie durch Anmut überzeugen würde.« Charly Benz.Wie gestaltet man sein Leben, wenn man zwei linke Hände, eine demolierte Seele und jede Menge Probleme hat? Eine hinreißende Tiefstaplerin, der man nicht so ganz trauen kann, führt uns durch den neuen Roman von Verena Roßbacher.Mit unverbrüchlichem Optimismus und irre gut gelaunt strauchelt Charly Benz seit 43 Jahren durch ihr Leben. Sie arbeitet im Marketing einer Berliner Foodcompany, ernährt sich von angebrannten Croissants und bespricht ihre Beziehungsprobleme - die darin besteh...
»Mit zwölf Jahren wurde mir schlagartig klar, dass ich nie durch Anmut überzeugen würde.« Charly Benz.
Wie gestaltet man sein Leben, wenn man zwei linke Hände, eine demolierte Seele und jede Menge Probleme hat? Eine hinreißende Tiefstaplerin, der man nicht so ganz trauen kann, führt uns durch den neuen Roman von Verena Roßbacher.
Mit unverbrüchlichem Optimismus und irre gut gelaunt strauchelt Charly Benz seit 43 Jahren durch ihr Leben. Sie arbeitet im Marketing einer Berliner Foodcompany, ernährt sich von angebrannten Croissants und bespricht ihre Beziehungsprobleme - die darin bestehen, dass sie keine Beziehung hat - mit ihrem einzigen Freund: Herr Schabowski, ein sechzigjähriger Mann, der ihre Post und Ängste sortiert. Doch als dieser eine tödliche Diagnose erhält, ihr erster Versuch einer Systemischen Familienaufstellung in einem Debakel endet und plötzlich gleich drei Männer ihr Leben gehörig durcheinanderbringen, verlässt Charly allumfassend der Mut. Den sollte sie schleunigst wiederfinden, sie ist nämlich schwanger. Sie und Schabowski beschließen, ihre Probleme proaktiv anzugehen: Sie flüchten. Und zwar nach Bad Gastein, ein ehemals mondäner Kurort im Südwesten Österreichs. In einem leerstehenden Hotel der Jahrhundertwende, das einst Charlys Vater gehörte, stellen sie fest: Man kann sich die Menschen, mit denen man verwandt ist, nicht aussuchen - seine Familie aber schon.
Wie gestaltet man sein Leben, wenn man zwei linke Hände, eine demolierte Seele und jede Menge Probleme hat? Eine hinreißende Tiefstaplerin, der man nicht so ganz trauen kann, führt uns durch den neuen Roman von Verena Roßbacher.
Mit unverbrüchlichem Optimismus und irre gut gelaunt strauchelt Charly Benz seit 43 Jahren durch ihr Leben. Sie arbeitet im Marketing einer Berliner Foodcompany, ernährt sich von angebrannten Croissants und bespricht ihre Beziehungsprobleme - die darin bestehen, dass sie keine Beziehung hat - mit ihrem einzigen Freund: Herr Schabowski, ein sechzigjähriger Mann, der ihre Post und Ängste sortiert. Doch als dieser eine tödliche Diagnose erhält, ihr erster Versuch einer Systemischen Familienaufstellung in einem Debakel endet und plötzlich gleich drei Männer ihr Leben gehörig durcheinanderbringen, verlässt Charly allumfassend der Mut. Den sollte sie schleunigst wiederfinden, sie ist nämlich schwanger. Sie und Schabowski beschließen, ihre Probleme proaktiv anzugehen: Sie flüchten. Und zwar nach Bad Gastein, ein ehemals mondäner Kurort im Südwesten Österreichs. In einem leerstehenden Hotel der Jahrhundertwende, das einst Charlys Vater gehörte, stellen sie fest: Man kann sich die Menschen, mit denen man verwandt ist, nicht aussuchen - seine Familie aber schon.
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Verena Roßbacher, geboren 1979 in Bludenz/Vorarlberg, aufgewachsen in Österreich und der Schweiz, studierte einige Semester Philosophie, Germanistik und Theologie in Zürich, dann am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 'Mon Chéri und unsere demolierten Seelen' ist nach ihrem Debüt 'Verlangen nach Drachen' (2009), 'Schwätzen und Schlachten' (2014) und 'Ich war Diener im Hause Hobbs' (2018) ihr vierter Roman bei Kiepenheuer & Witsch.
Produktdetails
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- 8. Aufl.
- Seitenzahl: 512
- Erscheinungstermin: 10. März 2022
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 136mm x 41mm
- Gewicht: 616g
- ISBN-13: 9783462001198
- ISBN-10: 3462001191
- Artikelnr.: 68704942
Herstellerkennzeichnung
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Mit Aufbackviennoiserien lässt sich auch leben
Schicksalsjahre einer Konsumentin: Verena Roßbachers komisches Meisterwerk "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen"
"Ein paar Worte vorneweg", heißt es vorneweg. Eine gebieterische Ruckrede, mit der die Leserin von "Mon Chéri" schon in der Überschrift des Vorspanns auf Linie gebracht wird. Auf den folgenden fünfhundert Seiten wird man sich jedenfalls noch an ihn erinnern. Dort, wo er mahnende Gebrauchsanleitung zum belletristischen Verzehr ist, und auch dort, wo er über Bord geworfen wird. "Handke", steht da also, "Handke sagte einmal, über Sexualität gebe es nichts zu schreiben. Er sagte, auch im Kino schaue er immer weg, Sexszenen würden alle erniedrigen, die
Schicksalsjahre einer Konsumentin: Verena Roßbachers komisches Meisterwerk "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen"
"Ein paar Worte vorneweg", heißt es vorneweg. Eine gebieterische Ruckrede, mit der die Leserin von "Mon Chéri" schon in der Überschrift des Vorspanns auf Linie gebracht wird. Auf den folgenden fünfhundert Seiten wird man sich jedenfalls noch an ihn erinnern. Dort, wo er mahnende Gebrauchsanleitung zum belletristischen Verzehr ist, und auch dort, wo er über Bord geworfen wird. "Handke", steht da also, "Handke sagte einmal, über Sexualität gebe es nichts zu schreiben. Er sagte, auch im Kino schaue er immer weg, Sexszenen würden alle erniedrigen, die
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Zuschauer wie die Darsteller. Handke und ich sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, aber in dieser Sache muss ich ihm auf die Schulter klopfen."
"Mon Chéri", der vierte Roman von Verena Roßbacher, ist also ein Buch, das sich von Handke herleitet (zumindest in dem Punkt) und das von Menschen in Berlin handelt, deren Sexleben uns weitgehend verborgen bleibt zugunsten einer noch viel intimeren Besichtigung ihrer "demolierten Seelen". So heißt "Mon Chéri" im Untertitel. Und auch da hilft der frühe Handke. Aber eigentlich kann man sich jetzt auch wieder von ihm trennen. Denn dieses Buch mit insgesamt drei spektakulären Sexszenen gegen die Verabredung braucht ihn nicht. Eines zum Handke-Komplex sei vielleicht aber noch nachgereicht. Es wird ein Baby geboren, das Petra heißen soll - als Hommage an den großen Dichter!
Die Mutter des Babys wird eingeführt als eine Person, die an Silvester notorisch zum sogenannten "Notfallessen" eingeladen wird. Dort landen nur die, die jetzt allein sind und es lange bleiben werden. "Ja, das war das Problem. Ich musste immer alles alleine machen, Essen kochen und Musik machen, mich vor meiner Post fürchten, einfach alles. Ich seufzte. So wie es aussah, würde ich auch meine Kinder in Eigenregie zeugen müssen, sollte ich je welche haben wollen. Ich musste mir eingestehen: Die Zeit arbeitete gegen mich."
Immerhin hat Charly Benz Bilder für alles und jeden: "Als Frau fühlte ich mich eher wie die fiese Karikatur einer Suffragette." Und einen Job, in dem ihr schonungslos kreatives Wesen gefragt ist: Werbung für vegane Müsliriegel und andere Foodtrends. Da Charly, die sich selbst von Aufbackviennoiserien ernährt, alles, was es über das Leben zu wissen gab, praktisch aus Illustrierten und Fernsehsendungen der Neunziger bezogen hat, ist sie Profi für kollektive Lügenimperien. Stichwort: Dallmayr Prodomo, Werther's Echte und Mon Chéri.
Ansonsten steht es eher schlecht um sie. Nicht nur hört Charly nach Feierabend regressiverweise "Bibi Blocksberg", auch wird sie von ernsthaften Schrullen geplagt. Angst vor schlechten Nachrichten zum Beispiel macht es ihr unmöglich, sich dem Inhalt ihres Briefkastens zu stellen. Weswegen jetzt die zweite Hauptfigur ins Spiel kommt: Herr Schabowski. Ein kettenrauchender Anzugträger, der auf Fälle wie Charly Benz spezialisiert ist. Bei ihm ist sie Premiumkundin für 89,90 Euro im Monat, was bedeutet: "Bearbeitung vorhandener Briefe/Dokumente (Flatrate), Gesprächstermine im Büro (ebenfalls unbegrenzt), Amtsgänge (maximal viermal im Monat und im Umkreis von 50 km mit Aufpreis) und Telefongespräche. Dazu kam die regelmäßige Aufklärung, wie man auf einen Brief zu reagieren hatte - das war bei jeder der drei Abokategorien mit dabei, und man konnte es auch nicht abbestellen."
Charly Benz hätte es gerne abbestellt. Aber Herr Schabowski bleibt eisern. "'Schauen sie, Frau Benz', sagte er jedes Mal väterlich, wenn er mich aufklärte, 'es kann zwar sein, dass das nicht unbedingt von Geschäftstüchtigkeit zeugt, aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich es mich macht, wenn ein Kunde irgendwann sein Abo kündigt. Ich habe ja selbst keine Kinder, aber so muss es sich anfühlen, wenn die eigenen Sprösslinge flügge werden - eine Mischung aus Stolz, Zuversicht, Sorge und Wehmut.'" Und so entsteht der zentrale Pakt dieses Buchs, der auch ein Pakt mit dem Leser ist, aus dem Geist der Bürokratie: "'Herr Schabowski', sagte ich dann immer, 'und wenn alle Sie im Stich lassen, ich bleibe Ihnen treu.'"
Verena Roßbacher erzählt in "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" von einer ungewöhnlichen Freundschaft auf Leben und Tod. Die über viele Seiten tragende Wand der Komik ("Ich war eine Frau im Winter meines Lebens") wird dabei mit einem ordentlichen Fundament aus Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit stabilisiert. Denn Schabowski ist unheilbar an Krebs erkrankt. Ihm bleiben, so sagt der schöne Doktor Faruki von der Charité, nur noch wenige Wochen. Charly wiederum ist, seit ihre "nervige Schwester Sybille" ihr eine Familienaufstellung geschenkt hat, in eine Spirale der Aufarbeitung geraten. Man folgt ihrer Erzählung voller Mitgefühl für so viel Pech im Leben der armen Charly Benz, die als jüngstes von fünf Kindern in der Ostschweiz aufgewachsen ist, früh die Mutter verlor und noch früher den Vater, der sich von der Familie abgeseilt hat, als Charly fünf war. Die Geschwister: "meine Schwestern, bebrillte, lange und ungelenke Elende", der Bruder ein "Yeti". Die wenigen Beziehungen der Charly Benz sind ein Desaster mit Ansage.
Als nach jahrelangem Single-Siechtum sich gleich drei Männer auf einmal in ihrem Leben einstellen und es zu einer (für uns Leser) unbefleckten Empfängnis mit drei potentiellen Vätern kommt, nimmt alles eine unerwartete Wendung. Unter tätiger Mitwirkung von Esoterik-Schwester Sybille arbeiten Charly und Schabowski nun eine alternative Heilagenda ab. Verena Roßbacher führt dabei in die komischsten Winkel der modernen Esoterik, aber nie ohne Respekt vor denen, die ihre Denkgebäude in Anspruch nehmen, und jenen, die an ihnen gesunden. So wie Schabowski, der wieder Lebensmut findet und entgegen jeder Prognose noch einmal aufblüht - bevor dann doch das Unvermeidliche eintritt. Bis dahin werden Charly und Schabowski einen weiten, ernsten und doch auch absurd komischen Weg der Selbstklärung zurücklegen, an dessen Erkenntnisquellen sich auch alle Leser laben können: tanzender Heilkreis der Colima-Indianer, heilsames Arbeiten mit Ton, lustige Filme schauen im Zeichen der Heilsamkeit. "Ja okay, Channeln mit Engeln war ein Griff ins Klo."
Das wirkliche Wunder, das "Mon Chéri" vollbringt, ist, dass der komischste Roman der Saison nicht im Stadium des Ironischen stecken bleibt, das ja bekanntlich eine Distanzierungsmasche von Angsthasen ist. Nein, "Mon Chéri" ist das Buch mit der Piemont-Kirsche, und es geht den Weg des Komischen zu Ende: von süß bis bitter und wieder zurück. Es erzählt uns, dass das Leben ein Witz ist, wenn es den Tod nicht mitdenkt.
Kurz vor seinem Tod stellt Herr Schabowski noch eine Playlist mit den Musikstücken zusammen, die das Ende eines Films anzeigen. Es seien fast immer solche, die ihn fröhlich und zuversichtlich stimmten, sagt Schabowski. Und als es dann fast vorbei ist: "'Kommen Sie', sagte er, 'hören wir noch ein bisschen Abspann.'" KATHARINA TEUTSCH
Verena Roßbacher: "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022.
512 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Mon Chéri", der vierte Roman von Verena Roßbacher, ist also ein Buch, das sich von Handke herleitet (zumindest in dem Punkt) und das von Menschen in Berlin handelt, deren Sexleben uns weitgehend verborgen bleibt zugunsten einer noch viel intimeren Besichtigung ihrer "demolierten Seelen". So heißt "Mon Chéri" im Untertitel. Und auch da hilft der frühe Handke. Aber eigentlich kann man sich jetzt auch wieder von ihm trennen. Denn dieses Buch mit insgesamt drei spektakulären Sexszenen gegen die Verabredung braucht ihn nicht. Eines zum Handke-Komplex sei vielleicht aber noch nachgereicht. Es wird ein Baby geboren, das Petra heißen soll - als Hommage an den großen Dichter!
Die Mutter des Babys wird eingeführt als eine Person, die an Silvester notorisch zum sogenannten "Notfallessen" eingeladen wird. Dort landen nur die, die jetzt allein sind und es lange bleiben werden. "Ja, das war das Problem. Ich musste immer alles alleine machen, Essen kochen und Musik machen, mich vor meiner Post fürchten, einfach alles. Ich seufzte. So wie es aussah, würde ich auch meine Kinder in Eigenregie zeugen müssen, sollte ich je welche haben wollen. Ich musste mir eingestehen: Die Zeit arbeitete gegen mich."
Immerhin hat Charly Benz Bilder für alles und jeden: "Als Frau fühlte ich mich eher wie die fiese Karikatur einer Suffragette." Und einen Job, in dem ihr schonungslos kreatives Wesen gefragt ist: Werbung für vegane Müsliriegel und andere Foodtrends. Da Charly, die sich selbst von Aufbackviennoiserien ernährt, alles, was es über das Leben zu wissen gab, praktisch aus Illustrierten und Fernsehsendungen der Neunziger bezogen hat, ist sie Profi für kollektive Lügenimperien. Stichwort: Dallmayr Prodomo, Werther's Echte und Mon Chéri.
Ansonsten steht es eher schlecht um sie. Nicht nur hört Charly nach Feierabend regressiverweise "Bibi Blocksberg", auch wird sie von ernsthaften Schrullen geplagt. Angst vor schlechten Nachrichten zum Beispiel macht es ihr unmöglich, sich dem Inhalt ihres Briefkastens zu stellen. Weswegen jetzt die zweite Hauptfigur ins Spiel kommt: Herr Schabowski. Ein kettenrauchender Anzugträger, der auf Fälle wie Charly Benz spezialisiert ist. Bei ihm ist sie Premiumkundin für 89,90 Euro im Monat, was bedeutet: "Bearbeitung vorhandener Briefe/Dokumente (Flatrate), Gesprächstermine im Büro (ebenfalls unbegrenzt), Amtsgänge (maximal viermal im Monat und im Umkreis von 50 km mit Aufpreis) und Telefongespräche. Dazu kam die regelmäßige Aufklärung, wie man auf einen Brief zu reagieren hatte - das war bei jeder der drei Abokategorien mit dabei, und man konnte es auch nicht abbestellen."
Charly Benz hätte es gerne abbestellt. Aber Herr Schabowski bleibt eisern. "'Schauen sie, Frau Benz', sagte er jedes Mal väterlich, wenn er mich aufklärte, 'es kann zwar sein, dass das nicht unbedingt von Geschäftstüchtigkeit zeugt, aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich es mich macht, wenn ein Kunde irgendwann sein Abo kündigt. Ich habe ja selbst keine Kinder, aber so muss es sich anfühlen, wenn die eigenen Sprösslinge flügge werden - eine Mischung aus Stolz, Zuversicht, Sorge und Wehmut.'" Und so entsteht der zentrale Pakt dieses Buchs, der auch ein Pakt mit dem Leser ist, aus dem Geist der Bürokratie: "'Herr Schabowski', sagte ich dann immer, 'und wenn alle Sie im Stich lassen, ich bleibe Ihnen treu.'"
Verena Roßbacher erzählt in "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" von einer ungewöhnlichen Freundschaft auf Leben und Tod. Die über viele Seiten tragende Wand der Komik ("Ich war eine Frau im Winter meines Lebens") wird dabei mit einem ordentlichen Fundament aus Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit stabilisiert. Denn Schabowski ist unheilbar an Krebs erkrankt. Ihm bleiben, so sagt der schöne Doktor Faruki von der Charité, nur noch wenige Wochen. Charly wiederum ist, seit ihre "nervige Schwester Sybille" ihr eine Familienaufstellung geschenkt hat, in eine Spirale der Aufarbeitung geraten. Man folgt ihrer Erzählung voller Mitgefühl für so viel Pech im Leben der armen Charly Benz, die als jüngstes von fünf Kindern in der Ostschweiz aufgewachsen ist, früh die Mutter verlor und noch früher den Vater, der sich von der Familie abgeseilt hat, als Charly fünf war. Die Geschwister: "meine Schwestern, bebrillte, lange und ungelenke Elende", der Bruder ein "Yeti". Die wenigen Beziehungen der Charly Benz sind ein Desaster mit Ansage.
Als nach jahrelangem Single-Siechtum sich gleich drei Männer auf einmal in ihrem Leben einstellen und es zu einer (für uns Leser) unbefleckten Empfängnis mit drei potentiellen Vätern kommt, nimmt alles eine unerwartete Wendung. Unter tätiger Mitwirkung von Esoterik-Schwester Sybille arbeiten Charly und Schabowski nun eine alternative Heilagenda ab. Verena Roßbacher führt dabei in die komischsten Winkel der modernen Esoterik, aber nie ohne Respekt vor denen, die ihre Denkgebäude in Anspruch nehmen, und jenen, die an ihnen gesunden. So wie Schabowski, der wieder Lebensmut findet und entgegen jeder Prognose noch einmal aufblüht - bevor dann doch das Unvermeidliche eintritt. Bis dahin werden Charly und Schabowski einen weiten, ernsten und doch auch absurd komischen Weg der Selbstklärung zurücklegen, an dessen Erkenntnisquellen sich auch alle Leser laben können: tanzender Heilkreis der Colima-Indianer, heilsames Arbeiten mit Ton, lustige Filme schauen im Zeichen der Heilsamkeit. "Ja okay, Channeln mit Engeln war ein Griff ins Klo."
Das wirkliche Wunder, das "Mon Chéri" vollbringt, ist, dass der komischste Roman der Saison nicht im Stadium des Ironischen stecken bleibt, das ja bekanntlich eine Distanzierungsmasche von Angsthasen ist. Nein, "Mon Chéri" ist das Buch mit der Piemont-Kirsche, und es geht den Weg des Komischen zu Ende: von süß bis bitter und wieder zurück. Es erzählt uns, dass das Leben ein Witz ist, wenn es den Tod nicht mitdenkt.
Kurz vor seinem Tod stellt Herr Schabowski noch eine Playlist mit den Musikstücken zusammen, die das Ende eines Films anzeigen. Es seien fast immer solche, die ihn fröhlich und zuversichtlich stimmten, sagt Schabowski. Und als es dann fast vorbei ist: "'Kommen Sie', sagte er, 'hören wir noch ein bisschen Abspann.'" KATHARINA TEUTSCH
Verena Roßbacher: "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022.
512 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Mit Aufbackviennoiserien lässt sich auch leben
Schicksalsjahre einer Konsumentin: Verena Roßbachers komisches Meisterwerk "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen"
"Ein paar Worte vorneweg", heißt es vorneweg. Eine gebieterische Ruckrede, mit der die Leserin von "Mon Chéri" schon in der Überschrift des Vorspanns auf Linie gebracht wird. Auf den folgenden fünfhundert Seiten wird man sich jedenfalls noch an ihn erinnern. Dort, wo er mahnende Gebrauchsanleitung zum belletristischen Verzehr ist, und auch dort, wo er über Bord geworfen wird. "Handke", steht da also, "Handke sagte einmal, über Sexualität gebe es nichts zu schreiben. Er sagte, auch im Kino schaue er immer weg, Sexszenen würden alle erniedrigen, die
Schicksalsjahre einer Konsumentin: Verena Roßbachers komisches Meisterwerk "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen"
"Ein paar Worte vorneweg", heißt es vorneweg. Eine gebieterische Ruckrede, mit der die Leserin von "Mon Chéri" schon in der Überschrift des Vorspanns auf Linie gebracht wird. Auf den folgenden fünfhundert Seiten wird man sich jedenfalls noch an ihn erinnern. Dort, wo er mahnende Gebrauchsanleitung zum belletristischen Verzehr ist, und auch dort, wo er über Bord geworfen wird. "Handke", steht da also, "Handke sagte einmal, über Sexualität gebe es nichts zu schreiben. Er sagte, auch im Kino schaue er immer weg, Sexszenen würden alle erniedrigen, die
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Zuschauer wie die Darsteller. Handke und ich sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, aber in dieser Sache muss ich ihm auf die Schulter klopfen."
"Mon Chéri", der vierte Roman von Verena Roßbacher, ist also ein Buch, das sich von Handke herleitet (zumindest in dem Punkt) und das von Menschen in Berlin handelt, deren Sexleben uns weitgehend verborgen bleibt zugunsten einer noch viel intimeren Besichtigung ihrer "demolierten Seelen". So heißt "Mon Chéri" im Untertitel. Und auch da hilft der frühe Handke. Aber eigentlich kann man sich jetzt auch wieder von ihm trennen. Denn dieses Buch mit insgesamt drei spektakulären Sexszenen gegen die Verabredung braucht ihn nicht. Eines zum Handke-Komplex sei vielleicht aber noch nachgereicht. Es wird ein Baby geboren, das Petra heißen soll - als Hommage an den großen Dichter!
Die Mutter des Babys wird eingeführt als eine Person, die an Silvester notorisch zum sogenannten "Notfallessen" eingeladen wird. Dort landen nur die, die jetzt allein sind und es lange bleiben werden. "Ja, das war das Problem. Ich musste immer alles alleine machen, Essen kochen und Musik machen, mich vor meiner Post fürchten, einfach alles. Ich seufzte. So wie es aussah, würde ich auch meine Kinder in Eigenregie zeugen müssen, sollte ich je welche haben wollen. Ich musste mir eingestehen: Die Zeit arbeitete gegen mich."
Immerhin hat Charly Benz Bilder für alles und jeden: "Als Frau fühlte ich mich eher wie die fiese Karikatur einer Suffragette." Und einen Job, in dem ihr schonungslos kreatives Wesen gefragt ist: Werbung für vegane Müsliriegel und andere Foodtrends. Da Charly, die sich selbst von Aufbackviennoiserien ernährt, alles, was es über das Leben zu wissen gab, praktisch aus Illustrierten und Fernsehsendungen der Neunziger bezogen hat, ist sie Profi für kollektive Lügenimperien. Stichwort: Dallmayr Prodomo, Werther's Echte und Mon Chéri.
Ansonsten steht es eher schlecht um sie. Nicht nur hört Charly nach Feierabend regressiverweise "Bibi Blocksberg", auch wird sie von ernsthaften Schrullen geplagt. Angst vor schlechten Nachrichten zum Beispiel macht es ihr unmöglich, sich dem Inhalt ihres Briefkastens zu stellen. Weswegen jetzt die zweite Hauptfigur ins Spiel kommt: Herr Schabowski. Ein kettenrauchender Anzugträger, der auf Fälle wie Charly Benz spezialisiert ist. Bei ihm ist sie Premiumkundin für 89,90 Euro im Monat, was bedeutet: "Bearbeitung vorhandener Briefe/Dokumente (Flatrate), Gesprächstermine im Büro (ebenfalls unbegrenzt), Amtsgänge (maximal viermal im Monat und im Umkreis von 50 km mit Aufpreis) und Telefongespräche. Dazu kam die regelmäßige Aufklärung, wie man auf einen Brief zu reagieren hatte - das war bei jeder der drei Abokategorien mit dabei, und man konnte es auch nicht abbestellen."
Charly Benz hätte es gerne abbestellt. Aber Herr Schabowski bleibt eisern. "'Schauen sie, Frau Benz', sagte er jedes Mal väterlich, wenn er mich aufklärte, 'es kann zwar sein, dass das nicht unbedingt von Geschäftstüchtigkeit zeugt, aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich es mich macht, wenn ein Kunde irgendwann sein Abo kündigt. Ich habe ja selbst keine Kinder, aber so muss es sich anfühlen, wenn die eigenen Sprösslinge flügge werden - eine Mischung aus Stolz, Zuversicht, Sorge und Wehmut.'" Und so entsteht der zentrale Pakt dieses Buchs, der auch ein Pakt mit dem Leser ist, aus dem Geist der Bürokratie: "'Herr Schabowski', sagte ich dann immer, 'und wenn alle Sie im Stich lassen, ich bleibe Ihnen treu.'"
Verena Roßbacher erzählt in "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" von einer ungewöhnlichen Freundschaft auf Leben und Tod. Die über viele Seiten tragende Wand der Komik ("Ich war eine Frau im Winter meines Lebens") wird dabei mit einem ordentlichen Fundament aus Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit stabilisiert. Denn Schabowski ist unheilbar an Krebs erkrankt. Ihm bleiben, so sagt der schöne Doktor Faruki von der Charité, nur noch wenige Wochen. Charly wiederum ist, seit ihre "nervige Schwester Sybille" ihr eine Familienaufstellung geschenkt hat, in eine Spirale der Aufarbeitung geraten. Man folgt ihrer Erzählung voller Mitgefühl für so viel Pech im Leben der armen Charly Benz, die als jüngstes von fünf Kindern in der Ostschweiz aufgewachsen ist, früh die Mutter verlor und noch früher den Vater, der sich von der Familie abgeseilt hat, als Charly fünf war. Die Geschwister: "meine Schwestern, bebrillte, lange und ungelenke Elende", der Bruder ein "Yeti". Die wenigen Beziehungen der Charly Benz sind ein Desaster mit Ansage.
Als nach jahrelangem Single-Siechtum sich gleich drei Männer auf einmal in ihrem Leben einstellen und es zu einer (für uns Leser) unbefleckten Empfängnis mit drei potentiellen Vätern kommt, nimmt alles eine unerwartete Wendung. Unter tätiger Mitwirkung von Esoterik-Schwester Sybille arbeiten Charly und Schabowski nun eine alternative Heilagenda ab. Verena Roßbacher führt dabei in die komischsten Winkel der modernen Esoterik, aber nie ohne Respekt vor denen, die ihre Denkgebäude in Anspruch nehmen, und jenen, die an ihnen gesunden. So wie Schabowski, der wieder Lebensmut findet und entgegen jeder Prognose noch einmal aufblüht - bevor dann doch das Unvermeidliche eintritt. Bis dahin werden Charly und Schabowski einen weiten, ernsten und doch auch absurd komischen Weg der Selbstklärung zurücklegen, an dessen Erkenntnisquellen sich auch alle Leser laben können: tanzender Heilkreis der Colima-Indianer, heilsames Arbeiten mit Ton, lustige Filme schauen im Zeichen der Heilsamkeit. "Ja okay, Channeln mit Engeln war ein Griff ins Klo."
Das wirkliche Wunder, das "Mon Chéri" vollbringt, ist, dass der komischste Roman der Saison nicht im Stadium des Ironischen stecken bleibt, das ja bekanntlich eine Distanzierungsmasche von Angsthasen ist. Nein, "Mon Chéri" ist das Buch mit der Piemont-Kirsche, und es geht den Weg des Komischen zu Ende: von süß bis bitter und wieder zurück. Es erzählt uns, dass das Leben ein Witz ist, wenn es den Tod nicht mitdenkt.
Kurz vor seinem Tod stellt Herr Schabowski noch eine Playlist mit den Musikstücken zusammen, die das Ende eines Films anzeigen. Es seien fast immer solche, die ihn fröhlich und zuversichtlich stimmten, sagt Schabowski. Und als es dann fast vorbei ist: "'Kommen Sie', sagte er, 'hören wir noch ein bisschen Abspann.'" KATHARINA TEUTSCH
Verena Roßbacher: "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022.
512 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Mon Chéri", der vierte Roman von Verena Roßbacher, ist also ein Buch, das sich von Handke herleitet (zumindest in dem Punkt) und das von Menschen in Berlin handelt, deren Sexleben uns weitgehend verborgen bleibt zugunsten einer noch viel intimeren Besichtigung ihrer "demolierten Seelen". So heißt "Mon Chéri" im Untertitel. Und auch da hilft der frühe Handke. Aber eigentlich kann man sich jetzt auch wieder von ihm trennen. Denn dieses Buch mit insgesamt drei spektakulären Sexszenen gegen die Verabredung braucht ihn nicht. Eines zum Handke-Komplex sei vielleicht aber noch nachgereicht. Es wird ein Baby geboren, das Petra heißen soll - als Hommage an den großen Dichter!
Die Mutter des Babys wird eingeführt als eine Person, die an Silvester notorisch zum sogenannten "Notfallessen" eingeladen wird. Dort landen nur die, die jetzt allein sind und es lange bleiben werden. "Ja, das war das Problem. Ich musste immer alles alleine machen, Essen kochen und Musik machen, mich vor meiner Post fürchten, einfach alles. Ich seufzte. So wie es aussah, würde ich auch meine Kinder in Eigenregie zeugen müssen, sollte ich je welche haben wollen. Ich musste mir eingestehen: Die Zeit arbeitete gegen mich."
Immerhin hat Charly Benz Bilder für alles und jeden: "Als Frau fühlte ich mich eher wie die fiese Karikatur einer Suffragette." Und einen Job, in dem ihr schonungslos kreatives Wesen gefragt ist: Werbung für vegane Müsliriegel und andere Foodtrends. Da Charly, die sich selbst von Aufbackviennoiserien ernährt, alles, was es über das Leben zu wissen gab, praktisch aus Illustrierten und Fernsehsendungen der Neunziger bezogen hat, ist sie Profi für kollektive Lügenimperien. Stichwort: Dallmayr Prodomo, Werther's Echte und Mon Chéri.
Ansonsten steht es eher schlecht um sie. Nicht nur hört Charly nach Feierabend regressiverweise "Bibi Blocksberg", auch wird sie von ernsthaften Schrullen geplagt. Angst vor schlechten Nachrichten zum Beispiel macht es ihr unmöglich, sich dem Inhalt ihres Briefkastens zu stellen. Weswegen jetzt die zweite Hauptfigur ins Spiel kommt: Herr Schabowski. Ein kettenrauchender Anzugträger, der auf Fälle wie Charly Benz spezialisiert ist. Bei ihm ist sie Premiumkundin für 89,90 Euro im Monat, was bedeutet: "Bearbeitung vorhandener Briefe/Dokumente (Flatrate), Gesprächstermine im Büro (ebenfalls unbegrenzt), Amtsgänge (maximal viermal im Monat und im Umkreis von 50 km mit Aufpreis) und Telefongespräche. Dazu kam die regelmäßige Aufklärung, wie man auf einen Brief zu reagieren hatte - das war bei jeder der drei Abokategorien mit dabei, und man konnte es auch nicht abbestellen."
Charly Benz hätte es gerne abbestellt. Aber Herr Schabowski bleibt eisern. "'Schauen sie, Frau Benz', sagte er jedes Mal väterlich, wenn er mich aufklärte, 'es kann zwar sein, dass das nicht unbedingt von Geschäftstüchtigkeit zeugt, aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich es mich macht, wenn ein Kunde irgendwann sein Abo kündigt. Ich habe ja selbst keine Kinder, aber so muss es sich anfühlen, wenn die eigenen Sprösslinge flügge werden - eine Mischung aus Stolz, Zuversicht, Sorge und Wehmut.'" Und so entsteht der zentrale Pakt dieses Buchs, der auch ein Pakt mit dem Leser ist, aus dem Geist der Bürokratie: "'Herr Schabowski', sagte ich dann immer, 'und wenn alle Sie im Stich lassen, ich bleibe Ihnen treu.'"
Verena Roßbacher erzählt in "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" von einer ungewöhnlichen Freundschaft auf Leben und Tod. Die über viele Seiten tragende Wand der Komik ("Ich war eine Frau im Winter meines Lebens") wird dabei mit einem ordentlichen Fundament aus Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit stabilisiert. Denn Schabowski ist unheilbar an Krebs erkrankt. Ihm bleiben, so sagt der schöne Doktor Faruki von der Charité, nur noch wenige Wochen. Charly wiederum ist, seit ihre "nervige Schwester Sybille" ihr eine Familienaufstellung geschenkt hat, in eine Spirale der Aufarbeitung geraten. Man folgt ihrer Erzählung voller Mitgefühl für so viel Pech im Leben der armen Charly Benz, die als jüngstes von fünf Kindern in der Ostschweiz aufgewachsen ist, früh die Mutter verlor und noch früher den Vater, der sich von der Familie abgeseilt hat, als Charly fünf war. Die Geschwister: "meine Schwestern, bebrillte, lange und ungelenke Elende", der Bruder ein "Yeti". Die wenigen Beziehungen der Charly Benz sind ein Desaster mit Ansage.
Als nach jahrelangem Single-Siechtum sich gleich drei Männer auf einmal in ihrem Leben einstellen und es zu einer (für uns Leser) unbefleckten Empfängnis mit drei potentiellen Vätern kommt, nimmt alles eine unerwartete Wendung. Unter tätiger Mitwirkung von Esoterik-Schwester Sybille arbeiten Charly und Schabowski nun eine alternative Heilagenda ab. Verena Roßbacher führt dabei in die komischsten Winkel der modernen Esoterik, aber nie ohne Respekt vor denen, die ihre Denkgebäude in Anspruch nehmen, und jenen, die an ihnen gesunden. So wie Schabowski, der wieder Lebensmut findet und entgegen jeder Prognose noch einmal aufblüht - bevor dann doch das Unvermeidliche eintritt. Bis dahin werden Charly und Schabowski einen weiten, ernsten und doch auch absurd komischen Weg der Selbstklärung zurücklegen, an dessen Erkenntnisquellen sich auch alle Leser laben können: tanzender Heilkreis der Colima-Indianer, heilsames Arbeiten mit Ton, lustige Filme schauen im Zeichen der Heilsamkeit. "Ja okay, Channeln mit Engeln war ein Griff ins Klo."
Das wirkliche Wunder, das "Mon Chéri" vollbringt, ist, dass der komischste Roman der Saison nicht im Stadium des Ironischen stecken bleibt, das ja bekanntlich eine Distanzierungsmasche von Angsthasen ist. Nein, "Mon Chéri" ist das Buch mit der Piemont-Kirsche, und es geht den Weg des Komischen zu Ende: von süß bis bitter und wieder zurück. Es erzählt uns, dass das Leben ein Witz ist, wenn es den Tod nicht mitdenkt.
Kurz vor seinem Tod stellt Herr Schabowski noch eine Playlist mit den Musikstücken zusammen, die das Ende eines Films anzeigen. Es seien fast immer solche, die ihn fröhlich und zuversichtlich stimmten, sagt Schabowski. Und als es dann fast vorbei ist: "'Kommen Sie', sagte er, 'hören wir noch ein bisschen Abspann.'" KATHARINA TEUTSCH
Verena Roßbacher: "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen". Roman.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022.
512 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Kristina Maidt-Zinke hat nichts gegen Antiquiertheit, wenn sie so charmant daherkommt wie in Verena Roßbachers Roman über die Selbstfindungseskapaden einer Mittvierzigerin. Dass sich jemand eskapistisch wie die Heldin verhält, ist für die Rezensentin zwar eigentlich kaum noch vorstellbar, doch Roßbacher hat einen originellen und gelassen-komischen Zugang zur komplexbeladenen Seele ihrer Figur, versichert sie. Das zeigt sich für Maidt-Zinke etwa darin, dass sie der Protagonistin einen kuriosen Therapeuten und gleich drei potenzielle Kindsväter an die Seite stellt und aus dieser Konstellation eine Utopie des "solidarischen Miteinanders" zaubert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eines der ungewöhnlichsten und komischsten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe.« Christine Westermann WDR 2 Bücher 20220724
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!ein Lesehighlight 2022!
Wenn man zu viel von den kleinen süßen Dingern futtert, kann man seine Seele wohlweislich gewaltig demolieren. Und wie sieht das bei Hauptprotagonistin Charly aus? Mit ihren Anfang 40 scheint ihr Leben mehr als chaotisch, verkorkst oder nennen wir es gar …
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!ein Lesehighlight 2022!
Wenn man zu viel von den kleinen süßen Dingern futtert, kann man seine Seele wohlweislich gewaltig demolieren. Und wie sieht das bei Hauptprotagonistin Charly aus? Mit ihren Anfang 40 scheint ihr Leben mehr als chaotisch, verkorkst oder nennen wir es gar planlos. Charly stört sich daran nur in begrenzter Weise. Das ihr bester Freund Schabowski dann aber schwer krank wird, haut Charly aus der Bahn und nun heißt es alles ordnen was kommt. Für Charly kommt plötzlich zu viel in ihr Leben und da heißt es dann Zähne zusammen beißen und ruhig bleiben. Charly hat dafür nur nie einen Sinn für gehabt. Sie merkt, dass auch nun immer wieder neue Lebensumbrüche geschehen und alles verändern können. Gar nicht einfach im eigenen Chaos. Ihre Flucht mag im Klappentext etwas komisch und wohl zu übertrieben witzig klingen, ist es aber nicht bzw. nur bedingt. Autorin Verena Rossbacher zeichnet hier für meine Begriffe einen wirklich grandioses Bild. Ihre Charaktere lernen, überlegen mit der neuen Situation umzugehen, gehen in-sich, versuchen ein wenig Ordnung in all das angerichtete Chaos zu bringen. Alles nicht einfach aber so ist das Leben. Unermüdlich zu jeder Zeit egal ob man will oder nicht. Rossbacher schwingt hier einen wirklich schönen Spagat zwischen Ernst, Humor und Witz ohne dabei Kitsch oder Klischee zu bedienen. Sie setzt akzentuiert laute und leise Töne ein, gibt der Geschichte die nötige Ruhe und auch die passende Schnelligkeit. Ihr Humor ist manchmal fein, manchmal schwarz wie die Nacht. Der Tenor der Geschichte ist zum Schluss ebenfalls mehr als treffend und der rote Faden zieht sich gemächlich durch die Story.
Mein Fazit: eine wirklich lesenswerte Geschichte mit dem gewissen Etwas und der nötigen Prise Humor für das Leben. Alles stimmig und eben wirklich klasse verfasst! Ja, dieses Buch ist ein Lesehighlight 2022! 5 von 5 Sterne hierfür!
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Nun sitze ich hier (nachdem ich die 4 Mon Chéri gegessen und das Glas Sekt getrunken habe) und versuche meine Gedanken zu diesem außergewöhnlichen Roman zu sortieren - super Plan diese Reihenfolge, merke ich gerade. So würde es Charly Benz, die Protagonistin, wohl auch machen, …
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Nun sitze ich hier (nachdem ich die 4 Mon Chéri gegessen und das Glas Sekt getrunken habe) und versuche meine Gedanken zu diesem außergewöhnlichen Roman zu sortieren - super Plan diese Reihenfolge, merke ich gerade. So würde es Charly Benz, die Protagonistin, wohl auch machen, jedoch wäre mindestens ein zweites Glas und eine Menge karzinogener Substanzen, wie indianische Zigaretten und verkohlte Croissants, mit am Start. Charly ist die Königin des gelebten Chaos, der Stellvertreterkriege, der Postangst und mit ihren 43 Jahren seit über 20 Jahren ‘frühvergreist’ und weit davon entfernt ihre kindlichen Verhaltensmuster an den Nagel zu hängen und das Leben, geschweige denn sich selber, ernst zu nehmen und hat ein erhebliches Problem damit sich mit Müsliriegeln zu identifizieren, aber das ist beruflicher Natur. All das hat sie, soweit möglich, gut im Griff, insbesondere ihre Postangst, denn dafür hat sie den ‘Postengel’, ihren Postverwalter Herrn Schabowski, der weit mehr als nur Ordnung in ihre Unterlagen bringt. Es könnte alles so ruhig und einsam, leer, gefrustet und mit unterirdischem Selbstwert weitergehen, wären da nicht eine Familienaufstellung, eine tödliche Diagnose, drei Männer, eine Schwangerschaft und ein Erbe. Charly und Herr Schabowski beschließen die Einschläge in ihre Blasen und Komfortzonen proaktiv anzugehen und finden überraschende, besondere Wege, die unter anderem ihren Stand auf der Esoterikskala steigen lassen, aber vor allem lernen sie sich selbst neu kennen und mit Achtsamkeit und Respekt ihren demolierten Seelen zu begegnen.
Für diesen Roman spreche ich eine ganz klare Leseempfehlung aus. Die Figuren sind eine bunte Mischung, mal nervig, skurril, lähmend, liebenswert, außergewöhnlich, großartig, vielseitig, chaotisch und einfach toll. Die 503 Seiten sind sehr kurzweilig, kaum und nur wenige Längen, diese jedoch ganz bewusst, denn sonst wäre es nicht Charly, wenn sie uns ihr Leben kurz und simpel erzählen würde. Die Sprache mochte ich sehr, die Autorin hat ein Händchen für gelungene Wortwahl, vor allem hat sie eine riesige Palette an Humor jeglicher Form und Art und ein Gespür für die Entwicklung ihrer Figuren. Ich bin mir sicher, dass dieser Roman etwas polarisiert, man liebt oder hasst ihn, ich glaube allzu viel Grau gibt es nicht dazwischen. Ich liebe ihn und seit dem Beenden des Romans fehlt mir etwas, das Zuklappen des Buches fiel mir schwer, ich wollte mich noch nicht trennen. Ich habe Tränen gelacht und Tränchen vergossen aus Rührung und Mitgefühl, ich bin in die Geschichte und in Charly’s Leben in Berlin eingetaucht und damit auf einer Achterbahn gelandet.
Lest es und lasst euch mitnehmen auf ein ganz besonderes Abenteuer.
Ein ganz klares Highlight im Frühjahr für mich.
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Originell, chaotisch, lesenswert
„Tatsache war: Aus dem völlig vergagelten Kind war eine hundertprozentig chaotisch zusammengewürfelte Erwachsene geworden.“ (Zitat Pos. 2265)
Inhalt
Charly Benz ist dreiundvierzig Jahre alt und lebt in Berlin. Sie arbeitet im Marketing …
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Originell, chaotisch, lesenswert
„Tatsache war: Aus dem völlig vergagelten Kind war eine hundertprozentig chaotisch zusammengewürfelte Erwachsene geworden.“ (Zitat Pos. 2265)
Inhalt
Charly Benz ist dreiundvierzig Jahre alt und lebt in Berlin. Sie arbeitet im Marketing von LuckyLily, einer veganen Foodcompany, wobei Charly weder Veganerin, noch wenigstens Vegetarierin ist. „Ich hatte keine Ahnung von Marketing und machte einen guten Job. Diese Tatsache allein war so himmeltraurig, dass ich hätte heulen können.“ (Zitat Pos. 280) Ihre Post bringt sie alle zwei Wochen zu Herbert Schabowsky, der sie für sie öffnet und sortiert. Dies mit viel Kaffee, Mohawk Red Zigaretten und Gesprächen über Gott und die Welt. Charly ist so etwas wie eine chaotische Optimistin, die sich zu viele Sorgen macht, Single, manchmal einsam, aber nicht unglücklich. Dennoch – zur Zeit fühlt sie sich in der Eintönigkeit gefangen, aber aus eigenem Antrieb schafft sie keinen Neubeginn. Bis mehrere Dinge gleichzeitig geschehen: von ihrer Schwester Sybille hatte sie zum Geburtstag einen Gutschein für die Teilnahme an einer Familienaufstellung bekommen, doch Charly hatte keine Absicht, hinzugehen. Nun trifft sie mit Herrn Schabowsky die Vereinbarung, an dieser Familienaufstellung teilzunehmen, wenn er im Gegenzug dringend notwendige ärztliche Untersuchungen machen lässt, bei denen sie ihn begleitet. Beides setzt völlig unvorhersehbare Ereignisse in Gang.
Thema und Genre
Im Mittelpunkt dieses Romans steht eine eigenwillige, moderne Frau, die sich ihren vielen Fragen und Themen zu stellen versucht. Es geht um Freundschaft, Familie, Beziehungen, Liebe in vielen Facetten, kurz, um die bunte, manchmal verwirrende Vielfalt des Lebens.
Charaktere
Charly isst nicht Schokolade, sondern verkohlte Croissants zum Frühstück, dazu Kaffee und Zigaretten. „Fazit: Mein Leben sah nicht gut aus. Verzehrte Croissants: fünf. Zigaretten: viele. Fertig.“ (Zitat Pos. 320) Sie ist vielleicht nicht perfekt, dafür unwiderstehlich und liebenswert, man wünscht sie sich sofort als BFF, ab der ersten Seite dieses Romans.
Handlung und Schreibstil
Charly Benz ist eine chaotische Ich-Erzählerin, die in Bezug auf ihre Person gerne mal untertreibt. Der Handlungsrahmen umfasst etwa ein Jahr, verläuft nicht unbedingt chronologisch, alles andere wäre bei dieser Ich-Erzählerin auch eher erstaunlich. Ergänzungen durch viele Erinnerungen und Rückblenden lassen Raum für eigene Überlegungen und ergeben in Verbindung mit den aktuellen Ereignissen ein sehr gelungenes Gesamtbild. Die Sprache passt perfekt zu dieser eigenwilligen Hauptfigur.
Fazit
Moderne Frauenliteratur, die zeigt, was in diesem Genre möglich ist, überzeugend und sehr erfrischend, weil ohne Protagonistinnen, die in jammerndem Selbstmitleid versinken. Eine originelle, einfühlsame und positive Geschichte von unglaublich komisch, schräg, skurril bis zu ernst, traurig, nachdenklich – bittersüß, wie das Schokoladekonfekt im Titel.
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