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Von der radikalen Selbstfindung in einer zunehmend apokalyptischen Welt. SPIEGEL-Bestseller-Autorin.Während ihre Mutter das letzte Einkaufsgeld versäuft, beobachtet Charlie vom Balkon ihrer Betonmietskaserne die benachbarten Bungalows und deren Bewohner: Sie lernt, dass es mehrere soziale Klassen gibt und sie selbst zur untersten gehört. Dann, kurz nach ihrem zwölften Geburtstag, zieht ein neues Ehepaar ins Viertel. Die beiden sind Schauspieler, unberechenbar, chaotisch, luxuriös, schlauer als alle anderen - und für Charlie das, was der Rest der Welt als ihre »erste große Liebe« bezei...
Von der radikalen Selbstfindung in einer zunehmend apokalyptischen Welt. SPIEGEL-Bestseller-Autorin.
Während ihre Mutter das letzte Einkaufsgeld versäuft, beobachtet Charlie vom Balkon ihrer Betonmietskaserne die benachbarten Bungalows und deren Bewohner: Sie lernt, dass es mehrere soziale Klassen gibt und sie selbst zur untersten gehört. Dann, kurz nach ihrem zwölften Geburtstag, zieht ein neues Ehepaar ins Viertel. Die beiden sind Schauspieler, unberechenbar, chaotisch, luxuriös, schlauer als alle anderen - und für Charlie das, was der Rest der Welt als ihre »erste große Liebe« bezeichnen würde: Spielkameraden und Lover, größter Einfluss und größte Gefährdung. Klar und radikal erzählt Helene Hegemann vom Überleben in einer zunehmend apokalyptischen Welt und der vitalen Kraft des freien Willens.
Während ihre Mutter das letzte Einkaufsgeld versäuft, beobachtet Charlie vom Balkon ihrer Betonmietskaserne die benachbarten Bungalows und deren Bewohner: Sie lernt, dass es mehrere soziale Klassen gibt und sie selbst zur untersten gehört. Dann, kurz nach ihrem zwölften Geburtstag, zieht ein neues Ehepaar ins Viertel. Die beiden sind Schauspieler, unberechenbar, chaotisch, luxuriös, schlauer als alle anderen - und für Charlie das, was der Rest der Welt als ihre »erste große Liebe« bezeichnen würde: Spielkameraden und Lover, größter Einfluss und größte Gefährdung. Klar und radikal erzählt Helene Hegemann vom Überleben in einer zunehmend apokalyptischen Welt und der vitalen Kraft des freien Willens.
Helene Hegemann, 1992 geboren, lebt in Berlin. ¿Axolotl Roadkill¿ ist ihr Debüt, das in 20 Sprachen übersetzt wurde. Die Verfilmung, ¿Axolotl Overkill¿, bei der sie selbst Regie führte, wurde beim Sundance Festival 2017 mit dem World Cinema Dramatic Special Jury Award for Cinematography ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: btb
- Seitenzahl: 282
- Erscheinungstermin: 8. Februar 2022
- Deutsch
- Abmessung: 187mm x 121mm x 25mm
- Gewicht: 267g
- ISBN-13: 9783442770076
- ISBN-10: 3442770076
- Artikelnr.: 61391228
Herstellerkennzeichnung
btb Taschenbuch
Neumarkter Straße 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
Ich hasse dich, verlass mich nicht
Rasant, beeindruckend und sehr gegenwärtig: Helene Hegemanns Roman "Bungalow" ist das Psychogramm einer zerstörerischen Mutter-Tochter-Beziehung.
Petra hieß die schwarze Schwänin, die sich vor ein paar Jahren auf dem Aasee bei Münster in ein Tretboot verliebte. Der kleine Vogel hielt dem Kunststoffboot, das einem großen weißen Schwan nachempfunden war, jahrelang die Treue, verteidigte es gegen vermeintliche Angreifer und harrte selbst im kalten Winter neben ihm aus. Die ganze Welt verfolgte damals die ungewöhnliche Liaison. Dass sie wie dieser Trauerschwan sei, sagt jetzt im neuen Roman von Helene Hegemann die junge Charlie. Ihre Mutter hatte ihr davon erzählt: dass so ein Schwan,
Rasant, beeindruckend und sehr gegenwärtig: Helene Hegemanns Roman "Bungalow" ist das Psychogramm einer zerstörerischen Mutter-Tochter-Beziehung.
Petra hieß die schwarze Schwänin, die sich vor ein paar Jahren auf dem Aasee bei Münster in ein Tretboot verliebte. Der kleine Vogel hielt dem Kunststoffboot, das einem großen weißen Schwan nachempfunden war, jahrelang die Treue, verteidigte es gegen vermeintliche Angreifer und harrte selbst im kalten Winter neben ihm aus. Die ganze Welt verfolgte damals die ungewöhnliche Liaison. Dass sie wie dieser Trauerschwan sei, sagt jetzt im neuen Roman von Helene Hegemann die junge Charlie. Ihre Mutter hatte ihr davon erzählt: dass so ein Schwan,
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wenn er seine Mutter verliere, sich das Nächstbeste suche, das ihn an das Verlorene erinnert.
Dass Charlies Vergleich mit der Schwänin Petra in Wahrheit gar nicht zutrifft, sondern ihr eigentliches Drama vielmehr auf den Kopf stellt, gehört zum psychologischen Raffinement dieses Romans. Denn das Mädchen hat seine Mutter ja eben nicht verloren, sondern lebt mit ihr gemeinsam im siebten Stock eines heruntergekommenen Hochhauses irgendwo in einer deutschen Großstadt. Verloren - oder nie gehabt, das bleibt offen - hat Charlie allenfalls in der Mutter einen Menschen, der sich um sie kümmert und auf sie aufpasst. Hier haben sich die Verhältnisse umgekehrt, und Charlies Mutter kann es in Sachen Kälte mit einem Plastikteil problemlos aufnehmen. Dass sie zugleich da ist, aber nur als Stellvertreterin ihrer selbst, ist von unerhörter Brutalität.
Charlie hält zu ihr, so wahnhaft, erratisch und manipulativ sich ihre Mutter auch verhält. Dass sie krank ist - schizophren - und Alkohol für sie nur ein Mittel von mehreren, um mit den Dämonen und inneren Stimmen fertigzuwerden, weiß die Tochter. Ein Entkommen aber gibt es nicht, denn mit ihren zwölf Jahren kann Charlie nicht einfach die Koffer packen und gehen. Sie lebt wie eine Geisel der Krankheit ihrer Mutter. Daher nimmt sie auch Reißaus, wenn sich eine helfende Hand anbietet, etwa die Nachbarin Maria sie unerwartet zu sich einlädt. Noch ist Charlie nicht so weit, die Kopie dem Original vorzuziehen, noch wird sie ihrer Mutter wie ein Schatten folgen, selbst wenn dies lebensgefährlich ist. Auch als ihr Vater eines Tages aufkreuzt und sie mitnehmen will, wirft Charlie ihn aus der Wohnung. Dabei hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit ihm mitzugehen.
Helene Hegemann hat mit "Bungalow" einen erschütternden Roman über kindliche Wehrlosigkeit und das Ringen um Autonomie geschrieben. Das sind vertraute Motive aus ihren Büchern. Hier wird das Thema der Verwahrlosung mit dystopischen Momenten und Zügen ins Groteske unterschnitten. Seinen Sog erhält die Erzählung durch den Ton. Die Geschichte wird zwar aus der Rückschau der inzwischen erwachsenen Charlie als Überlebender erzählt - der Überlebenden eines inneren wie auch äußeren Krieges, der am Romanende auch noch ausbricht. Doch die erwachsene Erzählerin ist ihrem kindlichen Ich noch immer so verbunden, dass sie das damals Erlebte vor allem aus der Sicht des jungen Menschen berichtet. Deshalb trifft das Verhalten der Monstermutter auf Ahnungslosigkeit, Verbitterung und Ohnmacht. Ich hasse dich, verlass mich nicht - der Titel des Borderline-Klassikers - beschreibt Mutter wie Tochter, doch der Kampf wird mit ungleichen Mitteln geführt. Darin liegt die dramatische Fallhöhe der Erzählung.
Die Wohnung, in der die beiden mehr vegetieren als leben, verkommt zum Saustall, und wenn das Geld von der Stütze auf sich warten lässt, gibt es Toast mit Speiseöl. Charlie nimmt es hin. Ängste hat sie viel eher vor der Unberechenbarkeit. Denn an einem Tag mag ihr die Mutter in den Arm beißen, an einem anderen mit einem Weinglas nach ihr werfen. Aber sie kann Charlie mit Witz und Intelligenz und einer ramponierten Eleganz durchaus auch für sich einnehmen. "Das Schlimme war", sagt sie einmal, "dass ich sie nicht hassen konnte." In dieser manipulativen Kraft lauert die Gefahr. Denn sie nährt immer aufs Neue die Hoffnung, bis der nächste Schub den nächsten Scherbenhaufen anrichtet.
Helene Hegemann zeichnet ihre junge Protagonistin als zäh, widerspenstig und verletzlich. Charlie muss ihre ganze Kraft aufbringen, um nach außen den Schein aufrechtzuerhalten. Dass sie damit zur ungewollten Komplizin der Mutter wird, ist für die erwachsene Erzählerin die vielleicht niederschmetterndste Erkenntnis. Da gibt sie etwa in der Schule vor, Badminton zu spielen, während die anderen ins Kino gehen, dabei fehlt ihr nur das Geld, weil die Mutter ihre Spardose plündert. Den einzigen Freund, mit dem Charlie Zeit verbringt, Iskender, ignoriert sie von einem Tag auf den anderen, als er ihre Mutter bei einem ihrer Schübe erlebt. Zu groß ist ihre Angst, Iskender könnte sie bloßstellen oder, schlimmer noch, seine Eltern informieren und damit das Jugendamt auf den Plan rufen. So unternimmt Charlie alles, um Alltag zu simulieren. Dass sie überfordert ist, verrät sich allenfalls darin, dass sie in schmutziger Wäsche zur Schule geht. Dass sie deren Geruchs wegen in der Klasse gehänselt wird, ist dabei ihr geringstes Problem. Zum Fluchtpunkt wird für sie das schillernde Paar, das in die Nachbarschaft gezogen ist - und von Charlie bald mit obsessiver Phantasie gestalkt wird.
Helene Hegemann, 1992 in Berlin geboren, wurde mit ihrem vielfach übersetzten und später verfilmten Debütroman "Axolotl Roadkill" bekannt, gefeiert und dann heftig kritisiert, weil Teile davon aus Texten eines Bloggers übernommen worden waren, ohne dass sie dies kenntlich gemacht hatte. Hier nun gibt es wie als Reaktion darauf ein Quellenverzeichnis - und einmal sagt Charlie über Iskender, er müsse, wenn er etwas irgendwo gelesen habe, das ihm gefiel, es bei jeder Gelegenheit anwenden.
Der Roman, dessen Titel "Bungalow" sich auf die Siedlung der Besserverdienenden bezieht, auf die Charlie von ihrem Balkon herabschauen kann, ist ein rasantes, gekonnt gemachtes und sehr gegenwärtiges Psychogramm einer zerstörerischen Beziehung, geschildert aus der Perspektive eines Opfers, dem jegliche Larmoyanz fernliegt. Helene Hegemann schreibt direkt, drastisch und verfolgt dabei eine Ästhetik der Überbietung. Dass sie ihr Setting dystopisch rahmt, dessen hätte es gar nicht bedurft. Wann die Ereignisse sich abspielen, wird nicht eindeutig klar: Charlie ist zwar zur Jahrtausendwende geboren, doch Flugtaxis, von denen die Rede ist, wie auch der im Hintergrund lauernde Krieg verweisen auf eine andere, uns unbekannte Zeit.
Die heutige Welt wird in ihrem Profil gleichwohl kenntlich gemacht. Wenn Charlie über den topologischen Raum so etwas wie Gesellschaftskunde in eigener Sache betreibt, sie über die Gegensätze von Zentrum und Peripherie nachdenkt oder über die von Hochhäusern, Bungalows und Prachtaltbauten, dann klingt das mitunter plakativ wie in einem gutgemeinten Jugendbuch (und die Kinder aus prekären Familien tragen Namen wie Kevin und Melissa, während das Bohemien-Paar, mit dem Charlie sich später einlassen wird, Georg und Maria heißt). Dennoch erscheint das stimmig, denn Charlie ist eine Jugendliche, auch wenn sie im Buch die Rolle einer Erwachsenen übernehmen muss. Kind sein kann sie erst, als sie längst erwachsen ist.
Ihr Überlebenswille ist dabei dem der Trauerschwänin ebenbürtig. Die landete nach dem Ende der einseitigen Zuneigung irgendwann in einer Vogelrettungsstation in Osnabrück und freundete sich dort mit einem echten Schwan an. Zum Aasee kehrte Petra nie mehr zurück.
SANDRA KEGEL
Helene Hegemann:
"Bungalow". Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2018. 288 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dass Charlies Vergleich mit der Schwänin Petra in Wahrheit gar nicht zutrifft, sondern ihr eigentliches Drama vielmehr auf den Kopf stellt, gehört zum psychologischen Raffinement dieses Romans. Denn das Mädchen hat seine Mutter ja eben nicht verloren, sondern lebt mit ihr gemeinsam im siebten Stock eines heruntergekommenen Hochhauses irgendwo in einer deutschen Großstadt. Verloren - oder nie gehabt, das bleibt offen - hat Charlie allenfalls in der Mutter einen Menschen, der sich um sie kümmert und auf sie aufpasst. Hier haben sich die Verhältnisse umgekehrt, und Charlies Mutter kann es in Sachen Kälte mit einem Plastikteil problemlos aufnehmen. Dass sie zugleich da ist, aber nur als Stellvertreterin ihrer selbst, ist von unerhörter Brutalität.
Charlie hält zu ihr, so wahnhaft, erratisch und manipulativ sich ihre Mutter auch verhält. Dass sie krank ist - schizophren - und Alkohol für sie nur ein Mittel von mehreren, um mit den Dämonen und inneren Stimmen fertigzuwerden, weiß die Tochter. Ein Entkommen aber gibt es nicht, denn mit ihren zwölf Jahren kann Charlie nicht einfach die Koffer packen und gehen. Sie lebt wie eine Geisel der Krankheit ihrer Mutter. Daher nimmt sie auch Reißaus, wenn sich eine helfende Hand anbietet, etwa die Nachbarin Maria sie unerwartet zu sich einlädt. Noch ist Charlie nicht so weit, die Kopie dem Original vorzuziehen, noch wird sie ihrer Mutter wie ein Schatten folgen, selbst wenn dies lebensgefährlich ist. Auch als ihr Vater eines Tages aufkreuzt und sie mitnehmen will, wirft Charlie ihn aus der Wohnung. Dabei hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit ihm mitzugehen.
Helene Hegemann hat mit "Bungalow" einen erschütternden Roman über kindliche Wehrlosigkeit und das Ringen um Autonomie geschrieben. Das sind vertraute Motive aus ihren Büchern. Hier wird das Thema der Verwahrlosung mit dystopischen Momenten und Zügen ins Groteske unterschnitten. Seinen Sog erhält die Erzählung durch den Ton. Die Geschichte wird zwar aus der Rückschau der inzwischen erwachsenen Charlie als Überlebender erzählt - der Überlebenden eines inneren wie auch äußeren Krieges, der am Romanende auch noch ausbricht. Doch die erwachsene Erzählerin ist ihrem kindlichen Ich noch immer so verbunden, dass sie das damals Erlebte vor allem aus der Sicht des jungen Menschen berichtet. Deshalb trifft das Verhalten der Monstermutter auf Ahnungslosigkeit, Verbitterung und Ohnmacht. Ich hasse dich, verlass mich nicht - der Titel des Borderline-Klassikers - beschreibt Mutter wie Tochter, doch der Kampf wird mit ungleichen Mitteln geführt. Darin liegt die dramatische Fallhöhe der Erzählung.
Die Wohnung, in der die beiden mehr vegetieren als leben, verkommt zum Saustall, und wenn das Geld von der Stütze auf sich warten lässt, gibt es Toast mit Speiseöl. Charlie nimmt es hin. Ängste hat sie viel eher vor der Unberechenbarkeit. Denn an einem Tag mag ihr die Mutter in den Arm beißen, an einem anderen mit einem Weinglas nach ihr werfen. Aber sie kann Charlie mit Witz und Intelligenz und einer ramponierten Eleganz durchaus auch für sich einnehmen. "Das Schlimme war", sagt sie einmal, "dass ich sie nicht hassen konnte." In dieser manipulativen Kraft lauert die Gefahr. Denn sie nährt immer aufs Neue die Hoffnung, bis der nächste Schub den nächsten Scherbenhaufen anrichtet.
Helene Hegemann zeichnet ihre junge Protagonistin als zäh, widerspenstig und verletzlich. Charlie muss ihre ganze Kraft aufbringen, um nach außen den Schein aufrechtzuerhalten. Dass sie damit zur ungewollten Komplizin der Mutter wird, ist für die erwachsene Erzählerin die vielleicht niederschmetterndste Erkenntnis. Da gibt sie etwa in der Schule vor, Badminton zu spielen, während die anderen ins Kino gehen, dabei fehlt ihr nur das Geld, weil die Mutter ihre Spardose plündert. Den einzigen Freund, mit dem Charlie Zeit verbringt, Iskender, ignoriert sie von einem Tag auf den anderen, als er ihre Mutter bei einem ihrer Schübe erlebt. Zu groß ist ihre Angst, Iskender könnte sie bloßstellen oder, schlimmer noch, seine Eltern informieren und damit das Jugendamt auf den Plan rufen. So unternimmt Charlie alles, um Alltag zu simulieren. Dass sie überfordert ist, verrät sich allenfalls darin, dass sie in schmutziger Wäsche zur Schule geht. Dass sie deren Geruchs wegen in der Klasse gehänselt wird, ist dabei ihr geringstes Problem. Zum Fluchtpunkt wird für sie das schillernde Paar, das in die Nachbarschaft gezogen ist - und von Charlie bald mit obsessiver Phantasie gestalkt wird.
Helene Hegemann, 1992 in Berlin geboren, wurde mit ihrem vielfach übersetzten und später verfilmten Debütroman "Axolotl Roadkill" bekannt, gefeiert und dann heftig kritisiert, weil Teile davon aus Texten eines Bloggers übernommen worden waren, ohne dass sie dies kenntlich gemacht hatte. Hier nun gibt es wie als Reaktion darauf ein Quellenverzeichnis - und einmal sagt Charlie über Iskender, er müsse, wenn er etwas irgendwo gelesen habe, das ihm gefiel, es bei jeder Gelegenheit anwenden.
Der Roman, dessen Titel "Bungalow" sich auf die Siedlung der Besserverdienenden bezieht, auf die Charlie von ihrem Balkon herabschauen kann, ist ein rasantes, gekonnt gemachtes und sehr gegenwärtiges Psychogramm einer zerstörerischen Beziehung, geschildert aus der Perspektive eines Opfers, dem jegliche Larmoyanz fernliegt. Helene Hegemann schreibt direkt, drastisch und verfolgt dabei eine Ästhetik der Überbietung. Dass sie ihr Setting dystopisch rahmt, dessen hätte es gar nicht bedurft. Wann die Ereignisse sich abspielen, wird nicht eindeutig klar: Charlie ist zwar zur Jahrtausendwende geboren, doch Flugtaxis, von denen die Rede ist, wie auch der im Hintergrund lauernde Krieg verweisen auf eine andere, uns unbekannte Zeit.
Die heutige Welt wird in ihrem Profil gleichwohl kenntlich gemacht. Wenn Charlie über den topologischen Raum so etwas wie Gesellschaftskunde in eigener Sache betreibt, sie über die Gegensätze von Zentrum und Peripherie nachdenkt oder über die von Hochhäusern, Bungalows und Prachtaltbauten, dann klingt das mitunter plakativ wie in einem gutgemeinten Jugendbuch (und die Kinder aus prekären Familien tragen Namen wie Kevin und Melissa, während das Bohemien-Paar, mit dem Charlie sich später einlassen wird, Georg und Maria heißt). Dennoch erscheint das stimmig, denn Charlie ist eine Jugendliche, auch wenn sie im Buch die Rolle einer Erwachsenen übernehmen muss. Kind sein kann sie erst, als sie längst erwachsen ist.
Ihr Überlebenswille ist dabei dem der Trauerschwänin ebenbürtig. Die landete nach dem Ende der einseitigen Zuneigung irgendwann in einer Vogelrettungsstation in Osnabrück und freundete sich dort mit einem echten Schwan an. Zum Aasee kehrte Petra nie mehr zurück.
SANDRA KEGEL
Helene Hegemann:
"Bungalow". Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2018. 288 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Marie Schmidt atmet auf: Helene Hegemann hat ihren inzwischen dritten Roman vorbildlich mit Quellenangaben versehen - und auch das "manische Kraftquatschen" der Autorin erscheint ihr gelassener. Und dennoch kann sie die Geschichte um die in Gegenwart ihrer trinkenden und labilen Mutter zunehmend verwahlosende Charlie nicht komplett überzeugen. Denn eigentlich macht Schmidt hier drei Romane aus, die weder erzählerisch, noch stilistisch verknüpft sind: Einen Liebesroman - Charlie beginnt eine Affäre mit dem Paar im titelgebende Bungalow - eine "futuristische Dystopie" und eben jenes "Drama des vernachlässigten Kindes". Dass Hegemann hier nur selten auf Übertreibungen und bizarre Einfälle setzt, stattdessen einige gelungene Aphorismen liefert, hat der Kritikerin unterdessen gut gefallen. Und die Obsession, mit der die Autorin Angst erlebbar machen kann, hat Schmidt sowieso beeindruckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Der Roman ist ein rasantes, gekonnt gemachtes und sehr gegenwärtiges Psychogramm einer zerstörerischen Beziehung, geschildert aus der Perspektive eines Opfers, dem jegliche Larmoyanz fernliegt." Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.18 "Jeder Satz stimmt ... was dazu führt, dass man das Buch von einem Moment auf den anderen bis zum Ende nicht mehr aus den Händen legt ... Also springt man in Helene Hegemanns 'Bungalow' vom Ende gleich wieder zum Anfang ... und ist, tief berührt, schon dabei, diesen Roman ein zweites Mal zu lesen." Julia Encke, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.08.18 "Düster, krass, obsessiv." Susanne Brandl, 3sat, 31.08.18 "Jugend war schon immer ein Verdammnis, und Hegemann erzählt davon mit einer so
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prekären Besessenheit, dass die Reaktion auf diesen Roman wie auf ihre bisherigen fast physisch ist. Es ist schwer, sich dieser Wucht zu entziehen." Georg Diez, Der Spiegel, 25.08.18 "Das Buch ist flirrend, schwebt wie radioaktive Partikelim Kopf des Lesers. Fallout-Literatur, irrlichternd, zynisch, ungeordnet und defätistisch und doch so voller Vitalität, dass man den ungebändigten Überlebenswillen Charlies spürt. ... 'Bungalow' ist ein Roman, der die Struktur eines orientalischen Teppichs hat." Ute Cohen, Der Freitag, 30.08.18 "Ein sehr gutes Sozialdrama, eine unausgegorene Coming-of-Age-Liebesgeschichte und eine irritierende Dystopie." Jan Jekal, taz am Wochenende, 15.09.18 "Hegemann liefert Innenansichen dafür, wie es sich anfühlt, am Rande einer zerbrechenden Gesellschaft zu leben und das ist ein Gefühl, das heute viele bewegt." Birgit Schwarz, ORF, 13.09.18 "Hegemann schildert hart, teils ins Komische kippend, wie ihre Protagonistin verschiedene Strategien findet, um mit dem Aufwachsen im Ausnahmezustand umzugehen [...] Und überallhin folgt man ihr bereitwillig und will das Buch nicht mehr zur Seite legen, weil das nicht nur eindringlich erzählt ist, sondern diese Charlie mit einer Klugheit und Souveränität ausstattet ist, die die abgründige Tristesse deutlich besser erträglich macht." Paula Pfoser, ORF.at, 01.09.18 "Schauspielerei, Kunst und Sucht überwinden die sozialen Barrieren - tief unten funkelt hier eine sehnsuchtsvolle, wenngleich morbide Romantik. [...] Mag mancher, der eine brave Sozialreportage im Seite-drei-Stil der Zeitungen erwartet, erschlagen sein - geschenkt. Man sollte diesen intensiven Roman nicht auf den Plot hin lesen, sondern als Rausch, Alptraum, Bewusstseinszustand. Ein Erlebnis ist er ganz sicher!" Pascal Fischer, SWR2, 26.08.18 "Mit ihrem brillanten dritten Roman zeigt sie, wie ein emanzipierter, queerer und feministischer Stil überkommene Stereotype aufbrechen kann. ... Helene Hegemann ist eine der besten deutschsprachigen Autorinnen. Nur ist das leider immer noch nicht hinreichend bekannt. ... Mit ihrem dritten Werk, 'Bungalow', das nun vorliegt, müsste aber nun jedem klar sein, um was für ein literarisches Kaliber es sich bei ihr handelt." Mirjam Kid, DLF Kultur "Lesart", 22.08.2018 "Wo auch immer der Leser hineingerät, er fühlt sich dem Erzählten ziemlich fix ziemlich nah. Knackig und originell beschreibt die Autorin Szenen, Gedanken, Figuren. ... Dystopie, sozialer Abgrund und ein bisschen Sex - erstaunlich, wie der Roman diese Welten verbindet. Unangestrengt, dezent verstolpert, aber stimmungsvoll und dicht." Juliane Bergmann, NDR Kultur "Matinee", 22.08.2018
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Gebundenes Buch
Helene Hegemanns Bungalow ist ein relativ hartes Buch, das ein düsteres Weltbild zeigt.
Die Erzählerin ist eine Schülerin, im Zeitraum der Handlung ca. 14 - 17 Jahre alt. Challie lebt mit ihrer alkoholkranken, gewalttätigen und unberechenbaren Mutter im sozialen Abseits. …
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Helene Hegemanns Bungalow ist ein relativ hartes Buch, das ein düsteres Weltbild zeigt.
Die Erzählerin ist eine Schülerin, im Zeitraum der Handlung ca. 14 - 17 Jahre alt. Challie lebt mit ihrer alkoholkranken, gewalttätigen und unberechenbaren Mutter im sozialen Abseits.
Manche Passagen sind ziemlich krass, umso irriterender, das einige Szenen dann wieder auch so banal und aufgesetzt wirken. Zu dem Mädchen findet man über die bloße Oberfläche hinaus wenig Zugang.
Ihre Situation der Verwahrlosung kann einem als Leser nur leid tun. Die gewalttätigen Passagen sind tatsächlich prägend, viel Perspektive hat Charlie aber auch im alltägllichen nicht. Sie wehrt sich dagegen mit Sarkasmus, aber das bewahrt sie auch nicht vor Verzweiflung, wenn ihre Pschomutter mal wieder abstürzt.
Charlie wohnt mit ihrer Mutter in einer Wohnung, auf der anderen Straßenseite gibt es Bungalows,
da wohnen die Leute mit Geld. Die neuesten Nachbarn sind Marie und Georg, ein exzentrisches Paar, mit denen ich als Leser nicht viel anfangen kann. Sie wirken auf mich nicht real.
Das nebenbei eine ökologische Katastrophe und Krieg die Welt bedroht nimmt man nur nebenbei wahr. Eigentlich läuft das nach meiner Lesart ins Leere, das war aber auch schon bei Juli Zehs noch neuen Roman "Leere Herzen" so, weil man das Thema Apokalypse nicht mal eben so bringen kann.
Manche der gelungenen Passagen bleiben sicher länger im Gedächtnis.
Dennoch, am Ende bleibe ich mit dem Buch überwiegend ratlos zurück.
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Gebundenes Buch
Großstadt im RTL-II-Milieu
Eigentlich wollte ich mit diesem Buch die Freibadsaison eröffnen. Nach verheißungsvollen Ostertagen musste ich die Badesaison aber abbrechen und das Buch lag angelesen auf meinem Nachttisch.
Von großer Spannung zeugt das nicht.
Mir fehlte …
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Großstadt im RTL-II-Milieu
Eigentlich wollte ich mit diesem Buch die Freibadsaison eröffnen. Nach verheißungsvollen Ostertagen musste ich die Badesaison aber abbrechen und das Buch lag angelesen auf meinem Nachttisch.
Von großer Spannung zeugt das nicht.
Mir fehlte auch die Motivation das Buch von vorn zu beginnen, denn die alkoholabhängige Mutter, die nur im liegt und mitunter am Monatsende nicht genug Geld fürs Essen hat, worunter auch die Tochter und Ich-Erzählerin leidet. Mir gefällt, dass die Sprache dem Millieu entsprechend ist.
Eigentlich habe ich das Buch mehr als Sammlung von Kurzgeschichten gelesen. Etwa wie man im Kaufhaus zelten kann oder die verschiedenen Arten von Selbstmorden. Nicht zuletzt auch der fehlende Fluchtinstinkt der PanAm-Passagiere bei Flugzeugunglück in Teneriffa verdeutlichen, dass die Autorin schreiben kann.
Die Spaltung der Gesellschaft der Bungalow- und der Hochhausbewohner, die sich bis in den Unterrichtsverlauf der Klassen auswirkt (Kinder aus Hochhäusern sind deutlich zurück) , zeigt Ansätze von Sozialkritik. Insgesamt also doch 3 Sterne.
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Gebundenes Buch
Charlie wächst im Grenzgebiet auf – an der Grenze zwischen den vom Sozialstaat Abhängigen in der Hochhaussiedlung und den Bungalows der Reichen. Eigentlich sollten die Welten, in denen die beiden Bewohnergruppen sich bewegen, weit voneinander entfernt liegen, hier grenzen sie …
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Charlie wächst im Grenzgebiet auf – an der Grenze zwischen den vom Sozialstaat Abhängigen in der Hochhaussiedlung und den Bungalows der Reichen. Eigentlich sollten die Welten, in denen die beiden Bewohnergruppen sich bewegen, weit voneinander entfernt liegen, hier grenzen sie aneinander und zwangsweise begegnet man sich. So beobachtet das 12-jähirge Mädchen ein Paar, das gegenüber neu einzieht. Fasziniert spioniert sie immer mehr Details aus, bis sie sie eines Tages plötzlich im heimischen Fernseher erkennt, denn Maria und Georg sind Schauspieler. Ihr luxuriöses Leben mit Reisen und teuren Speisen könnte kaum weiter von Charlies Realität entfernt sein: die alleinerziehende Mutter, die manchmal betrunken, dann wieder wegen Tabletten weggetreten ist und bisweilen auch einfach beides kombiniert und im Wahn auch schon mal auf die Tochter eindrischt, die zwar erkennbar verwahrlost ist, der aber trotzdem keine Hilfe zukommt.
„Bungalow“ hat was von Literatur gewordenem Trash-TV. Charlies Welt ist das, was man im Nachmittagsprogramm des Privatfernsehens in den unzähligen Doku-Soaps mit Laien-Schauspielern bewundern kann. Am untersten Ende der Gesellschaft angekommen flüchtet ihre Mutter dank Alkohol und Medikamenten aus der Wirklichkeit, um sich dieser nicht stellen zu müssen. Die Erziehung der Tochter findet derweil nicht statt und das Mädchen bleibt sich selbst überlassen. Alles, was sie weiß, erfährt sie entweder auf der Straße oder im Internet, wo sich das nichtvorhandene Wissen ergoogeln lässt und Pornoseiten die praktische Einführung in die Sexualität übernehmen.
Charlie schämt sich für ihre Mutter und die Umstände, in denen sie aufwächst. Dies geht sogar so weit, dass sie sich eben „Charlie“ nennen lässt und nicht Charlotte, wie sie eigentlich nach der großartigen Schauspielerin Charlotte Rampling heißt, sie denkt, sie hätte einen solch großen Namen nicht verdient. Mit abgeklärter Emotionslosigkeit berichtet Charlie von den Selbstmorden in ihrer austauschbaren, namenlosen Stadt, ebenso von den Explosionen und Feuern, die Lebensgrundlagen zerstören. Ereignisse, die eifrig mit den Handys gefilmt werden und das einzig Aufregende in dem sonst trostlosen Leben sind.
Mit ihrem ersten Roman „Axolotl Roadkill“ wurde Helene Hegemann schlagartig berühmt, weniger wegen der literarischen oder inhaltlichen Qualitäten, sondern mehr wegen der Tatsache, dass weite Teile des Textes nicht von ihr selbst stammten. Auch „Bungalow“ bietet nichts, was man nicht schon einmal irgendwo gesehen oder gelesen hätte. Die Thematisierung von Vernachlässigung ist per se noch kein Qualitätsmerkmal, nichtsdestotrotz steht der Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Die Gesellschaftskritik ist erkennbar, aber Lösungen bleiben aus, auch wird kein größerer Zusammenhang als das unmittelbare familiäre Umfeld von Charlie thematisiert.
Die Meinungen in den Feuilletons gehen auseinander, zwischen dem größten literarischen Nachwuchstalent Deutschlands und einem belanglosen Roman, der viel will und wenig liefert, findet sich eigentlich jede Meinung. Ohne Frage lässt der Roman sich gut lesen, die Erzählerin kann einem packen und man oszilliert zwischen Faszination und Abstoßung, wie bei einem Unfall, zu dem man hinschauen muss, obwohl man nicht will. Die Sprache ist klar und schnörkellos, was zum Text sehr gut passt. Aber mir fehlt ein wenig die durchschlagende Relevanz bzw. Brisanz und die sprachliche Poesie, um die Autorin mit diesem Roman schon in die Riege der ganz Großen aufzunehmen. Bleibt abzuwarten, was noch folgt.
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