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Jump Cuts durch die Zeit: Ulrich Peltzers Porträt des Künstlers als junger Mann
Plötzlich sitzt da diese Frau an einem Ecktisch neben der Bar, und du hast keine andere Wahl mehr, als zu ihr zu gehen. Quer durch den Raum wie ein Schlafwandler. Was fing damals an, im verschneiten West-Berlin der frühen achtziger Jahre, als der Potsdamer Platz eine von Grenzanlagen zerrissene Brache und die Stadt noch nicht leergeträumt war? Hätte alles auch ganz anders kommen können? Ulrich Peltzer erzählt in einer bewegenden Liebes- und Künstlergeschichte von der gefährlichen Freiheit, der Coolness und den…mehr

Produktbeschreibung
Jump Cuts durch die Zeit: Ulrich Peltzers Porträt des Künstlers als junger Mann

Plötzlich sitzt da diese Frau an einem Ecktisch neben der Bar, und du hast keine andere Wahl mehr, als zu ihr zu gehen. Quer durch den Raum wie ein Schlafwandler. Was fing damals an, im verschneiten West-Berlin der frühen achtziger Jahre, als der Potsdamer Platz eine von Grenzanlagen zerrissene Brache und die Stadt noch nicht leergeträumt war? Hätte alles auch ganz anders kommen können? Ulrich Peltzer erzählt in einer bewegenden Liebes- und Künstlergeschichte von der gefährlichen Freiheit, der Coolness und den euphorischen Aufbrüchen einer wilden, fremd gewordenen Zeit. Was für immer geblieben ist: der Impuls, zu schreiben. Und der Glaube daran, dass jedes neue Wort, jedes Bild, jeder Klang eine neue Welt bedeuten kann.

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Autorenporträt
Ulrich Peltzer, geboren 1956 in Krefeld, studierte Philosophie und Psychologie in Berlin, wo er seit 1975 lebt. Er veröffentlichte die Romane 'Die Sünden der Faulheit' (1987), 'Stefan Martinez' (1995), '¿Alle oder keiner¿' (1999), 'Bryant Park' (2002) und 'Teil der Lösung' (2007) sowie die Frankfurter Poetikvorlesungen 'Angefangen wird mittendrin' (2011). Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Preis der SWR-Bestenliste, dem Berliner Literaturpreis und dem Heinrich-Böll-Preis. Ulrich Peltzers Roman 'Das bessere Leben' (2015) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde unter anderem mit dem Marieluise-Fleißer-Preis, dem Peter-Weiss-Preis und dem Franz-Hessel-Preis geehrt. Zuletzt erschien der Roman 'Das bist du' (2021). Literaturpreise: Gerty-Spies-Literaturpreis 2016 Franz-Hessel-Preis 2015 Peter-Weiss-Preis 2015 Platz 1 SWR Bestenliste September 2015 Marieluise Fleißer-Preis 2015 Shortlist Deutscher Buchpreis 2015 Carl-Amery-Literaturpreis 2013 Heinrich-Böll-Preis 2011 Frankfurter Poetik-Dozentur 2010/11 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin 2010 Stadtschreiber von Bergen-Enkheim 2009/2010 Spycher: Literaturpreis Leuk 2008 Düsseldorfer Literaturpreis 2008 Berliner Literaturpreis für sein Gesamtwerk 2008 Literaturpreis der Stadt Bremen 2003 Niederrheinischer Literaturpreis der Stadt Krefeld 2001 Preis der SWR-Bestenliste 2000 Anna Seghers-Preis 1997 Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung 1996 Bertelsmann-Stipendium beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1992
Rezensionen
Ein stilistisch brillianter Roman, der dem "unauflösbaren Rätsel" des eigenen Ichs nachgeht und Berlin zu seinem heimlichen Protagonisten macht. Rainer Moritz Chrismon 20210701

Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Rezensent Richard Kämmerlings fallen die filmischen Schnitte auf in Ulrich Peltzers Porträt des Künstlers als junger Mann in West-Berlin um 1980. Kämmerlings erinnert der Stil des Buches an wackelige Super-8-Aufnahmen. Dem Erzähler von Affäre zu Affäre, von Trip zu Trip und von Kunsterlebnis zu Kunsterlebnis folgend, erkennt Kämmerlings den ernsten Hintergrund der Geschichte in der Frage nach dem Warum des eigenen Scheiterns und der Kontingenz des Daseins: Was war folgerichtig, was hätte anders laufen können?

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.02.2021

Vom Glück, außer sich zu sein
Ulrich Peltzer schreibt in seinen Romanen gegen das Festlegen tieferer Bedeutung an.
In „Das bist du“ kommt seinem coolen Erzähler die Liebe auf den ersten Blick in die Queere
VON HUBERT WINKELS
Das O ist es. Oh ja. Oh weh. Leonore. Leonore ist die über alles Geliebte eines Erzählers, der lieber ein Niemand wäre, nur beobachten würde, auch sich selbst beim Beobachten. Ein plausibles Arbeitsprinzip für einen urbanen Schriftsteller, der die anonymen Kräfte im Dschungel der Großstadt sichtbar machen möchte. Nur nicht sich selbst auffallen: Sieh dich um, das bist du!
Tatsächlich spielt die Schlüsselszene des Romans im „Dschungel“, jenem legendären Club im alten Westberlin, erst am Winterfeldtplatz, später in der Nürnberger Straße. Eine Heterotopie, einer jener Orte, an denen Helden für einen Tag geboren werden. Wir sind ganz am Anfang der Achtzigerjahre, aus den prekären Verhältnissen folgen nicht mehr Revolution oder lange Märsche, sondern ein Aufbegehren im Hier und Jetzt. Lust und Glück im permanenten Ausnahmezustand, Schlagartigkeit als Lebensprinzip.
Der Erzähler ist mit einer Freundin namens Karla ausgegangen. Sie trägt „einen ultrakurzen Rock mit schwarzen Strumpfhosen, zu allem bereit“, aber über ihre Schulter blickend, entdeckt der Erzähler eine andere Frau. Rauchend, mal in einem Buch lesend, ein halb volles Glas Bier vor sich, nichts weiter – und es ist um ihn geschehen. Ein Coup de foudre, wie er im Buche steht. Der Erzähler brennt mit seiner Zigarette ein Loch in Karlas schwarze Strumpfhose und bewegt sich wie hypnotisiert auf die junge Frau zu, deren Reize den ganzen Roman über nicht benannt werden. Ein Zufall eben, ein Blitzschlag, reine Kontingenz, ganz Gegenwart: das Glück, außer sich zu sein. Man verlässt den Dschungel, und schon auf der Treppe zu seiner Wohnung lässt Leonore ihre Kleidung fallen, Stufe für Stufe, bis das Verhängnis des Glücks fest installiert ist. Leonore – ein magisches Namensgeschehen wie einst in Gottfried August Bürgers düsterer Ballade „Lenore“.
Diese Liebesgeschichte ist so wunderbar heftig, weil sie dem Selbstbild des Erzählers in die Quere kommt. Peltzer liebt es in fast allen seinen Romanen, den Helden eigenschaftslos zu entwerfen und ihn mit der ständigen Arbeit der Negation zu beschäftigen. Er soll nichts wollen, sich an nichts hängen, er ist weder von seinen Zielen her noch genealogisch zu fassen. Herkunft, Eltern zumal, spielen keine große Rolle, neurotische Familiarität ist tabu. Immer wieder wird der „Anti-Ödipus“ von Gilles Deleuze und Félix Guattari zitiert, mit seiner berühmtesten Stelle: „Es funktioniert überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen. Es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es ...“
Selbst das Psychologiestudium des Erzählers besteht in einer einzigen Auflehnung gegen die individualitätstheoretischen Grundbedingungen des Fachs. Individualitäten ergründen heißt sie formen, um zu herrschen. Das Einzige, was hilft, ist eine Genealogisierung der Machtverhältnisse. „Repräsentation ist Terror“, denkt es im Helden. Und sie muss destruiert werden mit Theorie und Drogen, Musik und Kollektivität, mit ständiger Bewegung ohne Ziel außer der Vernichtung von Zielen – damals hätte man noch Annihilierung gesagt, auch die ist Arbeit.
Es liegt auf der Hand, dass diese sozialpsychologische Konstellation für einen formbewussten Autor wie Ulrich Peltzer eine Herausforderung ist. Denn Schreiben heißt Repräsentieren, Begriffe, Metaphern, Namen sind bereits Agenten des Allgemeinen. So wird der Romantitel eingeführt, an einer eher unscheinbaren Stelle im Roman: „Aber vielleicht dachte ich das auch nur, dachte mir das so aus. Etwas, das man zu einem Bild dazuerfindet, um es sich zu erklären. Logik oder Psychologie. Dabei sich selbst ein unauflösliches Rätsel, eine Folge von Buchstaben, die kein sinnvolles Wort bilden. Das bist du. Vor Leonore, nach Leonore. Ins eigene Leben nicht mehr zurückfinden. Als hörte man sich mit einer winzigen Verzögerung beim Sprechen zu, immer ein anderer.“
Eine winzige Verzögerung liegt in der phonetischen Folge der zwei starken, sich graphisch und artikulatorisch öffnenden Vokale ihres Namens. Durch das eine O gehst du rein, durch das andere gehst du raus – es geht nicht gut aus mit Leonore. Einen Aufschub kann man auch handfester am Anfang und Ende des Romans in der materiellen Schreibsituation des Erzählers erkennen. Er ist Filmvorführer mit guten Kenntnissen der diversen Projektionsapparaturen, wartet im Kino auf den Wechsel der Filmrolle und notiert dabei in sein Schreibheft, was er beim Rückblick auf seine zwei, drei prägenden Jahre im Berlin der Achtziger erkennen kann. Aufblitzende Einzelheiten, gleitende und ruckelnde Bilder, mit schnellen Cuts, grob montiert, manchmal gerissen. Rolf Dieter Brinkmanns Buchtitel „Der Film in Worten“ wird zitiert. Der Film läuft, der Autor schreibt mit. Statt uns von Begehren und Leidenschaft zu erzählen, versucht er sich zu einem aufzeichnenden Auge zu machen, wie es schon die Neue Sachlichkeit, der Nouveau Roman versucht haben. Es ist verführerisch, sich herauszunehmen aus der Welt, doch wem gelingt das schon? Ulrich Peltzer jedenfalls nicht. Unter seinen kühl-urbanen Oberflächen brodelt es heftig. Ein mühsam gezügeltes Wollen, hier in den Rausch, dort in Kinobilder abgeleitet. Und als hintergründig leitende Idee die des richtigen Lebens.
In dieser Spannung zwischen Straßenpragmatismus und verstecktem Ethos, zwischen Coolness und Empfindlichkeit wird dann doch eine profilierte Person und eine tragische Liebesgeschichte erkennbar. Woher kommt der Erzähler, und was wird aus ihm? Als Schriftsteller? Als Liebender? Als Freund?
Peltzer sucht vergeblich, alle Linearitäten zu kaschieren, der zu früh gestorbene Vater geistert dennoch durch die Sätze, der Erzähler lebt von seiner Halbwaisenrente und einer kleinen Erbschaft. Auch die Mutter lässt ihm etwas zukommen. Die vermittelnden Institutionen werden zurückgewiesen, und dennoch arbeitet der Erzähler in einem psychiatrischen Institut in Dahlem. Utopien sind Altlasten aus den Siebzigern, und dennoch endet der Roman mit einer eher hippie- als kommunardenhaften Form des Zusammenlebens vieler Freunde auf Stromboli. So nah gerät der Roman ans verbotene Paradies, dass man sich auf den letzten von so viel winterlich kalten, kneipenharten Seiten förmlich herausgeschleudert fühlt an den antagonistischen Wärmepol. Doch auch das Paradies ist bereits bedacht, auf dem kurzen Glücksgipfel mit Leonore, mit Buch und Film und dem ganzen symbolischen Zauber der Kultur. Man war im Kino, hat Truffauts „Der Wolfsjunge“ gesehen, den zugrundeliegenden Bericht Jean Itards über den sprachlosen jungen Wilden gelesen: „Weil der Junge auf den Buchstaben O mit großer Gemütsbewegung reagiert, nennt man ihn Viktor, dieser Name bist jetzt du.“
Da ist der Titel wieder, jenes „Das bist du“ eines Romans, der sich mit allen seinen Mitteln gegen die Identifizierung wehrt. Schon einen Sinn in den Buchstaben eines Namens zu verankern, ist ein Verstoß gegen das frei floatende Begehren. Und eine konventionelle Romandramaturgie wäre erst recht eine Zwangsveranstaltung. Peltzer bedient sich einiger avancierter Techniken der modernen Literatur, um ein frühes Einrasten von tieferer Bedeutung zu verhindern. Er springt in den Zeiten, zitiert, reißt Szenen an, flutet die Seiten mit immer neuen Namen, nimmt Reißaus nach Amsterdam und New York, Paris und immer wieder Neapel, weil hier die Gassen und die Stimmen sich verdichten, wie es sich der Autor für das eigene Schreiben erträumt.
Ulrich Peltzer hat sich diese so lockere wie komplexe Form in etlichen Romanen erarbeitet, sodass sie ihm gut von der Hand geht. Er macht es sich nicht sehr schwer. Fast immer sind es Berlin, die Achtzigerjahre, die postachtundsechziger Mentalität, das Postpunk-Milieu, die sein Romanhabitat bilden. Oft sind es links-utopische Momente, die als historische Sehnsuchtstrigger fungieren, wie die in Gewalt mündenden Demonstrationen im Baskenland in „Alle oder keiner“ (1999), oder die anarchische Aktion gegen die elektronischen Überwachungssysteme am Potsdamer Platz in „Teil der Lösung“ (2007). Und selbst ein Roman, der versucht, sich mit Sympathie in das Betriebssystem des globalen Kapitalismus einzuhacken, wie zuletzt „Das bessere Leben“ (2015), spult immer wieder zurück zu den Szenen des Kent-State-Massakers 1970 bei der Antivietnamkriegsdemonstration. Und immer ist es eine Liebesgeschichte, die jede Wahrnehmung muss begleiten können: Christine, Nele, Angelika Volkhart, Leonore, und da Letztere auch eine Liebesbetrügerin ist, tritt zugleich mit ihr Nils auf, jung, lockig, schwul, muskulös, der mit nacktem Oberkörper Kino- und Konzertkarten abreißt, sich prügelt und dem Erzähler eine Lederhose aus Kuhfell zuschneidet, näht und anpasst. Eine neue Haut.
Immer sauber ausgeschnitten bleibt bei Peltzer auch der Mauerfall in Berlin, die sogenannte friedliche Revolution samt Folgen. Dafür zieht Leonore das politische Feld weiter. Sie betrügt ihren schreibenden Liebhaber nämlich auch mit einem EU-finanzierten opportunistischen Politikberater mit starkem O, Dolf („ohne A“, wie es heißt). Warum nur, das ist die Rätselfrage, ist der Erzähler dieser Frau verfallen? In ihr verbinden sich der Buchstabe, die Macht, das Begehren und der Betrug. Das Leben eben. Nach dieser x-ten Travestie einer, seiner Biografie könnte Ulrich Peltzer nun endlich das allzu vertraute Spielfeld verlassen. Wir wissen, was er kann. Aber sicher kann er auch noch ganz anderes.
„Repräsentation ist Terror“,
denkt es im Helden. Und
sie muss destruiert werden
Zuletzt fühlt man sich aus so
vielen kneipenharten Seiten
herausgeschleudert ins Paradies
Ulrich Peltzer:
Das bist du.
Roman. S. Fischer,
Frankfurt am Main 2021. 289 Seiten, 22 Euro.
Im Nachtleben des Westberlin der Achtzigerjahre, seinem Postachtundsechzigermilieu, kommt es für Ulrich Peltzers Erzähler zum Coup de foudre. Hier eine Party mit Blixa Bargeld (Mitte) im Jahr 1983.
Foto: imago images / Photo12
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2021

Blinde Blicke

Die erhellenden Filmszenen der Erinnerung: Ulrich Peltzers Roman "Das bist du" setzt sich auf die Spur des eigenen Ichs in einer Zeit vor dem Willen zum Schreiben. Für diesen Schriftsteller stellt sich immer wieder neu die Frage: In welcher Fiktion haben wir gelebt?

Von Andreas Platthaus

Pardon, aber wer Christian Kracht sagt, muss auch Ulrich Peltzer lesen. Denn das, was bei den beiden coronabedingt gleichzeitig herausgekommenen Romanen dieser Schriftsteller - Peltzers Buch war eigentlich bereits fürs vergangene Jahr angekündigt - auf den ersten Blick als unterschiedlichste Formen autobiographisch-fiktionalen Schreibens erscheinen könnte, erweist sich bei der Parallellektüre als ganz ähnliches Projekt mit anderen literarischen Mitteln, aber auf demselben Reflexionsniveau. Kracht setzt auf ironische Distanz zur Gegenwart, Peltzer ganz unironisch auf teilnehmende Rückgewinnung der Vergangenheit. Zwischen beiden Romanhandlungen liegen fast vierzig Jahre, doch das Resultat ihrer jeweiligen Weltbeschreibung ist beide Male atemraubend intensiv.

Ulrich Peltzer nennt seinen neuen Roman "Das bist du". Diesen Buchtitel meint er als Anrede seiner selbst: Identifikation des Autors durch den und mit dem Ich-Erzähler. Der ist ein nie namentlich genannter, aber biographisch mit seinem Verfasser identischer junger Mann, der in den mittleren achtziger Jahren als Student in West-Berlin lebt und zu Beginn der Handlung an einem Sommertag unter den Yorckbrücken hindurch zu seiner Arbeit als Kinovorführer geht. Am Schluss des Romans wird er nur ein paar Tage älter, aber zum Schriftsteller geworden sein: "Seit gestern Abend frage ich mich, ob man die ganze Geschichte schon im Kopf haben muss, bevor man zu erzählen beginnt, oder ob alles vom ersten Satz abhängt. Aus dem dann der zweite folgt, der dritte, bis es zu Ende ist . . . der Roman, den ich schreiben werde, ich kann das . . . du kannst das, fang einfach an." Im letzten Satz wird also eingelöst, was der Titel des Buchs versprochen hat: Ein Erzähler ist zu sich selbst geworden.

Das ist ein probater Trick, seit Marcel Proust mit "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vorgemacht hat, wie man den eigenen Schreibwillen zur Grundlage einer weltweitenden Fiktion machen kann, in der mehr Wahrheit geboten wird, als es jede Autobiographie gekonnt hätte. Weil es dabei im Gegensatz zum Leben um alles geht. Peltzer lässt es sein Alter Ego so formulieren: "Für mich ist Kunst nie ein Spiel gewesen, aus dem man nach Belieben einsteigt oder aussteigt, so distanziert ich meinem Leben sonst oft begegne. Mein Leben mir, eher so herum."

In Begegnung steckt auch Gegnerschaft. Ulrich Peltzers Protagonisten haben zu kämpfen mit dem, was ihnen widerfährt, und das nicht nur in seiner unausgewiesenen Trilogie von politisch motivierten Romanen, "Alle oder keiner" (1999), "Teil der Lösung" (2007) und "Das bessere Leben" (2015). "Das bist du" ist nun Ab- und Rückkehr: weg von der Gesellschaftskritik, zurück zur Stadtphänomenologie. Mehr noch als ein Porträt des Künstlers als junger Mann ist der Roman ein Berlin-Buch, das nicht nur ein paar Sommertage umfasst, sondern in weiten Passagen auch die zwei Jahre zuvor und in einigen kleineren die dreieinhalb Jahrzehnte seitdem: "Als ich Karla, die zwei erwachsene Söhne hat, vor ein paar Wochen sah, erzählte sie mir, dass ich damals mit Entschiedenheit verkündet hätte, ich würde Schriftsteller werden. Stimmt nicht, Karla, sagte ich, never ever, sie lachte, doch, doch." Die alte Berliner Bekannte hat recht behalten.

Peltzers Debütroman "Die Sünden der Faulheit" erschien 1987 und enthielt einen Satz, der vorwegnahm, was ihn und damit auch den Erzähler von "Das bis du" umtreiben würde: "Wollte man alle Geschichte erzählen, die an einem Abend in einer großen Stadt beginnen, brauchte man nicht anzufangen." Seine Frankfurter Poetikvorlesungen, gehalten 2011, überschrieb Peltzer deshalb programmatisch mit "Angefangen wird mittendrin" und machte sie zum Loblied auf die für die moderne Literatur kennzeichnende Defokussierung: "Konzentrierte Zerstreutheit wird Normalzustand." In Peltzers Romanen agiert wie auch oft bei Kracht ein Kameraauge - kalte, blinde Maschinerie ohne Eigeninteresse, die das Beobachterideal abgibt: mit tausend Schwenks durch die Welt. So war "Die Sünden der Faulheit" erzählt, und so verhielt es sich auch bei dem Roman, der Peltzer berühmt gemacht hat: "Stefan Martinez" von 1995. Zusammen gelesen bieten diese beiden Bücher - Krimiburleske der erste, Bildungsroman der zweite - ein West-Berlin-Porträt, das schon deshalb das letzte literarische Wort zu seinem Gegenstand darstellt, weil es den seit 1990 nicht mehr gab.

Verwoben sind Peltzers Panoramaperspektiven mit dem scheinindividuellen Blick seiner Protagonisten, in die auch schon vor "Das bist du" die Biographie des Autors eingeflossen war. Der neue Roman wird so auch zum Materialienband für die ersten beiden, zu einer Art Making-of zu "Die Sünden der Faulheit" und "Stefan Martinez", zur Schauplatzrecherche

Fortsetzung auf der folgenden Seite

in Berlin und zum Casting des literarischen Personals. Schon in "Stefan Martinez" sahen wir einen Filmvorführer unter den Yorckbrücken zu seinem Arbeitsplatz gehen, und dort fand sich auch gleich zu Beginn eine Schilderung des Titelhelden vor einem Kinoprogrammschaukasten, die das erzählerische Programm dieses Romans klarmachte: "Als er sich vorbeugte, um eine Szene, die aus ,Gloria' kopiert war, genauer zu betrachten, kam ihm sein Gesicht so plötzlich entgegen, daß er zurückwich. Wie wenn einer drinsteckt, mit dem man nicht rechnet. Ich ist." Ein Vierteljahrhundert später heißt es nun "Das bist du". Wo Christian Kracht sich mit "Eurotrash" den Spaß eines Sequels zu "Faserland" erlaubt, hat Ulrich Peltzer das Prequel zu seinem Frühwerk geschaffen.

Peltzer und Kracht sind in jeder Hinsicht die beiden kinematographischsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur: formal, ästhetisch, inhaltlich. Sie finden sogar dieselben Bilder, am verblüffendsten im Fall des Fischauges im Restaurant, das in "Eurotrash" zur zentralen Erzählchiffre wird. Schwer vorstellbar, dass Kracht "Die Sünden der Faulheit" gelesen hat, aber dort liest man als eine der für Peltzer typischen Detailaufnahmen: "Am Tisch der beiden Schwulen wurde der Karpfen tranchiert, dessen verkochte Augen trübe in den Höhlen lagen." Die Zerstörung dieses Sehorgans ist beiden Autoren deshalb wichtig, weil das Fischauge ja auch der Begriff für ein optisches Instrument ist, das die für sie charakteristische Panoramaperspektive ermöglicht.

Und beide haben den unbestechlichen Blick für die skurrile Situation. Mitten in "Das bist du" schaltet Peltzer eine Straßenszene ein, die keine narrative Funktion hat außer ihrer grotesken Schönheit: "Eines Nachts fuhr ich einem Auto, das an einer roten Ampel wartete, Nürnberger Ecke Augsburger, vors Heck. Nichts Großes, Stoßstange gegen Stoßstange, aber ich hatte getrunken. Bevor ich aussteigen konnte, stand der andere Fahrer schon neben mir. Durch hektische Armbewegungen gab er mir zu verstehen, ich solle das Fenster herunterkurbeln. Keine Bullen, stieß er dann hervor, ich bin auf Pille, okay, okay? Als ich nickte, lief er zurück, sprang in seinen Wagen und fuhr sofort los. Über die mittlerweile wieder rote Ampel." So etwas kann man nicht erfinden, und deshalb ist es große Kunst, es in einen Roman einzubauen. Diese Kunst stellt uns vor die Herausforderung, das Reale vom Fiktiven nicht zu scheiden, aber beides zu unterscheiden.

"Andere Menschen, andere Orte, Wohnungen, Zimmer, Hotels, es ist unmöglich geworden, eine durchgehende Linie durch die Zeit zu ziehen" - so lautet die Herausforderung für Ulrich Peltzer. Teil der Lösung, wie dieser Schriftsteller sie begreift, ist der neue Roman: "Du warst das, das bist du, muss man sich zuflüstern, fast wie eine Beschwörung." Völlig unironisch. Hinreißend.

Ulrich Peltzer: "Das bist du". Roman.

Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 287 S., geb., 22,- [Euro].

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