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Die ehrgeizige Berkeley-Studentin Parvin Schams fühlt sich zwischen den liberalen Ideen ihrer charismatischen Professorin und den Erwartungen ihres konservativen afghanisch- amerikanischen Umfelds hin- und hergerissen. Da eröffnet ihr ein Buch eine ungeahnte Möglichkeit, die Theorie in die Praxis umzusetzen und ihre Bestimmung zu finden: Ein Arzt erzählt darin von seinem humanitären Engagement für afghanische Frauen. Parvin ist so begeistert, dass sie für seine Stiftung arbeiten und zugleich ihre Wurzeln erkunden will. Doch vor Ort entdeckt sie, dass die von ihm erbaute Geburtsklinik le...
Die ehrgeizige Berkeley-Studentin Parvin Schams fühlt sich zwischen den liberalen Ideen ihrer charismatischen Professorin und den Erwartungen ihres konservativen afghanisch- amerikanischen Umfelds hin- und hergerissen. Da eröffnet ihr ein Buch eine ungeahnte Möglichkeit, die Theorie in die Praxis umzusetzen und ihre Bestimmung zu finden: Ein Arzt erzählt darin von seinem humanitären Engagement für afghanische Frauen. Parvin ist so begeistert, dass sie für seine Stiftung arbeiten und zugleich ihre Wurzeln erkunden will. Doch vor Ort entdeckt sie, dass die von ihm erbaute Geburtsklinik leer steht und die Bewohner des Dorfes sich seltsam abweisend verhalten. Nach und nach findet Parvin im Gespräch mit ihnen heraus, was es damit auf sich hat. Als Parvins Professorin vertrauliche E-Mails ungefragt veröffentlicht, eskaliert der schwelende Konflikt zwischen Einheimischen und ihren selbsternannten Wohltätern. Erneut muss Parvin entscheiden, wo sie steht. Was bestimmt, wer wir sind und wowir hingehören? Wie formen die Medien unseren Blick auf die Welt? Und können wir unsere Vorurteile je ablegen? Wie in ihrem gefeierten Roman »Der amerikanische Architekt« stellt sich Amy Waldman den brennenden Fragen unserer Gegenwart in einer packenden und überraschenden Geschichte.
Amy Waldman, Jahrgang 1969, leitete acht Jahre lang das Südasienbüro der New York Times und war dort Korrespondentin für The Atlantic. Ihr Roman 'Der amerikanische Architekt' wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Brooklyn.Brigitte Walitzek, geboren 1952, lebt in Berlin. Seit 1986 ist sie Übersetzerin, u. a. von Margaret Atwood, Peter Behrens, Jane Bowles, Margaret Forster, Germaine Greer, Carson McCullers, Beverley Nichols, Jeanette Winterson und Virginia Woolf.
Produktdetails
- Verlag: Schöffling
- Originaltitel: A Door in the Earth
- Seitenzahl: 496
- Erscheinungstermin: 2. Februar 2021
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 136mm x 45mm
- Gewicht: 680g
- ISBN-13: 9783895611681
- ISBN-10: 3895611689
- Artikelnr.: 60577577
Herstellerkennzeichnung
Schoeffling + Co.
Kaiserstr. 79
60329 Frankfurt
info@schoeffling.de
Unter den Ärmsten der Armen
Amy Waldman kennt Afghanistan aus eigenem Erleben. Ihr Roman "Das ferne Feuer" zeigt ein Land, dem mit westlichen Vorstellungen nicht beizukommen ist.
Die amerikanische Journalistin Amy Waldman beschrieb vor zwanzig Jahren in einem Artikel für die "New York Times" ihre Schwierigkeiten, in Afghanistan mit vollverschleierten Frauen ins Gespräch zu kommen. Sie selbst, die ihr Gesicht zeigte, wurde nach den Jahren der Taliban-Herrschaft angestarrt von Frauen wie Männern, als hätte man noch nie ein weibliches Antlitz erblickt. Diese Eindrücke haben sie nicht losgelassen.
Nach ihrem Romandebüt "Der amerikanische Architekt" (F.A.Z. vom 4. Februar 2013), in dem sie virtuos durchspielte,
Amy Waldman kennt Afghanistan aus eigenem Erleben. Ihr Roman "Das ferne Feuer" zeigt ein Land, dem mit westlichen Vorstellungen nicht beizukommen ist.
Die amerikanische Journalistin Amy Waldman beschrieb vor zwanzig Jahren in einem Artikel für die "New York Times" ihre Schwierigkeiten, in Afghanistan mit vollverschleierten Frauen ins Gespräch zu kommen. Sie selbst, die ihr Gesicht zeigte, wurde nach den Jahren der Taliban-Herrschaft angestarrt von Frauen wie Männern, als hätte man noch nie ein weibliches Antlitz erblickt. Diese Eindrücke haben sie nicht losgelassen.
Nach ihrem Romandebüt "Der amerikanische Architekt" (F.A.Z. vom 4. Februar 2013), in dem sie virtuos durchspielte,
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gegen welchen Generalverdacht Muslime in Amerika nach dem 11. September 2001 zu kämpfen hatten, widmet sie sich in ihrem zweiten Roman abermals den Folgen jenes Terroranschlags: "Das ferne Feuer" handelt von einer Studentin der medizinischen Anthropologie an der Universität Berkeley, die aus Gründen in ein Dorf reist, die sie mit vielen jungen Menschen aus dem Westen teilt - einmal kurz die Welt retten und nebenbei vielleicht Material für die Masterarbeit abstauben.
Ein wenig anders liegt der Fall aber doch. Die zweiundzwanzigjährige Parvin Schams ist in erster Generation Amerikanerin, ihre Eltern flohen aus Kabul und landeten, nicht sehr privilegiert, in Union City. Parvins Mutter ist, als die Geschichte einsetzt, unlängst verstorben und der Vater wenig angetan, als ihm seine Tochter eröffnet, sie wolle für mehrere Monate nach Afghanistan reisen. Auslöser dafür ist die Lektüre eines Buches. Der Augenarzt Gideon Crane, Ehebrecher und Honorarbetrüger, hat sich zur Buße seiner Schuld als Helfer nach Afghanistan begeben. Als ihm der Versuch misslingt, eine gebärende Frau zu retten, baut er als Wiedergutmachung eine Klinik in ihrem Dorf und schreibt ein Buch über seine Wohltätermission: "Mother Afghanistan" wird ein Millionenseller, Crane ein humanitärer Star, seine Stiftung steinreich.
Parvin ist elektrisiert von Buch und Autor, es gelingt ihr, im Auftrag der Stiftung nach Afghanistan zu reisen, um den Fortschritt in der Bekämpfung der Müttersterblichkeit zu dokumentieren. Das Dorf, "ein idyllisches, von Ausländern unberührtes Fleckchen Erde", lebt ohne die Segnungen der Moderne. Nur ein Haus verfügt über einen dieselbetriebenen Generator, fließendes Wasser gibt es nicht. Zurückgeworfen auf einfachste Lebensverhältnisse - Handy und Yogamatte entpuppen sich als überflüssig -, entdeckt Parvin die Kraft ihrer fünf Sinne und der Stille, die Abwesenheit von "Berieselung mit Neuigkeiten aus dem Leben anderer", von Multitasking und Internet. "Das Dorf war wie von jeder Schrift reingewaschen. Welche Verwendung hätten die Dorfbewohner für Beschriftungen gehabt? Die meisten von ihnen konnten nicht lesen, und abgesehen davon brauchten sie keine derartigen Hinweise in einem Ort, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatten." Parvin dagegen entstammt einer Kultur, in der das Lesen "vielleicht das einzige angelernte Verhalten" ist, "das so unwillkürlich wurde wie Atmen".
Die unverschleierte Kalifornierin taucht ein in den zehrenden Alltag der Muslimas, in Eifersüchteleien, Streitereien, aber auch in Zuneigung und Fürsorge. Sie beginnt, Cranes Buch vorzulesen, spricht mit Zeitzeugen, und je mehr sie erfährt, desto klarer wird, dass darin so ziemlich alle Details falsch bis frei erfunden sind.
Waldman montiert diese kursiv gesetzten Passagen aus dem fiktiven Buch "Mutter Afghanistan" geschickt in den Erzählfluss. Cranes Märchen ist ein Echo auf den amerikanischen Philanthropen Greg Mortenson, dessen Buch "Three Cups of Tea" (2008) ein auch ins Deutsche übersetzter Welterfolg war - bis die Reporterlegende Jon Krakauer mit dem nicht ins Deutsche übersetzten Buch "Three Cups of Deceit" (2011) die Luft aus der Sache ließ. Auch Mortenson ließ seiner Phantasie freien Lauf - gestört hat das niemanden, schon gar nicht jene Wohltäter, die auf Amerika komm raus Schulen und Kindergärten in Afghanistan gebaut haben. Viele dieser Einrichtungen ereilte das gleiche Schicksal wie die Klinik Cranes, ein strahlend weißer Bau am Ortsrand, der so aussieht, als zöge er sich demnächst einen Sonnenbrand zu. Das Haus steht leer, einmal die Woche nimmt eine Ärztin aus der nächsten Stadt den beschwerlichen mehrstündigen Weg in die Berge auf sich, um den Frauen zu helfen - männliche Ärzte aufzusuchen ist ihnen verboten.
"Das ferne Feuer" nimmt eine Wendung, als amerikanische Soldaten auftauchen und verkünden, der Präsident der Vereinigten Staaten habe beschlossen, aus der beinahe unpassierbaren Schotterpiste eine solide Straße zu machen, von der alle nur profitieren könnten. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Propaganda-Aktion, um im Land der "gütigen" Besatzungsmacht die Stimmung pro Kriegseinsatz lebendig zu halten. Und so beginnen unumstößliche Wahrheiten des Westens, die Parvin in sich trägt, zu bröckeln.
Der für die deutsche Übersetzung gewählte Titel macht sich kleiner als das Original: "A Hole in The Earth" ist ein Zitat aus der Ilias-Nachdichtung "Memorial" (2011) der gegenwärtigen Inhaberin der Oxforder Poetik-Professur, Alice Oswald. Über Paris, der durch die Entführung Helenas den Trojanischen Krieg lostrat, heißt es da: "Er öffnete eine Tür in der Erde / Und eine ganze Generation ging hinein." Amy Waldman verkoppelt den Roman auch noch an anderer Stelle mit der Antike, wenn sie Parvin und Trotter das Theseus-Paradoxon erörtern lässt, von dem zuerst Plutarch berichtet: Verliert ein Schiff - ein Gegenstand - seine Identität, wenn nach und nach alle Einzelteile ausgetauscht werden?
Waldman will mehr als eine in Romanform umgegossene journalistische Story. Ihr Kernthema ist die Frage, wie mit den Ärmsten der Armen, muslimischen Frauen in patriarchalischen Gesellschaften, umzugehen sei. Eine bündige Antwort liefert sie nicht, stattdessen die Einsicht, dass unsere Moral hier an Grenzen stößt. Die Vereinigten Staaten kommen nicht gut weg in dieser Geschichte aus einem Land, das bis heute keinen Frieden gefunden hat. Oberflächliche Freundlichkeit und guter Wille werden als etwas dekonstruiert, das keine Substanz hat: Es nutzt nichts, Kliniken und Schulen zu bauen, wenn hinterher kein geschultes Personal bezahlt werden kann, um die Einrichtungen zu betreiben.
Der Straßenbau der Besatzer wird Ziel von Sabotageakten, und je länger die Geschichte sich in den Herbst hineinzieht, desto klarer wird Parvin, dass sie ein störendes Element in der Dorfgemeinschaft ist. Sie gehört zu beiden Kulturen, und damit zu keiner. Waldman lastet der schmalen jungen Frau ein bisschen viel Schicksal auf, nicht alle ihre am Ende immer heroischeren Kraftanstrengungen wirken psychologisch noch überzeugend, und manchmal muss sie auch als reine Ideentransporteurin herhalten. Auch wirkt das Finale im Stil oft gesehener Kriegsfilmbilder mit Hubschraubereinsatz dick aufgetragen. Aber im Vergleich zu dem Panorama, das Waldman auffaltet, und zu den Fragen, die sie stellt, wiegen diese Einwände wenig.
HANNES HINTERMEIER
Amy Waldman:
"Das ferne Feuer". Roman.
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2021. 496 S., geb., 26.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein wenig anders liegt der Fall aber doch. Die zweiundzwanzigjährige Parvin Schams ist in erster Generation Amerikanerin, ihre Eltern flohen aus Kabul und landeten, nicht sehr privilegiert, in Union City. Parvins Mutter ist, als die Geschichte einsetzt, unlängst verstorben und der Vater wenig angetan, als ihm seine Tochter eröffnet, sie wolle für mehrere Monate nach Afghanistan reisen. Auslöser dafür ist die Lektüre eines Buches. Der Augenarzt Gideon Crane, Ehebrecher und Honorarbetrüger, hat sich zur Buße seiner Schuld als Helfer nach Afghanistan begeben. Als ihm der Versuch misslingt, eine gebärende Frau zu retten, baut er als Wiedergutmachung eine Klinik in ihrem Dorf und schreibt ein Buch über seine Wohltätermission: "Mother Afghanistan" wird ein Millionenseller, Crane ein humanitärer Star, seine Stiftung steinreich.
Parvin ist elektrisiert von Buch und Autor, es gelingt ihr, im Auftrag der Stiftung nach Afghanistan zu reisen, um den Fortschritt in der Bekämpfung der Müttersterblichkeit zu dokumentieren. Das Dorf, "ein idyllisches, von Ausländern unberührtes Fleckchen Erde", lebt ohne die Segnungen der Moderne. Nur ein Haus verfügt über einen dieselbetriebenen Generator, fließendes Wasser gibt es nicht. Zurückgeworfen auf einfachste Lebensverhältnisse - Handy und Yogamatte entpuppen sich als überflüssig -, entdeckt Parvin die Kraft ihrer fünf Sinne und der Stille, die Abwesenheit von "Berieselung mit Neuigkeiten aus dem Leben anderer", von Multitasking und Internet. "Das Dorf war wie von jeder Schrift reingewaschen. Welche Verwendung hätten die Dorfbewohner für Beschriftungen gehabt? Die meisten von ihnen konnten nicht lesen, und abgesehen davon brauchten sie keine derartigen Hinweise in einem Ort, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatten." Parvin dagegen entstammt einer Kultur, in der das Lesen "vielleicht das einzige angelernte Verhalten" ist, "das so unwillkürlich wurde wie Atmen".
Die unverschleierte Kalifornierin taucht ein in den zehrenden Alltag der Muslimas, in Eifersüchteleien, Streitereien, aber auch in Zuneigung und Fürsorge. Sie beginnt, Cranes Buch vorzulesen, spricht mit Zeitzeugen, und je mehr sie erfährt, desto klarer wird, dass darin so ziemlich alle Details falsch bis frei erfunden sind.
Waldman montiert diese kursiv gesetzten Passagen aus dem fiktiven Buch "Mutter Afghanistan" geschickt in den Erzählfluss. Cranes Märchen ist ein Echo auf den amerikanischen Philanthropen Greg Mortenson, dessen Buch "Three Cups of Tea" (2008) ein auch ins Deutsche übersetzter Welterfolg war - bis die Reporterlegende Jon Krakauer mit dem nicht ins Deutsche übersetzten Buch "Three Cups of Deceit" (2011) die Luft aus der Sache ließ. Auch Mortenson ließ seiner Phantasie freien Lauf - gestört hat das niemanden, schon gar nicht jene Wohltäter, die auf Amerika komm raus Schulen und Kindergärten in Afghanistan gebaut haben. Viele dieser Einrichtungen ereilte das gleiche Schicksal wie die Klinik Cranes, ein strahlend weißer Bau am Ortsrand, der so aussieht, als zöge er sich demnächst einen Sonnenbrand zu. Das Haus steht leer, einmal die Woche nimmt eine Ärztin aus der nächsten Stadt den beschwerlichen mehrstündigen Weg in die Berge auf sich, um den Frauen zu helfen - männliche Ärzte aufzusuchen ist ihnen verboten.
"Das ferne Feuer" nimmt eine Wendung, als amerikanische Soldaten auftauchen und verkünden, der Präsident der Vereinigten Staaten habe beschlossen, aus der beinahe unpassierbaren Schotterpiste eine solide Straße zu machen, von der alle nur profitieren könnten. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Propaganda-Aktion, um im Land der "gütigen" Besatzungsmacht die Stimmung pro Kriegseinsatz lebendig zu halten. Und so beginnen unumstößliche Wahrheiten des Westens, die Parvin in sich trägt, zu bröckeln.
Der für die deutsche Übersetzung gewählte Titel macht sich kleiner als das Original: "A Hole in The Earth" ist ein Zitat aus der Ilias-Nachdichtung "Memorial" (2011) der gegenwärtigen Inhaberin der Oxforder Poetik-Professur, Alice Oswald. Über Paris, der durch die Entführung Helenas den Trojanischen Krieg lostrat, heißt es da: "Er öffnete eine Tür in der Erde / Und eine ganze Generation ging hinein." Amy Waldman verkoppelt den Roman auch noch an anderer Stelle mit der Antike, wenn sie Parvin und Trotter das Theseus-Paradoxon erörtern lässt, von dem zuerst Plutarch berichtet: Verliert ein Schiff - ein Gegenstand - seine Identität, wenn nach und nach alle Einzelteile ausgetauscht werden?
Waldman will mehr als eine in Romanform umgegossene journalistische Story. Ihr Kernthema ist die Frage, wie mit den Ärmsten der Armen, muslimischen Frauen in patriarchalischen Gesellschaften, umzugehen sei. Eine bündige Antwort liefert sie nicht, stattdessen die Einsicht, dass unsere Moral hier an Grenzen stößt. Die Vereinigten Staaten kommen nicht gut weg in dieser Geschichte aus einem Land, das bis heute keinen Frieden gefunden hat. Oberflächliche Freundlichkeit und guter Wille werden als etwas dekonstruiert, das keine Substanz hat: Es nutzt nichts, Kliniken und Schulen zu bauen, wenn hinterher kein geschultes Personal bezahlt werden kann, um die Einrichtungen zu betreiben.
Der Straßenbau der Besatzer wird Ziel von Sabotageakten, und je länger die Geschichte sich in den Herbst hineinzieht, desto klarer wird Parvin, dass sie ein störendes Element in der Dorfgemeinschaft ist. Sie gehört zu beiden Kulturen, und damit zu keiner. Waldman lastet der schmalen jungen Frau ein bisschen viel Schicksal auf, nicht alle ihre am Ende immer heroischeren Kraftanstrengungen wirken psychologisch noch überzeugend, und manchmal muss sie auch als reine Ideentransporteurin herhalten. Auch wirkt das Finale im Stil oft gesehener Kriegsfilmbilder mit Hubschraubereinsatz dick aufgetragen. Aber im Vergleich zu dem Panorama, das Waldman auffaltet, und zu den Fragen, die sie stellt, wiegen diese Einwände wenig.
HANNES HINTERMEIER
Amy Waldman:
"Das ferne Feuer". Roman.
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2021. 496 S., geb., 26.- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Claus-Jürgen Göpfert legt den Roman von Amy Waldman resigniert zur Seite. Das im amerikanischen Original bereits 2019 erschienene Buch führt ihm die militärischen Prämissen des Krieges in Afghanistan noch einmal eindrucksvoll vor Augen, das Unverständnis des Westens gegenüber der Bevölkerung, die Rolle der Medien und die ganze Sinnlosigkeit dieses Krieges. Auch wenn es sich um einen spannend geschriebenen Roman handelt, nicht um eine politische Analyse, verhilft das Buch dem Rezensenten zu einer eigenen Einschätzung, so wie ein Lehrstück.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»'Das ferne Feuer' ist ein leidenschaftlicher Roman über die Einsicht in unsere moralischen Grenzen. In einer Zeit, in der wir uns durch die sozialen Medien für allwissend halten, ist diese Einsicht wertvoller denn je.«The New York Times»Dieser kraftvolle neue Roman von Amy Waldman steckt voller brisanter Erkenntnisse.«New York Times Book Review»In ihrem ungeheuer erhellenden zweiten Roman legt Amy Waldman beharrlich Schicht um Schicht kultureller Prägungen frei, um auszuloten, welche Folgen es für Menschen hat, wenn die USA ihre angeblich 'gütige Macht' ausüben.«BBC»Mit klarem Blick, aber ohne dabei zynisch zu werden, erzählt Amy Waldman in diesem packenden Roman von persönlicher Motivation, naiver Gutgläubigkeit und moralischer Verwirrung - und deren dramatischen Konsequenzen.«The Washington Post»Wieder ist sie stark, wenn sie reportagenhaft die Gegebenheiten vor Ort schildert.«Ulrich Steinmetzger, Westdeutsche Allgemeine Zeitung»Mich hat Amy Waldman damit umgehauen.«Thea Dorn,Das Literarische Quartett»Wer verstehen will, warum der schmachvolle Rückzug des Westens aus Afghanistan unausweichlich und absehbar war, der muss dieses Buch lesen.«Hans Peter Müller, Badische Zeitung, 23.07.2022
Die Anthropologie-Studentin Parvin ist fasziniert von dem Bestseller „Mutter Afghanistan“ von Gideon Crane. Der amerikanische Arzt hat Afghanistan bereist und berichtet über seine Erlebnisse in einem kleinen Bergdorf. Dort ist die Todesrate bei schwangeren Frauen sehr hoch. Mit …
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Die Anthropologie-Studentin Parvin ist fasziniert von dem Bestseller „Mutter Afghanistan“ von Gideon Crane. Der amerikanische Arzt hat Afghanistan bereist und berichtet über seine Erlebnisse in einem kleinen Bergdorf. Dort ist die Todesrate bei schwangeren Frauen sehr hoch. Mit Hilfe von Spendengeldern kann er im Dorf eine Klinik für Frauen bauen. Parvin stammt selbst aus Afghanistan, ihre Eltern sind jedoch mit ihr im Alter von einem Jahr in die USA ausgewandert. Durch ihr Studium beschäftigt sie sich damit, wie Menschen in anderen Kulturen leben und wie sie mit medizinischen Problemen umgehen. Sie beschließt, Cranes Projekt vor Ort zu unterstützen. Die junge Frau steckt nach dem Tod ihrer Mutter auch in einer Selbstfindungsphase, daher scheint ihr diese Reise in die Heimat ihrer Eltern sehr reizvoll zu sein. Aber es ist auch ein Land im Krieg. Sie reist in das abgelegene Bergdorf, um dort für einige Monate in der Familie wohnen, über die Crane in seinem Buch berichtet hat. Die Mutter Fereschta ist damals bei der Geburt ihres siebten Kindes verstorben. Dort trifft sie auf ihren Mann Wahid, der inzwischen neu verheiratet ist, sowie seine neun Kinder. Wir erfahren, wie Parvin sich im Dorf einlebt und wie sie versucht sich nützlich zu machen.
In den ersten Kapiteln sind auch einige Auszüge aus dem Crane-Buch abgedruckt. Hier erfährt man dann, dass die Inhalte des Buches doch sehr von der Realität vor Ort abweichen, und Parvin, die zuerst noch recht naiv und blauäugig erscheint, kommen die ersten Zweifel an Cranes Erzählungen.
Der Buchtitel zielt darauf ab, dass im Land Krieg herrscht. Die USA sind seit Jahren gegen die Taliban aktiv. Dies betrifft jedoch andere, entferntere Regionen des Landes. Die Leute im Dorf haben nur das Radio als Quelle für Nachrichten, die Berichte kommen „wie Asche von einem fernen Feuer“.
Das Dorf wird landschaftlich schön beschrieben, so abgelegen, es ist eine andere Welt dort, ohne Mobilfunk, ohne Autos, ohne Lärm. Aber es herrschen dort auch patriarchalische Strukturen, und die strenge Religion beherrscht das Leben. Also wie wird es Parvin dort im Dorf ergehen? Das Buch erzählt davon, auf welche Hürden humanitäre Hilfe vor Ort trifft. Und auch davon, welche Kehrseiten es gibt, wenn man missionarisch tätig wird. Was verändert ein Hilfsprojekt, was brauchen die Menschen vor Ort wirklich? Die Autorin macht deutlich, dass es keine wohlwollende Besatzung eines Landes durch fremde Nationen gibt, sondern dass es sich dabei um eine Form des modernen Imperialismus handelt.
Besonders gut fand ich, dass es viele verschiedene Perspektiven gibt, dass man die Beweggründe der Leute nachvollziehen kann. Es geht um Macht, um persönliche Vorteile, um Publicity, oder einfach ums Überleben. Es geht um Fragen der Loyalität, um Ideologien. Das alles ist sehr erleuchtend und das Buch wirft viele Fragen auf und regt zum Nachdenken an. Die Autorin hat das Buch sehr klug aufgebaut, und es gibt auch einige überraschende Ereignisse, die es auch spannend machen weiterzulesen.
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Inspiriert von einem Bestseller in den USA, in dem ein Arzt schildert, wie er Frauen in Afghanistan hilft, reist die junge Berkeley-Studentin Parvin in das Heimatland ihrer Eltern, um diese Arbeit zu unterstützen. Doch die Realität des kleinen Dorfes über das geschrieben wurde, ist …
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Inspiriert von einem Bestseller in den USA, in dem ein Arzt schildert, wie er Frauen in Afghanistan hilft, reist die junge Berkeley-Studentin Parvin in das Heimatland ihrer Eltern, um diese Arbeit zu unterstützen. Doch die Realität des kleinen Dorfes über das geschrieben wurde, ist weit von dem entfernt, was Parvin sich vorgestellt hat. Die von Spenden erbaute Klinik steht leer, da kein Personal bezahlt wird. Und viele der im Buch erzählten Geschichten stehen im Widerspruch zu dem, was die im Dorf Lebenden berichten.
Parvin ist eine weitgehend typische Vertreterin ihrer Generation: voller Idealismus und Begeisterungsfähigkeit, wenn es darum geht, Gutes in der Welt zu tun. Ohne Zweifel an ihren Vorbildern, Professorin Banerjee und dem Arzt Crane, die sie zu dieser Reise ermutigen, reist sie nach Afghanistan um dort mit einer Welt konfrontiert zu werden, die sie sich in den USA nicht im Entferntesten hat vorstellen können. Die Armut der Menschen; die bestehenden und von Allen akzeptierten Hierarchien im Dorf (insbesondere die Stellung der Frauen in der Gemeinschaft); der Glaube an die Nichtbeeinflussbarkeit des Schicksals – und die ganz offenbar nicht so positiven Auswirkungen des Aufenthaltes von Crane.
Amy Waldman, die Afghanistan durch ihre Tätigkeit als Leiterin der Büros der New York Times in Neu-Delhi kennt, weiß um die Zwiespältigkeit vieler Hilfsangebote für die Armen, bei denen die tatsächlichen Bedürfnisse der Betroffenen meist keine Rolle spielen. Häufig dient die Unterstützung nur dazu, die Spender in gutem Licht dastehen zu lassen und ist viel zu oft nicht von langer Dauer – siehe leerstehende Schulen und Kliniken, für die es kein Personal gibt. Die Autorin zeigt überzeugend, wie in Parvin die Zweifel wachsen: an dem Arzt, ihrer Professorin, überhaupt dem Engagement ihres Landes, den USA. Sie stellt sich immer mehr Fragen, die sich auch den Lesenden stellen: Wie manipulierbar sind wir? Was ist wirkliche Hilfe? Was tut den Menschen gut?
Auch wenn die Figur Parvins nicht immer überzeugend dargestellt wird (so blauäugig ist wohl selbst eine US-Amerikanerin nicht, vor allem wenn sie Studentin in Berkeley ist
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Ich freue mich, dass ich aufgrund einer Lesechallenge zu diesem Buch greifen durfte, denn ich gestehe, das sehr triste Cover – auch wenn es für die sandige Berglandschaft Afghanistans stehen soll – hätte mich eher abgeschreckt. Und genauso trist oder besser gesagt ein wenig …
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Ich freue mich, dass ich aufgrund einer Lesechallenge zu diesem Buch greifen durfte, denn ich gestehe, das sehr triste Cover – auch wenn es für die sandige Berglandschaft Afghanistans stehen soll – hätte mich eher abgeschreckt. Und genauso trist oder besser gesagt ein wenig schleppend zog sich der erste Eindruck dann auch durch die Anfangskapitel des Buchs. Doch aufgeben stand für mich nicht zur Debatte und so las ich mich immer tiefer in die Geschichte Parvins, die mit sich mit ihrer jugendlichen Naivität, angefeuert durch ein Buch des selbsternannten Gutmenschen Dr. Gideon, auf den Weg nach Afghanistan macht, um dort ihrerseits Gutes zu tun. Da sie selbst afghanische Wurzeln hat und zudem die Sprache beherrscht, fühlt sie sich befähigt, das humanitäre Engagement des Arztes weiterzuführen und zu vertiefen. Vor Ort angekommen ist sie überrascht, wie wenig offen und herzlich sie aufgenommen wird und muss bald feststellen, dass Welten zwischen der Lektüre Dr. Gideons und der Wahrheit liegen. Trägt sie am Ende sogar selbst dazu bei, die Konflikte in dem kriegsgebeutelten Land zu befeuern?
Ich sitze hier nun nach beendeter Lektüre und muss sagen WOW! Selten hat mir ein Buch eine solch stimmige Erklärung zu einem Krieg mit Einmischung aus dem Ausland – und hier ist nicht immer nur die USA gemeint – geliefert. Während ich mich während des Lesens immer wieder auf Parvins Seite und dann doch wieder gegen sie stellte … während ich versuchte LTC Trotter und seine Hintergründe zu verstehen, musste ich mir am Ende doch eingestehen, dass keine Einmischung, egal welcher Art, vielleicht besser gewesen wäre. Was hat es nur mit unseren westlichen Kulturen auf sich, dass wir immer meinen, unsere Lebensweise sei das einzig selig machende? Sehr aufschlussreich fand ich auch die Darstellung der Mudschahedin gegenüber der Taliban und musste doch wieder feststellen, wie wenig Ahnung ich von diesem Thema habe und wie ich mich freue, durch dieses Buch ein wenig Licht in dieses Dunkel gebracht zu haben. Alles in allem habe ich aus diesem Buch viel gelernt, die unerwartete Reise nach Afghanistan begrüßt, mit gefiebert, mitgelitten und mitgeweint. Ich denke, ich werde die sogenannten „Erfolge“, die wir westlichen Länder im Ausland erzielen, in Zukunft mit kritischeren Augen betrachten. Trotz oben genannter Schwächen bekommt das Buch von mir mit dicken fünf Sternen die volle Punktzahl und hoffentlich noch viele Leser und Leserinnen. Ein wichtiges Thema, ein „Augenöffner“, dem ich von Herzen noch viel Aufmerksamkeit wünsche!
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