David Grossman
Broschiertes Buch
Kommt ein Pferd in die Bar
Roman. Ausgezeichnet mit dem Man Booker International Prize 2017
Übersetzung: Birkenhauer Molad, Anne
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In seinem hochgelobten Roman 'Kommt ein Pferd in die Bar' zündet der preisgekrönte israelische Autor David Grossman ein sprachliches Feuerwerk, das an die Substanz geht.An einem heißen Augustabend stolpert der Comedian Dovele auf die Bühne einer Kleinstadt, reißt billige Witze, beleidigt, frotzelt und erzählt dann die irrsinnig komische Geschichte über die erste Beerdigung seines Lebens - damals, als man ihm während der stundenlangen Fahrt zum Friedhof nicht sagte, wer von seinen Eltern gestorben war. Den Zuschauern vergeht das Lachen, der Abend gerät zur Generalabrechnung - mit Dovel...
In seinem hochgelobten Roman 'Kommt ein Pferd in die Bar' zündet der preisgekrönte israelische Autor David Grossman ein sprachliches Feuerwerk, das an die Substanz geht.
An einem heißen Augustabend stolpert der Comedian Dovele auf die Bühne einer Kleinstadt, reißt billige Witze, beleidigt, frotzelt und erzählt dann die irrsinnig komische Geschichte über die erste Beerdigung seines Lebens - damals, als man ihm während der stundenlangen Fahrt zum Friedhof nicht sagte, wer von seinen Eltern gestorben war. Den Zuschauern vergeht das Lachen, der Abend gerät zur Generalabrechnung - mit Dovele selbst, dem Publikum, einer zutiefst beschädigten Gesellschaft. Bis der Vorhang fällt.
An einem heißen Augustabend stolpert der Comedian Dovele auf die Bühne einer Kleinstadt, reißt billige Witze, beleidigt, frotzelt und erzählt dann die irrsinnig komische Geschichte über die erste Beerdigung seines Lebens - damals, als man ihm während der stundenlangen Fahrt zum Friedhof nicht sagte, wer von seinen Eltern gestorben war. Den Zuschauern vergeht das Lachen, der Abend gerät zur Generalabrechnung - mit Dovele selbst, dem Publikum, einer zutiefst beschädigten Gesellschaft. Bis der Vorhang fällt.
Grossman, DavidDavid Grossman, geboren 1954 in Jerusalem, studierte Philosophie und Theater an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Er gehört zu den bedeutendsten Erzählern der israelischen Gegenwartsliteratur. Seine Romane, Sach- und Kinderbücher wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt. 2010 erhielt Grossman den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels; 2017 den Man Booker International Prize für »Kommt ein Pferd in die Bar«. Zuletzt erschien der Roman »Was Nina wusste« im Carl Hanser Verlag, München.
Produktdetails
- Fischer Taschenbücher 3402
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- Artikelnr. des Verlages: 1019727
- 3. Aufl.
- Seitenzahl: 256
- Erscheinungstermin: 24. Juli 2017
- Deutsch
- Abmessung: 191mm x 125mm x 17mm
- Gewicht: 226g
- ISBN-13: 9783596034024
- ISBN-10: 3596034027
- Artikelnr.: 46856575
Herstellerkennzeichnung
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Ich bin voller Sehnsucht, siehst du das nicht?
Ein Komiker, der sich vergaloppiert, braucht einen Freund: David Grossmans Roman "Kommt ein Pferd in die Bar"
Irgendwann wird es dem Publikum zu dumm: "Wo bleiben die Witze?", brüllt einer, mit gutem Grund, schließlich sind die Zuschauer in die Bar gekommen, um einen Stand-up-Comedian zu sehen. Der reagiert auf die Rufe, erzählt ein, zwei Witze über Beerdigungen, das Publikum lacht dankbar. Es will ihm wohl "helfen, den Abend zu retten", glaubt ein Beobachter, der ehemalige Richter Avischai Lasar. Solidarität mit dem Komiker also? Vielleicht. Oder geht es darum, das abzuwehren, was der dürre Mann auf der Bühne die ganze Zeit über ausbreiten will?
Dov
Ein Komiker, der sich vergaloppiert, braucht einen Freund: David Grossmans Roman "Kommt ein Pferd in die Bar"
Irgendwann wird es dem Publikum zu dumm: "Wo bleiben die Witze?", brüllt einer, mit gutem Grund, schließlich sind die Zuschauer in die Bar gekommen, um einen Stand-up-Comedian zu sehen. Der reagiert auf die Rufe, erzählt ein, zwei Witze über Beerdigungen, das Publikum lacht dankbar. Es will ihm wohl "helfen, den Abend zu retten", glaubt ein Beobachter, der ehemalige Richter Avischai Lasar. Solidarität mit dem Komiker also? Vielleicht. Oder geht es darum, das abzuwehren, was der dürre Mann auf der Bühne die ganze Zeit über ausbreiten will?
Dov
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Grinstein, der hier am Abend seines 57. Geburtstags auftritt, ist eine von drei Hauptfiguren in David Grossmans neuestem Roman "Kommt ein Pferd in die Bar", der 2014 im hebräischen Original und nun auch auf Deutsch erschienen ist. Die zweite Figur ist der Erzähler des Buchs, jener Lasar, der von Grinstein in einem Telefonat nach mehr als vierzigjährigem Schweigen zwischen ihnen dringlich zu jenem Abend eingeladen worden ist - er möge ihn auf der Bühne beobachten und ihm anschließend seine Außenwirkung beschreiben. Die dritte ist die zwergwüchsige Maniküre Pitz, auch sie ein Teil von Dovs Publikum bei jener Vorstellung, die der Roman von der ersten bis zur letzten Zeile schildert, von Dovs "einen wun-der-ba-ren guten Abend" bis, 250 Seiten später, "gute Nacht".
Es sind drei Versehrte, die sich hier treffen, drei, die sich in ihrer Kindheit gekannt haben und dann lange nicht mehr. Der Erzähler, der offenbar einigermaßen unbeschadet groß geworden ist und als Richter gearbeitet hat, leidet unter dem Verlust seiner großen Liebe Tamara, die einige Zeit zuvor gestorben ist. Einmal spürt er während der Vorstellung, wie sich "Tamara in mir verkrampfte. Du bist voller Wut, sagte sie. Ich bin voller Sehnsucht, dachte ich, siehst du das nicht?" Die kleine, mittlerweile alt gewordene Pitz ist, wie es scheint, die stille Außenseiterin von damals geblieben, erhebt aber nun ihre Stimme, wenn sie meint, Dovs Erzählungen etwas entgegenhalten zu müssen - "Das stimmt doch gar nicht!", sagt sie einmal, als Dov sich mit grausigen Details aus seiner Kindheit dem Publikum gegenüber grässlich bloßstellt, "du warst der Beste da!". Dass sie mit ihrem Ernst Dovs Auftritt als Komiker weiter ruiniert, scheint sie nicht groß zu bekümmern, und es bleibt bis zum Ende des Texts unklar, ob sie, die nur irrtümlich in diesen Raum geraten ist, überhaupt ein Konzept dieser Kleinkunstgattung hat.
Und schließlich Dov selbst, der den Abend lustvoll in den Sand setzt, jedenfalls nach den Maßstäben seiner Zunft. Denn während er von Anfang an aggressiv auf das Publikum zugeht, die üblichen billigen Beleidigungen alter, beleibter oder auch sonst offenbar angreifbarer Zuschauer inklusive, während er austeilt und sich bereit zum Einstecken zeigt, schockiert er sein Publikum vor allem durch seine Kampflust, die sich auf die eigene Person richtet. Schon die Körpersprache des unsicher herumzappelnden Komikers weist ihn als labil aus, auch wenn die Grenzen zwischen Entblößung und Inszenierung für niemanden durchschaubar sind. Vor allem aber schlägt er sich mehrfach selbst so heftig ins Gesicht, dass er ins Torkeln kommt und einmal sogar seine Brille einbüßt.
Tatsächlich liegt hier einer der Gründe dafür, warum Grossmans Roman in Stil und Anlage so überaus eindrucksvoll geraten ist. Der Autor, der in Interviews erklärte, eigentlich gar keinen Sinn für Witze zu haben, lässt seine Figur entschlossen auf dem Grat zwischen Komik und Grauen balancieren, so dass anfangs noch in vielen Passagen beide Lesarten möglich sind, die des schwarzen Humors ebenso wie die des mit Komik aufgeladenen schieren Entsetzens. Später dann löst sich das auf, Dov wechselt, sozusagen in voller Fahrt, von einem Gleis aufs andere und wieder zurück, und so kommt es, während das Publikum tischweise den Saal verlässt oder lautstark nach Witzen verlangt, zu jener grotesken Abfolge von schnell abgefeuerten Witzsalven und den Fortsetzungen ("wo waren wir stehengeblieben?") der immer aufs Neue unterbrochenen Geschichte aus Dovs Kindheit, deren Inhalt man so zusammenfassen könnte: Ein Vierzehnjähriger wird aus einem paramilitärischen Lager in der Wüste abgeholt, um am Begräbnis eines nahen Verwandten teilzunehmen, ohne dass ihm jemand erklärt, ob es um seinen Vater oder seine Mutter geht.
Kein Stoff für einen Comedy-Abend, natürlich nicht, aber Grossman lässt die Geschichte doch organisch aus dem vorherigen Verlauf des Abends erwachsen, indem er, auch das ist gute Tradition bei derlei, die Malaisen des eigenen Lebens ausbreitet und mit denen der Gesellschaft verknüpft. Die Geschichte seiner Eltern ist ohne den Holocaust nicht zu verstehen, der die väterliche Familie fast vollständig auslöschte und die Mutter, die sich ein halbes Jahr unter prekären Bedingungen vor den Nazis verstecken konnte, nachhaltig traumatisierte - Dovs erste Auftritte finden dann auch Abend für Abend vor der Mutter statt, in der Hoffnung, ihr ein Lächeln abzuringen. Er singt, imitiert Stimmen, er läuft auf den Händen, alles, um der Wucht der entsetzlichen Vergangenheit oder der tristen, von Ausgrenzung geprägten Gegenwart etwas entgegenzusetzen, was diejenigen, die er liebt, schützen könnte. Oder ihn selbst.
Denn das sind die grausigsten Stellen des Romans, diejenigen, die davon erzählen, wie er auf die Gemeinheiten seiner Mitschüler, auf die Schläge, die Demütigungen, die Verhöhnungen und Nachäffereien reagiert. Der gequälte Junge "johlte und schnitt Fratzen, aber zwischendurch glitt sein Blick leer und ausdruckslos über mein Gesicht", erinnert sich der Richter. Damals schritt er nicht etwa ein. Er bat die Lagerleitung, ihn selbst in ein anderes Zelt zu verlegen, er wurde schuldig an Dov, den er einige Zeit zuvor seinen Freund genannt hatte.
All dies entwirft Grossman mit großer Sicherheit, gerade die Passagen, die den gebrochenen, aber unverändert bösartigen Komiker auf der Bühne zeigen, sind meisterlich, mithin der überwiegende Teil des Romans. Grossman lässt Dov wie aufgezogen reden, so dass man um Kopf und Kragen des Komikers fürchtet, er lässt ihn über die Bühne schleichen, tänzeln oder hilflos kriechen, er lässt aufs schönste im Unklaren, was davon Absicht ist und was nicht, und dass er sogar auf einer gut sichtbar angebrachten Kreidetafel festhält, um wie viele sein Publikum laufend schrumpft, mag ebenso Trotz sein wie Befriedigung darüber, dass ein Plan aufgeht.
Aber was für ein Plan wäre das? Warum Dovs Interesse daran, den Richter in seinem Publikum zu wissen, warum die Schilderung einer Szene aus der gemeinsamen Kindheit, deren Wahrhaftigkeit niemand im Raum ermessen kann außer den beiden ehemaligen Freunden?
"Dieser Mann hat das Wesen oder die Begabung eines Dietrichs", urteilt der Richter schon früh an diesem Abend, und damit ist auch die Funktion umrissen, die jene Geschichte von der langen Autofahrt des Kindes zur Beerdigung eines Elternteils besitzt. Denn der vierzehnjährige Dov, der nicht weinen kann, weil er nicht weiß, um wen, und der gar nicht anders kann, als sich zu fragen, welcher der beiden der geringere Verlust wäre, der Vater oder die Mutter, wird von dem mitleidigen Fahrer mit Witzen traktiert - so, wie er nun selbst, vierzig Jahre später, die eigene Leidensgeschichte mit Witzen verknüpft und damit, wie es scheint, erst erzählbar macht: für sich selbst, für sein Publikum.
Und für den Richter, der nun endlich die Gelegenheit bekommt, für den Freund einzutreten, als er das Publikum viel lauter als nötig anherrscht, Dov doch endlich weitererzählen zu lassen. Und vielleicht ist das der Schwachpunkt dieses ansonsten so fabelhaften Romans: Grossman gewährt seinen versehrten Helden doch noch so etwas wie Linderung, wenn nicht Heilung in ihrer Not. Die Dämonen von früher werden sie zwar nicht mehr los, natürlich nicht, aber immerhin scheint sich für den Erzähler, der sich "kaum noch an den Klang meines Lachens" erinnert, zum ersten Mal nach dem Tod der Geliebten wieder eine schüchterne Romanze anzubahnen, und von Dov hören wir, dass er seinen Vater, mit dem ihn ein so schwieriges Verhältnis verband, bis zu dessen Lebensende gepflegt hat.
"Was hältst du davon, dass ich dich nach Hause fahre?", fragt der Richter. "Wenn du darauf bestehst", antwortet der Komiker. Ein bisschen zu rasch geht das am Ende, ein bisschen zu glatt. Aber warum sollte ein bitterschwarzer Abend nicht einmal tröstlich enden?
TILMAN SPRECKELSEN
David Grossman: "Kommt ein Pferd in die Bar". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Hanser Verlag, München 2016.
256 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es sind drei Versehrte, die sich hier treffen, drei, die sich in ihrer Kindheit gekannt haben und dann lange nicht mehr. Der Erzähler, der offenbar einigermaßen unbeschadet groß geworden ist und als Richter gearbeitet hat, leidet unter dem Verlust seiner großen Liebe Tamara, die einige Zeit zuvor gestorben ist. Einmal spürt er während der Vorstellung, wie sich "Tamara in mir verkrampfte. Du bist voller Wut, sagte sie. Ich bin voller Sehnsucht, dachte ich, siehst du das nicht?" Die kleine, mittlerweile alt gewordene Pitz ist, wie es scheint, die stille Außenseiterin von damals geblieben, erhebt aber nun ihre Stimme, wenn sie meint, Dovs Erzählungen etwas entgegenhalten zu müssen - "Das stimmt doch gar nicht!", sagt sie einmal, als Dov sich mit grausigen Details aus seiner Kindheit dem Publikum gegenüber grässlich bloßstellt, "du warst der Beste da!". Dass sie mit ihrem Ernst Dovs Auftritt als Komiker weiter ruiniert, scheint sie nicht groß zu bekümmern, und es bleibt bis zum Ende des Texts unklar, ob sie, die nur irrtümlich in diesen Raum geraten ist, überhaupt ein Konzept dieser Kleinkunstgattung hat.
Und schließlich Dov selbst, der den Abend lustvoll in den Sand setzt, jedenfalls nach den Maßstäben seiner Zunft. Denn während er von Anfang an aggressiv auf das Publikum zugeht, die üblichen billigen Beleidigungen alter, beleibter oder auch sonst offenbar angreifbarer Zuschauer inklusive, während er austeilt und sich bereit zum Einstecken zeigt, schockiert er sein Publikum vor allem durch seine Kampflust, die sich auf die eigene Person richtet. Schon die Körpersprache des unsicher herumzappelnden Komikers weist ihn als labil aus, auch wenn die Grenzen zwischen Entblößung und Inszenierung für niemanden durchschaubar sind. Vor allem aber schlägt er sich mehrfach selbst so heftig ins Gesicht, dass er ins Torkeln kommt und einmal sogar seine Brille einbüßt.
Tatsächlich liegt hier einer der Gründe dafür, warum Grossmans Roman in Stil und Anlage so überaus eindrucksvoll geraten ist. Der Autor, der in Interviews erklärte, eigentlich gar keinen Sinn für Witze zu haben, lässt seine Figur entschlossen auf dem Grat zwischen Komik und Grauen balancieren, so dass anfangs noch in vielen Passagen beide Lesarten möglich sind, die des schwarzen Humors ebenso wie die des mit Komik aufgeladenen schieren Entsetzens. Später dann löst sich das auf, Dov wechselt, sozusagen in voller Fahrt, von einem Gleis aufs andere und wieder zurück, und so kommt es, während das Publikum tischweise den Saal verlässt oder lautstark nach Witzen verlangt, zu jener grotesken Abfolge von schnell abgefeuerten Witzsalven und den Fortsetzungen ("wo waren wir stehengeblieben?") der immer aufs Neue unterbrochenen Geschichte aus Dovs Kindheit, deren Inhalt man so zusammenfassen könnte: Ein Vierzehnjähriger wird aus einem paramilitärischen Lager in der Wüste abgeholt, um am Begräbnis eines nahen Verwandten teilzunehmen, ohne dass ihm jemand erklärt, ob es um seinen Vater oder seine Mutter geht.
Kein Stoff für einen Comedy-Abend, natürlich nicht, aber Grossman lässt die Geschichte doch organisch aus dem vorherigen Verlauf des Abends erwachsen, indem er, auch das ist gute Tradition bei derlei, die Malaisen des eigenen Lebens ausbreitet und mit denen der Gesellschaft verknüpft. Die Geschichte seiner Eltern ist ohne den Holocaust nicht zu verstehen, der die väterliche Familie fast vollständig auslöschte und die Mutter, die sich ein halbes Jahr unter prekären Bedingungen vor den Nazis verstecken konnte, nachhaltig traumatisierte - Dovs erste Auftritte finden dann auch Abend für Abend vor der Mutter statt, in der Hoffnung, ihr ein Lächeln abzuringen. Er singt, imitiert Stimmen, er läuft auf den Händen, alles, um der Wucht der entsetzlichen Vergangenheit oder der tristen, von Ausgrenzung geprägten Gegenwart etwas entgegenzusetzen, was diejenigen, die er liebt, schützen könnte. Oder ihn selbst.
Denn das sind die grausigsten Stellen des Romans, diejenigen, die davon erzählen, wie er auf die Gemeinheiten seiner Mitschüler, auf die Schläge, die Demütigungen, die Verhöhnungen und Nachäffereien reagiert. Der gequälte Junge "johlte und schnitt Fratzen, aber zwischendurch glitt sein Blick leer und ausdruckslos über mein Gesicht", erinnert sich der Richter. Damals schritt er nicht etwa ein. Er bat die Lagerleitung, ihn selbst in ein anderes Zelt zu verlegen, er wurde schuldig an Dov, den er einige Zeit zuvor seinen Freund genannt hatte.
All dies entwirft Grossman mit großer Sicherheit, gerade die Passagen, die den gebrochenen, aber unverändert bösartigen Komiker auf der Bühne zeigen, sind meisterlich, mithin der überwiegende Teil des Romans. Grossman lässt Dov wie aufgezogen reden, so dass man um Kopf und Kragen des Komikers fürchtet, er lässt ihn über die Bühne schleichen, tänzeln oder hilflos kriechen, er lässt aufs schönste im Unklaren, was davon Absicht ist und was nicht, und dass er sogar auf einer gut sichtbar angebrachten Kreidetafel festhält, um wie viele sein Publikum laufend schrumpft, mag ebenso Trotz sein wie Befriedigung darüber, dass ein Plan aufgeht.
Aber was für ein Plan wäre das? Warum Dovs Interesse daran, den Richter in seinem Publikum zu wissen, warum die Schilderung einer Szene aus der gemeinsamen Kindheit, deren Wahrhaftigkeit niemand im Raum ermessen kann außer den beiden ehemaligen Freunden?
"Dieser Mann hat das Wesen oder die Begabung eines Dietrichs", urteilt der Richter schon früh an diesem Abend, und damit ist auch die Funktion umrissen, die jene Geschichte von der langen Autofahrt des Kindes zur Beerdigung eines Elternteils besitzt. Denn der vierzehnjährige Dov, der nicht weinen kann, weil er nicht weiß, um wen, und der gar nicht anders kann, als sich zu fragen, welcher der beiden der geringere Verlust wäre, der Vater oder die Mutter, wird von dem mitleidigen Fahrer mit Witzen traktiert - so, wie er nun selbst, vierzig Jahre später, die eigene Leidensgeschichte mit Witzen verknüpft und damit, wie es scheint, erst erzählbar macht: für sich selbst, für sein Publikum.
Und für den Richter, der nun endlich die Gelegenheit bekommt, für den Freund einzutreten, als er das Publikum viel lauter als nötig anherrscht, Dov doch endlich weitererzählen zu lassen. Und vielleicht ist das der Schwachpunkt dieses ansonsten so fabelhaften Romans: Grossman gewährt seinen versehrten Helden doch noch so etwas wie Linderung, wenn nicht Heilung in ihrer Not. Die Dämonen von früher werden sie zwar nicht mehr los, natürlich nicht, aber immerhin scheint sich für den Erzähler, der sich "kaum noch an den Klang meines Lachens" erinnert, zum ersten Mal nach dem Tod der Geliebten wieder eine schüchterne Romanze anzubahnen, und von Dov hören wir, dass er seinen Vater, mit dem ihn ein so schwieriges Verhältnis verband, bis zu dessen Lebensende gepflegt hat.
"Was hältst du davon, dass ich dich nach Hause fahre?", fragt der Richter. "Wenn du darauf bestehst", antwortet der Komiker. Ein bisschen zu rasch geht das am Ende, ein bisschen zu glatt. Aber warum sollte ein bitterschwarzer Abend nicht einmal tröstlich enden?
TILMAN SPRECKELSEN
David Grossman: "Kommt ein Pferd in die Bar". Roman.
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Hanser Verlag, München 2016.
256 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Katharina Granzin entdeckt zwischen all den Witzen in David Grossmans Roman eine tiefe Traurigkeit. Die Geschichte es Comedians wider Willen, der als Kind seine vom Holocaust traumatisierte Mutter aufheitern musste und der nun sein Publikum mit dieser Tatsache konfrontiert, verstört die Rezensentin wie das fiktive Publikum auch. Die Einheit von Zeit und Ort der Bühnensituation, mit der der Roman anhebt, wird laut Granzin durch einen im Publikum sitzenden Kinderfreund der Hauptfigur durchbrochen, was dem Text Tiefe verleiht. Dass dieser Autor keine Antworten gibt, sondern Fragen stellt und beharrlich den Finger in die Wunde sorgsam zurechtgebastelter Lebensläufe legt, erfährt Granzin einmal mehr mit diesem Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein fabelhafter Roman." Uwe Wittstock, Focus Mai 2016 "Ein großartiges Buch. Ich werde es heftigst weiterempfehlen. ... Atmosphärisch wunderbar beschrieben." Christine Westermann, Das Literarische Quartett, 29.04.16 "Ein fantastisches Buch. ... Worum geht es letztlich in der Literatur? Zumal in der erzählenden Literatur geht es sehr stark darum, das Leben eines anderen Menschen, der einem vorher fremd gewesen ist, so zu vergegenwärtigen und so auszuerzählen, dass man diesen Menschen versteht. Und genau das tut dieses Buch über 250 Seiten. Man hat danach ein Leben miterlebt und ist von diesem Leben ergriffen worden. ... Das ist große Psychologie." Uwe Wittstock, Das Literarische Quartett, 29.04.16 "David Grossman st ein großartiges Buch
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gelungen, es ist atemberaubend und fesselnd bis zuletzt. Ein trauriges Buch, voller Einsichten und Fragen und Rätsel über die menschliche Natur - und am Ende mit einem Schimmer Hoffnung. Was für ein geglücktes Werk." Stefan Berkholz, WDR3, 19.04.16 "Doveles Geschichte entwickelt eine solche Wucht, eine solche existenzielle Unabweisbarkeit, dass der Leser, ganz wie Doveles Publikum, gebannt an seinen Lippen hängt. Ein großer Erzähler hat uns mit einem schlechten Witz reingelegt, um uns nur umso tiefer in den Lebensernst hineinzuziehen." Ijoma Mangold, Die Zeit, 14.04.16 "David Grossman hat mit Dovele Grinstein eine unvergessliche Figur geschaffen. Sie kommt aus der Tiefe der israelischen Gesellschaft und geht einem doch ganz unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit ans Herz - in ihrem Leid, ihrer Widerborstigkeit, ihrer Verletzlichkeit und Aggressivität. Dovele Grinstein steckt - wie auch Richter und Saalpublikum - in jedem von uns." Carsten Hueck, Ö1 Ex libris, 10.04.16 "Ein grandioses Kammerspiel zweier Männer und einer Frau um Schuld, Verrat und Selbstfindung." Eva-Elisabeth Fischer, Süddeutsche Zeitung, 06.04.16 "Es geht um verratene Freundschaft, schicksalshafte Fehlentscheidungen, Verlust und Läuterung, nicht Wiedergutzumachendes und die Sehnsucht nach Wiedergutmachung. Um das Leben, die Liebe, den Tod sowieso. Grossman verhandelt das alles virtuos in einem brillanten literarischen Experiment, dem man atemlos beiwohnt, manchmal in der Ungewissheit, ob man das unbeschadet überstehen wird." Christina Dany, Falter, 16.03.16 "Dieser Roman beeindruckt und berührt. Bei der Lektüre empfindet man das Wechselbad zwischen Comedy und Tragik intensiv, wird gezwungen, sich mit den Themen, die Grossman anspricht, auseinanderzusetzen. Themen wie Umgang mit der Vergangenheit, kollektive Gleichgültigkeit, Empathie, Schuld, Einsamkeit, Befreiung. ... David Grossman beschreibt seine Figur Dovele mit derselben Einfühlsamkeit, die auch sein ganzes Werk auszeichnet." Britta Spichiger, SRF2 Kultur, 06.03.16 "David Grossman blickt in seinem neuen Roman tief in die Psyche Israels." 3sat Kulturzeit, 02.03.16 "Die Lebensbeichte Doveles auf der Bühne, der Blick in die Hölle, die politische wie psychologische Klarsicht machen das Buch zum grandiosen Psychogramm einer Gesellschaft, die das Leid anderer ausradiert. ... Eines der eindringlichsten Bücher der Saison." Cornelia Zetzsche, Bayern 2 Diwan, 27.02.16 "Bei aller Zartheit , die durchscheint, ist der Roman so explosiv wie die israelische Wirklichkeit - und ein erzählerisches Meisterwerk über Menschlichkeit in schweren Zeiten." Marie Luise Knott, Neue Zürcher Zeitung, 16.02.16 "Ein literarisch unglaublich intensiver Text, den man nicht aus der Hand legen kann. Er schüttelt einen durch und man kann sich nicht davon befreien - so sehr springt einen diese Geschichte an. ... Ein absolut ungewöhnlicher Text mit einer tiefen Wirkung für jeden Leser." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 16.02.16 "Sehr, sehr anrührend und ungewöhnlich. ... David Grossman ist ein großes Buch gelungen." Rainer Moritz, NDR Kultur, 16.02.16 "Eine ebenso einfache wie unfassbare Geschichte, elementar, existenziell, knapp orchestriert, mit minimalem Setting, krachendem Witz und doch so abgründig, dass es einen schaudert. Er spielt mit unseren Gefühlen, krempelt uns an Leib und Seele um. Dabei ist das Ganze so unterhaltsam wie ein Abend im Varieté. ... Wie kann man das Leid eines anderen anerkennen, wie durch einen Blick zu verstehen geben, dass man es sieht? Das ist die große Frage dieses Romans, dem die Geschichte Israels ebenso in den Knochen sitzt wie David Grossmans Lebenserfahrung." Meike Feßmann, Der Tagesspiegel, 13.02.16 "Der Roman ist bei aller Zartheit, die durchscheint, finster und explosiv und auf diese Weise vollständig auf der Höhe nicht nur der israelischen Wirklichkeit. Dieses Buch dürfte nach 'Eine Frau flieht vor einer Nachricht' Grossmans Ruf als bedeutendste Stimme Israels weiter festigen." Marie Luise Knott, Deutschlandradio Kultur, 12.02.16 "David Grossman hat einen herzzerreißenden Roman über einen Comedian geschrieben, der eine Nacht lang gegen sein Trauma anspielt. ... Erst im Frieden, hat Grossman kürzlich gesagt, kann das Beste eines Volkes zum Tragen kommen. Der neue Roman, der nur in einem Saal in Netanja spielt, in den aber alles hineinragt, was Israel an ungelösten Problemen quält, führt vor, wie unendlich, wie fast unerreichbar fern diese Zeit noch ist." Martin Ebel, Die Welt, 06.02.16 "...wieder hat man ein großes Gefühl (unter so vielen Gefühlen, die ausgelöst werden: Ekel, Mitleid, Zorn...): dass man hier beim Lesen etwas erlebt, das einem nur alle paar Jahre passiert." Peter Pisa, Kurier, 06.02.16 "Diese fast schon experimentelle Textgestaltung kannte man bisher nicht von Grossman: Vom ersten Satz an trifft er in diesem Roman dennoch traumwandlerisch sicher eine wechselnde Tonlage zwischen Spaß und Ernst, der man sich nicht entziehen kann." Reinhard Helling, Jüdische Allgemeine, 04.02.16 "Bei Grossman entpuppt sich der Witz als Überlebensmöglichkeit, als Weg, um mit den Erinnerungen zu leben, die das Schicksal einem zumutet. ... Niemand, der dieses Buch liest, bleibt davon unberührt. ... Die erzählerische Intensität des neuen Romans von David Grossman rührt zu Tränen. Sie ist fast schon schmerzhaft." Claudia Voigt, Literatur Spiegel, 30.01.16 "Kein amüsanter, sondern ein schockierend-geglückter Roman. Denn in der Komik liegen Grausamkeit und Schmerz. ... 'Kommt ein Pferd in die Bar' ist ein ergreifend trauriger und grausam komischer Roman, hinter dessen Lachfalten das Elend seines Helden immer schmerzhafter hervortritt. Dieses Buch ist David Grossmans bislang riskantestes und innovativstes erzählerisches Abenteuer, immer auf Messers Schneide zwischen Farce und Tragödie, Grauen und Mitleid, Höllengelächter und Höllenpein. ... Vom Comedy-Standpunkt gesehen ein schockierend verunglückter Abend, aus literarischer Sicht jedoch ein schockierend geglückter Roman." Sigrid Löffler, Deutschlandradio Kultur Lesart, 01.02.16 "Eines der faszinierendsten Bücher, das ich seit langer Zeit gelesen habe." Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur, 29.01.16
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Das Buch "Kommt ein Pferd in die Bar" von David Grossmann hat einen Umfang von 256 Seiten und ist bei Fischerverlag erschienen.
Als Taschenbuch- Hardcover- und Ebookausgabe erhältlich.
Inhalt: Der israelische Comedian Dovele tritt auf, reißt billige Witze und beginnt …
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Das Buch "Kommt ein Pferd in die Bar" von David Grossmann hat einen Umfang von 256 Seiten und ist bei Fischerverlag erschienen.
Als Taschenbuch- Hardcover- und Ebookausgabe erhältlich.
Inhalt: Der israelische Comedian Dovele tritt auf, reißt billige Witze und beginnt über seine erste Beerdigung zu lamentieren. Die Geschichte wird immer ernster und dem Publikum vergeht bald das Lachen, denn der Abend entwickelt sich zu einer privaten Abrechnung.
Die Geschichte ist von Anfang an beklemmend und atmosphärisch. Man selbst kommt sich vor, als würde man im Publikum sitzen und dem Comedian zusehen und lauschen. Leider konnten mich die Witze so gar nicht mitreißen. Alles war plump, obszön und beleidigend von Beginn an. Da hätte ich mir doch mehr Witz erwartet, zumindest am Anfang. Sehr dicht geht das Werk weiter und entwickelt sich immer beklemmender. Eindringlich und anrührend bewegt die realen Geschichte des traurigen Clowns, der mich ein wenig an Krusty aus der Serie die Simpsons erinnert. Zwischen all der Beklemmung, die zum Nachdenken anregt und die Emotionen aufwirbelt, werden zur Auflockerung immer wieder Witze eingebaut, die mich aber leider nicht bewegten. Deshalb zog es sich dann irgendwann doch arg und ich fieberte dem Ende entgegen, welches traurig, aber auch nicht so tiefgehend wie erwartet schloss.
Fazit: Dichtes, beklemmendes, trauriges Werk, welches zum Nachdenken anregt. Leider konnten mich die Witze zur Auflockerung nicht aufheitern und ab der Mitte zog sich das Geschehen langsam bis zum Ende hin. Ein interessantes Werk. Geeignet für Zwischendurch!
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Gebundenes Buch
Nach der Lektüre des Buches habe ich mir das Literarische Quartett angesehen und ich muss sagen, dass wirklich erstaunlich viele Möglichkeiten gibt, dieses Buch zu lesen.
Ich habe von einem Kabarettisten gelesen, der sein Leben erzählt und zwischendurch Witze fürs Publikum …
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Nach der Lektüre des Buches habe ich mir das Literarische Quartett angesehen und ich muss sagen, dass wirklich erstaunlich viele Möglichkeiten gibt, dieses Buch zu lesen.
Ich habe von einem Kabarettisten gelesen, der sein Leben erzählt und zwischendurch Witze fürs Publikum erzählt, darunter drei sehr gute. Dem größten Teil des Publikums reicht das nicht. Es verlässt den Saal.
Ob er vom zuhörende Richter ein Urteil erwartet, weiß ich nicht. Was soll er sagen? Eher eine Entschuldigung, dass er ihn nicht alleine aus dem Militärlager hätte ziehen lassen sollen.
Im Quartett war noch von einer dritten Ebene die Rede, die ich aber nicht bemerkt habe.
Vielleicht bin ich zu dumm für dieses Buch.
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Gebundenes Buch
Lachen und Weinen
Das Original des erfolgreichsten Romans von David Grossman wurde 2014 in Israel veröffentlicht und zwei Jahre später sowohl ins Englische als auch, unter dem Titel «Kommt ein Pferd in die Bar», ins Deutsche übersetzt. Der Roman wurde 2017 als bester …
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Lachen und Weinen
Das Original des erfolgreichsten Romans von David Grossman wurde 2014 in Israel veröffentlicht und zwei Jahre später sowohl ins Englische als auch, unter dem Titel «Kommt ein Pferd in die Bar», ins Deutsche übersetzt. Der Roman wurde 2017 als bester fremdsprachiger Roman mit dem Booker International Prize ausgezeichnet, dessen Preisgeld von 80.000 Pfund sich Autor und Übersetzer teilen. Während das Buch in seinem Heimatland Israel recht unterschiedlich bewertet wurde, war das Echo im deutschen Feuilleton einhellig positiv. Alleiniges Thema des Romans ist ein Auftritt des Komikers Dov Grinstein in einer israelischen Stadt am Mittelmeer, es ist der Tag seines 57ten Geburtstags.
Zu diesem Abend hat er Avischai Lasar eingeladen, einen gleichaltrigen Freud aus seiner Kindheit, die Beiden haben sich seit 40 Jahren nicht mehr gesehen! Der ehemalige Richter wurde vor drei Jahren vorzeitig in den Ruhestand versetzt, weil den Vorgesetzten seine scharfsinnigen, immer exzellent begründeten Urteile nicht mehr gepasst haben, sie gaben häufig Anlass zur Revision. Der Stand-up-Comedian hatte große Schwierigkeiten, den auch in den Medien bekannten, hohen Richter a. D. zum Kommen zu bewegen. Sein alter Freund Avischai hat es sich nämlich als Pensionär gemütlich gemacht und ist mental inzwischen auch über den Tod von Samanta hinweg, seiner ehemaligen Freundin. Aber was ihn schon gar nicht interessiert, das sind solche Comedy-Shows, und dann soll er Dov auch noch berichten, wie er seinen Auftritt bewertet! «Das, was von einem Menschen ausgeht, ohne dass er Kontrolle darüber hat – das sollst du mir erzählen.» Er habe ja in seiner Zeit als Richter bewiesen, welch glänzender Formulierer er ist, - und schließlich gibt Avischai nach.
«Einen wun-der-ba-ren Guten Abend» heißt es am Anfang, «Gute Nacht» sind die Schlussworte nach gut 250 Seiten, chronologisch sind es zwei, drei Stunden später, dazwischen wird von Dovs denkwürdigem Auftritt berichtet. Er beginnt mit den üblichen Späßen, erzählt viele Witze, erweist sich als schlagfertig, wenn er Leute aus dem Publikum mit einbezieht, ist mimisch und gestisch virtuos. Immer öfter aber schweift er zu seiner leidensvollen Kindheit ab und provoziert damit sein Publikum, das zum Lachen hergekommen ist. Dov reagiert aggressiv, die Proteste werden lauter, man will keine Leidens-Geschichten hören, erste Gäste verlassen den Saal. Mit seinen Witzen gelingt es ihm immer wieder, die Leute zu beruhigen, die lauter werdenden Buh-Rufe für kurze Zeit zum Verstummen zu bringen, aber der Abend wird zusehends zum Fiasko. Mit «Ein Pferd kommt in die Bar» beginnt er einen Witz, den er nicht zu Ende erzählt, er hat sich buchstäblich vergaloppiert, verliert dauernd den Faden. Er ist als Comedian am Ende, bei aller Gelenkigkeit ein körperliches Wrack, sein Freund erkennt aber die Sehnsucht, die da aus seinem total missglückten Auftritt mit der schonungslosen Lebensbeichte überdeutlich spricht. Verstörend ist insbesondere die Einbeziehung des Holocausts in seine Erzählung, sein Vater habe ihn als Einziger in der Familie überlebt. Die Mutter wurde hochgradig traumatisiert, weil sie sich in Todesangst ein halbes Jahr lang unter prekären Verhältnissen vor den Nazis verstecken musste. Sie hat sich nie mehr davon erholt, blieb ihr Leben lang schwer davon gezeichnet. Dov wollte sie aufheitern, unterhielt sie mit Späßen und wurde so zum Comedian wider Willen.
Der Erzähler des Romans ist der pensionierte Richter, er schildert die Gratwanderung zwischen mit Witzen gewürzter, oft in Klamauk abgleitender Komik und der Leidensgeschichte, die Dov auf der Bühne, unbeirrt vom Protest des Publikums, trotzig von sich gibt. Von einigen Rückblenden abgesehen ist das der alleinige Erzählstoff des Romans, zu dem sein Autor überraschend angemerkt hat, er selbst sei eigentlich gar kein Freund von Witzen. Lachen und Weinen liegen hier sehr eng beieinander!
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