Ein wichtiges, interessantes und gut lesbares Buch
Wer selbst zu den zwischen 1955 und 1965 geborenen gehört, kennt mit Sicherheit einige Geschichten, wie sie die Flakhelfer aus der Endphase des Zweiten Weltkrieges zu erzählen hatten. Väter, Onkel oder sogar Cousins gehörten zu den Jahrgängen
1926 bis 1928, die noch eingezogen wurden, und in aller Regel als Flakhelfer (oder im Volkssturm)…mehrEin wichtiges, interessantes und gut lesbares Buch
Wer selbst zu den zwischen 1955 und 1965 geborenen gehört, kennt mit Sicherheit einige Geschichten, wie sie die Flakhelfer aus der Endphase des Zweiten Weltkrieges zu erzählen hatten. Väter, Onkel oder sogar Cousins gehörten zu den Jahrgängen 1926 bis 1928, die noch eingezogen wurden, und in aller Regel als Flakhelfer (oder im Volkssturm) dienten. Darunter aber nicht nur Menschen von nebenan, sondern auch durchaus namhafte Persönlichkeiten, die in der Bundesrepublik einen Namen haben. Horst Ehmke, Erhard Eppler, Iring Fetscher, Hans-Dietrich Genscher, Günter Grass, Walter Jens, Siegfried Lenz, Erich Loest, Dieter Wellershoff. Etliche können oder wollen sich an ihre Mitgliedschaft in der Nazi-Partei nicht mehr erinnern. Sie haben sie vergessen, verschwiegen oder verdrängt.
Malte Herwig, Historiker und Journalist, hat die NSDAP-Mitgliederkartei gesichtet und einige prominente Namen gefunden. In seinem Buch beschreibt er eine förmlich zerrissene Generation. Der Nationalsozialismus hat sich mit seinen prägenden Verhaltensmustern tief in die Köpfe dieser Generation eingegraben. Und dennoch musste diese Altersgruppe nur wenig später die führenden Demokraten der Bundesrepublik stellen. Politiker, Wissenschaftler und auch Künstler, denen ihr in der Jugend gewachsenes Weltbild weggebrochen war.
Ausgiebig hat Herwig in Archiven recherchiert, um die NSDAP-Mitgliedskartei zu erforschen - ein Symbol für den Umgang mit der deutschen Geschichte. Bei Kriegsende sollte sie vernichtet werden, fiel aber den US-Truppen in die Hände. 1968 sollte die Kartei an die Bundesrepublik übergeben werden, was jedoch abgelehnt wurde. Zu viele NSDAP-Mitglieder saßen in der Regierung: Schiller, Zimmermann, Scheel, Carstens und auch Genscher. Erst 1994 wurde das brisante Material übergeben - und die „Büchse der Pandora“ mit ihren 10,7 Millionen Namen geöffnet.
Seitdem gibt es Auseinandersetzungen darum. Betroffene und auch Historiker nehmen an, dass zu Kriegsende komplette Jahrgänge automatisch und ohne Wissen in die Partei aufgenommen wurden. Das hält Malte Herwig allenfalls für Einzelfälle, aber in der Regel sieht er darin Schutzbehauptungen, vor allem bei Politikern, die bei Kriegsende bereits über 20 Jahre alt waren. Herwig will gar nicht primär entlarven, sondern vor allem herausfinden, warum diese „Flakhelfer“ geschwiegen haben, und warum sie zu guten Demokraten wurden. Und so beschreibt er eine Generation, die immer überaus demonstrativ demokratisch und gegen jede Ideologie handelte. Vermutlich um sich selbst gewissermaßen zu entnazifizieren. Ein wichtiges, interessantes und gut lesbares Buch.