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2 Kundenbewertungen

In seinem Blick auf die Wurzeln des IS fördert Joby Warrick Unglaubliches zu Tage: Unter Rückgriff auf Geheimdienstinformationen belegt er die Beteiligung der US-Regierung unter George W. Bush und Barack Obama an der blutigen Karriere der Terrororganisation und ihres Gründers Al-Zarqawis!Doch was treibt den so entstandenen Terror heute an? Warum sind es so viele, die sich ihm anschließen? Und was hat das noch mit Religion zu tun? Diesen Fragen ist der Reporter und zweifache Pulitzer-Preisträger nachgegangen, er hat Gefängnisse besucht, mit Beamten, Terroristen und Agenten gesprochen. Er zeigt,…mehr

Produktbeschreibung
In seinem Blick auf die Wurzeln des IS fördert Joby Warrick Unglaubliches zu Tage: Unter Rückgriff auf Geheimdienstinformationen belegt er die Beteiligung der US-Regierung unter George W. Bush und Barack Obama an der blutigen Karriere der Terrororganisation und ihres Gründers Al-Zarqawis!Doch was treibt den so entstandenen Terror heute an? Warum sind es so viele, die sich ihm anschließen? Und was hat das noch mit Religion zu tun? Diesen Fragen ist der Reporter und zweifache Pulitzer-Preisträger nachgegangen, er hat Gefängnisse besucht, mit Beamten, Terroristen und Agenten gesprochen. Er zeigt, welche neue Kraft - anstelle der Religion - den Terror heute am Leben hält. Am Beispiel einer Frau, die 2015 zusammen mit anderen Kämpfern eine Hochzeitsgesellschaft gestürmt hatte, beschreibt er, was Menschen am IS anzieht. Ein packend geschriebener, nuancierter Bericht, der durch Gründlichkeit und Präzision besticht.
Autorenporträt
Joby Warrick ist seit 1996 Reporter der Washington Post und zählt zu den wenigen Autoren, die zweimal den Pulitzer-Preis gewonnen haben. Beim ersten Mal als Journalist und jetzt als Autor von ¿Schwarze Flaggen¿ für sein Arbeite über den IS. Cornelius Hartz ist Klassischer Philologe und arbeitet als freier Lektor, Autor und Übersetzer in Hamburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Joby Warricks Buch über den Aufstieg des IS und die USA hat das Zeug zum Standardwerk, versichert Rezensent Marc Reichwein. Und das nicht nur, weil der Journalist aus amerikanischer "Insider-Sicht" über die Radikalisierung des IS und den Terrorismus unserer Zeit schreibt, meint der Kritiker. Sondern auch, weil Warrick so anschaulich, dialog- und szenenreich schreibt, dass sich Reichwein nicht nur in einem Agententhriller wähnt, sondern geradezu das Gefühl hat, mit Assad die syrischen Gefängnisse zu öffnen oder mit der Bush- und Obama-Administration im "Situation Room" zu sitzen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2017

Arabische
Vordenker
Joby Warrick vollzieht den Aufstieg des „Islamischen
Staats“ nach – die USA kommen dabei nicht gut weg
VON WOLFGANG FREUND
Seit der Piratenzeit mangelt es nicht an schwarzen Fahnen und Wimpeln. Vor wenigen Monaten glaubte der hier Schreibende, sogar auf dem Schlossplatz von Braunschweig aus der Ferne „schwarze Flaggen“ ausgemacht zu haben; und schon murmelte sein inneres Krümelmonster „Nix wie hin, da gerät eine IS-Demo in Gang!“ Es waren aber nur eine Handvoll grundsympathischer junger Menschen, die gegen die Verwendung von Tierfellen in der textilverarbeitenden Industrie demonstrierten. Die „schwarzen Flaggen“ galten den armen Viechern, denen internationale Mode-Haie das Fell über den Kopf ziehen.
Ein ganz anderes Kaliber haben die „Schwarzen Flaggen“ von Joby Warrick, dem US-Autor von „Black Flags: The Rise of the Isis“, der 2016 dafür mit seinem zweiten Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Da geht’s um die Spindoktoren und Killer des sogenannten Islamischen Staates (IS) und deren mögliche Verstrickungen in eine New World Order . . . made in USA.
Das Buch gibt es nun auch auf Deutsch, übersetzt von Cornelius Hartz. Vor der Lawine der deutschen IS-Literatur, die seit zwei, drei Jahren unsere Lesekapazitäten belastet sowie unsere geistigen Aufnahmefähigkeiten lawinenartig überrollt, reagierte der Berichterstatter zunächst wie ein Hund des Dr. Pawlow, aggressiv bellend: „Was, schon wieder 400 Seiten Terroristenknatsch?“ Doch das Titelblatt, auf dem neben den bibliografischen Üblichkeiten reißerisch-amerikanisch zu lesen steht: „Packend erzählt . . . New York Times“, verursacht doch größeren Wissensdrang.
Die amerikanische Herkunft der Schrift bleibt, trotz gelungener Übersetzung ins Deutsche, unverkennbar. Der Text liest sich streckenweise wie das Drehbuch zu einer Horror-Terror-Schnulze made in Hollywood. Hinrichtungs- und Folterszenen aller Art, die das Gruseln lehren, werden detailreich geschildert. So bereits im Prolog anlässlich einer Vollstreckung durch die jordanische Justiz: „Ein Imam sprach ein Gebet, während man eine Schlinge mit einer stabilen Metallklammer sicherte . . . Als sich die Falltür unter dem Galgen öffnete und sie in die Dunkelheit stürzte, gab sie keinen hörbaren Laut von sich. Es war 5:05 Uhr, etwa anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang, als der Gefängnisarzt ihren Puls prüfte.“ Man hätte das auch anders schildern können, aber bitte: jeder Buchautor bleibt frei, sich so zu äußern, wie er es für richtig hält, vor allem in den USA, wo das First Amendment der grundgesetzlichen Ordnung einen Grad der publizistischen Meinungsfreiheit sicherstellt, den man andernorts, weltweit, vergeblich suchen würde.
Das Buch besitzt Qualitäten. Minutiös wird erläutert, wie sehr der Schlamassel, in dem sich das Nah- und Mittelost-Engagement der USA heute befindet, ursächlich mit jenen Vorgängen verknüpft ist, als sich CIA-Agenten und sonstige „Schlapphutindianer“ aktiv darum bemüht hatten, „islamistisch“ geprägte Tendenzen zwischen Pakistan, Afghanistan und Saudi-Arabien (möglicherweise aber auch anderswo in Regionen des sogenannten Arabischen Frühlings wie Tunesien, Ägypten, Libyen oder in Jemen) materiell und ideell zu fördern. Krebsartige Fortentwicklungen wie al-Qaida oder IS wären ohne solche „Starthilfen“ kaum möglich geworden. Politische Naivlinge in Washington, D. C., hatten ursprünglich geglaubt, durch Unterstützung islamistischer Widerständler gegen die sowjetrussischen Eroberer Afghanistans (1979 – 1989), also der Taliban, westliche Formen von „Demokratie“ in der nah- und mittelöstlichen Welt des Islams voranzubringen. Die empirischen Details stammen bei Warrick nicht, wie zumeist bei solchen Versuchen, aus der Lektüre anderer Bücher zum Thema, sondern aus vor Ort gewonnenen Erfahrungen als embedded participant observer bei amerikanischen Armeeeinheiten und Geheimdiensten. Das gibt dem Text Glaubwürdigkeit. Langeweile bei der Lektüre kommt nicht auf. Ärgerliches beschränkt sich auf Technisches, wie etwa ein eigenartiges, nach Kapiteln geordnetes System der „Anmerkungen“. Der Leser, will er das alles nachvollziehen, ist ständig am Blättern und Suchen.
Nach Lektüre dieser „Schwarzen Flaggen“ hat sich im Rezensenten eine Auffassung, die er während einiger Jahrzehnte beruflichen Wirkens in Ländern wie Tunesien, Ägypten, Israel und „Palästina“ im Wesentlichen bereits erwerben konnte, weiter verfestigt. Wo immer die USA zwischen Nordafrika und dem Nahen Osten irgendwie eingreifen, um bestehende Ordnungen auszuhebeln, beziehungsweise neue zu begründen, geht es schief, und das neu Geschaffene ist in der Regel noch fragwürdiger als das alte. Moderne Kriege konnten die USA stets dort siegreich beenden, wo der Feind ihrem eigenen Kulturkreis in etwa nahe gestanden hatte, sprich: in den europäischen Auseinandersetzungen der beiden Weltkriege.
Selbst Japan konnte nur durch den Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki besiegt werden, „konventionell“ hatten die amerikanischen GIs es nicht geschafft, und alles Nachfolgende ging für sie, um es salopp zu sagen, in die Hose: Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen, Syrien. Mit Völkern und Kulturen, die „anders“ denken, beten und sozial handeln, sind diese Amerikaner überfordert. Sie passen nicht in deren Kleiderordnung. Oder um es „idealtypisch“ auszumeißeln: US-Amerikaner mit WASP-Migrationshintergrund (WASP steht für White-Anglo-Saxon-Protestant) können nicht „drittweltlich“ denken. Sie konnten das bereits vor mehr als 200 Jahren nicht, als sie daran gegangen waren, eine nordamerikanische Urbevölkerung, nämlich die wenig protestantisch-christlich vorprogrammierten Indianer, systematisch auszurotten. Un génocide avant la lettre. Auch die Bill of Rights vom 15. Dezember 1791 galt nur für die eigenen Belange, nicht für die bereits angetroffenen und in den Tiefen des nordamerikanischen Kontinents heute noch als ethnische Rarität, sprich: touristische Sehenswürdigkeiten vorkommenden Rothäute.
Ein aktuelles Phänomen, das seine ganze Sprengkraft behält und Joby Warricks Buch wie einen heimlichen roten Faden durchzieht: Ohne die Mittelalterlichkeit der saudi-arabischen Kollektivmoral und Gesellschaftsordnung wäre der „Islamische Staat“ undenkbar. Alle Vordenker auf diesem Gebiet sind entweder Saudis oder zumindest saudisch akkulturierte Sympathisanten. Kurioserweise sind eben diese merkwürdigen Saudis die besten Freunde der USA geblieben. Nicht nur Geld, sondern auch Öl stinkt offenbar nicht.
Als Barack Obama im Sommer 2015, zusammen mit seinen europäischen Verbündeten, das Nuklearabkommen mit Iran unterzeichnet hatte, konnte man der Hoffnung verfallen, es würden sich zwischen Mittelmeer-Ostküste und arabisch-persischem Golf in wechselseitiger, transkontinentaler Zusammenarbeit neue geopolitische Gewichtungen herausbilden und für den Irak sowie Syrien tragende Friedensinitiativen ermöglichen. Ein Flop.
Die „Heilige Allianz“ zwischen Saudi-Arabien und den USA blieb in vollem Umfang erhalten und schreibt sich weiter. Donald Trump wird sich hüten, solche ölkolorierten „Familienfotos“ von den Wänden der Boudoirs des Weißen Hauses abzuhängen.
Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt „Mittelmeerkulturen“). Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Er lebt heute in Südfrankreich.
Hinrichtungs- und Folterszenen
aller Art werden
detailreich geschildert
Mit Kulturen, die „anders“
denken, beten und sozial handeln,
sind die Amerikaner überfordert
Joby Warrick:
Schwarze Flaggen. Der Aufstieg des IS und die USA. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz. Theiss-Verlag/WGB. Darmstadt 2017. 392 Seiten. 22,95 Euro.
E-Book: ab 13,99 Euro.
Ausgeweht: Ein irakischer Soldat holt eine schwarze Flagge des „Islamischen Staats“ vom Mast. Der Rückzug des IS geht weiter.
Foto: OSAMAH WAHEEB/Reuters
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2017

Wie uns das Kalifat immer wieder überlistet
Die Bücher von Joby Warrick, Pierre-Jean Luizard und Philippe-Joseph Salazar helfen, den IS zu verstehen

Der Kampf um die Rückeroberung Mossuls gestaltet sich schwieriger, als die Kräfte der irakischen Regierung es vorhergesagt hatten. Noch immer haben sich im Westteil der nordirakischen Stadt Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) verschanzt und setzen sich mit allen Mitteln zur Wehr - Scharfschützen, Sprengfallen, Autobomben. Dennoch dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Herrschaft der Dschihadisten über die einstige Millionenmetropole Geschichte ist. Die Eroberung Mossuls war die Krönung des Siegeszugs gewesen, den der IS im ersten Halbjahr 2014 vollführt hatte. Ganze Landstriche Syriens und des Iraks brachten die militanten Islamisten handstreichartig unter ihre Kontrolle. Für Mossul benötigten sie nur vier Tage.

Dort spielte sich am 4. Juli 2014, einem Freitag, eine der denkwürdigsten Szenen der jüngeren islamischen Geschichte ab, als der IS-Anführer Abu Bakr al Bagdadi erstmals an die Öffentlichkeit trat und in der Al-Nuri-Moschee die Wiedererrichtung des Kalifats verkündete, mit sich selbst an dessen Spitze. "Euch erwarten Trübsal und große Schlachten", stimmte er seine Anhänger auf die zu erwartenden Kämpfe ein und fügte an: "Wahrlich, ihr könnt euer Blut nicht an einem besseren Ort vergießen als auf dem Weg, um die Muslime zu befreien, die hinter den Mauern der Götzenbilder gefangen sind. Also greift zu den Waffen und rüstet euch mit Frömmigkeit!"

Im Gegensatz nicht nur zu der kriegerischen Rhetorik seiner Predigt, sondern auch zu den Bildern der schwarzgewandeten Horden, die raubend und mordend durch die Region zogen, war die Inszenierung von Bagdadis Auftritt nachgerade zurückhaltend - und dennoch bis ins Detail durchdacht. Auf diesen Umstand weisen sowohl Philippe-Joseph Salazar als auch Joby Warrick hin. Warrick lenkt das Augenmerk auf einige der symbolischen Gesten, die Bagdadi in der Moschee vollzog und die an überlieferte Handlungen des Propheten Mohammed erinnerten: das kurze Verharren auf jeder Stufe, als er die Treppe zur Kanzel emporschritt, die Reinigung des Mundes mit einem Zahnholz, bevor er die Predigt begann.

Salazar nennt Bagdadis Auftritt rundheraus ein "Meisterwerk". Er vermerkt "würdiges Auftreten und natürliche Haltung", lobt die sachliche Eloquenz und bedenkt diejenigen, die für Bagdadis Selbstproklamation nur Spott übrig hatten, mit dem Hinweis, dass der Vorgang sich "jenseits der Begrifflichkeit unserer modernen politischen Rhetorik" vollzog. "Lästern bringt uns nicht weiter, wir müssen uns um Verständnis bemühen."

Wie muss man den Aufstieg des "Islamischen Staates" und seines Kalifen Ibrahim also verstehen? Drei neue Bücher zum IS wählen drei unterschiedliche Ansätze: den ereignisgeschichtlichen, den politischen und den rhetorischen. Das umfangreichste und am aufwendigsten recherchierte Werk hat der amerikanische Journalist und Autor Joby Warrick verfasst. Sein Buch "Schwarze Flaggen", das 2016 mit dem Pulitzer-Preis prämiert wurde, erzählt die Geschichte der Terrorgruppe IS, vor allem aber ihre Vorgeschichte. Dass er ursprünglich eine Biographie des jordanischen Terroristen Abu Musab al Zarqawi schreiben wollte, der bis zu seinem Tod durch amerikanische Bomben im Juni 2006 der "Superstar unter den Dschihadisten" war, sagt Warrick offen. Dementsprechend benötigt er zwei Drittel seines Buchs, bis er bei der Entstehung des IS aus den Ruinen von Zarqawis "Al Qaida im Irak" angelangt ist.

Die liefern eine detaillierte, aus mehreren Perspektiven erzählte und mit zahlreichen Spannungsbögen versehene Schilderung von Zarqawis Aufstieg: von dem Kleinkriminellen, der 1989 nach Afghanistan geht und sich radikalisiert und später in einem Gefängnis am Rande der jordanischen Wüste auf den charismatischen Ideologen Abu Muhammad al Maqdisi trifft (der sich später von Zarqawi abwendet), über den Leiter eines Dschihad-Ausbildungslagers im Nordirak von 2001 an, das von den Amerikanern als Beleg für die terroristischen Aktivitäten Saddam Husseins verwendet wird, bis hin zu dem "Scheich der Schlächter", der im Post-Saddam-Irak fast im Alleingang einen konfessionellen Bürgerkrieg entfesselt.

Gegengeschaltet sind die Bemühungen jordanischer und amerikanischer Geheimdienstler und Militärs, dem Dschihadisten das Handwerk zu legen. Die Konzeptlosigkeit der Amerikaner im Irak wird dabei ebenso deutlich wie ihre Ohnmacht gegenüber Zarqawis Strategie des forschreitenden Tabubruchs - er erfindet etwa das Filmen von Hinrichtungen -, die schließlich sogar Kritik der Al-Qaida-Führung hervorruft.

Nach seinem Tod war Zarqawis Organisation weitgehend irrelevant geworden, erst durch die Marginalisierung der Sunniten im Irak sowie durch den syrischen Bürgerkrieg bekam sie wieder Aufwind. Der eher zufällig an die Spitze gelangte Abu Bakr al Bagdadi (bürgerlich hieß er Ibrahim Awad al Badri) versuchte wie sein Mentor Zarqawi die Gewalt gegen Schiiten und Nichtmuslime religiös zu rechtfertigen, verfügte im Gegensatz zu diesem aber über theologische Bildung und Autorität. Anschaulich beschreibt Warrick, wie professionell Bagdadi sein Vorgehen plante und das politische Vakuum im krisengeschwächten Nahen Osten sowie die gegenseitigen Ressentiments für seine Zwecke nutzte.

Warrick überzeugt am meisten, wo er die Interdependenzen von amerikanischer und nahöstlicher Politik beschreibt. Was seinem Buch, dem man bisweilen ein oberflächliches Lektorat und allzu oft die Übersetzung aus dem Englischen anmerkt, fehlt, ist eine Analyse der grundlegenden Krise der Levante - und damit letztlich ein Teil der Erklärung für den Erfolg des IS. Daran versucht sich der französische Historiker Pierre-Jean Luizard, der in "Die Falle des Kalifats" darlegt, welche Faktoren die Dschihadisten zumindest zeitweilig für nicht wenige vor allem irakische Sunniten attraktiv machten, die einen "Islamischen Staat" dem schiitischen Regime in ihrem Land vorzogen. Er greift auf die koloniale und postkoloniale Zeit zurück, um zu erklären, weshalb sowohl Syrien als auch der Irak unter einem Legitimationsdefizit leiden: Über Jahrzehnte wurden von den Machthabern beider Staaten unter dem Deckmantel wechselnder Ideologien ganze Bevölkerungs- und Religionsgruppen gegeneinander ausgespielt.

Zwar misst Luizard mitunter strukturellen Faktoren zu viel Bedeutung zu, etwa im Falle von Saddam Husseins Einmarsch in Kuweit 1990, der sicherlich auch mit der Person des Diktators zusammenhing und überdies keine reine amerikanische "Falle" war. Er liefert aber eine Fülle aufschlussreicher Beobachtungen zum Verhältnis von Staat, Konfession und Ideologie, die durch den Abgleich zwischen Syrien und dem Irak zusätzlich an Konturschärfe gewinnen. In beiden Ländern konstatiert er bei allen Unterschieden das gleiche Ergebnis: "den Zerfall des Staates und das Auseinanderbrechen seines Territoriums entlang ethnischer und religiöser Linien" - im Irak aufgrund der amerikanischen Invasion, in Syrien als Resultat der Arabellion. Und der "Islamische Staat", resümiert er, "entfaltet sich dort, wo die Staaten versagt haben". Selbst im Fall der militärischen Niederlage des IS sieht Luizard keine Zukunft für diese Länder, zumal die Anti-IS-Koalition den Menschen dort "nicht den Hauch einer politischen Perspektive" zu bieten habe.

Warum der Westen in der Konfrontation mit dem IS so oft hilflos wirkt, ist die Ausgangsfrage des französischen Philosophie-Professors Philippe-Joseph Salazar in seinem Buch "Die Sprache des Terrors". Man müsse die Dschihadisten ernst nehmen, anstatt ihnen mit Überheblichkeit und "Sensationsrhetorik" zu begegnen, fordert er. Dem IS attestiert er "Wortgewalt und Überzeugungskraft" und zeichnet nach, wie "das Kalifat" uns immer wieder rhetorisch überlistet. So seien die Propagandaclips des IS gerade wegen ihrer Fremdheit verführerisch; denn diese "öffnet den Weg in ein anderes Universum, das scheinbar außerhalb der Wiederholung, außerhalb des Banalen, außerhalb des Alltäglichen liegt".

Allerdings gelingt es Salazar zu selten, die Fülle seiner komplizierten Darlegungen stringent und verständlich zu einem Ganzen zu verknüpfen. Es bleiben interessante Einzelbeobachtungen haften, etwa zur Männlichkeitsethik und zum Gebrauch von Gesichtsmasken in IS-Videos - diese funktionierten als "das männliche Pendant zum Schleier", schreibt er: "Die Uniform des Milizionärs verhüllt - und fasziniert." Letztlich stellt sich die Frage, ob Salazar sich nicht ein wenig zu sehr von dieser Faszination hat faszinieren lassen. Einerseits plädiert er dafür, die Dschihadisten nicht zu mystifizieren, andererseits schreibt er, der IS, der etablierte Regeln und Normen ablehne, sei "politisch mit nichts zu vergleichen". Wenn die jüngsten Erfolgsmeldungen vom Kampf gegen die Truppen des Kalifen Ibrahim nicht trügen, dann bleibt die Hoffnung bestehen, dass auf die Frage, womit der IS vergleichbar ist, erst dann eine Antwort gefunden sein wird, wenn die Frage sich schon erledigt hat.

CHRISTIAN MEIER.

Joby Warrick: "Schwarze Flaggen". Der Aufstieg des IS und die USA. Aus dem Englischen von Cornelius Hartz. Theiss Verlag, Darmstadt 2017. 392 S., Abb., geb., 22,95 [Euro].

Pierre-Jean Luizard: "Die Falle des Kalifats". Der Islamische Staat oder die Rückkehr der Geschichte. Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt. Hamburger Edition, Hamburg 2017. 160 S., geb., 20,- [Euro].

Philippe-Joseph Salazar: "Die Sprache des Terrors". Warum wir die Propaganda des IS verstehen müssen, um ihn bekämpfen zu können. Aus dem Französischen von Christiane Seiler. Pantheon Verlag, München 2016. 224 S., br., 14,99 [Euro].

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»Das beste Buch über den IS-Terror.« Die Welt