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Warum trat die Bundesregierung ab Ende der 1980er Jahre weltweit als sicherheitspolitischer Akteur in Erscheinung? Warum engagierte sie sich in multinationalen Missionen der Vereinten Nationen etwa in Somalia, Namibia und Ruanda mit Soldaten oder Polizisten - und in anderen Missionen in Afrika im gleichen Zeitraum nicht? Gestützt auf ministerielle Archivquellen untersucht Torsten Konopka die Prozesse der nationalen Entscheidungsfindung, die zu einer Beteiligung oder Nichtbeteiligung an VN-Missionen in Afrika führten. Das Buch leistet einen politik- sowie militärgeschichtlichen Beitrag zur Genese der frühen Auslandsverwendungen der Bundeswehr.…mehr

Produktbeschreibung
Warum trat die Bundesregierung ab Ende der 1980er Jahre weltweit als sicherheitspolitischer Akteur in Erscheinung? Warum engagierte sie sich in multinationalen Missionen der Vereinten Nationen etwa in Somalia, Namibia und Ruanda mit Soldaten oder Polizisten - und in anderen Missionen in Afrika im gleichen Zeitraum nicht? Gestützt auf ministerielle Archivquellen untersucht Torsten Konopka die Prozesse der nationalen Entscheidungsfindung, die zu einer Beteiligung oder Nichtbeteiligung an VN-Missionen in Afrika führten. Das Buch leistet einen politik- sowie militärgeschichtlichen Beitrag zur Genese der frühen Auslandsverwendungen der Bundeswehr.
Autorenporträt
Torsten Konopka war zwischen 2017 und 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) und promovierte an der Universität Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2024

Mehr Können als Wollen

Zaghaftes Herantasten: Die Beteiligung der Bundeswehr an Missionen der UN in den 1990er-Jahren folgte vor allem innenpolitischen Prioritäten.

Als die Taliban im August 2021 wieder die Macht in Kabul übernahmen und die Bundeswehr ihren langjährigen NATO-Einsatz in Afghanistan überstürzt abbrach, war eine der größten Sorgen deutscher Militärs und Verteidigungspolitiker Wirklichkeit geworden: Ein Auslandseinsatz der Bundeswehr war trotz erheblichem Aufwand gescheitert, der diplomatische Gesichtsverlust des Westens erheblich.

Auslandseinsätze der Bundeswehr waren eigentlich immer umstritten. Die auf seiner Dissertation basierende Studie von Torsten Konopka zu den deutschen Blauhelm-Einsätzen in Afrika zu Beginn der 1990er-Jahre untersucht nun erstmals auf der Basis deutscher Ministerialakten die Verhandlungen zwischen dem Bundeskanzleramt, dem Auswärtigem Amt sowie dem Verteidigungs- und Finanzministerium zu deutschen Beteiligungen an friedenssichernden Missionen der Vereinten Nationen nach Ende des Kalten Kriegs. Bis zur Aufnahme der Bundesrepublik (wie auch der DDR) in die UN 1973 bestand Konsens, dass eine unmittelbare Beteiligung deutscher Soldaten an friedenssichernden Auslandseinsätzen nicht zuletzt aus vergangenheitspolitischen Gründen unterbleiben sollte. Stattdessen kam die Bundesrepublik ihren Verpflichtungen durch finanzielle Unterstützung der Weltgemeinschaft nach, zuerst bei der UN-Mission in Zypern 1964 ("Scheckbuchdiplomatie"). Später, etwa in Libanon, leistete die Bundeswehr zwar logistische Unterstützung, ihre Soldaten waren jedoch nie im Einsatzland selbst stationiert. Das änderte sich erst nach 1990, als das Verteidigungsministerium um Einfluss in der NATO fürchtete und das Auswärtige Amt hoffte, durch stärkere Beteiligung an internationalen Missionen Prestige zu gewinnen und den Anspruch Deutschlands auf einen ständigen Platz im UN-Sicherheitsrat zu bekräftigen. Die Bundesregierung argumentierte nun, dass Deutschland nach dem Ende der Teilung als bevölkerungs- und wirtschaftsstärkstes Land Europas seine gestiegene internationale Verantwortung wahrnehmen müsse, wozu die Beteiligung an Missionen der Vereinten Nationen gehöre.

Viele Bürger blieben skeptisch. Zudem war damals auch rechtlich umstritten, ob und wenn ja in welchem Maße die Bundeswehr im Rahmen des Grundgesetzes an internationalen Einsätzen, an denen sie über eine reine Beobachterrolle oder logistische Hilfsleistungen hinaus mitwirken sollte, beteiligt werden konnte. Klarheit schaffte hier erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994, das internationale Einsätze der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheitsbemühungen als verfassungskonform bewertete. Seitdem ist klar, dass auch Auslandseinsätze, die nicht der unmittelbaren Landesverteidigung dienen, unter bestimmten Umständen mit dem Grundgesetz vereinbar sind und nur der Zustimmung des Bundestages bedürfen.

Im Zentrum von Konopkas Studie stehen die vier Missionen der Vereinten Nationen in Namibia (UNTAG), der Westsahara (MINURSO), in Somalia (UNOSOM) und Ruanda (UNOMUR/UNAMIR). Sie fielen in eine Phase der Expansion des UN-Peacekeepings, vor allem in Afrika. Zwischen 1988 und 1993 waren es global insgesamt 20 Missionen dieser Art, während in den vier Jahrzehnten zuvor nur 13 Missionen mandatiert worden waren. Die Bundeswehr beteiligte sich an diesen UN-Missionen in Afrika nur im Falle von Somalia, in das sie über 1500 Soldaten entsandte. Der Einsatz dieses "Deutschen Unterstützungsverbands Somalia", der sich lediglich selbst verteidigen durfte und in der Praxis mitunter auf den Schutz US-amerikanischer und italienischer UN-Soldaten angewiesen war, brachte den Wandel von einer Verteidigungsarmee zur Einsatzarmee maßgeblich voran. Er wurde von der Bundesregierung als militärischer und politischer Erfolg gewertet, obwohl kein dauerhafter Frieden in Somalia etabliert werden konnte. Positiv wurde hervorgehoben, dass die Bundeswehr durch den Einsatz "für künftige Aufgaben" besser vorbereitet sei als zuvor. "Was die Beteiligung dem Land Somalia gebracht hat, wurde hingegen in keinem der Berichte des Bundesverteidigungsministeriums wirklich hinterfragt", so Konopka.

In die Westsahara und nach Namibia, die ehemalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika, schickte die Bundesrepublik ausschließlich einige Beamte des Grenzschutzes, die gemeinsam mit anderen internationalen Ordnungskräften den Dekolonisierungs- und Friedensprozess im jeweiligen Einsatzgebiet begleiten sollten. Nach Ruanda entsandte sogar nur das Bundesland Rheinland-Pfalz weniger als ein Dutzend Polizisten. Dass die Bundeswehr trotzdem rückwirkend eine Einsatzmedaille für die UNAMIR-Mission in Ruanda verlieh, obwohl kein einziger deutscher Soldat im Einsatz gewesen war, ist ein skurriles, aber bezeichnendes Detail für das wiederholte Auseinanderfallen von Wollen und Können in der deutschen Afrikapolitik im Rahmen der UN Anfang der 1990er-Jahre. Die Ministerien arbeiteten sich in erster Linie aneinander ab und stritten über Ressourcen und die Interessen des eigenen Hauses; "die zwischen den Ressorts ausgehandelten Kompromisse orientierten sich nur selten am Bedarf der Vereinten Nationen oder den Bedingungen im Einsatzland". An anderen Missionen der UN auf dem Kontinent beteiligte sich Deutschland nicht.

Für Konopka steht fest, dass die Bundesrepublik in vielen Fällen mehr hätte leisten können, als sie öffentlich für möglich erklärte. Wichtiger als die Menschen in den jeweiligen Krisenregionen Afrikas waren seiner Analyse zufolge interne Budgetfragen, Kosten-Nutzen-Rechnungen mit Blick auf möglichen internationalen Statusgewinn und das Demonstrieren von Bündnistreue, besonders den USA gegenüber. Die Stärkung der UN als globale Ordnungsmacht war hingegen zumindest für das Verteidigungsministerium kein erstrebenswertes Ziel. Die geostrategischen Herausforderungen einer zunehmend multipolaren Welt beschäftigten die deutsche Politik wenig. Kohls besondere Anliegen in jenen Jahren waren die Bewältigung der deutschen Einheit und das Zusammenwachsen Europas, während er für Afrika wenig Engagement zeigte. Das Kanzleramt koordinierte die Abstimmung zwischen den Fachressorts, führte aber kaum. Eine verbindliche Afrikapolitik der Bundesrepublik, so Konopka, gab es nicht: "In welchem Land und bei welcher Mission eine Beteiligung erfolgte, war eher nebensächlich." Die humanitäre Situation vor Ort - aus der Politiker gerne Verpflichtungen zur Tat ableiteten - war bei der Entscheidungsfindung nur dann relevant, wenn sie mit deutschen Interessen verbunden werden konnte oder auf Drängen wichtiger Partnerländer, vor allem der USA, größerer Handlungsdruck bestand. Selbst der Völkermord in Ruanda 1994 veranlasste Deutschland nicht, im Rahmen der UN aktiv zu werden.

Anknüpfend an diese Ergebnisse drängen sich Anschlussfragen auf: Wie national spezifisch war die deutsche Auslandseinsatz-Politik jener Jahre mit ihrer "Kultur der Zurückhaltung", und wie wurde der deutsche Beitrag in den jeweiligen Einsatzländern sowie international bewertet? Welche Bedeutung kam den Massenmedien bei der Frage zu, welche internationalen Notlagen die Bundesrepublik aktiv werden ließen und bei welchen sie untätig blieb? Konopkas Studie hat hier Grenzen, sie legt jedoch einen wichtigen Grundstein, an den sowohl künftige transnationale Forschungen zur globalen Militärpolitik der Bundesrepublik wie auch Studien zu den Einsätzen der Völkergemeinschaft und der NATO anknüpfen können. Sein empirisch gesättigtes Buch legt zudem nahe, auch angesichts der 2023 veröffentlichten ambitionierten Leitlinien des außenpolitischen Handelns in Fragen von Menschenrechts- und Minderheitenschutz Skepsis zu bewahren. Ob solche "feministischen" Richtlinien tatsächlich die tägliche außenpolitische Arbeit bestimmen oder ob weiterhin eine erhebliche Diskrepanz zwischen öffentlichen Verlautbarungen und tatsächlichem Handeln besteht, wird eine kritische Öffentlichkeit erst mit einigem zeitlichen Abstand realistisch beurteilen können. Für die frühen 1990er-Jahre ist das Fazit Konopkas ernüchternd: "Das Vorhandensein einer humanitären Notlage reichte nicht aus, um ein personelles Engagement der Bundesregierung an einer UN-Mission zu garantieren." Ausschlaggebend für eine Beteiligung war sie nie. DANIEL SIEMENS

Torsten Konopka: Deutsche Blauhelme in Afrika. Die Bundesrepublik Deutschland und die Missionen der Vereinten Nationen Anfang der 1990er Jahre.

V&R, Göttingen 2023. 780 S., 65,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine ernüchternde Lektüre ist für Rezensent Daniel Siemens Torsten Konopkas Studie über die deutsche Beteiligung an internationalen Friedensmissionen der frühen 1990er Jahre. Lange beteiligte sich, rekonstruiert Siemens mithilfe von Konopka, das Nachkriegsdeutschland höchstens finanziell an solchen Einsätzen, das änderte sich erst ab 1990. Das auf der Dissertationsschrift des Autors beruhende Buch beschäftigt sich insbesondere mit Einsätzen der Vereinten Nationen in Namibia, Westsahara, Somalia und Ruanda, erfahren wir, wobei deutsche Soldaten nur in Somalia aktiv waren. An den anderen Missionen war Deutschland lediglich in Person weniger entsandter Grenzbeamter und Polizisten beteiligt, stellt Siemens mit Konopka dar, dennoch wurden die Einsätze teils als Erfolge deutscher Politik gewertet. Um die Lage vor Ort oder um weitergehende geostrategische Überlegungen ging es den Entscheidern durchweg gar nicht, auch nicht Bundeskanzler Kohl, so Siemens mit Konopka, vielmehr standen stets Budgetfragen oder die Aussicht auf mehr internationales Ansehens Deutschland im Zentrum. Einige weiterführende Fragen bleiben offen, meint Siemens, aber das Buch ist auch deshalb wichtig, weil es einen vorsichtiger werden lässt in der Beurteilung auch neuerer politischer Entwicklungen, zum Beispiel hinsichtlich der von Annalena Baerbock ausgerufenen feministischen Außenpolitik.

© Perlentaucher Medien GmbH