Eltern sind auch nur Menschen. Und was macht man mit einem Sohn, der nicht mehr in die Schule gehen möchte? David, der Vater, schlägt Jesse einen ungewöhnlichen Handel vor: freie Kost und Logis, aber drei Filme pro Woche. Von Truffaut über Hitchcock bis hin zu 'Basic Instinct'. Nachmittage und Abende gemeinsam auf dem Sofa. Kein Kurs in Filmgeschichte, sondern viel Zeit zum Reden über falsche Freundinnen, die richtigen Drogen, verlorene und gefundene Liebe. Und darüber, wie lebenswichtig Leidenschaft ist.
Ein wahres und weises, zärtliches und urkomisches Buch über gebrochene Herzen im Film und im wirklichen Leben und darüber, dass Erwachsenwerden nichts mit dem Alter zu tun hat.
Ein wahres und weises, zärtliches und urkomisches Buch über gebrochene Herzen im Film und im wirklichen Leben und darüber, dass Erwachsenwerden nichts mit dem Alter zu tun hat.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.05.2010Filmclub für zwei
David Gilmours Kinolebensbuch „Unser allerbestes Jahr“
Ein Dummerjungenstreich, ziemlich albern und boshaft: Das Nachbarhaus steht zum Verkauf, und als interessierte Käufer kommen, werden schnell ein paar von Jesses Kumpeln aktiviert, zum Besichtigungstermin, „ein halbes Dutzend trinkender, rauchender, Mützen tragender ,Nichtstuer‘, alle mit Sonnenbrillen und bleichen Gesichtern“. Eine Abschreckaktion, die voll einschlägt.
Der dumme Junge aber, der das ausheckt, ist der Erzähler dieses Buches (gerade auf der Auswahlliste zum Jugendliteraturpreis), und er ist Mitte fünfzig. Er würde das Haus gern selber kaufen, dann könnte er das daneben, in dem er gerade wohnt, seiner Exfrau zurückgeben. Und könnte in Zukunft ganz nah bei ihr wohnen, und bei Jesse, dem gemeinsamen Sohn. Jesse ist in einer Early-life-Krise, er verweigert sich der Schule, also hat der besorgte Vater einen ungewöhnlichen Deal mit ihm gemacht. Jesse muss nicht weiter in die Schule, darf seine Tage vertrödeln – nur zwei Bedingungen: keine Drogen und die Teilnahme am Film Club (so der lakonische Originaltitel), das heißt, drei Filme pro Woche auf dem blauen Sofa daheim, vom Vater ausgesucht und filmhistorisch präsentiert.
Ein Film Club, der sich nicht als Crashkurs in Klassikern versteht, kanonisch. Die Filme spielen in Jesses Leben hinein, berühren mehr oder weniger direkt die Probleme in der schwierigsten Zeit eines Lebens, wenn man vom Teenager zum Erwachsenen werden muss. Die ersten Mädchen, die immer so viel reifer sind und mit der Liebe des Jungen spielen, unsagbarer, herzzerreißender Trennungsschmerz, miese Jobs, sogar ganz unten, als Tellerwäscher, die Suche nach Unabhängigkeit . . . Der Vater zeigt ihm unsterbliches Kino von Citizen Kane bis La dolce vita , Horror von Psycho bis Der Exorzist , James Dean, Steven Spielberg, Nouvelle Vague. Mit François Truffauts Les 400 coups / Sie küssten und sie schlugen ihn beginnt der Club, sein erster Film, der erste mit dem jungen Antoine Doinel, gespielt von Jean-Pierre Léaud – das Kino findet seine zweite Jugend in diesem Film.
Des Vaters Kinogeschmack ist eher angelsächsisch, die hemmungslose, verrückte Seite der französischen Cinephilie ist ihm suspekt. Eine zweite, andere Coming-of-age-Geschichte schiebt sich über die von Jesse – die eines besorgten, übereifrigen, manchmal an seiner Ratlosigkeit verzweifelnden Vater. In seinem Überprotektionismus spiegelt sich die Angst vor dem eigenen Versagen. Er ist arbeitslos, muss mühselig Jobs ranholen, beim Fernsehen oder bei Zeitungen, hat Angst seinen Lebensstandard zu verlieren, und die Gewissheit über den Sinn seines Lebens. Wie die 400 Coups die Situation des Sohnes, reflektieren Vittorio de Sicas Fahrraddiebe seine eigene.
„Siehst du Parallelen zwischen Antoines Situation und deiner“, fragt der Vater nach den 400 Coups . Er sollte es besser wissen. So direkt spricht das Kino nicht zu uns. Man stellt dem Kino keine Fragen. Es liefert Antworten auf Fragen, die man nie stellte. FRITZ GÖTTLER
DAVID GILMOUR: Unser allerbestes Jahr. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. Fischer 2009. 254 Seiten, 18,95 Euro. TB 9,95 Euro.
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David Gilmours Kinolebensbuch „Unser allerbestes Jahr“
Ein Dummerjungenstreich, ziemlich albern und boshaft: Das Nachbarhaus steht zum Verkauf, und als interessierte Käufer kommen, werden schnell ein paar von Jesses Kumpeln aktiviert, zum Besichtigungstermin, „ein halbes Dutzend trinkender, rauchender, Mützen tragender ,Nichtstuer‘, alle mit Sonnenbrillen und bleichen Gesichtern“. Eine Abschreckaktion, die voll einschlägt.
Der dumme Junge aber, der das ausheckt, ist der Erzähler dieses Buches (gerade auf der Auswahlliste zum Jugendliteraturpreis), und er ist Mitte fünfzig. Er würde das Haus gern selber kaufen, dann könnte er das daneben, in dem er gerade wohnt, seiner Exfrau zurückgeben. Und könnte in Zukunft ganz nah bei ihr wohnen, und bei Jesse, dem gemeinsamen Sohn. Jesse ist in einer Early-life-Krise, er verweigert sich der Schule, also hat der besorgte Vater einen ungewöhnlichen Deal mit ihm gemacht. Jesse muss nicht weiter in die Schule, darf seine Tage vertrödeln – nur zwei Bedingungen: keine Drogen und die Teilnahme am Film Club (so der lakonische Originaltitel), das heißt, drei Filme pro Woche auf dem blauen Sofa daheim, vom Vater ausgesucht und filmhistorisch präsentiert.
Ein Film Club, der sich nicht als Crashkurs in Klassikern versteht, kanonisch. Die Filme spielen in Jesses Leben hinein, berühren mehr oder weniger direkt die Probleme in der schwierigsten Zeit eines Lebens, wenn man vom Teenager zum Erwachsenen werden muss. Die ersten Mädchen, die immer so viel reifer sind und mit der Liebe des Jungen spielen, unsagbarer, herzzerreißender Trennungsschmerz, miese Jobs, sogar ganz unten, als Tellerwäscher, die Suche nach Unabhängigkeit . . . Der Vater zeigt ihm unsterbliches Kino von Citizen Kane bis La dolce vita , Horror von Psycho bis Der Exorzist , James Dean, Steven Spielberg, Nouvelle Vague. Mit François Truffauts Les 400 coups / Sie küssten und sie schlugen ihn beginnt der Club, sein erster Film, der erste mit dem jungen Antoine Doinel, gespielt von Jean-Pierre Léaud – das Kino findet seine zweite Jugend in diesem Film.
Des Vaters Kinogeschmack ist eher angelsächsisch, die hemmungslose, verrückte Seite der französischen Cinephilie ist ihm suspekt. Eine zweite, andere Coming-of-age-Geschichte schiebt sich über die von Jesse – die eines besorgten, übereifrigen, manchmal an seiner Ratlosigkeit verzweifelnden Vater. In seinem Überprotektionismus spiegelt sich die Angst vor dem eigenen Versagen. Er ist arbeitslos, muss mühselig Jobs ranholen, beim Fernsehen oder bei Zeitungen, hat Angst seinen Lebensstandard zu verlieren, und die Gewissheit über den Sinn seines Lebens. Wie die 400 Coups die Situation des Sohnes, reflektieren Vittorio de Sicas Fahrraddiebe seine eigene.
„Siehst du Parallelen zwischen Antoines Situation und deiner“, fragt der Vater nach den 400 Coups . Er sollte es besser wissen. So direkt spricht das Kino nicht zu uns. Man stellt dem Kino keine Fragen. Es liefert Antworten auf Fragen, die man nie stellte. FRITZ GÖTTLER
DAVID GILMOUR: Unser allerbestes Jahr. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. Fischer 2009. 254 Seiten, 18,95 Euro. TB 9,95 Euro.
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