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Nach den Volkskammerwahlen wurde am 12. April 1990 die letzte und einzige demokratisch gewählte Regierung der DDR unter Ministerpräsident Lothar de Maizière vereidigt. Ihr Ziel war die Verhandlung und Erarbeitung der innen- und außenpolitischen Rahmenbedingen für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.Dazu wurden 22 Ministerien neu gebildet bzw. umstrukturiert. Jedes Ministerium hatte mindestens einen, meistens aber mehrere Staatssekretäre oder parlamentarische Staatssekretäre, die allerdings der Öffentlichkeit kaum als politische Akteure des politischen Transformationsprozesses der DDR…mehr

Produktbeschreibung
Nach den Volkskammerwahlen wurde am 12. April 1990 die letzte und einzige demokratisch gewählte Regierung der DDR unter Ministerpräsident Lothar de Maizière vereidigt. Ihr Ziel war die Verhandlung und Erarbeitung der innen- und außenpolitischen Rahmenbedingen für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.Dazu wurden 22 Ministerien neu gebildet bzw. umstrukturiert. Jedes Ministerium hatte mindestens einen, meistens aber mehrere Staatssekretäre oder parlamentarische Staatssekretäre, die allerdings der Öffentlichkeit kaum als politische Akteure des politischen Transformationsprozesses der DDR bewusst sind.Der Band enthält, neben einer ausführlichen Einleitung, Zeitzeugeninterviews mit fünf Staatssekretären der letzten DDR-Regierung:1) Dr. Hans Misselwitz, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten2) Dr. Helmut Domke, Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten 3) Dr. Petra Erler, Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten4) Almuth Berger, Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten5) Helga Kreft, Staatssekretärin im Familien- und Frauenministerium
Autorenporträt
Dr. Katharina Kunter ist Professorin für Kirchliche Zeitgeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki.

Dr. Johannes Paulmann ist Direktor des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte und Professor für Neuere Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Carlotta Brandis füht sich ein bisschen alleingelassen mit dem von den Historikern Katharina Kunter und Johannes Paulmann herausgegebenen Band mit Zeitzeugeninterviews ehemaliger Staatssekretäre zu ihrer Rolle im Prozess der deutschen Einheit. Mehr als "einseitige Einblicke" kann Brandis in den Ausführungen über politische Verhandlungen und institutionelle Abläufe nicht erkennen. Über eilige Missionen in Budapest und Diskussionen über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie liest Brandis dennoch gerne. Die Blackbox des Vereinigungsprozesses erhellen die Beiträge immerhin ein wenig, meint sie, auch wenn es sich um Oral History handelt und nicht um historische Quellenanalyse.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2023

Die im Schatten sieht man nicht

Zeitzeugen der letzten DDR-Regierung erzählen sehr subjektiv, wie sie die deutsche Einheit vorbereitet haben - und kritisieren die Bundesrepublik.

Zwischen dem Mauerfall und der deutschen Einheit liegen 329 Tage. So lange hat es gedauert, um die Bürger eines über vierzig Jahre lang geteilten Deutschlands formal wieder zusammenzubringen. Zwischen der ersten demokratischen Wahl in der DDR und der deutschen Einheit - und damit der Auflösung der Volkskammer - liegen nur 198 Tage. So lange hat die Regierung von Lothar de Maizière gebraucht, um die DDR aus dem Warschauer Pakt herauszulösen und gemeinsam mit Helmut Kohl und den ehemaligen Besatzungsmächten ein vereintes Deutschland zu ermöglichen. Aber das hat der Ministerpräsident nicht allein geschafft. Im Hintergrund haben Minister, Diplomaten und Staatssekretäre verhandelt. Und wenn man diese Zeitzeugen nach den Tagen der letzten Regierung der DDR fragt, stellen sie alle fest: Die Zeit war zu kurz.

Für den Band "Die unbekannten Politikverhandler im Umbruch Europas" haben die Historiker Katharina Kunter und Johannes Paulmann fünf Staatssekretäre der DDR-Regierung de Maizières befragt und ihre Interviews im Wortlaut veröffentlicht. Sie ermöglichen Einblicke in die Arbeit einer Regierung, deren Ziel es war, sich selbst überflüssig zu machen. Das ermögliche nicht nur eine vertiefte zeitgeschichtliche Erinnerung, sondern auch "die Leistungen der einzig demokratisch legitimierten DDR-Regierung anzuerkennen", so Paulmann. Laut dem Historiker werde gerade der Beitrag der Staatssekretäre zu dem Vereinigungsprozess nicht ausreichend gewürdigt. Darüber hinaus stellen Kunter und Paulmann eine angebliche Forschungslücke zur politischen Transformation der DDR in eine Demokratie an den Pranger.

Die darauf folgenden Zeitzeugeninterviews bekräftigen die Thesen der Autoren. Die fünf ehemaligen Staatssekretäre erzählen vom eigenen politischen Werdegang, von politischen Verhandlungen und von institutionellen Abläufen. So berichtet beispielsweise der ehemalige Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Hans Misselwitz davon, wie eine DDR-Delegation die Vereinigung gegenüber den damaligen osteuropäischen Partnern, also der Sowjetunion und anderen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, vorbereitet hat. Die deutsche Einheit sollte als Gewinn gesehen werden, "auch im Sinne des gesamteuropäischen Interesses". Dabei ging es um schwierige Themen wie den Abzug des sowjetischen Militärs aus Ostdeutschland oder die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu Polen. Laut den Zeitzeugen hatte die DDR eine wichtige Vermittlerrolle zwischen der ost- und westdeutschen Perspektive.

Ausschlaggebend sei gewesen, dass sich der Warschauer Pakt nicht chaotisch auflösen dürfe, sagt Helmut Domke, ebenfalls ehemaliger Staatssekretär im Außenministerium. Die deutsche Einheit sollte nicht inmitten einer Krise beginnen. Deswegen seien einem geordneten Schlussdokument des Paktes zähe Aussprachen mit Partnerstaaten vorausgegangen. So wurde er beispielsweise zu einer "Eilmission nach Budapest geschickt", damit ein überstürzter Austritt Ungarns vermieden werden konnte.

Nicht nur außenpolitisch haben Verhandlungen der letzten DDR-Regierung den Zeitzeugeninterviews zufolge die politische Wende vorbereitet, sondern auch innenpolitisch. Helga Kreft war Staatssekretärin im Familien- und Frauenministerium und sagt, dass sie keine Unterstützung aus Bonn bekommen habe, um die Bürger Ostdeutschlands auf die deutsche Einheit vorzubereiten. Dabei ging es für Kreft um Themen wie Kinder- und Mutterschaftsgeld, was in der DDR ganz anders geregelt worden sei als in der "alten" Bundesrepublik. Nach ihren Angaben brauchten gerade die neuen Bundesländer Hilfe, um sich an ein neues System anzupassen und eine erfolgreiche Integration zu ermöglichen.

Über die Arbeit der letzten Regierung der DDR aufzuklären ist wichtig. Denn - wie auch Kunter und Paulmann hervorheben - ist sie ein wenig eine Blackbox in der zeitgeschichtlichen Erinnerung; vor allem aus der westdeutschen Perspektive. Jedoch sind die Zeitzeugeninterviews auch nicht mehr als Einblicke. Sie geben eine einseitige Wahrnehmung der Geschehnisse im Sinne der Oral History wieder und keine breite historische Quellenanalyse, um die von den beiden Herausgebern angeprangerte Forschungslücke zu schließen. Aber das ist wohl auch nicht der Anspruch des Bandes. Vielmehr stößt er den Leser dazu an, den Kontext zwischen Mauerfall und der deutschen Einheit noch einmal aufzuarbeiten sowie Aussagen zu hinterfragen - ohne dass der Band das selbst macht. Freilich sind das Vorwort und ein kurzer historischer Abriss zu Anfang für eine erste zeitgeschichtliche Orientierung halbwegs hilfreich; jedoch sind auch diese von den Deutungen der Zeitzeugen geleitet.

Für eine unabhängige Einordnung wird der Leser also alleingelassen. Beispielsweise wenn sich die Staatssekretäre unisono darüber beschweren, dass die Bundesrepublik nicht ihrer Verantwortung der Vereinigung nachgekommen sei. Eine Verhandlung auf Augenhöhe habe es nie gegeben. Vielmehr sei es ein "Anschluss" gewesen, sagt Almuth Berger, ehemalige Staatssekretärin für Ausländerfragen. Noch heikler wird es im heutigen Kontext erneuter Spannungen zwischen Ost und West, spätestens seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wenn etwa Misselwitz den ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zitiert, der die NATO-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands nicht infrage stelle, aber eine Ausdehnung des Verteidigungsbündnisses ausschließe. Oder aber wenn Domke die nukleare Teilhabe Deutschlands als "eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht, nämlich gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag" bezeichnet. Spätestens dann hinterlassen die Aussagen der Zeitzeugen viele Fragezeichen. CARLOTA BRANDIS

Katharina Kunter/Johannes Paulmann (Hrsg.): Die unbekannten Politikverhandler im Umbruch Europas.

Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 2023. 131 S., 35,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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