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War die Bundeswehr historisch betrachtet eine der Kriegsparteien der Jugoslawienkriege? Nach 46 Jahren Frieden in Europa versagten die traditionelle Diplomatie und damit die »internationale Gemeinschaft« angesichts der menschenverachtenden hybriden Kriegsführung Milo evics. Die Balkaneinsätze der Bundeswehr vollzogen sich in den 1990er Jahren in rund 25 unterschiedlichen multinationalen Operationen zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Sie fanden eingebunden in unterschiedliche institutionelle Rahmen statt und umfassten das gesamte militärische Spektrum von der Hilfsoperation bis zum Kampf.…mehr

Produktbeschreibung
War die Bundeswehr historisch betrachtet eine der Kriegsparteien der Jugoslawienkriege? Nach 46 Jahren Frieden in Europa versagten die traditionelle Diplomatie und damit die »internationale Gemeinschaft« angesichts der menschenverachtenden hybriden Kriegsführung Milo evics. Die Balkaneinsätze der Bundeswehr vollzogen sich in den 1990er Jahren in rund 25 unterschiedlichen multinationalen Operationen zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Sie fanden eingebunden in unterschiedliche institutionelle Rahmen statt und umfassten das gesamte militärische Spektrum von der Hilfsoperation bis zum Kampf. Stand die NATO und damit Deutschland als möglicherweise stiller Verbündeter an der Seite der Kroaten im Krieg um die Krajina, der Bosniaken im Krieg um Bosnien-Herzegowina und der Albaner im Kosovo? Agilolf Keßelring gibt erstmals eine Standards moderner militärhistorischer Forschungen entsprechende fundierte Gesamtdarstellung der deutschen Balkanperationen jenseits der zeitgenössischen Narrative.
Autorenporträt
Dr. Agilolf Keßelring ist Privatdozent (dosentti) für die Geschichte der europäischen Kriegskunst an der Nationalen Verteidigungsuniversität Helsinki, Finnland.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Staack findet den Titel von Agilolf Keßelrings Studie etwas irreführend. Eine Gesamtdarstellung der Bundeswehr-Einsätze auf dem Balkan ist das Buch für ihn nicht, etwa da der Autor den Kosovo-Konflikt nur "kursorisch" behandelt und seinen Schwerpunkt auf Bosnien-Herzegovina bis 1998 legt. Das Spektrum des militärischen Handelns auf dem Balkan und seine politischen Bedingungen kann der Autor dem Rezensenten allerdings vermitteln. Ebenso vermag er die dazugehörigen Bundestagsdebatten nachzuzeichnen. Eine echte Strategie gab es für die deutsche Balkanpolitik nicht, erfährt Staack.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2023

Überraschung mit Ansage

Als Jugoslawien in seine Einzelteile zerfiel und sich die "Kohl-Doktrin" als nicht praktikabel erwies: Der schwierige Weg der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz.

Für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik waren die 1990er-Jahre ein entscheidendes Jahrzehnt. In diesem Zeitraum vollzog sich eine Neubestimmung der internationalen Rolle des Landes. Das wiedervereinigte Deutschland gewann seine alte geopolitische Position als zentrale Macht in der Mitte Europas zurück, definierte diese aber in bewusster Abgrenzung zur Vergangenheit neu. Durch die freiwillige Einbindung in die Integrations- und Kooperationszusammenhänge von Europäischer Gemeinschaft, NATO und KSZE wollte die Bundesrepublik Deutschland nunmehr ihren Beitrag zum Zusammenwachsen Gesamteuropas unter Einschluss Russlands und ganz Mittel- und Osteuropas leisten. Unilaterales Machtstreben sollte der Vergangenheit angehören. Parallel dazu entwickelte sich eine erweiterte europäische Führungsrolle Deutschlands; allerdings nach wie vor fest verankert in der deutsch-französischen Entente Elementaire. Während diese Prozesse von den damaligen Bundesregierungen (bis 1998 unter Kanzler Kohl) aktiv gestaltet wurden, vollzog sich die Neubestimmung der verteidigungs- und sicherheitspolitischen Rolle Berlins vor allem als Reaktion auf Krisen und Konflikte. Mit der Aggression der serbisch geführten Jugoslawischen Volksarmee gegen Slowenien und Kroatien im Jahr 1991 kehrte der Krieg nach Europa zurück. Das internationale, westlich dominierte Engagement mit dem Ziel, die jugoslawischen Zerfallskriege zu beenden, wurde zum zentralen Katalysator für den Wandel der Bundeswehr von der Abschreckungsstreitkraft im Ost-West-Konflikt zu einer "Armee im Einsatz", auch im Kampfeinsatz.

Agilolf Keßelring will eine "militärhistorische Rekonstruktion" der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan vorlegen und diese in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext verorten. Dabei geht es ihm sowohl um direkte Komponenten der Einsätze wie Multinationalität, teilstreitkräftegemeinsame Operationen und das Spektrum des militärischen Handelns als auch um die politischen Rahmenbedingungen. Besonders interessiert ihn die Frage, ob den - abhängig von der Klassifikation - insgesamt etwa 25 Einzeleinsätzen eine eigene deutsche Südosteuropa-Strategie zugrunde lag. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf dem Engagement der Bundeswehr in Bosnien-Hercegovina bis 1998. Der außerordentlich wichtige und bis in die Gegenwart politisch nachwirkende Kosovo-Konflikt, aber auch die Auseinandersetzungen in und um das heutige Nordmazedonien werden nur kursorisch behandelt. Insofern ist der Titel des Buches irreführend, denn eine Gesamtdarstellung der Einsätze der Bundeswehr auf dem Balkan wird nicht vorgelegt.

Das Szenario eines Auseinanderfallens Jugoslawiens nach dem Tod des Staatsgründers Josip Broz Tito (1892-1980) wurde in der westlichen Fachwissenschaft der 1980er-Jahre nicht nur diskutiert, sondern als die wahrscheinlichste Entwicklung betrachtet. Das galt auch für die Gefahr einer gewaltförmigen Eskalation. Gleichwohl wurde die Wahrnehmung Jugoslawiens durch die epochalen Umbrüche in der Sowjetunion Gorbatschows und dann im gesamten ehemaligen Ostblock überdeckt. Als der Zerfall dann tatsächlich einsetzte, erwies sich die internationale und europäische Staatengemeinschaft als weitgehend unvorbereitet. Die zunächst eingesetzten diplomatischen Instrumente stellten sich als ebenso untauglich heraus wie nicht hinreichend bewaffnete beziehungsweise nicht zum militärischen Eingreifen mandatierte Blauhelm-Missionen der Vereinten Nationen. Schritt für Schritt - und stets als Reaktion auf die von der serbischen Führung unter Milosevic äußerst brutal betriebene Gewalteskalation unter Einschluss der verbrecherischen Strategie "ethnischer Säuberungen" - mussten die internationalen Akteure ihr eigenes militärisches Engagement in Umfang und Intensität ausweiten. Weil weder der damaligen Europäischen Gemeinschaft noch der KSZE Streitkräfte zur Verfügung standen, erfolgte der Rückgriff auf das Militärbündnis NATO, das mit der Krisenreaktion eine neue Aufgabe erhielt. War die Bundeswehr an den Blauhelm-Missionen der Vereinten Nationen nicht beteiligt, so nahm sie an den NATO-geführten Einsätzen fast von Anfang an teil, von Unterstützungsleistungen bis hin zum Kampfeinsatz im Kosovo-Krieg und der nachfolgenden Verantwortung für eine eigene Besatzungszone.

Für diese Beteiligung der Bundeswehr mussten in Deutschland erst die politischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Nach dem Beitritt der alten Bundesrepublik zu den Vereinten Nationen (1973) hatten die Bundesregierungen stets die Auffassung vertreten, dass die Bundeswehr gemäß Grundgesetz nur zur Verteidigung des NATO-Gebiets eingesetzt werden dürfe. Der Versuch einer Öffnung für Blauhelm-Missionen durch Verfassungsänderung scheiterte Anfang der 1990er-Jahre an der Ablehnung der SPD-Opposition. Erst mit einem wegweisenden Urteil vom 12. Juli 1994 machte das Bundesverfassungsgericht den Weg frei für das gesamte Spektrum von Auslandseinsätzen, gebunden stets an die völkerrechtliche Zulässigkeit und eine vorherige, konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages. Keßelring verdeutlicht in seiner Nachzeichnung der heftigen Debatten über diese Streitfrage, dass bei den jeweiligen Positionierungen die Zugehörigkeit zu einer Generation mit bestimmten Prägungen gerade in Bezug auf die jüngste Geschichte wichtiger gewesen sei als parteipolitische Trennlinien. Auch die sogenannte Kohl-Doktrin, der Ausschluss von Bundeswehreinsätzen in Ländern, in denen die NS-Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eingefallen war, ließ sich angesichts der Entwicklung der jugoslawischen Zerfallskriege nicht halten. Stattdessen wurden die Balkan-Einsätze zu einem Instrument, um die sicherheitspolitische Gleichrangigkeit Deutschlands im Kreis von USA, Frankreich und Großbritannien durch militärisches Handeln erreichen zu können.

Obwohl die Bundeswehr mit diesen Einsätzen tatsächlich Neuland betrat, wurden die militärischen Erfordernisse nach dem Urteil Keßelrings insgesamt durch ein erhebliches Maß an Flexibilität und Innovationsbereitschaft im "improvisierten Ausnahmezustand" gemeistert. Das galt im Grundsatz für die Schaffung einer nationalen Führungsfähigkeit, die Bereitstellung von Gerät und für das Zusammenwirken der deutschen Teilstreitkräfte untereinander als auch der Bundeswehr mit den Partnern. Diese Positivbilanz erfasst, aus nachvollziehbaren Gründen, nicht bestimmte Aspekte der Einsatzvorbereitung wie interkulturelle und Sprachkompetenz. Ein angemessener Umgang mit dem Gedenken an die im Einsatz Gefallenen, mit Versorgungsansprüchen und mit der nachgelagerten rechtlichen Überprüfung von Schusswaffengebrauch im Einsatz bedurfte langwieriger Auseinandersetzungen, bis es zu tragfähigen Regelungen kam. Eine umfassende Strategie, das arbeitet der Autor überzeugend heraus, lag der deutschen Politik auf dem Balkan nicht zugrunde. Allerdings entwickelte sich Deutschland im Verlauf der Einsätze von einem Akteur am Rande des militärischen Geschehens zu einem gewichtigen diplomatischen und militärischen Mitspieler, vor allem im Kosovo-Konflikt. Zu Recht weist Keßelring darauf hin, dass trotz des großen Engagements von EU und NATO in Bosnien-Hercegovina und im Kosovo dort bis heute zwar ein Nichtkrieg, aber kein nachhaltiger Friedenszustand erreicht werden konnte. Beim Beginn von Auslandseinsätzen, auch dies eine Lehre aus den Balkan-Erfahrungen, müssen die Grenzen ihrer Wirksamkeit schon mitgedacht werden. MICHAEL STAACK

Agilolf Keßelring: Die Bundeswehr auf dem Balkan. Zwischen Krieg und Friedenseinsatz.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2023. 386 S., 45,- Euro.

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