• Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Das Fegefeuer der Eitelkeiten für das 21. Jahrhundert
Clash of Cultures unter karibischer Sonne: eine brillante und bissige Satire auf den menschlichen Umgang mit gesellschaftlicher Realität.
Die Freiheit ist nur 20 Meter entfernt für den kubanischen Flüchtling, der sich auf den Mast einer Luxusjacht vor Miami geflüchtet hat. Aber dann wird er vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern in einer spektakulären Aktion live verhaftet. Und das ausgerechnet vom netten Nestor, einem Polizisten mit kubanischen Wurzeln, der unter den chauvinistischen Sprüchen seiner weißen Vorgesetzten leidet.…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Das Fegefeuer der Eitelkeiten für das 21. Jahrhundert

Clash of Cultures unter karibischer Sonne: eine brillante und bissige Satire auf den menschlichen Umgang mit gesellschaftlicher Realität.

Die Freiheit ist nur 20 Meter entfernt für den kubanischen Flüchtling, der sich auf den Mast einer Luxusjacht vor Miami geflüchtet hat. Aber dann wird er vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern in einer spektakulären Aktion live verhaftet. Und das ausgerechnet vom netten Nestor, einem Polizisten mit kubanischen Wurzeln, der unter den chauvinistischen Sprüchen seiner weißen Vorgesetzten leidet. Die ganze Stadt ist in zwei Lager gespalten: Für seine Familie und Landsleute ist Nestor ein Verräter, für die Weißen ein Held und Musteramerikaner. Soll der kubanische Bürgermeister ihn suspendieren oder mit Orden schmücken? Versaut ihm dieser Idiot die Wiederwahl?
Genüsslich und packend taucht Tom Wolfe ein in die verrückteste Stadt Amerikas: Miami, wo die Spanisch sprechenden Kubaner inzwischen die Mehrheit, aber die Weißen immer noch das Geld haben. Wo die Jugend am Strand den ewigen Spaß und die Rentner beim Schönheitschirurgen das ewige Leben suchen. Wo die Blutlinien mitten durch den amerikanischen Traum verlaufen.
Autorenporträt
Tom Wolfe, 1931 in Richmond, Virginia, geboren, arbeitete nach seiner Promotion in Amerikanistik als Reporter u.a. für "The Washington Post", "New York Herald Tribune", "Esquire" und "Harper's". In den 60er Jahren gehörte er mit Truman Capote, Norman Mailer und Gay Talese zu den Gründern des "New Journalism". Der vielfach preisgekrönte Schriftsteller (American Book Award etc.) war international längst als Sachbuchautor berühmt, ehe er - schon 56 Jahre alt - mit "Fegefeuer der Eitelkeiten" (1987) seinen ersten Roman vorlegte, der auf Anhieb zum Weltbestseller und von Brian de Palma mit Tom Hanks verfilmt wurde. Es folgten 1998 sein zweiter Roman "Ein ganzer Kerl", mit "Hooking Up" eine Sammlung von Essays und Erzählprosa (2001) und 2005 sein dritter Roman "Ich bin Charlotte Simmons". Der Autor lebt in New York.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht alle Romane Tom Wolfes lösen die in seinem Manifest aus dem November 1989 formulierte Forderung nach einer realistischen Literatur ein, die die "urbane Wirklichkeit der Gegenwart" abbilden muss, meint Rezensent Nils Minkmar, der das Buch dennoch mit viel Zuneigung bespricht. Und so lobt er Wolfes neuen Roman "Back to Good" zwar nicht als große "Herausforderung", in jedem Fall aber als unterhaltsames und zwangloses Lesevergnügen. Insbesondere gefällt dem Kritiker der boshafte Humor des Autors, der hier so erbarmungslos von einem auf Pornosucht spezialisierten Psychiater erzählt, dass Minkmar gar nicht mehr aufhören kann zu lachen. Auch die Schilderungen des restlichen "grotesken" Ensembles, das in Miami sein Unwesen treibt - etwa ein naiv pubertierender Junge oder ein scheinbar einem Buch Pierre Bourdieus entflohener Professor - haben den Rezensenten bestens unterhalten. Nicht unbedingt im Erkenntnisgewinn, sondern in der perfekt inszenierten Unterhaltung liegt der Mehrwert dieses zauberhaften Buches, urteilt der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2013

Im weißen Anzug gegen den Rest der Welt

"Back to Blood" ist keine stilistische oder inhaltliche Herausforderung, aber eine perfekt unterhaltende Lektüre und ein rundum entspannter Roman.

Der Zauber der Romane Tom Wolfes entfaltet sich stärker für jene, die zuvor einen ganz anderen Text von ihm gelesen haben, ein nur wenige Seiten langes Manifest, das vielleicht nicht zufällig im magischsten Monat unserer Zeit erschien, dem November 1989. In dieser literarischen Unabhängigkeitserklärung mit dem Titel "Die Jagd auf das milliardenfüßige Biest" betont Wolfe die empirische Basis der Literatur. Weil wir in solch schwindelerregenden Zeiten leben, sei der Stoff für Romane die urbane Wirklichkeit der Gegenwart, er liege auf der Straße, und dorthin hätten ihm die Schriftsteller auch gefälligst zu folgen. Wolfe forderte einen "Realismus, der den Einzelnen in einer intimen und unauflöslichen Beziehung zur ihn umgebenden Gesellschaft abbildet". Es war eine emphatische Bekräftigung des aufklärerischen und gesellschaftlichen Auftrags der Literatur, der eine anthropologische Überzeugung zugrunde lag, die von der gesellschaftlichen Bedingtheit individueller Schicksale. In Wolfes Büchern sollen nicht seine früheren Liebesbeziehungen, Träume oder seine Kindheitserlebnisse verhandelt werden, sondern das, was auf der Straße der großen Städte passiert, wo der Geist der Zeit tanzt. Das überzeugte und begeisterte all jene, die von seitenlangen Teetassenbeschreibungen, Regenwetterbeobachtungen und dialogarmen Liebesgeschichten gelangweilt waren und dennoch nicht darauf verzichten wollten, Belletristik zu lesen, und zwar sowohl, um gut unterhalten zu werden, als auch, um etwas Neues zu lernen.

Dieser fröhliche Ruf des Hinaus in die Welt passt gut in unsere postideologische, unübersichtliche Zeit, und er klingt so schön und hallt noch nach, so dass man Wolfe längst auch die schwächere literarische Umsetzung verziehen hat. Seit Jonathan Franzen ist auch klar, dass es keinen Gegensatz zwischen biographischem Material und einer weitgehenden literarischen und weltdeutenden Ambition geben muss. Aber egal. Dieser Gestus des Hinaustretens und der jungenhafte Übermut dieser wahnsinnigen Geste - hier sind mein Stift und mein Block und du, Welt, wo bist du? - sind von solcher Anmut, dass man schon ein arger Besserwisser sein muss, um die darauf folgenden Romane mit dem ursprünglichen Programm zu konfrontieren. Bei manchen wäre es kein Problem: Selbst heute fällt es schwer, eine bessere Diagnose Manhattans und der Dinge, die uns vom Wahnsinn der Finanzbranche noch drohen sollten, vom Zerfall der Gesellschaft und der Manipulation der Medien zu finden als im "Fegefeuer der Eitelkeiten". Andere Romane trafen aber keinen kulturhistorischen Nerv, sondern bloß daneben.

"Back to Blood" ist nun ein völlig entspannter Roman, an dem man vor allem den gnadenlosen schwarzen Humor des Autors schätzen sollte. Wolfe hat sich im fortgeschrittenen Alter diskret von dem Interesse für die Zeitgenossen und der Neugier auf die Abseitigkeiten der Gegenwart entfernt und kultiviert schon sehr seine eigenen, bisweilen sehr amüsanten Spleens. Um seinen Spaß mit dem Leser zu teilen, wendet er manchen wirksamen Trick an, beispielsweise die Beschreibung sprachlicher Distinktionsmechanismen auf niedrigem Niveau: Der korrekte Gebrauch ganz normaler Sätze wird als Ausweis besonderer Kultiviertheit betont, so dass der durchschnittliche Leser sich ganz en passant narzisstisch stimuliert fühlen darf. Bald wird Wolfe besonders mutige, anziehende und erfolgreiche Charaktere dadurch beschreiben, dass sie den neuen Tom Wolfe auf dem Nachttisch liegen haben.

So zeigt Wolfe seine gesammelten Tricks, manche davon sind wirklich toll: Die ganze Doofheit und manipulative Penetranz eines auf die Therapie von Pornosucht spezialisierten Psychiaters schildert Wolfe mit zunehmender Gnadenlosigkeit, man kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus.

Irritierend ist der Blick des Autors auf weibliche Wesen, auf Sex und Pornographie und Nacktheit und die Bilder davon und die Rede darüber und ganz allgemein den Umstand, dass es so etwas alles überhaupt gibt. Wolfe hat da die enervierende Albernheit eines stets schief denkenden Jungen, der es nicht fassen kann, dass Frauen primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale haben und womöglich nackt duschen. In dieser Perspektive wird die geschlechtliche Routine der Menschheit - den meisten Geburten geht ein Zeugungsakt voraus - zu einer sensationellen zeitdiagnostischen Erkenntnis, die mit einer Menge Großbuchstaben und Ausrufezeichen transportiert wird. Man liest all das verklemmte Kichern über das Küssen und so schulterzuckend.

Letztlich ist die empirische Ausbeute nach der Lektüre begrenzt, das soll aber wohl so sein: Man erfährt über Miami genau das, was man als Kenner der Fernsehserie "Miami Vice" vorher dort vermutet hat, dass es also ein tropisch buntes Treiben ist unter einer Hammer-Sonne, dass die Kunstwelt eitel ist und ein bisschen kriminell, dass die Migranten sich so durchwurschteln, der Kampf nach Anerkennung hart ist und Geld die Welt regiert, aber manche leisten Widerstand. Das menschliche Treiben ist auch dort rührend und grotesk, es gibt Schweine und Helden, und obwohl Porno auf dem Vormarsch ist, gibt es doch die wahre Liebe und die Freundschaft.

Virtuos führt der Autor uns an unserer eigenen Nase von Kapitel zu Kapitel. Wolfe vertraut, wie die alten Erzähler auf dem "Djemaa el Fna", dem zentralen Marktplatz in Marrakesch, auf Muster immergrüner Geschichten, die noch jedes Publikum fasziniert haben. Nestor Camacho, der Polizist, dessen Eltern aus Kuba flüchten konnten, vollbringt eine Heldentat und rettet ein Menschenleben, aber weil er damit zugleich eine Flucht aus Kuba vereitelte, gilt er seinen Leuten als Verräter. Der angesehene Künstler, der gefragte und im Fernsehen brillante Wissenschaftler sind, mit den Augen der Unschuldigen betrachtet, nur Hochstapler. Politiker und Polizisten suchen in jeder Lage ihren Vorteil, aber nicht alle, der Einzelne kann einen Unterschied machen. Die Herkunft der eigenen Familie kann überhöht oder verleugnet werden, auch die eigene Geschichte lässt sich im Nachhinein erfinden. So ist der aus Haiti stammende Professor Lantier, der unbedingt den französisch-normannischen Anteil seiner Genealogie präsentieren möchte, wie aus einem Buch von Pierre Bourdieu entstiegen. Der Leser wird bei "Back to Blood" nicht aus der Wohlfühlzone herausgeführt, nicht provoziert oder mit ungewohnten Ideen behelligt, andererseits bereut man die mit dem Buch verbrachte Zeit auch nicht. Man ist in den Händen eines Profis.

NILS MINKMAR

Tom Wolfe: "Back to Blood".

Aus dem Englischen von Wolfgang Müller . Blessing Verlag, München 2013. 768 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Back to Blood, ein wildes, schlüpfriges, packendes, provozierendes Buch. Allemal große Unterhaltung." Wolfgang Herles, ZDF Heute Journal

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2012

Das Fegefeuer
geht um
Seit 40 Jahren kämpft Tom Wolfe gegen die Literatur
„Messh . . . cinngh . . . neetz . . . guhn arrrgh . . . muhfughh . . . nooonmp . . . Shit . . . boggghh . . . frimp . . . ssslooosh“ – der Vorleser der Hörbuchversion von Tom Wolfes neuem Roman „Back to Blood“ ( Little, Brown and Company, New York 2012 ), der an diesem Dienstag erscheint, ist nicht zu beneiden. Es gibt kaum einen Satz in diesem 720-Seiten-Buch, der nicht von derlei onomatopoetischer Akrobatik – „ROAR“, „WHOOP WHOOP! WOO-WOOOO!“ – unterbrochen wird. Anderes war von Wolfe nicht zu erwarten. Diese Sprachmanierismen gehören ebenso zu seiner brand wie seine ironischen Gesellschaftspanoramen in Breitwand und 3-D, die er von New York („The Bonfire of the Vanities“) und Atlanta („A Man in Full“) gezeichnet hat. Nun erfährt nach einem kleinen Umweg über einen Collegecampus („I Am Charlotte Simmons“) die nächste Metropole die Wolfesche Behandlung: Miami.
  Warum Miami? Das illustriert Wolfe anhand eines emblematischen Vorspiels: Wir sind vor dem Restaurant Balzac’s, wo Edward T. Topping IV., der neue Herausgeber des Miami Herald und ein WASP wie er im Buche steht, und seine Frau seit längerem im Hybridwinzling „Green Elf“ auf dem Parkplatz herumkurven. Doch als sie endlich eine Lücke entdecken, prescht rückwärts ein Ferrari 403 hinein – darin eine superelegante Kubanerin, die seelenruhig ihre Kroko-Heels aus dem Wagen hebt. Was fällt ihnen ein?, kreischt die weiße Frau des Herausgebers. „You een Mee-ah-mee now!“, antwortet die reiche Latina nur. Unsere Religionskriege, summiert der durchaus liberal gesonnene Herausgeber die Episode auf dem Weg ins Restaurant, sind nur das Mäntelchen, unter dem wir den wahren, uralten Konflikt verbergen, den der Rassen. „Back to blood!“
  Und wo ließe sich dieser wahre oder vermeintliche Rassenkrieg besser beobachten als in Miami, dessen Bewohner zu 50 Prozent Einwanderer erster Generation sind, und in dem mit 70 Prozent Latinos, 20 Prozent Schwarzen und nur zehn Prozent Weißen die demografischen Verhältnisse der USA auf dem Kopf stehen?
  Nestor und Magdalena sind zwei Vertreter dieser Latino-Mehrheit, auch wenn ihnen das bislang nicht viel gebracht hat. Er ist Polizist im Marine Patrole Unit, sie Sprechstundenhilfe. Doch nicht das Leben im Latino-Ghetto Hialeah, wo sich in mickrigen Hütten die Generationen stapeln, interessiert Wolfe, sondern die Flucht weg von dort – und nach oben. Magdalena hat es, weil sie dumm, aber schön ist, relativ leicht. Erst betrügt sie Nestor mit ihrem Chef, einem Promi-Psychiater, Scharlatan und Hochstapler, der sich auf das Wachstumsfeld „Porno-Sucht“ spezialisiert hat. Von dort aus ist es dann nicht mehr weit in die VIP-Lounge der Art Basel Miami Beach, wo ihr ein russischer Oligarch erfolgreich zuzwinkert.
  Nestor hingegen wird als unfreiwilliger Held einer Serie spektakulärer Polizeieinsätze zwischen den Fronten zerrieben. Für die halsbrecherische Festnahme eines kubanischen Flüchtlings, mit der er Punkte bei seinem rassistischen weißen Chef sammelt, wird er von seiner Familie und der halben Stadt verstoßen. Das YouTube-Video, das ihn zeigt als er einen Crackdealer überwältigt, befeuert den Hass der Schwarzen auf die Kubaner. Und weil er und seine Muskeln ständig in den Zeitungen auftauchen, hat irgendwann auch der Bürgermeister genug vom „one-man race riot“.
  Und dann ist da noch der aus Haiti stammende Professor Lantier, der seinen Job als Dozent für französische Literatur nur bekommen hat, weil niemand sonst Kreolisch konnte, was er – „diversity!“ – nebenbei leider unterrichten muss. Professor Lanier ist ein kleines bisschen dunkler als die Weißen, aber er fühlt sich „im Wesen europäisch“. Um seine Kultiviertheit auszudrücken, musste er unbedingt ein Art-Déco-Haus haben, konnte es sich aber nur leisten, weil es in einer schwarzen Gegend stand. Nun zahlt er dafür in anderer Währung: sein Sohn rutscht in den lokalen Gang-Untergrund ab.
  Ein grandioser Stoff ist das, dieses kollektive Treten und Strampeln um Status, diese Gesellschaft aus lauter Kleinen, die alle Große sein wollen. Was hätte Don DeLillo daraus gemacht, oder Robert Altman! Doch leider heißt der Autor Tom Wolfe.
  1989, zwei Jahre nach seinem triumphalen Erfolg mit „The Bonfire of the Vanities“ schrieb Wolfe in Harper’s Magazine sein poetologisches Manifest „Stalking the Billion-Footed Beast“. Die amerikanische Literatur, so behauptete er, habe sich zugunsten binnenliterarischer Form-Spielchen von der Welt abgewandt. Balzac, Zola, Steinbeck: DAS sei Literatur. Geht auf die Straße und macht die Augen auf!, rief er den Kollegen zu, statt Borges, Beckett oder Calvino nachzueifern. Die ersten Nachrichten von seinem Miami-Roman machten denn auch die Runde, als Tom Wolfe dort auf Recherche gesichtet wurde.
  Dass er für seine Polemik damals zurecht verhöhnt wurde, deutete sich schon in seinen letzten beiden Romanen an. Doch „Back to Blood“ stellt einen neuerlichen Tiefpunkt dar. Denn was auch immer Wolfe meinte mit dem „hochdetaillierten Realismus“, den er zum Ideal erhebt, als Formel zur literarischen Darstellung der Wirklichkeit genügt er nicht. Obwohl er der Beschreibung von Nestors auftrainiertem Körper ganze Seiten widmet und dabei kaum einen Muskel auslässt – „traps, delts, lats, pecs, biceps, triceps, obliques, abs, glutes, quads – dense! “, bleibt der junge Polizist wie alle anderen bloße Type. Zwar wendet sich Wolfe seinen Personen reihum zu, und lässt uns ihren in freier indirekter Rede wiedergegebenen Gedanken lauschen. Doch was da zu hören ist, ist immer nur Tom Wolfe selbst.
  Das hat mit den Grenzen seines erzählerischen Könnens zu tun, doch zu allererst liegt es daran, dass er sich nicht zwischen „hochdetailliertem Realismus“ und Satire entscheiden kann, zwei literarischen Modi, die sich gegenseitig ausschließen. Der Porno-Doktor, der glucksend mit seiner Assistentin bumst, während im Nebenzimmer das Fernsehteam seine Kameras aufbaut? Sehr witzig, aber bald auch sehr langweilig. Der fette Milliardär, der auf der Kunstmesse von Stand zu Stand stürmt und innerhalb von Minuten Millionen ausgibt, ohne auch nur den leisesten Schimmer zu haben. Ja, auch er ist treffend beobachtet – und dann derart zur Karikatur verzerrt, dass er den Leser bald kalt lässt.
  Und hier liegt das nächste Problem: Im Irrglauben, die Wirklichkeit erscheine auf Papier desto wirklicher, je mehr Intensität ihr zugeschrieben werde, kennt Wolfe nichts anderes als die Übersteuerung. Ein paar Polizeiautos im Fernsehen sind dann gleich „epileptische Sequenzen von roten und blauen und gleißenden weißen Lichtern – sie tun weh, die weißen Lichter!“, Nestors Brust ist ein „Gibraltar aus Muskeln“, und die Käufer auf der Art Basel sind ein „Haufen sich krümmender Maden“. Je lauter Wolfe aufdreht, je aufgedonnerter und bombastischer er schreibt, desto schneller blättert man weiter.
  Wer so gnadenlos auf sein Personal herabsieht, der muss sich selbst an seinen Kriterien messen lassen, auch noch mit 82 Jahren. Und hier macht Wolfe, der sich seiner minutiösen Recherchen so rühmt, nicht immer eine gute Figur. Das Verb „to iPhone“, das er gelegentlich fallen lässt, um zu demonstrieren, dass er sich in der Gegenwart auskennt, existiert nicht. Niemand würde einen Kunstsammler als „playa“ bezeichnen. Und dass die Mode der vom Hintern rutschenden baggy pants zwar aus dem Knast stammt, aber längst in der weißen Mittelklasse angekommen ist, scheint Wolfe auch entgangen zu sein. Er lässt es sich auf der Zunge zergehen, dass Nestor nicht weiß wer „dieser Typ namens Balzac“ ist, doch nur wenige Zeilen später vertut er sich – „Les Artes Decoratifs“ - zum wiederholten Mal selbst mit dem Französischen.
  Wolfe mokiert sich flächendeckend über die Welt von heute; entdeckt Falschheit, Geschmacklosigkeit und verlotternde Sitten, wohin er auch sieht. Doch wenn das alles so scheußlich ist, warum investiert er dann Dutzende von Seiten, um all die schönen, nackten, sexwütigen und betrunkenen Frauen bei der orgiastischen Columbus Day Regatta zu beschreiben? Wo genau hält Tom Wolfe sich eigentlich versteckt?, fragt man sich lange. Bis einem klar wird: Auch er träumt, wie alle hier, von einer Begegnung in der VIP Lounge, von einem muskulösen Körper, vom Sex mit schönen Frauen, vom fließenden Französisch und vom Ferrari 403.
JÖRG HÄNTZSCHEL
Sein Art Deco-Haus kann sich
der Professor nur leisten, weil es
in einer schwarzen Gegend steht
Tom Wolfe lästert über die
Menschen, die er beschreibt, aber
er hat die gleichen Träume wie sie
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr