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Sei jeder, der du sein kannst!
Dana Halter ist jung, schön und gehörlos. Als sie eines Morgens ein Stoppschild überfährt, wird sie verhaftet und wegen Delikten angeklagt, die sie nie begangen hat. Es dauert Tage, bis sich herausstellt, dass Dana Opfer eines Betrügers geworden ist, der mit ihrer Kreditkarte bezahlt, Schecks auf ihren Namen ausstellt - und überhaupt ihre ganze Identität gestohlen hat. Sie findet sich wieder in den Fängen einer gnadenlosen US-Justizmaschinerie. Als Dana nach erniedrigenden Tagen im Gefängnis auch noch ihren Job verliert, hat sie nur noch ein Ziel: diesen…mehr

Produktbeschreibung
Sei jeder, der du sein kannst!

Dana Halter ist jung, schön und gehörlos. Als sie eines Morgens ein Stoppschild überfährt, wird sie verhaftet und wegen Delikten angeklagt, die sie nie begangen hat. Es dauert Tage, bis sich herausstellt, dass Dana Opfer eines Betrügers geworden ist, der mit ihrer Kreditkarte bezahlt, Schecks auf ihren Namen ausstellt - und überhaupt ihre ganze Identität gestohlen hat. Sie findet sich wieder in den Fängen einer gnadenlosen US-Justizmaschinerie. Als Dana nach erniedrigenden Tagen im Gefängnis auch noch ihren Job verliert, hat sie nur noch ein Ziel: diesen elenden Betrüger, der auf ihre Kosten in Saus und Braus lebt, zu finden. Der Kampf beginnt! - In diesem hochdramatischen Thriller erzählt T. C. Boyle davon, wie leicht es ist, einem Menschen die Identität zu rauben, und wie schwierig für den Betrogenen, zu beweisen, dass er hereingelegt worden ist.

"Einen richtigen Thriller hat Boyle da hingelegt, ein rasantes Roadmovie und eine Lovestory."
Brigitte
Autorenporträt
Boyle, T. C.
T. Coraghessan Boyle, geboren 1948 in Peekskill, New York, unterrichtet an der University of Southern California in Los Angeles. Für seinen Roman 'World's End' erhielt er 1987 den PEN/Faulkner-Preis. Als Enfant terrible der amerikanischen Gegenwartskultur wurde T. C. Boyle zum Pop- und Literaturstar seiner Generation.
Rezensionen
"Ein neuer, älterer Boyle schreibt großartig wie immer und gefällig wie selten zuvor."
Wege November 2008-Januar 2009

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.11.2006

Wie man Datensätze zündet
„Sei jeder, der du sein kannst” – das ist der ultimative Doppelgänger-Slogan im Zeitalter der Kreditparasiten: In seinem furiosen Roman „Talk Talk” lässt T.C. Boyle die Dämonen Edgar Allan Poes wieder auferstehen Von Christoph Bartmann
Es gibt nicht viele Gemeinsamkeiten zwischen Dr. Dana Halter und dem Mann, der ihr die Identität gestohlen hat und nun in ihrem Namen Delikt an Delikt reiht, mit ihrer Kreditkarte seinen ausschweifenden Lebenswandel bestreitet und überhaupt sich derart häuslich im Datengerüst seines Opfers eingerichtet hat, dass sogar seine Freundin im guten Glauben lebt, der Mann an ihrer Seite sei Arzt von Beruf und heiße nun mal, warum auch immer, Dana mit Vornamen.
Dass der berufsmäßige Identitätsdieb in Wirklichkeit William Wilson heißt, sich aber lieber Peck nennen lässt und noch lieber den Namen seiner jeweiligen Wirtsperson annimmt, gewinnt erst vor dem Hintergrund von Dana Halters akademischer Abschlussarbeit einen gewissen Hintersinn. Dana ist nämlich keine Ärztin, sondern Philologin, ein Unterschied, der ihren Peiniger nicht weiter zu interessieren braucht. Über Edgar Allan Poe hat sie geschrieben – und wer über Poe schreibt, kommt kaum an „William Wilson” vorbei, der schauerlichsten aller romantischen Doppelgängergeschichten.
Das Entsetzen, das den jungen Exzentriker von adligem Geblüt beim Gewahrwerden eines imaginären Zwillingsbruders befällt, gleich jenem Gefühl der Bodenlosigkeit, das Dana Halter beschleicht, als die Polizei sie mit dem Strafregister konfrontiert, das sich in ihrem Namen, aber ohne ihr Zutun akkumuliert hat. Während aber bei Poe noch die Physis das Maß der Identität abgibt, hat sich der Doppelgänger neuen Stils der Magnetstreifen seines Opfers bemächtigt. Besonders in den USA scheint Identitätsdiebstahl eine lohnende und technisch nicht einmal besonders aufwändige Kriminalitätsbranche geworden zu sein.
William Peck Wilson hat die Lektion im Knast gelernt, wo er wegen einiger, aus seiner Sicht geringfügiger und irgendwie unnötiger Gewaltdelikte einsaß. Dot hat ihm ein Kumpel namens Sandman den Weg zu smarteren Formen der Delinquenz gewiesen. „Sei jeder, der du sein kannst!”, so heißt der griffige und zeitgemäße Slogan seines Mentors. „Er sprach über das Internet. Er sprach über die Gier der Kreditkartengesellschaften, über Online-Leasingverträge, Kredite, Sozialversicherungsabkommen, die man an Schnellimbißtheken und Tankstellen abgreifen oder auf einem halben Dutzend Internetseiten für fünfundzwanzig Dollar das Stück kaufen konnte.”
Wer T.C. Boyles neuen Roman gelesen hat, wird künftig am Bankautomaten seinen PIN-Code ein bisschen besser vor fremden Blicken schützen. Und auch die Lust am Online-Shopping über „sichere Leitungen” kann einem kurzzeitig vergehen. PINs und PUCs, all die so genannten Geheimnummern unserer maschinenlesbaren Identität, müssen sie nicht Kreditparasiten auf den Plan rufen, wie Peck Wilson? Peck Wilson jedenfalls hat sich entschieden, für eine Weile – das heißt, solange es sich lohnt – Dana Halter zu sein. Das geht eine Zeitlang gut und für Dana Halter entsprechend schlecht, aber dann wendet sich allmählich das Blatt.
Denn Dana Halter ist nicht irgendwer. Was der Schurke Peck an krimineller Energie auch aufbietet, macht Dana Halter mit einer Energie wett, die man in den USA vielleicht „affirmativ” nennen würde. Dana Halter ist „behindert”, sie ist genau gesagt taub oder noch genauer: sie ist als junges Mädchen ertaubt und kommuniziert sowohl in der Gebärdensprache wie auch in normaler, wenngleich eingeschränkter Sprache mit ihrer Umwelt. „Talk talk”, der Romantitel, bezeichnet, so erfahren wir, „ein entspanntes Gespräch unter Gehörlosen mittels Gebärden.”
Zweierlei Themen und Welten schneidet Boyles Roman somit gegeneinander: das Großthema Datenbetrug und das nicht minder große Thema der Behinderung, der Benachteiligung und des Kampfes um gleiche Lebenschancen. Hat Boyle das Opfer von Pecks Machenschaften noch zusätzlich mit einem Handicap ausgestattet, um das Hinterhältige und Gemeine seines Tuns in ein noch grelleres Licht zu rücken? Oder will er darauf hinaus, dass Identität, selbst wo ihr Datensatz geknackt werden kann, im Kern unveräußerlich ist, rückgekoppelt an individuelle Gebärden, die „innere Sprache”, in der nach dem Motto des Sprachphilosophen Wygotski „unsere eigentliche Identität liegt”? Jedenfalls obsiegen in Boyles rasantem und fesselndem Roman am Ende das Gute über das Böse, die Wahrheit über die Lüge, die Treue über den Betrug auf eine Weise, die man nicht als Indiz von Naivität missverstehen sollte.
Alles fängt freilich mit einem nicht mehr zu überbietenden worst case scenario an, mit der auf ewig an Kafkas „Prozess” gemahnenden Festnahme einer Unschuldigen. Bis dahin hat Dana Halter das unauffällige und rechtschaffene Leben einer Lehrerin an der Taubstummenschule von San Roque in Kalifornien, einer Schriftstellerin in spe und einer geradezu spielerisch ihre Behinderung meisternden jungen Frau geführt. Nun findet sie sich – und Boyle wendet seine Erzählkunst auf jedes Detail – in einer Einzelzelle wieder, die immerhin „kürzlich geputzt worden war. Die vergitterte Lampe tauchte alles in gleißendes Licht, ein fächerförmiger Rest von trocknenden Mopstrichen umgab die Edelstahltoilette, die wie ein Ausstellungsstück mitten im Raum stand.”
Ist Dana das Opfer eines Justizirrtums geworden? Als sich herausstellt, dass sie die ihr zur Last gelegten Straftaten nicht begangen haben kann, wird sie wieder aus der Haft entlassen. Doch fällt auf die Opfer von Justizirrtümern, man kennt es aus zahllosen amerikanischen Filmen und Romane, der Schatten eines Zweifels auch dann noch, wenn sie frei gesprochen sind. Die Justiz setzt wenig daran, den Fall aufzuklären, die eigene Identität ist seltsam beschädigt, und der Verdacht allein setzt seine Eigendynamik frei. Binnen weniger Tage ist Dana Halter aus allen bürgerlichen Verlässlichkeiten gefallen: der Job ist weg, die unbezahlten Rechnungen stapeln sich, und jeden Tag begeht jemand eine Straftat unter ihrem Namen.
Alles wäre noch viel schlimmer, wäre Dana nicht das tapferste Geschöpf unter der Sonne und gäbe es nicht einen jungen Mann namens Bridger Martin, der in Dana ernsthaft genug verliebt ist, um seinen Job bei einer Special-Effects-Computerfirma links liegen zu lassen, Dana aus dem Gefängnis zu holen und mit ihr die Spur des Datendiebes aufzunehmen – was zwangsläufig dazu führt, dass nun auch Bridger Martins Identität von Peck Wilson bewirtschaftet wird, so lange jedenfalls, bis nach einer Verfolgungsjagd von Küste zu Küste der ganze Spuk ein Ende hat.
Boyles Roman erzählt alternierend und mit eskalierender Dramatik von Danas und Bridgers zunächst aussichtslos wirkender Jagd auf den Berufsganoven Peck und aus William Wilsons nur teilweise durchdachten Bemühungen, den Nachstellungen durch die Flucht an die Ostküste und eine erneute Neujustierung seines Identitäts-Portfolios zu entkommen. Mitunter verzweifelt auch Pecks russische Lebensgefährtin an der Vielzahl der Namen, Berufe und familiären Hintergründe, mit denen er seine volatile Existenz je nach Bedarf und Gefahrenlage ausstaffiert. Wie hat man sich überhaupt das Kompetenzprofil eines solchen Datendiebes vorzustellen?
William Peck Wilson jedenfalls ist ein wahrer Energieteufel, eine so intelligente wie aggressive Kampfmaschine, die ihre Gegner, wenn andere Mittel nicht greifen, mit Taekwondo erledigt – und immer geht der finale Schlag an den Kehlkopf des Opfers, ganz so, als wolle er ihm zuletzt neben der Kreditkarte doch auch die „eigentliche Identität”, den Atem und die „innere Sprache” rauben. Peck Wilson ist ein Mann mit vielen Talenten, Gastronom und Freund des gehobenen Lebensstils, Charmeur und Hochstapler, dem im bürgerlichen Leben einiger Erfolg beschieden sein könnte, wäre da nicht eine unbezähmbare Wut, ein sekundenschnell auftretender Zorn, der geradewegs auf die Gurgel des Gegenübers zielt. Für das kriminelle Superhirn, zu dem ihn Sandman, der Kumpel, gern geformt hätte, ist er stets eine Spur zu impulsiv, zu undiszipliniert.
Zum Ende hin geht alles schief in Peck Wilsons glorioser, aber haltloser Selbstinszenierung, und Dana Halter darf die Früchte ihrer Ausdauer, Furchtlosigkeit und Wut ernten. „Was willst du?”, fragt sie beim überraschenden Showdown am Bahnhof von Peterskill, New York, den da schon ziemlich ramponierten Peck, und dem fällt nicht mehr ein als: „Nichts”. So kleinlaut und kraftlos hat man Peck Wilson noch nicht erlebt. Er ist – nichts hat Dana Halter mehr ersehnt – „im Arsch”.
Ob man ihn festnimmt oder nicht, ist ihr nun fast egal. „Laß uns Waffenstillstand schließen”, sagt sie dem verdutzten Bridger, den Peck gerade erst beinahe zu Tode geprügelt hat. Ganz friedlich endet, nach Aufregungen zuhauf, dieser furiose Roman; mit einem Paar, das gemeinsam in eine Zukunft fast ohne Identitätssorgen schaut und darin Zeit genug für talk talk haben wird.
„Wer diesen Roman gelesen hat, dem vergeht vermutlich die Lust am Online-Shopping”
„Für ein kriminelles Superhirn ist Peck Wilson eine Spur zu impulsiv und undiszipliniert”
T. Coraghessan Boyle
Talk Talk
Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2006. 398 Seiten, 21,50 Euro.
T. Coraghessan Boyle
Foto: Norbert Millauer/ddp
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Die Beißhemmung des Rumpelstilzchens
Sonderkommission Namensdiebstahl: T. C. Boyle geht in seinem Thriller auf Identitätssuche / Von Alexander Kosenina

T.C. Boyles jüngster Thriller ist ein moderner "Amphitryon". Der Mythos wird hier indes zu Realität. Es sind nicht mehr Götter, die den Menschen Namen und Identität stehlen, um ihre Frauen zu verführen und Schabernack zu treiben. Bei Boyle ist es ein raffinierter Gauner, der sich auf die in Amerika boomende Sparte des "Identity Crime" spezialisiert hat: Man stochert bevorzugt hinter Arztpraxen etwas im Müll, sucht nach Namen, Geburtsdaten, Sozialversicherungsnummern, Adressen, meldet den Führerschein als verloren und beantragt dann ein paar Kreditkarten. Solange die Rechnungen bezahlt werden, fällt dem Bestohlenen nicht einmal auf, daß er sich verdoppelt hat oder ein anderer seine Titel führt.

Es sei denn, der Dieb läßt sich unter falschem Namen ein paar weitere Verbrechen zuschulden kommen, überzieht Kreditlinien oder vergißt, Adressen zu ändern. Dann gerät das Opfer plötzlich wegen einer kleinen Ordnungswidrigkeit mit den Daten des Polizeicomputers in Konflikt. Das passiert Dr. Dana Halter eines Morgens in einem kalifornischen Nest: Die unbescholtene Lehrerin an einer Gehörlosenschule mißachtet ein Stoppschild, wird wie eine Schwerverbrecherin festgenommen und schlittert in die absurdesten Abgründe des amerikanischen Polizei- und Justizapparats. Durch ihre Taubheit zusätzlich benachteiligt, braucht sie drei lange Tage und Hilfe von außen, um die offensichtliche Verwechslung aufzuklären.

Diese Anfangskapitel gehören zu den stärksten Passagen in Boyles Roman. Die Hauptfigur kann hier durch die scheinbar ausweglose Verteidigung gegen ein übermächtiges, kafkaeskes und stets Schuld statt Unschuld voraussetzendes System ihren kämpferischen Charakter profilieren. Ihre maßlose Wut über das Verbrechen sowie über eine Justiz und Polizei, die sich für den Fall nicht weiter interessieren, motivieren aber nur teilweise das nachfolgende obsessive Ringen um Gerechtigkeit.

Danas Verfolgung des Namensdiebs aber ist einfach nichts für Hobbydetektive. Fast allein einem skrupellosen Kriminellen gegenüberzutreten unterstellt eine Torheit, die Dana nicht zukommt. Doch das süffig geschriebene Drehbuch zu einer Art Roadmovie von der West- zur Ostküste Amerikas verspricht eine kurzweilige Lektüre, auch wenn es an Unwahrscheinlichkeiten und gesuchten Zufällen nicht mangelt. Dana Halter jagt also hinter Dana Halter her, "einem Trottel, einem Clown, einem Hochstapler in einem zerrissenen Seidenanzug, einem Mann, der nichts wert war, weniger als nichts". Eigentlich heißt er Peck Wilson, doch das weiß kaum jemand. Manchmal, wenn er gerade eine Kreditkarte über den Tresen schiebt, vergißt er sogar selbst, ob er gerade William, Will, Billy, Peck, Frank, Dana oder Bridger ist. Nicht einmal seine Partnerin ahnt Pecks Geheimnis. Als sie allmählich begreift, daß sie mit einem Betrüger zusammenlebt, reagiert er wie stets lakonisch: "Es ist doch bloß ein Name." Dieses trotzige Bekenntnis bildet aber einen Höhepunkt der Irritation. Denn Pecks lässiger Umgang mit anderer Leute Namen macht seine gemütliche Existenz plötzlich unmöglich. Überstürzt verläßt er seine Villa im Westen und flüchtet gen Osten.

Natürlich erfährt man unterwegs viel über Pecks Leben, eine einzige schiefe Bahn, die seinem frechen Mundwerk wohl erst den rechten Schwung gegeben hat. Oft schimmern dabei schlagfertige amerikanische Wendungen durch, die nur schwer zu übertragen sind. Auf der anderen Seite finden sich in Dirk van Gunsterens sonst geschmeidiger Übersetzung. aber Anglizismen wie "Frame" und "Flow", die für den eigenwilligen Boyle-Ton völlig überflüssig sind. Pecks Geschichte wird parallel zu der Danas erzählt, die ihn zusammen mit ihrem Freund Bridger Martin auf den Fersen ist. Mit einer filmanalogen Schnittechnik werden diese beiden Schicksale miteinander verschränkt. Der Erzähler wechselt kapitelweise zwischen ihnen hin und her, in besonders spannenden Momenten überläßt er auch einmal den Figuren selbst die Regie über die Perspektive.

In der Schattenwelt der Draufgänger, Betrüger und Knackis, aus der Peck stammt, kennt Boyle sich bestens aus. Er versteht ihre Sprache, weiß, wie sie auf den Druck der Verfolgung reagieren, und durchschaut ihre Finten. Zu seinem Täterprofil mußte Boyle ein passendes Opfer schaffen - durchschnittlich zum einen, unverwechselbar individuell zum anderen.

Dana unterscheidet sich in erster Linie durch ihre Taubheit - dieser Einfall ist ein Wagnis. Denn Boyle hat nur indirekte Kenntnisse von der lautlosen Welt der Gehörlosen. Von "Talk Talk", also ihrer Konversation in Gebärdensprache, die dem Roman den Titel gibt, versteht er wie fast alle Hörenden nichts. Dennoch versucht er uns ein Bild vom Leben ohne Töne zu vermitteln, von den Qualitäten, Verhaltensweisen und Problemen einer Minderheit. Welchen Beitrag diese andere Begabung, wie sie in Amerika politisch korrekt genannt würde, aber für den Roman leistet, bleibt etwas rätselhaft. Ist die Hartnäckigkeit von Danas Jagd eine einleuchtende Antwort auf vielfältige Demütigungen? Versucht sie als Einzelkämpferin ihre Gleichstellung, wenn nicht Überlegenheit, zu beweisen? Und nehmen wir Peck eine Art Beißhemmung ab, als er einsieht, vor wem er auf der Flucht ist?

Die Hatz, die unerwartet endet, wird bis zum Schluß rasant und spannend erzählt. Daß der Plot stark dominiert, erscheint dabei kaum als Makel. Literarische Finesse ist schließlich nicht Maßstab eines Thrillers. Dieser neue Amphitryon bringt statt strahlender Helden gewöhnliche Menschen auf die Bühne. Ein Schurke beherrscht die Verstellung ohne Kunst, eine Frau verteidigt ihren guten Namen mit beschränkten Mitteln, Gerechtigkeit und Gericht sind gar nicht mehr vorgesehen. Die Ermittlung gegen Unbekannt erfolgt auch in unserem Namen, denn niemand ist vor dieser Gefahr sicher. Mit dem Buch sollte man also noch einen Dokumentenschredder erwerben.

T. Coraghessan Boyle: "Talk Talk". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2006. 397 S., geb., 21,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Irene Binal ist beeindruckt von T.C. Boyles neuem Roman "Talk Talk". Ihrer Meinung nach gelingt es Boyle darin, seine Qualitäten als plaudernder Erzähler beizubehalten und trotzdem eine große emotionale Tiefe aufzubauen. Binal gefällt diese "Doppelbödigkeit", die der Autor dazu nutzt, die Welt seiner Protagonisten voller Zwischentöne zu zeichnen. Boyle erweist sich nach Meinung der Rezensentin als jemand, der überraschend tiefe Einblicke in die Psyche und die Identitätsprobleme seiner Figuren gewähren kann. Dies tut er für die Rezensentin auf eine überraschend urteilsfreie Weise.

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