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Kein Schriftsteller unserer Zeit und wahrscheinlich keiner seit Shakespeare ist dermaßen überinterpretiert und in Schubkästen gesteckt worden wie Franz Kafka. Jean-Paul Sartre nahm ihn für den Existenzialismus in Anspruch, Camus für das Absurde, sein lebenslanger Freund und Herausgeber Max Brod überzeugte mehrere Gelehrtengenerationen, dass sich in Kafkas Parabeln die komplizierte Suche nach einem unerreichbaren Gott ausdrücke.In KAFKA haben David Zane Mairowitz und Robert Crumb das Wesentliche über Franz Kafka zusammengetragen: von seiner Kindheit bis zum posthumen Kafka-Kult; über die…mehr

Produktbeschreibung
Kein Schriftsteller unserer Zeit und wahrscheinlich keiner seit Shakespeare ist dermaßen überinterpretiert und in Schubkästen gesteckt worden wie Franz Kafka. Jean-Paul Sartre nahm ihn für den Existenzialismus in Anspruch, Camus für das Absurde, sein lebenslanger Freund und Herausgeber Max Brod überzeugte mehrere Gelehrtengenerationen, dass sich in Kafkas Parabeln die komplizierte Suche nach einem unerreichbaren Gott ausdrücke.In KAFKA haben David Zane Mairowitz und Robert Crumb das Wesentliche über Franz Kafka zusammengetragen: von seiner Kindheit bis zum posthumen Kafka-Kult; über die Konflikte, die der Schriftsteller mit sich selbst und anderen, allen voran mit seinem Vater, auszutragen hatte. Immer wieder geht es um Kafkas Zerrissenheit vor dem Hintergrund seiner deutsch-tschechischen Nationalität und der jüdischen Kultur. Die Stationen von Kafkas Leben werden ergänzt durch Briefe und Auszüge aus seinen Romanen und Kurzgeschichten. Zum 100. Todestag von Franz Kafka erscheint nun eine preisgünstige Taschenbuchausgabe der Biografie von David Zane Mairowitz und Robert Crumb, die das Leben und Wirken des berühmten Schriftstellers kenntnisreich, unterhaltsam und bildkräftig vermittelt.
Autorenporträt
Robert Crumb, geboren 1943 im amerikanischen Philadelphia. 1967 zog es ihn ins Herz der Flower-Power-Bewegung nach San Francisco. Hier entwickelte er sich zum Enfant terrible des zeitgenössischen Comics und hob seine stilprägende Anthologie "Zap Comix" aus der Taufe. Seine Arbeiten werden heute weltweit ausgestellt, u.a. im New Yorker Museum of Modern Art.
Rezensionen
"Kafkas Themen wie der Selbsthass, seine Beziehung zu Frauen, die Schuldfrage sind auch meine. Er ist mein Bruder im Geiste." - Robert Crumb"Keiner hätte es besser machen können als Crumb. (.) Man könnte sich sogar einen Band 'Crumb für Anfänger' von Kafka vorstellen." - Libération, Paris

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2024

Zirkus
Kafka
„Das Insekt selbst kann nicht
verbildlicht werden“: Franz Kafka hat sich
die Visualisierung seiner
Geschichten verbeten. Die Comics von heute
führen sein Werk zu neuer Freiheit.
VON FRITZ GÖTTLER
Sollte ein Autor verantwortlich sein für das Wohlergehen seiner Leser? „Sie haben mich unglücklich gemacht“, wendet sich Rat suchend ein Leser an Franz Kafka angesichts dessen Erzählung „Die Verwandlung“, viele Jahre – und einen Weltkrieg – nach deren Erscheinen im Jahr 1912. Der Leser hatte seinen Kusinen die „Verwandlung“ gekauft, die haben sie nicht kapiert und er soll ihnen die Erzählung erklären. „Aber ich bin ratlos, Herr! Ich habe Monate hindurch im Schützengraben mich mit den Russen herumgehauen und nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn aber mein Renommee bei meinen Kusinen zum Teufel ginge, das ertrüge ich nicht. Nur Sie können mir helfen. Sie müssen es; denn Sie haben mir die Suppe eingebrockt. Also bitte sagen Sie mir, was meine Kusine sich bei der Verwandlung zu denken hat. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Dr. Siegfried Wolff.“
Es ist durchaus charmant, wie nah sich die Doktoren Wolff und Kafka offensichtlich sind, in ihrem sozialen und familiären Umfeld, in ihrem Denken und Fühlen, der Logik ihrer Argumente. Dieser Logik zu folgen, die komplex und doch ganz geradlinig ist, fällt heute, hundert Jahre nach Kafkas Tod, sehr viel leichter – die Moderne hat uns durch einen neuen Umgang mit der Populärkultur, mit Fantasy, Kino, Comic, eine neue Naivität gelehrt, durch die auch Kafka sich gut handhaben lässt. Und neue Beispiele für Kafka im Comic machen die Bildlichkeit seines Schreibens ganz evident.
Der Brief des Dr. Wolff ist eines der schönen Fundstücke, die Nicolas Mahler in seinem Buch „Komplett Kafka“ gesammelt hat. Der berühmte Bildererzähler führt uns durch Kafkas Leben und Werk, kommentiert die Fakten mit subtilen Zeichnungen. Die bekannten Namen und Ereignisse sind alle rekapituliert, die Frauen natürlich, die Schwestern Elli, Valli und Ottla (die alle drei im Holocaust umgebracht wurden), die (Brief-)Freundinnen Felice, Milena, Dora, die Büroarbeit in der Assicurazioni Generali und in der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für das Königreich Böhmen (mit Augenmerk auf die Unfallverhütungsmaßregel für Holzhobelmaschinen, die Finger-Verstümmelungen vermeiden sollen), die Freundschaft mit Max Brod, Tuberkulose, Sanatorium und Tod im Juni 1924. Mahler hat die wichtige Sekundärliteratur ausgewertet, von Max Brod und Elias Canetti, Vladimir Nabokov und Hanns Zischler, Klaus Wagenbach und die dreibändige Kafka-Biografie von Reiner Stach. Ein Leben und ein Werk, das Mahler wie ein kleines Gesamtkunstwerk zusammenbaut – der Mythos Kafka wird gefeiert und zugleich analysiert.
Schon Kafkas Herkunft ist in diesem Buch ganz märchen- und mahlerhaft. Da wird der legendäre Rabbi Löw in Prag bei seiner Arbeit gezeigt, wie er aus Lehm eine imposante Golem-artige Figur schafft, den Vater Hermann Kafka, Galanteriewaren, laut und rabiat – „Ich zerreiße dich wie einen Fisch!“ Eine dominante Schreckfigur, Adressat des berühmten „Brief an den Vater“ und Vorbild des Vaters in der Erzählung „Das Urteil“. Rabbi Löw lebt allein, und 31 Jahre nach seiner Hermann-Kreation sieht man ihn mit dem Staubsauger beim Hausputz – und da findet er „ein vertrocknetes, trauriges Klümpchen Lehm unterm Bett“, und ihn „rührt das Klümpchen sehr, außerdem tut er sich mit Wegschmeißen schwer“. Er zieht das Klümpchen kräftig in die Länge und macht daraus den Franz. Eine apokryphe, erfundene Geschichte – der historische Rabbi starb ja schon 1609 in Prag –, die Kafka sinnfällig in die jüdische Tradition platziert: „Was habe ich mit Juden gemeinsam? Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam.“
Kann man Kafka visualisieren? Es gibt berühmte Verfilmungen der Romane, von Orson Welles, Michael Haneke, Danièle Huillet/Jean-Marie Straub, auch einen Film über Kafka von Steven Soderbergh mit Jeremy Irons, und „Franz Kafka’s It’s a Wonderful Life“, 1995, von Peter Capaldi, der einen Oscar als bester Kurzfilm erhielt. Kafka selbst hat sich eine Visualisierung seiner Texte energisch verbeten. „Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden“, schrieb er bei der Veröffentlichung von „Die Verwandlung“ seinem Verleger Kurt Wolff. „Es kann aber nicht einmal von der Ferne aus gezeigt werden.“
Robert Crumb hat sich nicht daran gehalten in dem Kafka-Band, den er mit David Zane Mairowitz gestaltete, im Jahr 1993, der im Jubiläumsjahr wieder aufgelegt wurde. Die Psychopathologie eines Schreiberlebens, eine düstere, mittelalterliche Welt, eng und winkelig, überall verhärmte Gesichter, dann der Weltkrieg und die Spanische Grippe, der Nationalismus der Tschechen, die Pogrome, Auswanderungspläne und Zionismus, der Traum von „jüdischer Mannhaftigkeit“. Eine marode Ghetto-Heimeligkeit beschwört dieses Buch, die schon die Ausweglosigkeit der kommenden brutalen Judenverfolgung der Nazis spüren lässt. Den Splattermomenten gilt Crumbs besondere Sorgfalt, dem Selchermesser, das in Kafkas Kopf fährt, der Apparatur, die dem Verurteilten sein Urteil auf den Leib stichelt in der Erzählung „In der Strafkolonie“, auch dem Käfer Gregor Samsa mit dem verfaulenden Apfel im Rücken. Ein Underground-Kafka, der den Figuren in Crumbs amerikanischen Comicbüchern verblüffend nahe ist.
Mahler holt Kafka aus diesem klaustrophobischen Milieu. Man kennt den Mahler-Stil aus Büchern zu Marcel Proust, Robert Musil, James Joyce, Thomas Bernhard oder über „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“. Zu Kafka passt der strichelnde Mahler-Minimalismus besonders gut, ist inspiriert von Kafkas eigenen Strichzeichnungen, die erst vor Kurzem ediert worden sind. Mahlers Kafka hat kein Gesicht, er ist eine Vignette: zwei Haarbüschel, scharf gescheitelt, zwei große Ohren, eine dicke Nase. Der Körper ist ein dicker Strich. Das fragwürdige Insekt der „Verwandlung“ ist nicht mehr als ein unförmiger Batzen, die Szenen aus den Romanen und Erzählungen zerlaufen beim Gezeichnet-Werden. Zusätzlich zu diesem Band hat Mahler „Kafka für Boshafte“ geschaffen (Insel, Berlin 2024. 12 Euro), kleine Passagen aus Kafkas riesigem Werk, das der vom Autor verordneten Verbrennung trotzte.
Eine großartige Überraschung im Kafka-Comic-Kosmos ist aber Danijel Žeželj mit seinem genialen „Wie ein Hund“. Er hat schon diverse ungewöhnliche Geschichten in Graphic Novels verwandelt wie Rotkäppchen oder Vincent van Gogh. „Wie ein Hund“ präsentiert Kafkas „Hungerkünstler“, eine seiner bekanntesten Erzählungen, mit Exkursen in andere kleine Texte („Vor dem Gesetz“, „Der Geier“ und andere). Der Held ist einer, der das Hungern wirklich als Kunst praktiziert, und mit seinem Pelzkragen und rundem Hut, dem knochigen Gesicht und verstörtem Blick erinnert er stark an Joseph Beuys. Žeželj holt den Hungerkünstler aus dem Ghetto – auch Crumb hatte die Story bereits visualisiert –, schiebt ihn weit hinein ins zwanzigste Jahrhundert, in die Fünfziger mit ihren illuminierten Großstadtnächten und Industrielandschaften. Ein immerwährender Jahrmarkt und Zirkus, ein Coney-Island-Kafka, wo die stille Kunst des Hungerns völlig aus der Zeit gefallen scheint. Žeželj wechselt brutal vom closest shot zur Totale, er fängt die Hoffnungslosigkeit der Massen ein und die ewige Skepsis in den Blicken der Arbeiter. Der Titel bezieht sich auf den letzten Satz des Romans „Der Prozess“, in dem es um die Liquidierung des Josef K. geht: „‚Wie ein Hund!‘ sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.“ Ein Hund kommt freilich nicht vor in diesem Comic, dafür Katzen, Elefanten, Schimpansen, Pferde, Gockel, Schweine, Kühe, ein Geier und ein Kind, das einen Kaninchenkopf übergestülpt hat.
Dieser neue Kafka hat etwas Monumentales, er ist selbstbewusst und aufrecht. Und was den Brief des Dr. Wolff angeht: Eine Antwort Kafkas ist nicht überliefert.
Dieser neue Kafka
hat etwas
Monumentales
David Zane Mairowitz (Text), Robert Crumb (Zeichnungen): Kafka. Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori. Reprodukt, Berlin 2024. 175 Seiten, 9,90 Euro. Erstmals erschienen 1993.
Danijel Žeželj:
Wie ein Hund.
Nach Texten von Franz
Kafka. Avant Verlag,
Berlin 2023.
104 Seiten, 22 Euro.
Kafkas Hungerkünstler imaginiert sich als Artist in „Wie ein Hund“ von Danijel Žeželj.
Foto: Avant Verlag
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